Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0909
DOI issue:
22. Heft
DOI article:Ausstellungen
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AUSSTELLUNGEN
Wir haben Poiret genannt, den großen An-
reger. Er patroniert eine Ausftellungsgruppe
dekorativer Kunft, die wir nicht anftehen, als
die größte Attraktion des Herbftfalons zu be-
zeichnen. In der von Poiret und Mme. Gabriel
Claude geleiteten Ecole Martine führen junge
Mädchen aus, wozu der große Schneider durch
die Malverfuche feines Töchterchens angeregt
worden ift. Es entftehen mit bunten Flecken
harmonifch gefprenkelte Felder, geblümte Tafeln,
Tapetenmufter von Kandinskyfcher Intenfität, die
ein feltfames Gemifch von kindlicher Naivetät
und etwas fnobiftifch in jenen Poiretfchen
Sphären gefchulten Farbenfinn verraten. Diefe
Erzeugniffe läßt Poiret gleich als Tücher, Schleier,
als Kiffen und famtene Möbelftoffe, in Aufnäh-
arbeit, oder in Teppichwirkerei ausführen, und
die Schönheit diefer Flächen läßt alle Kubiften
vergeffen. R. Kiefer.
BERLIN Im KÜNSTLERHAUSE wird das
Marinebild vorgeführt, und es find alle die be-
kannten Namen vertreten, Stoewer, Bohrdt,
der verftorbene Hammacher, aber ohne daß
man etwas wefentlich Neues über die Künftler
oder gar über das Meer erführe. Auch Hans
Licht ift unter die Seemaler gegangen, fcheint
fich aber da einftweilen noch nicht fo ficher zu
fühlen, wie auf feftem Boden. Gut ift Otto
H. Engels Bild, namentlich fchön der jenfeitige
fchmale Uferftreifen, gut auch Rieh. Efchkes
fonniges Stück. Von Bohrdt find das befte
neun kleine Aquarellbilder. Sonft find mir noch
aufgefallen: Heinrich Bafedows Böiger Tag,
Infel Sylt von Hans Schleich, und Karl Hoch-
haus, während Hans Hartigs Bilder in dem
kleinen Format zu unmotiviert gewaltfam wirken.
* *
*
Bei WERCKMEISTER ftellt der Wiener Hans
B oehler Studien ausOftafien aus,und es ift höchft
erfreulich, hier einem Künftler zu begegnen, der
einmal nicht in das kunftgewerblich-fchematifie-
rende Treiben hineingeraten ift, das fonft im
Gefolge folcher öftlichen Studienreifen aufzu-
treten pflegt. Es find feine und kräftige, ebenfo
gut gefehene wie gezeichnete Naturftudien, die
Boehler mitgebracht hat, und felbft im Farbigen
bleibt es nicht bei der bloßen Dekoration. Als
Walfer in den entzückenden Bildern zu Keller-
manns Buch über die japanifchen Tänze zum
erften Male Japan in europäifchem Stil und mit
unbefangen europäifch fehenden Augen fchil-
derte, war das ein vereinzeltes Phänomen. Jetjt
folgt Boehler auf demfelben Wege, und fo kann
man hoffen, daß unfere Künftler künftighin das,
was ihnen der Often anvertraut hat, in unferer
Sprache weitergeben werden, anftatt fich mit
der Erlernung eines Idioms zu bemühen, daß
das unfere nun einmal nicht werden kann,
und nie dazu geeignet fein wird, Empßndungen
und Gedanken wefteuropäifcher Organismen aus-
zudrücken. * *
*
Bei GURLITT findet man diesmal eine Kollek-
tion Landfchaften des Weimarer Künftlers
Theoder Hagen, gut gebaute, helle, räumlich
klare und tiefe Landfchaften, von denen die
fchönften eine Landfchaft mit Pappeln und die
kräftigfte die mit dem Mühlenbach find. Von
den Landfchaften von Richard Pie^fch leiden
noch manche an einem fchlechten Aufbau,
manche felbft an einer Unglaubwürdigkeit der
organifchen Struktur. Seine Farben find ftark
vereinfacht, meift ein wenig fchwer, aber warm,
