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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/​1906

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Heft 48
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Der deutsche Kaiser und Künstler
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Eine Rede Anton v. Werners
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heft §8.

Die Werkstatt der Aunst.

663

obwohl jedermann weiß, wie ungemein schwierig es ist, eine
wohltuende Harmonie der verschiedenen Figuren zuwege zu
bringen. Dem Künstler war die Aufgabe glänzend gelungen.
Der Kaiser tadelte es jedoch, daß die Germania den Schild
nicht vor sich hertrüge. Nach manchem Hin und Her bemerkte
der Künstler, die Idee des Kaisers gemahne zu sehr an eine
Kellnerin, welche auf dem Tablett Bier heranschleppe. Das
war zu stark, und die Folgen blieben nicht aus. Noch ein
Beispiel der Kaiserkritik! Allgemein wird behauptet, der Mo-
narch habe bei seinem Besuch in Hamburg das Bismarck-
Denkmal „geschnitten". Das ist nicht ganz zutreffend. Der
Bismarck selbst blieb freilich unbeachtet. Das ist vom Stand-
punkt des Kaisers aus zu verstehen. Zeigt doch das Denk-
mal den alten Trotzer nicht als den historischen Bismarck,
sondern gar als den Bismarck der Sage, der späteren Ge-
schlechtern zu groß erscheint, als daß sie ihn nicht sollten in
das naive Gewand der Sage kleiden, um ihn dem eigenen
Denken und Empfinden so näherzubringen. Das ist zu viel,
und so blieb Wilhelms I. Handlanger „Luft". Aber an jeder
Seite sitzt ein Adler. Sie sind gleichsam, der Figur ange-
paßt, auch Adler der Sage. „Die Adler sind schlecht!" be-
merkte der Kaiser im Vorbeifahren.
was den Kaiser als Modell angeht, so lautet das
Urteil der Künstler über ihn sehr verschieden. Das ist erklär-
lich. So oft und gern der Monarch den Bitten vieler Künstler
um Bewilligung von Sitzungen entspricht, so kurz angebun-
den ist er in den meisten Fällen, falls er sieht, daß die
Arbeit nicht seinem Geschmack entspricht, pünktlich ist er
zur Stelle und nimmt ohne widerstreben die gewünschte
Stellung ein, worauf er sich gewöhnlich in eine Zeitung
oder ein Buch vertieft. Ab und zu wirft er einen kritischen
Blick auf die Arbeit. Da kann es denn geschehen, daß der
Kaiser schon nach einer halben Stunde aufsteht und mit der
Bemerkung: „Meine Zeit ist verstrichen," den Raum ver-
läßt. Der Künstler wird das Vergnügen einer zweiten Sitzung
nicht mehr erleben. Ist der Kaiser der Ansicht, daß durch
Verbesserungen etwas Brauchbares erzielt werden könne, so
übt er Kritik. Sie ist immer sachlich, aber ohne Erbarmen.
Führen die Abänderungen nicht zum Ziel, so erschallt das
Anathema, und der Künstler ist mit seinem Fragment allein.
Von größtem Vorteil für den Künstler ist es, wenn er es
versteht, den Kaiser während der Sitzung durch eine geist-
reiche Unterhaltung zu fesseln. Lektüre und Vorleser ver-
gessend, hält der kaiserliche Raucher die erkaltete Zigarre
zwischen den Fingern und plaudert sich in eine große Leb-
haftigkeit hinein, welche den Kaiser seine Haltung zuweilen
vergessen läßt. Aber im nächsten Augenblick setzt er sich
wieder in Positur, ohne vom Künstler darum gebeten worden
zu sein. So ist er trotz alledem für einen Potentaten ein be-
friedigendes Modell, das aber doch schwer wiederzugeben ist,
weil Kopf und Gesicht außergewöhnlich charakteristischer
Merkmale entbehren — wenigstens in den Augen des Künst-
lers. Einwandfreie Wiedergaben des Monarchen besitzen wir
bis jetzt nur durch die Photographie.
wir haben gesehen, daß des Kaisers Verhältnis zu . . .
den Künstlern vielfach die Kritik herausfordert, wer trägt
die Schuld? Gewiß auch ein Teil der Künstler! Sie haben
den Kaiser verwöhnt — gelinde ausgedrückt. Lin Beispiel:
Es wurde ruchbar, der Monarch beabsichtige einen Besuch
in einem großen Atelier. Schnell wurden die modernen fran-
zösischen Meister entfernt und Darstellungen der preußischen
Geschichte zur Ausschmückung hervorgeholt .... Der Kaiser
tritt ein. Alles ist bei der Arbeit. An einen Gehilfen heran-
tretend, nimmt der Kaiser den Stift desselben, und mit den
Worten: „Junger Mann, die Körper schärfer ausziehen!"
zieht der kaiserliche Besucher einige kräftige Linien. Man
verehrt das Blatt noch heute als „Skizze Seiner Majestät
Wilhelms II." . . . Nun, wir dürfen dennoch feststellen, daß
manches besser geworden ist. Der harte widerstand vieler
Künstler; ihr treues Ausharren bei der als Wahrheit er-
kannten Kunst; die durch Jahre gereifte, bessere Einsicht des
Monarchen: das alles spricht für eine weitere Klärung des
Verhältnisses, um deswillen schon so viel Tinte und Galle
verspritzt wurde.

