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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/​1906

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Heft 46
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Eine Rede Anton v. Werners
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Der Schweizerische Kunstverein
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https://doi.org/10.11588/diglit.45527#0640

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636

Die Werkstatt der Kunst.

heft 46.

eine Flüchtigkeit, Roheit oder Stümperhaftigkeit geltend, wie
sie noch vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre. Das Nach-
denken und das Suchen nach einem der Darstellung würdigen
Gegenstand oder Vorgang, das sorgfältige Ausreifenlassen
eines Gedankens wird immer seltener, man begnügt sich mit
der Studie, und dank dem gepriesenen Individualismus macht
sich auch der kümmerlichste Dilettantismus breit. Da ist es
kein Wunder, wenn die Ausstellungen an Bedeutung und
an Interesse verlieren.
Ls ist unglaublich, was inan heute dem Publikum als
moderne Kunstwerke vorzuführen wagt, und man kann ange-
sichts massenhafter derartiger Erzeugnisse mit Recht behaupten,
daß ein Musiker, dem es einfiele, mit entsprechend geringem
Rönnen in seinem Fache das Konzertpodium zu betreten,
vom Publikum einfach ausgepfiffen werden würde. Alle lob-
hudelnden Kritiken, alle schönen Phrasen über Förderung der
„Eigenart" und die angeblich bedrohte „Freiheit der Kunst",
alle Anpreisungen „starker Talente" helfen über die Tatsache
nicht fort, daß es vor 30 Jahren ganz ausgeschlossen ge-
wesen wäre, daß diese Serien dilettantenhafter oder roher
Schmierereien, diese Flut von flüchtig hingesudelten, soge-
nannten Studien, welche diesen Namen gar nicht verdienen,
und welche heute die Ausstellungen und Kunstsalons über-
schwemmen, überhaupt ans Licht der Geffentlichkeit gelangt
wären, weil man damals eben vom Künstler eine gewisse
Reife im Können und wissen und ernsten willen zum künstle-
rischen Schaffen verlangte. Heute wird die gesuchte Unge-
schicklichkeit als Virtuosität bezeichnet, dilettantenhafte Stüm-
perei als köstliche Naivität, welche an die Meister des (Quattro-
cento erinnere und freche Schmiererei als rassige Pinsel-
führung, während die gepriesene „individuelle Eigenart" einzig
oder vornehmlich in der Eigenart zu bestehen scheint, daß
einer dem anderen nachahmt. Da kann es gar nicht wunder-
nehmen, wenn sich angesichts solcher Erscheinungen auch der
Unberufene sagt: „wenn's weiter nichts ist, — das bringe
ich auch noch fertig, also: ich muß Künstler werden!" Es
lohnt sich deshalb, einige Sätze, welche die Modernen als un-
antastbare Fundamentalsätze für ihre Kunst aufstellen,
näher anzusehen und zu prüfen, um so mehr, als für die-
selben im Namen der Freiheit der Kunst der Zwang prokla-
miert wird, an ihre Unfehlbarkeit zu glauben.
Das ist zuerst der schöne Satz, daß „der Inhalt (d. h.
der darzustellende Gegenstand) nichts, aber die Form (also
die Darstellung) alles bedeutet". Schön! Da nun Malerei
und Bildhauerei tatsächlich aber, im Gegensatz zur Musik und
zur Architektur, gar keine andere Aufgabe haben, als ledig-
lich Gegenstände, welche sichtbar darstellbar sind, darzustellen,
seien es nun Gegenstände an sich oder Vorgänge und Er-
scheinungen aus der Natur, dem Menschen- oder Tierleben,
so dürfte das Gegenständliche, der Inhalt, doch nicht so be-
deutungslos und nebensächlich sein, wie die Herren Modernen
glauben machen wollen, um so mehr, als sie ihre eigene Be-
hauptung durch die Tat Lügen strafen. Denn sollte bei ihren
Bildmotiven, deren Helden: Simson, Zeus, Gdysseus oder
Dionys sind, ebenso wie bei Darstellungen der Kreuzigung,
der Abnahme vom Kreuz, des Sabinerinnenraubes, bei Liebes-
gärten und Idyllen und ganz besonders bei den dürftig oder
gar nicht bekleideten Damen, welche sich unter dem verhül-
lenden Titel „Rosen" oder „Abend" oder „Frühling" oder
schlechtweg als „weiblicher Akt" in den Sezessionsausstellungen
präsentieren, der Gegenstand nicht doch die Hauptsache sein?
Dieser verdacht ist gegenüber der Form, in welcher der
zuweilen pompöse Inhalt auftritt, wohl berechtigt; denn diese
ist vorwiegend so stümperhaft, oder roh und widerwärtig,
daß man schwerlich auf den Gedanken kommen kann, der
Künstler habe seine Künstlerschaft lediglich in der Form zum
Ausdruck bringen wollen. Nun wird aber Schiller zitiert
und der sagt: „Darin besteht das eigentliche Geheimnis des
Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt." Der
arme Schiller! wie ist er zu bedauern, daß er es nicht mehr
sehen kann, wie diese modernen Meister den Stoff durch die
Form vertilgen! Welche Freude würde er an diesem Geschmier
und Geschmadder, an diesem Gelall und Gestammel auf der

