Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912
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22. Heft
DOI Artikel:Ausstellungen
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AUSSTELLUNGEN
worfenen; daß [ich diefes Gefchäft in den Dienft
der Sache [teilt, erfüllt mit Genugtuung. Möge
es ihm gelingen, [ich gegenüber der doppelten
Konkurrenz, einerfeits dem Kitfch des Faubourg
St. Antoine, anderfeits dem Hotel Drouot mit
[einen billigen und oft erfreulichen Kaufsgelegen-
heiten fiegreich zu behaupten. Für ein eigenes
großes Möbelgefchäft arbeitet Majorelle, an
deffen Sofakonftruktionen mit Etageren, dunkel-
gebeizten Schränken mit Schnitzerei und filber-
nen Befchlägen nach unferem Gefchmack zuviel
ohne befondere Rechtfertigung aufgewendet ift,
während die Formgebung noch etwas im alten
„moderne style“ fteckt. —
Die Louis-Philippe-Anregung verrät [ich am
ftärkften — und damit das Münchnerifche, das
fie vermittelte — bei Follot und Dufrene und
bei Groult. Diefer ift mit ihrer Verarbeitung
glücklicher als feine genannten Kollegen, fo mit
einem kreisrunden, blauweißtapezierten Boudoir,
das von gepolfterten Sellae curules und bade-
wannenförmigen, kleinen Ruhebetten anmutig
erfüllt ift. Follots prächtiger Salon wirkt indes
mehr durch das Prinzip hiftorifch, dem in thea-
tralifcher Feierlichkeit Rechnung getragen wird;
während feine Boudoirmöbel — eine recht nied-
liche, aber zweifellos unpraktifche Chaifelongue
— allerdings Stilmöbeln zum Verwechfeln ähn-
lich find. Äuch insgefamt ift diefes Boudoir
wenig harmonifch, fondern recht kitfchig im
Sinne des Bon-ton, ein übler Kompromiß zwi-
fchen „moderne ftyle“ fchlimmer Münchner Imi-
tation und hiftorifchen Anleihen. Wir nennen
fernerSelmersheim (einfach architektonifcheHolz-
verkleidung, Ledergeflechtftühle von Chippen-
dale ähnlicher Form) des Architekten A. Mallet-
Stevens ftark Münchnerifches Eßzimmer, von
Sue und Huillard das Enfemble von vornehm-
fchlichtem Arbeitszimmer (über Eck eingebaute
Bibliotheksfehränke) und einen farbenfreudigen
Wohnraum. Die bunte Dekoration mit ge-
fchnißten und bemalten Rofen auf Lehnen und
Schranktüren leitet zum Stil Andre Mares über.
Unter diefes [ehr begabten Künftlers Leitung
haben [ich Gampert, Desvallieres, Villon, Vera,
Ribbemont-Deffaigne, de la Fresnaye und meh-
rere andere zu einem Gefamtwerk vereinigt,
deffen Hauptftück als „Salon bourgeois“ be-
zeichnet ift. Die bunte, doch ftark zeichnerifche
Tapete von grünlichem Grundton ift vor den
Ecken durch fchmale Spiegel unterbrochen. Auf
dem Kaminmantel von ungewöhnlicher, doch
fchlichter Zeichnung fteht vor dem Goldrahmen-
fpiegel eine rote Pendule. Wie im 17. Jahr-
hundertwird Juxtappofition von Spiegel und Bild
wieder gepflegt: diefes Schmuckftück ift, wie
mehr oder weniger die gefamte Wanddekoration,
von kubiftifchem Formenfpiel, das [ich denn
wirklich nirgends fo gut wie hier ausnimmt.
Unter fchlichtbemalten Möbeln, Stühlen mit ge-
fchnitzten Lehnen, ein rotes Tifchchen. Die ori-
ginelle Kommode, deren Front unbeachtet der
Schubladen von einer intarfienartigen Zeichnung
bedeckt ift, fällt wie ein feltenes Prunkftück auf.
Vor diefe Zimmer hat Duchamp-Villon eine fu-
turiftifche „Hotel“-Faffade geftellt, die [ich durch
die kriftallifch zugefchnittenen Tragfteine des
Balkons und andere Äußerlichkeiten krampfhaft
von dem konventionellen Parifer Rez-de-chauffe
zu unterfcheiden verfucht.