im ganzen aber auch ein wenig konventionell,
freilich auf ihre befondere Art konventionell;
ftillebenmäßig. Das befte Bild ift eigentlich das
Stilleben Rot-Blau und diefer Titel ift verräte-
rifch genug. Caro Delvaille, Paris, ift nicht
fehr felbftändig. ln diefer Kollektion wenigftens
gehen zwei Arten nebeneinander her: Die Akte
haben etwas von dem Perlmutterglanzc der
Haut wie ihn Renoirs der mittleren Zeit zeigen,
und daneben hängen Freilichtbilder in weichen
paftellartig ftumpfen Tönen. Es ift bis jeljt nur
ein, freilich fehr eleganter, Eklektizismus, was
hier geboten wird. Der große Saal enthält
einige fchöne Stücke von Hodier, Piffarro,
Sisley, Trübner, und ein frühes Hauptmann-
bild von Corinth. Nebenan, im graphifchen Sa-
lon, erquickt man fich an fehr fchönen Whift-
lerfchen Blättern, an Francis Seymour Hadens
kräftigen, ftark kontrahierenden Radierungen,
und fieht daneben 26 Radierungen des Züricher
Hermann Huber, der fich in einigen Blättern
unmittelbar an die Formenfprache Hodlers hält,
aber deffen räumliche Klarheit, Wucht und die
ungeheure Ausdrucksfähigkeit der Gelenke nur
fehr feiten erreichte, etwa in dem Blatte mit
den hockenden Figuren. Am beften und ur-
fprünglichften wirken die großen tapifferieartigen
Blätter mit Szenen und Pflanzenmotiven.
H. Fr.
LONDON Im Herbftfalon der GOUPIL
GALLERIES fallen einige wertvolle Landfchaften
mit eigener Note fowie einige Stilleben befon-
ders giinftig auf, darunter „Low Tide“ von
Wilfon Steer, „The Peaks“ von Cameron, „La
Plage, St. Malo“ und „Snow, Canada“ von Ja-
mes W. Morrice und „Still Life“ von H. M.
Livens. Einige „poftimpreffioniftifche“ Stilleben
von Peploe und Roger Fry wirken in ihrer Um-
gebung wie Hechte im Karpfenteich.
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Wir haben Poiret genannt, den großen An-
reger. Er patroniert eine Ausftellungsgruppe
dekorativer Kunft, die wir nicht anftehen, als
die größte Attraktion des Herbftfalons zu be-
zeichnen. In der von Poiret und Mme. Gabriel
Claude geleiteten Ecole Martine führen junge
Mädchen aus, wozu der große Schneider durch
die Malverfuche feines Töchterchens angeregt
worden ift. Es entftehen mit bunten Flecken
harmonifch gefprenkelte Felder, geblümte Tafeln,
Tapetenmufter von Kandinskyfcher Intenfität, die
ein feltfames Gemifch von kindlicher Naivetät
und etwas fnobiftifch in jenen Poiretfchen
Sphären gefchulten Farbenfinn verraten. Diefe
Erzeugniffe läßt Poiret gleich als Tücher, Schleier,
als Kiffen und famtene Möbelftoffe, in Aufnäh-
arbeit, oder in Teppichwirkerei ausführen, und
die Schönheit diefer Flächen läßt alle Kubiften
vergeffen. R. Kiefer.
BERLIN Im KÜNSTLERHAUSE wird das
Marinebild vorgeführt, und es find alle die be-
kannten Namen vertreten, Stoewer, Bohrdt,
der verftorbene Hammacher, aber ohne daß
man etwas wefentlich Neues über die Künftler
oder gar über das Meer erführe. Auch Hans
Licht ift unter die Seemaler gegangen, fcheint
fich aber da einftweilen noch nicht fo ficher zu
fühlen, wie auf feftem Boden. Gut ift Otto
H. Engels Bild, namentlich fchön der jenfeitige
fchmale Uferftreifen, gut auch Rieh. Efchkes
fonniges Stück. Von Bohrdt find das befte
neun kleine Aquarellbilder. Sonft find mir noch
aufgefallen: Heinrich Bafedows Böiger Tag,
Infel Sylt von Hans Schleich, und Karl Hoch-
haus, während Hans Hartigs Bilder in dem
kleinen Format zu unmotiviert gewaltfam wirken.