Leinwand und an all' den Thorheiten und Schamlosigkeiten
gehabt haben, welche heute als Kunst und Malerei ange-
priesen werden, wenn er sie noch bei Lebzeiten mit seinem
Freund Goethe, mit Herder und Wieland zusammen am
Musensitz zu Weimar hätte anstaunen können! Dagegen sind
ja die auf unserer Hochschule gezeichneten und gemalten
Studienakte, die Schülerarbeiten, welche wir seit 30 Jahren
hier in unseren Hochschulräumen gesammelt haben, wahre
Meisterwerke in Bezug auf Zeichnung und Malerei!
Man fragt vergebens: Mo sind denn die Werke der
Modernen, welche uns Cornelius, Rethel, Schwind oder den
vielgeschmähten Kaulbach, Knaus, Defregger, Achenbach und
Menzel vergessen machen? Etwa Manets „Bund Spargel" ?
oder die Karikaturen auf die Schönheit der nackten mensch-
lichen Gestalt, welche wir zuweilen zu sehen bekommen? Sie
sind eine merkwürdige Illustration zu der Behauptung, daß
„die Zusammenstellung der Natur und der alten Meister zu
einer und derselben Lehrquelle das Fleisch und Brot der
Impressionisten sein soll?)
(Fortsetzung folgt.)
Der Sckwerzeriscke Runstverem,
der in diesem Jahre das Jubiläum seines hundert-
jährigen Bestehens feierte, gibt in seinen Mitteilungen
an die Mitglieder, welche vornehmlich dem Berichte
über die Jubiläumsfeier gewidmet sind, auch einen
Bericht über die diesjährige Turnusausstellung. Da-
nach hatten sich für diese Turnusausstellung 349
Künstler mit H05 Werken angemeldet. Von diesen
trafen bis am 8. Mai, dem Endtermin der Ein-
lieferung, in Winterthur 6ß>2 Werke ein. Dazu
kamen noch 5H Arbeiten der Züricher Künstlerver-
einigung, deren Beurteilung in Zürich zugestanden
worden war, also total 75 s Werke. Der Aufnahme-
Ausschuß bestand aus Dr. A. Hablützel, Winterthur,
Präsident, Hans Emmenegger, Luzern, Ferd. Hodler,
Genf, Jos. Ll. Kaufmann, Luzern, Alfred Nehfous,
Genf, Hugo Siegwart, München, und Hans Beat.
Wieland, München. Angenommen wurden 3 sO, zu-
rückgewiesen 44 s Merke. Von den angenommenen
Werken waren ss)7 Oelgemälde, 88 Aquarelle, Zeich-
nungen, Radierungen 20., 2 s Skulpturen und 4 Me-
daillenwerke im Gesamtwerte von 230000 Fr. Die
Ausstellung war vom 20. Mai bis s2. Juni in
Winterthur. Von da ging sie in zwei Hälften nach
St. Gallen und Schaffhausen, die nach s4 Tagen
gegenseitig ausgewechselt wurden. Gegenwärtig be-
findet sich die Ausstellung in Konstanz, wo sie als
Ganzes in: Konziliumssaale ausgestellt ist. Am
4- September wird sie daselbst geschlossen und kommt
dann noch nach Basel.
Winterthur hat 723, St. Gallen 550 und Schaff-
hausen 335 Lose abgesetzt, wofür Werke im Betrage
von Fr. s580 angekauft wurden. Privatverkäufe
verzeichnet Winterthur für Fr. 34 s3, St. Gallen für
Fr. s99O und Schaffhausen für Fr. 4P. Aus den:
Bundesbeitrag erworben wurden 7 Werke für
Fr. s s sOO und von: Bunde direkt angekauft 2s)
Werke im Katalogwerte von Fr. 22 490- Mit dein
von: schweizerische:: Kunstverein gekauften Bilde be-

*) Meier-Gräfe: Der junge Menzel, S. (52.
 
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