Ebenfowenig wird man die auf eine „Hall“
angewandte baptifteriale Reminifzenz eines an-
dern Ausftellers originell heißen. Daß die Bau-
kunft einftweilen noch verfagt, werden wir nicht
ungewöhnlich finden, da die kunftgewerbliche
Bewegung noch in den Anfängen fteckt und uns
die Erfahrung gelehrt hat, daß jene [ich des Vor-
fprungs diefer bedient.
Über die anderen Gebiete des Herbftfalons
müffen wir uns kurz faffen. Eine Porträt-Äus-
ftellung des 19. Jahrhunderts entbehrt gänzlich
der informatorifchen Methode, ift nichts anderes
als eine zufällige Änfammlung von Leihgaben,
vielfeitig genug, uns neben wenig charakterifti-
fchen Stücken von Manet Boldini zu zeigen,
uns das Inkarnat Valabregues von Cezanne mit
dem des Renan von Meifter Bonnat vergleichen
zu laffen, den im wilden Herbftfalon wieder-
zufinden wir allerdings nicht wenig erftaunt
find. — Dem verdorbenen Sozietär Albert Braut
ift eine Gefamtausftellung gewidmet, die ihn,
den ehemaligen Schüler Guftave Moreaus, als
einen frifchen Koloriften zeigt; gelegentlich zu
einer fynthetifchen Auffaffung geneigt. — Als
Reklametruppe wirkten auch diesmal Kubiften
mit, und zwar ganz notorifche, die heuer zum
erftenmal geladen wurden. Die natürliche Folge
von Proteften war, daß Leute, die fonft keinen
Salon befuchen, [ich neugierig ins Grand Palais
aufmachten; die Befuchsziffer überfteigt bei wei-
tem die der früheren Jahre. Jene aber, die von
der intereffanten Bewegung mehr als epatiert
zu werden verlangen, bedauern, daß anftatt der
Derain, Picaffo, Bracque [ich die Talentlofigkeit
des zweiten Gliedes breit macht. Sie werden
[ich vor den meiften diefer Gemälde der prinzi-
piellen Auseinanderfeßung Jacques Rivieres mit
dem Kubismus, unter dem Titel „Sur les ten-
dences actuelles dans la peinture“ erinnern;
Tendenzen, deren entwicklungstheoretifch-logi-
fches Dafein der Autor darzuftellen verfucht,
wobei er [ich angefichts der Werke eingefteht,
daß die meiften Parteigänger der Bewegung nicht
verftehen,was fie gerade zu propagieren fcheinen.
864
worfenen; daß [ich diefes Gefchäft in den Dienft
der Sache [teilt, erfüllt mit Genugtuung. Möge
es ihm gelingen, [ich gegenüber der doppelten
Konkurrenz, einerfeits dem Kitfch des Faubourg
St. Antoine, anderfeits dem Hotel Drouot mit
[einen billigen und oft erfreulichen Kaufsgelegen-
heiten fiegreich zu behaupten. Für ein eigenes
großes Möbelgefchäft arbeitet Majorelle, an
deffen Sofakonftruktionen mit Etageren, dunkel-
gebeizten Schränken mit Schnitzerei und filber-
nen Befchlägen nach unferem Gefchmack zuviel
ohne befondere Rechtfertigung aufgewendet ift,
während die Formgebung noch etwas im alten
„moderne style“ fteckt. —
Die Louis-Philippe-Anregung verrät [ich am
ftärkften — und damit das Münchnerifche, das
fie vermittelte — bei Follot und Dufrene und
bei Groult. Diefer ift mit ihrer Verarbeitung
glücklicher als feine genannten Kollegen, fo mit
einem kreisrunden, blauweißtapezierten Boudoir,
das von gepolfterten Sellae curules und bade-
wannenförmigen, kleinen Ruhebetten anmutig
erfüllt ift. Follots prächtiger Salon wirkt indes
mehr durch das Prinzip hiftorifch, dem in thea-
tralifcher Feierlichkeit Rechnung getragen wird;
während feine Boudoirmöbel — eine recht nied-
liche, aber zweifellos unpraktifche Chaifelongue
— allerdings Stilmöbeln zum Verwechfeln ähn-
lich find. Äuch insgefamt ift diefes Boudoir
wenig harmonifch, fondern recht kitfchig im
Sinne des Bon-ton, ein übler Kompromiß zwi-
fchen „moderne ftyle“ fchlimmer Münchner Imi-
tation und hiftorifchen Anleihen. Wir nennen
fernerSelmersheim (einfach architektonifcheHolz-
verkleidung, Ledergeflechtftühle von Chippen-
dale ähnlicher Form) des Architekten A. Mallet-
Stevens ftark Münchnerifches Eßzimmer, von
Sue und Huillard das Enfemble von vornehm-
fchlichtem Arbeitszimmer (über Eck eingebaute
Bibliotheksfehränke) und einen farbenfreudigen
Wohnraum. Die bunte Dekoration mit ge-
fchnißten und bemalten Rofen auf Lehnen und
Schranktüren leitet zum Stil Andre Mares über.
