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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/​1906

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Heft 46
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Eine Rede Anton v. Werners
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https://doi.org/10.11588/diglit.45527#0639

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heft §6.

Die Werkstatt der Aunst.

635

Eine kecke Anton v. Tlerners )
(gehalten bei der preisverteilung am 2(. Juli (906 in
der Kgl. akadem. Hochschule für die bildenden Künste).
Meine Herren!
Beim Abschluß eines Studienjahres halten wir in der
Regel nicht nur Rückschau auf die Ergebnisse desselben inner-
halb unserer Hochschule, sondern wir richten gern auch unsere
Blicke auf künstlerische Veranstaltungen und Ereignisse des
abgelaufenen Jahres, welche für unsere Studien von Bedeu-
tung sein können. Dies Jahr liegen zwei solcher Veranstal-
tungen vor: die Jahrhundert-Ausstellung iu der Na-
tionalgalerie und die retrospektive Ausstellung zur Erinne-
rung an die Gründung der Deutschen Kunstgenossenschaft im
Jahre ;856.
Die erstere hatte sich scheinbar weniger die Aufgabe
gestellt, einen objektiven, umfassenden Ueberblick über die ge-
samte deutsche Kunst des Jahrhunderts von ;775—;875 zu
bieten, als vielmehr die längst angekündigte Umwertung
künstlerischer werte durch einen Areopag von Galeriedirek-
toren anzustreben und unbekannte oder vergessene Maler aus
dem Anfang des vorigen Jahrhunderts an die Oberfläche
zu ziehen. Das erweisliche Recht und das berechtigte Mandat
der Herren, diese Umwertung vorzunehmen und der Kunst-
tätigkeit die Wege zu weisen, welche sie zu wandeln habe,
dürfte billig angezweifelt werden, denn die bildende Kunst
hat doch noch andere und vielseitigere Aufgaben zu lösen,
als der Privatliebhaberei oder dem Kunsthandel zu dienen;
jedenfalls haben sie sich aber ein unleugbares Verdienst da-
durch erworben, daß sie durch die Ausstellung der Werke jener
vergessenen Maler, welche im schreiendsten Gegensatz zu der
ganzen modernen Kunstrichtung stehen, vielleicht unbeabsichtigt
darauf aufmerksam gemacht haben, welcher Unterschied zwi-
schen den sorgsam bedächtig und solide schaffenden Künstlern
von damals und den heutigen modernen besteht, woran
auch das Bestreben nichts ändert, jene älteren, bis dahin
mit dem Makel des Akademischen oder der blechernen Mal-
weise Behafteten, plötzlich als die Vorläufer der Modernen
zu reklamieren.
Die retrospektive Abteilung der großen Kunstaus-
stellung beabsichtigte dem gegenüber weiter nichts, als durch
die Vorführung einer sehr beschränkten Anzahl von Werken
jener deutschen Künstler, welche sich vor so Jahren zur Deut-
schen Kunstgenossenschaft zusammengeschlossen hatten, und
derer ihrer Nachfolger ein objektives Bild des künstlerischen
Schaffens jener Zeit zu geben, wie es irr der Erinnerung der
Künstler lebt, und dasselbe dem gegenüberzustellen, was
die letzten 20 Jahre uns bieten. Auf Vollständigkeit erhebt
diese Ausstellung keinen Anspruch, denn die Erlangung vieler
der ersten Meisterwerke jener Zeit stieß auf unüberwindliche
Schwierigkeiten. Aber selbst ohne diese bietet die Ausstellung
noch genug, um durch Gegenüberstellung und Vergleichung
mit den künstlerischen Erzeugnissen der Gegenwart zur Be-
antwortung der Frage beizutragen, welchen Stand die
heutige deutsche Kunst gegenüber derfrüheren ein-
nehme und ob sich das künstlerische Niveau im all-
gemeinen in auf- oder absteigender Linie bewege,
von diesem Gesichtspunkte aus sind beide Ausstellungen auch
für unsere Hochschule von größter Bedeutung, und ich nehme
an, daß Sie nicht versäumt haben, sich eingehend mit beiden
zu beschäftigen.
In meiner Rede bei der Preisverteilung im Jahre ;8Z7
hatte ich schon die Frage behandelt: „was hat die sogenannte
neue Richtung seit x886 hervorgebracht, was als ein Fort-
schritt in der Kunst bezeichnet werden kann?" und heute, nach
wieder zehn Jahren, komme ich darauf zurück, weise auf das
h Anm. d. Schriftltg.: wir haben schon in unserem
hefte der jüngsten Rede Anton v. Werners mit einem
längeren Hinweise gedacht. Auf Wunsch des Hauptvor-
standes der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft lassen
wir nunmehr diese Rede in ihrem vollen Wortlaute folgen.

