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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/​1906

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Heft 19
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Die Brandfackel des Künstlerstreits
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https://doi.org/10.11588/diglit.45527#0263

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heft 19-

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Die Werkstatt der Kunst.

mein verbreitet und tief eingewurzelt, daß ohne Jury
keine Kunst gedeihlich existieren könne, wie schnell
sich doch ein Dogma einbürgert! Und wie schwer
es dann wieder zu entwurzeln ist, mag es auch längst
als Unkraut erkannt sein! Erst seit dem massenhaften
Auftreten des Künstlerproletariats, das die Ausstel-
lungen überschwemmte, um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts, ist die Iuryeinrichtung ins Leben ge-
treten. Jetzt hat der vorwärts strebende Künstler
mit zwei Tyrannen zu rechnen, die ihm seinen weg
mit eiserner Gewalthaberlaune vorschreiben.
Früher war der Hauptfehler, daß fürs Publikum
gemalt wurde. Da erscholl der Ruf der fortschritt-
lichen Strömung: Los von derpublikumsmache!
Der Künstler muß frei schaffen, nur seinen eigenen
Intentionen folgend.
So ist setzt das Publikum etwas in den Hinter-
grund getreten, aber dafür ist ein noch viel stärkerer
Terrorist eingesprungen: Die Jury. Heute wird
fast nur noch für die Jury gemalt; ob Leben oder
Tod — alles dreht sich um ihr Urteil. Diese Knecht-
schaft ist somit eine noch viel schlimmere als die
frühere. Denn der abhängige Künstler wird von
ihr auf das schonungsloseste aus seiner Tigenart
herausgerissen und unter den knebelnden Bann der
Machthaber gezwungen. Malt er nicht nach ihrer
einseitigen Geschmacksrichtung, so hat er nicht die
geringste Aussicht, je das Licht der Oeffentlichkeit zu
erblicken. Alle Wege zur Ausstellung werden ihm
radikal abgeschnitten. Welchen tiefgehenden Einfluß
das namentlich auf den Anfänger, für den das
Hinauskommen alles ist, ausüben muß, läßt sich
leicht denken.
Deshalb wird ohne Zweifel immer energischer
der Nus der fortschrittlichen Strömung erschallen:
Los von der Jury! Auch der oben erwähnte
Aufsatz beginnt mit den zutreffenden Worten: „Unser
ganzes heutiges Ausstellungswesen krankt an der
Institution der Jury, die sich überlebt hat. . .
Unzählige materiell abhängige Künstler werden durch
dieselbe banalisiert, schonungslos nivelliert,
erdrückt." — Ts muß hier unter jeder Bedingung
Wandel geschaffen werden, zum Heile der Kunst, die
nur in der Freiheit sich gedeihlich entwickeln kann.
So heißt es in dem Katalog der Ausstellung des
Frankfurt-Lronberger Künstlerbundes sehr richtig:
„Als erste Lebensbedingung braucht und
verlangt sie Freiheit und weist alle Gesetze von
sich. Ls hat sich immer noch gezeigt, daß die
Kunst am ehesten erlahmt, wenn sie in festgelegte
Bahnen gedrängt werden soll .. . Bekämpfet Ture
Künstler nicht, indem Ihr Luch ablehnend ver-
haltet. Lasset sie gewähren; sie müssen ihren
weg gehen, sie können nicht anders."
So ist denn auch durch diese terroristische Knebe-
lung, durch die Jury als wütendste Brandfackel ein
Künstlerstreit entflammt, wie er mit solcher vernich-
tenden Heftigkeit noch niemals geführt worden ist.
Tatsächlich lebt die jetzige Künstlerschaft „in einer

Zeit des furchtbarsten, erbarmungslosesten
Kampfes" und eine baldige Abhilfe des unleid-
lichen Zustandes ist deshalb aufs dringendste not-
wendig. Mag es nun auch keine Kleinigkeit sein,
hier den richtigen Ausweg zu finden; aber es müßte
doch mit merkwürdigen Dingen zugehen, wenn dies
bei all der vorhandenen Intelligenz nicht gelingen
sollte, sobald es einmal mit ernstlichem Willen zur
Besserung angepackt würde.
Ich bleibe bei meinem Leteruiu censeo: vor
allem Beseitigung der Akademie, um das
schlimmste Nebel der Kunstproduktion und des Aus-
stellungswesens, die enorme Züchtung des Künstler-
proletariats und seiner Oberflächlichkeit, aufzuheben.
Oder meinetwegen, wenn man nicht gleich so radikal
sein will, vorerst nur eine gründliche Reformation
der Akademie, obwohl die praktische Durchführung
der Devise „Los von der Akademie!" bisher
immer, wie die Kunstgeschichte lehrt, die schönsten
Blüten gezeitigt hat. Jedenfalls würde damit die
fatale Ueberwucherung der großen Ausstellungen mit
Marktware von selbst aufhören.
Sodann sind die Vorschläge, die in dem schon
erwähnten Artikel eines Mitgliedes des Münchener
Kunstvereins gemacht werden, sehr beherzigenswerter
und annehmbarer Natur, wer auf den Ehrentitel
eines Künstlers gerechten Anspruch erheben darf,
dem muß auch in öffentlichen Ausstellungen Ge-
legenheit geboten werden, frei seine Künstlerschaft
zu betätigen. Und er darf darin nicht von der Gunst
oder Mißgunst feiner Kollegen abhängig gemacht
werden, wie wenig maßgebend das Urteil von
Künstlern, auch selbst der größten, über Standes-
genossen ist, dafür liegen Berge von Beweisen vor.
Den wenigen unabhängigen Künstlern, die von der
Jury nichts zu fürchten haben und für Elite-Aus-
stellungen schwärmen, ist es unbenommen, „in pri-
vaten Veranstaltungen dem Publikum ein reich-
haltigeres und vielseitigeres Bild ihres Schaffens
zu zeigen".
Auch die Richtung der Anträge, welche (nach
jenem Aufsatze) dem Münchener Kunstverein ge-
macht wurden, kann als sehr nachahmenswert be-
zeichnet werden. Danach soll jedem Mitglied einer
ausstellenden Künstlervereinigung, das sich dazu im
Ausstellungslokal vormerken läßt, das Recht zuer-
kannt werden, jährlich eine Sonderausstellung seiner
Arbeiten zu arrangieren. Das sollte, ebenso wie in
München, in jeder Kunststadt eingeführt werden.
Gerade die freien Sonderausstellungen möglichst zu
begünstigen, ist eines der wirksamsten Mittel zur
Förderung der Kunst, weil damit die Betonung der
Individualität auf das wesentlichste gehoben wird.
Nur wer vielfach Ateliers besucht, hat Gelegenheit
zu beobachten, wie oft gerade das Beste, das Ori-
ginellste von künstlerischen Arbeiten hier herumsteht,
ohne je der Oeffentlichkeit bekannt zu werden (weil
es am Ende in den allgemeinen Ausstellungsrahmen
nicht passen würde). Erst durch die Sonderausstel-
 
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