Unter diefes [ehr begabten Künftlers Leitung
haben [ich Gampert, Desvallieres, Villon, Vera,
Ribbemont-Deffaigne, de la Fresnaye und meh-
rere andere zu einem Gefamtwerk vereinigt,
deffen Hauptftück als „Salon bourgeois“ be-
zeichnet ift. Die bunte, doch ftark zeichnerifche
Tapete von grünlichem Grundton ift vor den
Ecken durch fchmale Spiegel unterbrochen. Auf
dem Kaminmantel von ungewöhnlicher, doch
fchlichter Zeichnung fteht vor dem Goldrahmen-
fpiegel eine rote Pendule. Wie im 17. Jahr-
hundertwird Juxtappofition von Spiegel und Bild
wieder gepflegt: diefes Schmuckftück ift, wie
mehr oder weniger die gefamte Wanddekoration,
von kubiftifchem Formenfpiel, das [ich denn
wirklich nirgends fo gut wie hier ausnimmt.
Unter fchlichtbemalten Möbeln, Stühlen mit ge-
fchnitzten Lehnen, ein rotes Tifchchen. Die ori-
ginelle Kommode, deren Front unbeachtet der
Schubladen von einer intarfienartigen Zeichnung
bedeckt ift, fällt wie ein feltenes Prunkftück auf.
Vor diefe Zimmer hat Duchamp-Villon eine fu-
turiftifche „Hotel“-Faffade geftellt, die [ich durch
die kriftallifch zugefchnittenen Tragfteine des
Balkons und andere Äußerlichkeiten krampfhaft
von dem konventionellen Parifer Rez-de-chauffe
zu unterfcheiden verfucht.
Ebenfowenig wird man die auf eine „Hall“
angewandte baptifteriale Reminifzenz eines an-
dern Ausftellers originell heißen. Daß die Bau-
kunft einftweilen noch verfagt, werden wir nicht
ungewöhnlich finden, da die kunftgewerbliche
Bewegung noch in den Anfängen fteckt und uns
die Erfahrung gelehrt hat, daß jene [ich des Vor-
fprungs diefer bedient.
Über die anderen Gebiete des Herbftfalons
müffen wir uns kurz faffen. Eine Porträt-Äus-
ftellung des 19. Jahrhunderts entbehrt gänzlich
der informatorifchen Methode, ift nichts anderes
als eine zufällige Änfammlung von Leihgaben,
vielfeitig genug, uns neben wenig charakterifti-
fchen Stücken von Manet Boldini zu zeigen,
uns das Inkarnat Valabregues von Cezanne mit
dem des Renan von Meifter Bonnat vergleichen
zu laffen, den im wilden Herbftfalon wieder-
zufinden wir allerdings nicht wenig erftaunt
find. — Dem verdorbenen Sozietär Albert Braut
ift eine Gefamtausftellung gewidmet, die ihn,
den ehemaligen Schüler Guftave Moreaus, als
einen frifchen Koloriften zeigt; gelegentlich zu
einer fynthetifchen Auffaffung geneigt. — Als
Reklametruppe wirkten auch diesmal Kubiften
mit, und zwar ganz notorifche, die heuer zum
erftenmal geladen wurden. Die natürliche Folge
von Proteften war, daß Leute, die fonft keinen
Salon befuchen, [ich neugierig ins Grand Palais
aufmachten; die Befuchsziffer überfteigt bei wei-
tem die der früheren Jahre. Jene aber, die von
der intereffanten Bewegung mehr als epatiert
zu werden verlangen, bedauern, daß anftatt der
Derain, Picaffo, Bracque [ich die Talentlofigkeit
des zweiten Gliedes breit macht. Sie werden
[ich vor den meiften diefer Gemälde der prinzi-
piellen Auseinanderfeßung Jacques Rivieres mit
dem Kubismus, unter dem Titel „Sur les ten-
dences actuelles dans la peinture“ erinnern;
Tendenzen, deren entwicklungstheoretifch-logi-
fches Dafein der Autor darzuftellen verfucht,
wobei er [ich angefichts der Werke eingefteht,
daß die meiften Parteigänger der Bewegung nicht
verftehen,was fie gerade zu propagieren fcheinen.
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