Ems Ksäe Anton "o. Msrnsrs.
(Schluß.)
welche Ueberschwenglichkeiten und Verrücktheiten hat
das liebe Publikum nicht zu hören bekommen! Ich kann es
mir nicht versagen, aus dem reichen Schatze meiner Kollek-
taneen hier einige Beispiele anzuführen, so über H. Thoma:
„Sonne, Mond und Sterne, die Thomas Welt leuchten,
sind, wie er sie selbst so oft in der Fülle ihrer weltumfassen-
den Kraft unmittelbar dargestellt hat: erleuchtende und ver-
herrlichende Siegesgewalten, denen kein Dunkel zu wider-
stehen vermag, und die dem Dasein in allen Abstufungen
vom nächtlichen Ahnen durch Hoffen und Sehnen der Morgen-
röte bis zum heißen Mittagserleben und wieder durch Sinnen
in Abendgluten bis in das Schweigen der Nacht den Eha-
rakter einer Traumvision von Schönheit in Formen und
Farben verleihen." Unglaublich, was einem modernen Meister
alles zugemutet wird!
Und über Böcklin: „Nun steht dis Welt entstammt,
von glühendem Licht durchdrungen, nun leuchten alle Farben
in heißem Drange auf, nun türmen sich in schroffer Starr-
heit die Felsen empor, nun ballen sich die Wolken zum ver-
nichtenden Angriff, nun bäumt sich drohend die Welle, nun
läuft ein Zittern durch die tausend Blätter des Baumes,
nun zieht, süße Liebe weckend, der Frühlingswind über die
blühenden Fluren, nun atmet die feuchte Erde Kühlung in
heimlichen Schatten aus, nun grüßen die Sonnenstrahlen die
fernen Höhen, nun senkt sich die Nacht in bangen Schauern —
alles, selbst das Schweigen des Waldes, selbst die Regungs-
losigkeit ragender Zypressen, selbst die Meeresruhe wird zu
einer Handlung der Natur, zu einem Vorgang, dessen Ge-
heimnis in der leidenschaftlichen Seele von Arnold Böcklin
sich birgt. Mit jedem Worte ruft er uns zu: die Natur ist
nur, weil ich sie fühle, und sie ist, wie ich sie fühle." *)
Ohne ein Wort zu verändern, kann man freilich diese
Schilderung so ziemlich auf alle Landschafter anwenden. Dann
weiter über andere Moderne:
„Das Bild ist eine halb mythologische, halb selbständig
anthropomorphische Naturpersonifikation von abgeklärter Rein-
heit der Form und von wunderbarer Tiefe der Empfindung." **)
Oder: „Die tief religiöse Stimmung dieses Bildes wird ganz
von der anthropomorphischen Landschaftsstimmung getragen."
Gder: „Bei dein Frauenbildnis vordem dunklen Hinter-
grund stutet das von links hereinströmende Licht wie kaltes
Wasser über den tief dekolletierten Hals und die im Gesamt-
ton gesuchte somptuöse Farbenharmonie." Gder über
van der Velde: „Er sprach vor einigen Tagen im Künstler-
haus, in diesem abscheulichen Renaissancesaal, der keinerlei
Raumvorstellung vermittelt, nur einen protzigen, verwurstelten
Drachen sehen läßt. Er sagte, daß neunzehn Jahrhun-
derte hindurch die europäische Kunst geträumt habe, ge-
schlafen habe, geistig gestört gewesen sei. Man sah sich
um und seufzte . . . ."st) Im ganzen, im modernsten Stil
ausgebautcn Künstlerhaus findet sich zwar nicht ein Tüpfel-
chen von Renaissance, aber diese Erkenntnis bedrückt den
Reporter nicht, und er kann also ruhig weiter seufzen.
Endlich über den neu entdeckten Hamburger Maler
Philipp Gtto Rungestst): „wie dcr helleuchtende Stern über
dem unscheinbaren Stalle zu Bethlehem, ging über dem dunk-
len weg der deutschen Kunst am Anfänge des Jahrhunderts
kurz, aber intensiv flackernd, der rätselhafte Genius Philipp
Gtto Runges auf. Himmlisch und irdisch zugleich. Lin
Künstler, der die Musik der Sphären begreift und den Ge-
sang der Gestirne in Linien bindet, dessen alles durchdringen-
des Träumerauge die nächste Umgebung entschleiert und der
Dinge tiefste Wirkung faßt. Seine Allegorie ,Der Morgen'
ist gemalte Metaphysik, die Mystik des Weltalls spricht aus
diesem Bilde u. s. w." welche Vorstellung muß sich der Nicht-

*) H. Thode über die Böcklin-Thoina-Ausstellung in Heidelberg II05.
**) „Tägliche Rundschau" Nr. SI, 23. März 1900.
*") „Frankfurter Zeitung" Nr. 25 II, 25. Januar IA02.
-f) „Dcr Tag", 12. April 1906.
ist) Rudolf Alein. Lin Jahrhundert deutscher Malerei, Leite ZI.
 
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