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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/​1906

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Heft 47
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Eine Rede Anton v. Werners
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https://doi.org/10.11588/diglit.45527#0653

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LDie werlilwtt der MM

sseäaklem: Hemrick Steinbach.

V. Jabrg. i)skt 4/. iL. Sept. 4906.

In cliesern r^eile unserer LeirsÄrift erretten -Mir jectern Rünstler ctas trete Msrt. Mir sorgen ctstür, cias iuniickst keinerlei
Angriffe auf Personen oäer Genosssnsckaflen abgsctrucki rvercten, okne clsss vorder cier Angegriffene ciie MSgttckkeir gekabi
KLtte, in cieniseiben IZetre?u erviciern. Oie kectaktion kätr sick voiisrLnctig unparteiisck unci gibt cturiZ, clen Abclruck keinestvegs
- eine Qebereinstirnrnung rnit cien Luf ciiese Meise vorgetrsgsnen Meinungen ;u erkennen. —

Das nächstfolgende k)eft der „Werkstatt der Kunstch Nr. 48, erscheint am 23. September*.

Eine Recte Anton v. Merners.*)
(Fortsetzung.)

Aber die moderne Kunst erfreut sich „starker Talente",
und das Ziel ihrer Bestrebungen ist lediglich „gute Malerei",
nicht der Inhalt, sondern die Form, so kann man es gedruckt
lesen. „Gute Malerei!" daß Gott erbarm! wo ist sie
denn heute zu finden und zu sehen? Neber den Begriff selbst
können Mißverständnisse oder Zweifel nicht obwalten; wir
haben ja noch Rubens' und Rembrandts, Tizians und Ve-
lasquez', Polbeins und van Dycks Werke vor Augen und
können an den Stilleben der alten Holländer, der Ian van
puysum, weenix, Fyt u. a. genug wirklich gute Malerei
ohne philosophischen, geschichtlichen oder novellistischen Inhalt
studieren; ja, diese Malerei ist so gut und dabei so selbstver-
ständlich, daß wir sie ganz über den Gegenstand vergessen,
zu dessen Darstellung sie dient. Aber von solcher guten Ma-
lerei spürt man doch in der modernsten Produktion nichts!
vor 30 oder 50 Jahren ging man nach Paris, um in
den Ateliers von Delaroche, Touture, L. Eoignet und Gleyre,
an Delacroix', Gericaults, Troyons und anderer Meister
Werken gute Malerei zu studieren; aber was in den letzten
Dezennien von dort hierher als Impressionismus, Neo-Im-
xressionismus, Pointillismus, Intentionismus und Verismus
importiert wurde, ist doch wahrhaftig alles andere eher als
gute Malerei, soweit es zunächst die erlernbare Technik be-
trifft. Als gute Malerei wird sich immer nur die Darstellungs-
form bezeichnen lassen, welche die entsprechendste Ausdrucks-
weise des Inhalts ist und sich mit diesem vollkommen deckt,
sei es nun Gel- oder Freskomalerei, Aquarell oder Pastell,
Zeichnung oder eine andere Technik. Ls hat doch gewiß
noch niemand die Empfindung gehabt, daß z. B. für Schwind
in seinen Märchen von den „Sieben Raben" oder von der
„Schönen Melusine", oder für Menzel im „Ueberfall bei
pochkirch" und im „Eisenwalzwerk" der Stoff die Nebensache
oder gar nichts und die Form alles war, oder auch umge-
kehrt der Stoff alles und die Form nichts! Mit diesem Fun-
damentalsatz wird die deutsche Kunst also wohl nicht weiter
kommen, und ich kann Ihnen, meine perren, nur raten, sich
lieber an Schwind und Menzel als Vorbilder zu halten,
trotzdem letzterer hochmodern jetzt als „Nichtkünstler weil
Literat" bezeichnet wird,**) und dem gesunden Menschenver-
stand bei Ihrer Tätigkeit den Vorrang vor einem ungesunden
Doktrinarismus zu belassen, der doch nur als Deckmantel für
allerlei Unzulängliches oder Bedenkliches dient.
Ein anderer bedenklicher Satz ist der, daß es kein
Ideal an sich gebe, und daß jeder Künstler sein
Ideal und nur das seine in sich trage. Dieser Eigen-
tümlichkeit erfreuen sich auch andere Klassen der Menschen,
*) Anm. d. Schriftltg.: wir haben schon in unserem
kjefte der jüngsten Rede Anton v. Werners mit einem
längeren pinweise gedacht. Auf Wunsch des Pauptvor-
standes der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft lassen
wir nunmehr diese Rede in ihrem vollen Wortlaute folgen.
Rudolf Klein. Ein Jahrhundert deutscher Malerei.
Seite 67.