hin, was uns der Augenschein durch die beiden Ausstellungen
lehrt, und frage wieder: was haben wir denn nun seit ;886
gewonnen? welchen Einfluß haben die orbt ot urbi prokla-
mierten Grundsätze der Modernen auf die künstlerische Pro-
duktion ausgeübt, und ist die Erwartung in Erfüllung ge-
gangen, daß sich aus dem gärenden Most ein guter wein
entwickeln werde? Die Antwort kann nur lauten: Der Ein-
fluß, welchen die moderne Bewegung oder Strömung auf die
bildende Kunst in Deutschland ausgeübt hat, ist augenschein-
lich kein günstiger gewesen, denn wir baben das Beste von
dem verloren, was die deutsche Kunsttätigkeit noch vor so Jahren
ausgezeichnet hat: an die Stelle der Hingabe an den Gegen-
stand und der liebevollen Sorgfalt in der Darstellung, welche
die Arbeiten jener Zeit kennzeichnen, ist sichtlich eine über-
handnehmende Gedankenlosigkeit und nervöse hast und Flüch-
tigkeit getreten. Der mißverstandene Naturalismus hat we-
niger zu einem eindringenderen Studium des Stoffes und
der Natur, gegen früher, als vielmehr zu einer absoluten
Gleichgültigkeit gegen den darzustellenden Gegenstand geführt
und scheinbar in Vergessenheit gebracht, welche Forderungen
an die Subjektivität des Künstlers gestellt werden, und daß
es mit dem Abschreiben'eines Stückchens Natur nicht getan sei.
Man hat versucht, dieses Manko unter anderem aus-
zugleichen durch das Bestreben, eine „neue Note" — wie es
modern heißt — durch die Lösung des „Licht und Luft-
problems", des „Stimmungs- und Tonwertes" zu gewinnen,
was angeblich bis dahin gänzlich unbekannt war, während
mar: jetzt plötzlich entdeckt hat, daß die bis dahin als nüch-
terne und trockene Maler der Biedermeierzeit bewerteten
Künstler dies Problem gekannt und gelöst haben. In der
modernen Malerei scheint die Lösung dieses Problems aber
nur mehr in der Einbildung gläubiger Gemüter als auf der
Leinwand gelungen zu sein, trotz aller gedruckten Versiche-
rungen. Die Kunst hat auch ganz andere Aufgaben zu er-
füllen, als die Lösung naturwissenschaftlicher Probleme, für
welche unsere Darstellungsmittel doch nicht ausreichen, denn
unsere Palette hat nur eine beschränkte Skala von Farben,
eine armselige Oktave von weiß bis Schwarz, aber kein
Licht, und ein einfacher versuch lehrt uns, daß es der Ma-
lerei versagt ist, auf sonnenbeschienenem weiß noch das
Blitzen des Metalls im Luft- oder Sonnenlicht wiederzugeben.
Ein Fortschritt ist hierin also auch nicht erzielt, vielmehr ein
Nachteil, denn unter diesen einseitigen Bestrebungen hat die
künstlerische Darstellung des wesentlichen gelitten; Mensch
und Tier, Baum und Blume existieren für den „Licht- und
Luftproblem-Löser" nicht mehr um ihrer selbst willen, son-
dern lediglich als Fleck in der Natur, während die künstle-
rische Schilderung des Tuns und Treibens, der Freuden und
Leiden des Menschen immer die vornehme Aufgabe der Kunst
bleiben wird.
wenn es die Aufgabe des Künstlers ist, das, was wir
in eines Gedankens Schnelle mit dem Auge erfassen, zu dauern-
der Betrachtung im Bilde festzuhalten, so ist es jedenfalls
ein Irrtum, dies auch ebenso rasch und flüchtig wiedergeben
zu wollen, und das hat zu der Flüchtigkeit und Ueberproduk-
tion geführt, welche bei der sorgsamen und zeitraubenden
Art der künstlerischen Produktion der Biedermeierzeit aus-
geschlossen waren; im Interesse der Zukunft unserer Kunst
wäre es, wenn wir endlich auf diese Sorgsamkeit wieder
zurückkämen. Freilich haben wir jetzt nicht nur eine Kunst,
wie früher, sondern nach der Terminologie der Kunstschreiber
eine wirklichkeits-, eine Gegenwarts-, eine peimats-, eine
Raum-, eine Flächen-, eine pöhenkunst, eine Kunst des Kindes,
eine besondere Kunst Meiers und Michels und noch andere,
die früher unbekannt waren, aber all' diese Tüfteleien und
Spielereien bedeuten noch keinen Fortschritt gegenüber der
deutschen Kunst, wie sie sich in der retrospektiven Kunst-
genossenschafts-Ausstellung präsentiert. Der weg, welchen die
moderne Kunst seitdem eingeschlagen hat, muß also wohl
ein falscher, ein Irrweg sein, denn in der Malerei besonders
macht sich nicht nur im allgemeinen die schon erwähnte Gleich-
gültigkeit in der Wahl der Bildmotive, sondern häufig eine
Neigung zum widerlichen, ja Schamlosen und in der Technik
 
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