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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/​1906

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Heft 40
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Zum Kapitel der öffentlichen Wettbewerbe
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Ein "Kunstverein zu Stralsund"
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https://doi.org/10.11588/diglit.45527#0555

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Die Werkstatt der Kunst.

55 s



einige Betrachtungen allgemeiner Natur knüpfen
zu können, im besonderen im Anschluß an eine
Zeitungsnotiz, wonach das Preisgericht: sich in
einer einzigen Sitzung über sämtliche zwei-
undsiebzig Entwürfe schlüssig gemacht habe.
Ein solches Verfahren, daß, wie in diesem
Lalle, 72 Entwürfe in einer Sitzung abgeurteilt
werden, sollte die Künstlerschaft nicht unerörtert lassen,
weil es sich um einen Gebrauch handelt, der bei
unseren Konkurrenzen sich in neuerer Zeit immer
mehr einzubürgern beginnt. Wenn bei einem Wett-
bewerbe eine solche Anzahl von Entwürfen, wie hier,
einlaufen und zusammengenommen von ihnen ein
solches Kapital repräsentiert wird, wie es Professor
v. Uechtritz kürzlich rechnerisch nachwies, so kann
dafür schließlich das Denkmalkomitee nicht verant-
wortlich gemacht werden. Wohl aber können die
beschickenden Künstler verlangen, daß ihre Entwürfe
vor der Abgabe des Urteils eingehend geprüft
werden, was selbstverständlich um so mehr Zeit und
Arbeit von seiten des Preisgerichtes erfordert, je mehr
Bewerber auftreten. Durch die Beschickung drückt
man dem Preisgericht sein Vertrauen aus. Das Preis-
gericht sollte dieses Vertrauen zum wenigsten dadurch
rechtfertigen, daß es die nötige Zeit und Arbeit auf
eine Beurteilung jedes einzelnen Entwurfes verwen-
det. Diese moralische Pflicht sollte einer der ersten
Paragraphen des ungeschriebenen Gesetzbuches der
Künstlerschaft bilden.
Zu jedem Entwurf wird in der Regel ein „Er-
läuterungsbericht" gefordert. Wenn man diesen
vom Künstler verlangt, so kann der Künstler auch
seinerseits verlangen, daß man diesen Bericht liest,
nicht aber nur auf dem Sekretariate auf seine wirk-
liche Existenz hin prüft „behufs Zulassung des Ent-
wurfs zur Konkurrenz". Ein Entwurf ist ohne diesen
Lrläuterungsbericht, d. i. ohne die Kenntnis des Ma-
terials und der daraus entstehenden Konsequenzen,
überhaupt nicht zu verstehen. Manche im Gipsmodell
absurd scheinende Lorin erhält durch die richtige
Wahl des Materials nicht nur ihre Berechtigung,
sondern zeigt sich sehr oft erst als das, was sie sein
soll und muß, nämlich als eine ganz logische Ent-
wicklung des Materials. Daß dies „Material" aber
weder der Gips sei noch der Ton, in dem vorher
geknetet wurde, sondern daß in der Ausführung sich
ein ganz anderes Bild ergeben werde, ist manchem
schon so in Lleisch und Blut übergegangen, daß, wenn
er sein Modell formt, gar nicht mehr an den zur
Zeit noch bestehenden Unterschied denkt. Wozu auch?
Denn der Erläuterungsbericht wird ja beigegeben,
der jedoch ungelesen an den Verfasser zurückwandert.
Wo sollte auch ein Preisgericht von zwölf Mitglie-
dern die Zeit hernehmen, um, wie z. B. hier, in einer
Sitzung 72 Erläuterungsberichte an der Hand der
dazu gehörigen Modelle durchzugehen und zu prüfen?
Daß es aber nur eine Sitzung gewesen, wird vom
Protokoll des Preisgerichtes („Berl. Gemeindeztg."
Nr. vom f3. Mai s9O6) ausdrücklich bestätigt,

in welchem nur von einer Sitzung am s3. April die
Rede ist.
Die konkurrierenden Künstler machen sich die
Arbeit immer schwerer. Sie schrauben die Ausfüh-
rung der verlangten „Skizze" immer mehr in die
Höhe. Sie präsentieren dem Preisgericht etwas Ler-
tiges. Das Preisgericht macht sich dementsprechend
die Arbeit immer leichter und beurteilt diese fertigen
Gegenstände oft nach dem Grad ihrer „Lertigkeit",
jedenfalls so, wie sie dastehen: als Gipsprobleme
gelöst! Eine solche Beurteilung ist zwar durchaus
nicht richtig, aber, wie gesagt, entschieden weniger
mühevoll und nicht so zeitraubend. Schließlich: Die
Künstlerschaft sowohl wie die Kunstkritik hat sich auf
den Protest der Aerzte ziemlich einmütig zu einem
Gegenprotest zusammengeschlossen. Dies ist an sich
sehr erfreulich: denn in erster Linie hat hier die Kunst
zu entscheiden. Hat es aber nicht schon hundert Lälle
gegeben, wo eine derartige Gemeinsamkeit am Platze
gewesen wäre?
6m „Kmistvsrem zu Stralsunä"
ist vor kurzer Zeit begründet worden, nachdem im
Leben der Stadt Stralsund die pflege der bildenden
Künste und des Kunsthandwerks bisher keine be-
sondere Beachtung gefunden hatte. Der neugegrün-
dete Kunstverein soll dem abhelfen. Der Mitglieds-
beitrag mußte zunächst noch sehr niedrig angesetzt
werden (auf mindestens 3 Mk. jährlich), um recht
vielen die Teilnahme zu ermöglichen, aber der Verein
hofft, daß besser gestellte Mitglieder größere Jahres-
beiträge bezahlen werden. Als Gegenleistung bietet
der Verein nach seinen Satzungen erhöhte Gewinn-
aussichten auf den von ihm alljährlich beabsichtigten
Verlosungen von Kunstwerken, welche für diesen
Zweck angekauft werden sollen. Während 3 Mk.
Mitgliedsbeitrag ein Los in sich schließt, gewährt
jede Mark, um welche der Beitrag erhöht wird,
ein weiteres Los. Der Verein will ferner mit mög-
lichst kleinen Unkosten arbeiten und den größten
Teil seiner Einkünfte zur Anschaffung von Werken
der Kunst und des heimischen Kunstgewerbes zum
Zwecke der Verlosung verwenden; er will vermitteln
zwischen Kunst und Kunsthandwerkern einerseits und
Kunstfreunden andererseits; er will Anregungen der
Kunst im Handwerk bringen; er will die Liebhaber-
künste aller Art fördern, die Sammlertätigkeit be-
leben, versteckte Kunstschätze ans Licht ziehen und
den Kunstfreunden zugänglich machen durch Aus-
stellungen oder Kunstwanderungen. Es sind Aus-
stellungen geplant von Gemälden, Möbeln, Metall-
arbeiten, weiblichen Handarbeiten, von älteren Kunst-
schätzen, die sich im Privatbesitz befinden, von Bücher-
zeichen, Radierungen, Holzschnitten, Stichen u. dergl.
Die erste Kunstausstellung, welche der Verein
veranstaltet, findet statt während der Zeit vom 2. bis
s6. September, zu welcher die Kunstwerke bis zum
20. Juli angemeldet sein müssen. Lrachtfreiheit kann
 
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