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Bei WERCKMEISTER ftellt der Wiener Hans
B oehler Studien ausOftafien aus,und es ift höchft
erfreulich, hier einem Künftler zu begegnen, der
einmal nicht in das kunftgewerblich-fchematifie-
rende Treiben hineingeraten ift, das fonft im
Gefolge folcher öftlichen Studienreifen aufzu-
treten pflegt. Es find feine und kräftige, ebenfo
gut gefehene wie gezeichnete Naturftudien, die
Boehler mitgebracht hat, und felbft im Farbigen
bleibt es nicht bei der bloßen Dekoration. Als
Walfer in den entzückenden Bildern zu Keller-
manns Buch über die japanifchen Tänze zum
erften Male Japan in europäifchem Stil und mit
unbefangen europäifch fehenden Augen fchil-
derte, war das ein vereinzeltes Phänomen. Jetjt
folgt Boehler auf demfelben Wege, und fo kann
man hoffen, daß unfere Künftler künftighin das,
was ihnen der Often anvertraut hat, in unferer
Sprache weitergeben werden, anftatt fich mit
der Erlernung eines Idioms zu bemühen, daß
das unfere nun einmal nicht werden kann,
und nie dazu geeignet fein wird, Empßndungen
und Gedanken wefteuropäifcher Organismen aus-
zudrücken. * *
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Bei GURLITT findet man diesmal eine Kollek-
tion Landfchaften des Weimarer Künftlers
Theoder Hagen, gut gebaute, helle, räumlich
klare und tiefe Landfchaften, von denen die
fchönften eine Landfchaft mit Pappeln und die
kräftigfte die mit dem Mühlenbach find. Von
den Landfchaften von Richard Pie^fch leiden
noch manche an einem fchlechten Aufbau,
manche felbft an einer Unglaubwürdigkeit der
organifchen Struktur. Seine Farben find ftark
vereinfacht, meift ein wenig fchwer, aber warm,
im ganzen aber auch ein wenig konventionell,
freilich auf ihre befondere Art konventionell;
ftillebenmäßig. Das befte Bild ift eigentlich das
Stilleben Rot-Blau und diefer Titel ift verräte-
rifch genug. Caro Delvaille, Paris, ift nicht
fehr felbftändig. ln diefer Kollektion wenigftens
gehen zwei Arten nebeneinander her: Die Akte
haben etwas von dem Perlmutterglanzc der
Haut wie ihn Renoirs der mittleren Zeit zeigen,
und daneben hängen Freilichtbilder in weichen
paftellartig ftumpfen Tönen. Es ift bis jeljt nur
ein, freilich fehr eleganter, Eklektizismus, was
hier geboten wird. Der große Saal enthält
einige fchöne Stücke von Hodier, Piffarro,
Sisley, Trübner, und ein frühes Hauptmann-
bild von Corinth. Nebenan, im graphifchen Sa-
lon, erquickt man fich an fehr fchönen Whift-
lerfchen Blättern, an Francis Seymour Hadens
kräftigen, ftark kontrahierenden Radierungen,
und fieht daneben 26 Radierungen des Züricher
Hermann Huber, der fich in einigen Blättern
unmittelbar an die Formenfprache Hodlers hält,
aber deffen räumliche Klarheit, Wucht und die
ungeheure Ausdrucksfähigkeit der Gelenke nur
fehr feiten erreichte, etwa in dem Blatte mit
den hockenden Figuren. Am beften und ur-
fprünglichften wirken die großen tapifferieartigen
Blätter mit Szenen und Pflanzenmotiven.
H. Fr.
LONDON Im Herbftfalon der GOUPIL
GALLERIES fallen einige wertvolle Landfchaften
mit eigener Note fowie einige Stilleben befon-
ders giinftig auf, darunter „Low Tide“ von
Wilfon Steer, „The Peaks“ von Cameron, „La
Plage, St. Malo“ und „Snow, Canada“ von Ja-
mes W. Morrice und „Still Life“ von H. M.
Livens. Einige „poftimpreffioniftifche“ Stilleben
von Peploe und Roger Fry wirken in ihrer Um-
gebung wie Hechte im Karpfenteich.
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