so ganz besonders die eine, welche vorwiegend mit den Straf-
gesetzen in unliebsame Berührung kommt, und welche be-
kanntlich nicht nur ihr eigenes Ideal und ihre eigene Moral,
sondern auch, wie Lombroso nachweist, ihre eigene Kunst hat.
Nur findet dieses Ideal im allgemeinen weniger liebevolle
Anerkennung und Bewunderung, als vielmehr energische
Abwehr, und man kann nicht behaupten, daß es sich dabei
lediglich um eine Geschmackssache handele. Dieser Satz würde
also die schärfste Verurteilung der sezessionistischen Richtung
oder Anschauung bedeuten. Das Ideal in der Kunst ist
glücklicherweise aber gar nicht persönlich, sondern durchaus
sachlich; es ist eine Eigenschaft, welche dem darzustellenden
Gegenstände anhaftet, und welche ihm der Künstler gar nicht
verleihen kann, auch nicht durch die Form oder Art seiner
Darstellung. Dieses rein objektive Ideal existiert in der Na-
tur, die ganze Schöpfung ist der Beweis dafür, und die Auf-
gabe des Künstlers ist, es zu suchen. Und darum bezeichnen
wir auch das Streben nach höchster Vollkommenheit auf allen
Gebieten als das Ideal, welches, so lange es geistig schaffende
Menschen gibt, der Ursprung und das Ziel allen Fortschritts
gewesen ist, und welches auch der Kunst Größe und Bedeu-
tung gibt. Dieses Ideal wollen wir uns nicht rauben lassen,
denn die Lehre von dem Privatideal ist doch weiter nichts
als ein schäbiges Gewand, viel zu dürftig, um die Schwächen
und Unvollkommenheiten des lieben Ich zu verdecken oder
zu verschönern, und überdies recht unnötig, weil es für den
homo sapiens gar keine Schande ist, einzusehen und einzuge-
stehen, daß die Natur ihm nicht mehr verliehen hat, als er
trotz eifrigsten und heißesten Bemühens aus sich heraus-
bringen kann.
Da ich trotz all' der schönen Phrasen von neuen zu
lösenden Problemen, neuer lebendiger Formensprache u. s. w.
bis jetzt noch nicht habe herausfinden können, daß irr unseren
modernsten Kunstleistungen alles so viel besser und voll-
kommener geworden sei als früher, und daß das, was in
der Kunst seit Jahrhunderten und Jahrtausenden an Großem
und Schönem schon geschaffen worden ist, heute übertroffen
werde, so stehe ich diesem Ideal, welches jeder Künstler in
sich trage, recht skeptisch gegenüber, und ich glaube, daß es
ebensowenig der richtige Leitstern unserer künstlerischen Stu-
dien sein würde, wie daß mit demselben ein Fortschritt im
künstlerischen Schaffen zum Besseren und Vollkommeren er-
zielt worden ist oder je erzielt werden wird.
Nun schließlich noch die Binsenwahrheit, daß die
Moral mit der Kunst nichts zu schaffen habe. Das
ist ungefähr ebenso wahr, wie, daß die Moral mit der Re-
ligion, der Philosophie, der Naturwissenschaft, mit Geschäft
und Pandel oder der Politik nichts zu schaffen habe. Um
so mehr hat die Moral aber mit den Menschen und ihrem
Tun und Lassen zu schaffen, auch mit denen, welche Bilder
malen und Statuen modellieren, denn diese stehen nicht außer-
halb und auch nicht über der menschlichen Gesellschaft, selbst
wenn sie sich einbilden, „echte Künstler" zu sein. Nichts be-
weist besser den Niedergang in der Auffassung von der Auf-
 
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