Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/1906
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Heft 32
DOI Artikel:Zum Thema "Maler-Erziehung"
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§38
Die Werkstatt der Kunst.
heft 32.
Nicht die impressionistischen Schulen allein, welche
gewiß ihre großen Verdienste um unsere Kunstentwick-
lung besitzen, aber leider auch den Schüler in vielen
Dingen hilflos lassen, sind für das zeichnerische Elend
verantwortlich zu machen. Ls ist auch die heute noch
weit verbreitete Meinung daran Schuld, man könne
Naturgegenstände willkürlich stilisieren. Stil ist be-
kanntlich der Ausdruck der Naturformen in der
Sprache eines bestimmten Materials und ergibt sich
von selbst — in jedem Material anders — durch
materialgerechte Behandlung und nicht durch will-
kürliches Abweichen von der Natur und willkürliche
Verwendung der Form. Solche Willkür ist nur Selbst-
betrug. Sie ist bequem und bei einigem Nachahmungs-
vermögen leicht zu erlernen. Nun haben wir heute
einen großen Stamm jüngerer Leute, welche, ohne
genügendes Naturstudium zu besitzen, ohne über-
haupt eine Form richtig und naturgerecht darstellen
zu können, gleich zum „Stilisieren" gekommen sind,
d. h. zur Nachahmung von veränderten und verein-
fachten Formen, welche bei ihnen nur Äußerlich-
keiten sind, die sie von Meistern, welche durch langes
Naturstudium zu solchen Formen gelangten, gedanken-
los entlehnen. Die Fühlung mit der Natur ging
ihnen dadurch gänzlich verloren; man sehe nur die
Unzahl von Faunen- und Tentaurenfabrikanten, von
„Böcklinisten", „Thomaten", „Doppellinigen" u. s. w.
und alle jene, welche Pflanzenformen hartnäckig in
Gedärmornament verwandeln, der Reihe nach an!
Die Fähigkeit, Mensch, Tier, Pflanze und Landschaft
naturgetreu darzustellen, haben sie aufgegeben oder
nie besessen.
was nun ferner die Zuschrift des „Kosmos"
an Herrn Professor Schultze-Naumburg anbetrifft,
so wird hier den jungen Leuten der Vorwurf ge-
macht, sie besäßen keine Technik. Das ist im wesent-
lichen richtig, denn an den Schulen erfahren sie
nichts über Technik, vor allem nichts über moderne
Reproduktionstechnik. Dieses technische wissen
muß leider erst im Leben durch viele vergebliche
und mißlungene Arbeit, verlorene Zeit und traurige
Erfahrungen im Verkehr mit Druckern und Ver-
legern gesammelt werden. Erst die moderneren
Kunstgewerbeschulen bilden wieder einen Stamm
technisch guter Zeichner heran. Ebenso richtig ist
dann ferner die Bemerkung über den Hochmut,
welcher die Meinung in die Welt gesetzt hat, es sei
eine Schande, einen naturwissenschaftlichen Gegen-
stand korrekt durchzuzeichnen. Sagte mir doch einmal
ein impressionistischer Kollege ins Gesicht, „er könne
nur mit Leuten verkehren, die ,aus Erscheinung'
arbeiten!" Recht betrachtet, gehört aber nicht bloß
Fleiß, sondern auch Geist und vor allem eine
Summe naturgeschichtlichen Wissens dazu, solche
Zeichnungen auszuführen. Denn Formen, welche
man kennt, von deren Wichtigkeit als Unterscheidungs-
merkmale man weiß, wird man als Zeichner nicht
vernachlässigen, und in diesem Punkte trifft die Schuld
nicht allein die Kunstschulen, sondern vor allem die
Mittelschulen (namentlich das humanistische Gym-
nasium), in welchen den Naturwissenschaften im Ver-
hältnis zu ihrer Bedeutung so wenig Raum gewährt
wird und das Interesse an all' diesen herrlichen
Dingen so wenig geweckt wird. Es wird daher ein
Stamm von Zeichnern für solche Zwecke, auch wenn
sie die technische Befähigung besitzen, immer noch
einige Zeit wissenschaftlich geschult und herange-
bildet werden müssen, und solche, welche sich ganz
diesem Fache zuwenden, werden sich nach und nach
zu Spezialisten in den einzelnen Zweigen der Natur-
wissenschaft herausbilden müssen. Die Tatsache, daß
ein Insektenbuch in Deutschland aus Mangel an
Zeichnern nicht hergestellt, sondern bloß gedruckt
werden kann, ist gewiß betrübend. Aehnliches pas-
siert aber auch anderswo: So weiß ich z. B. daß
eine zoologische Gesellschaft in London alle ihre
Publikationen über fossile und lebende Schaltiere
in Wien lithographieren und drucken läßt, weil dort
eben ein Zeichner sitzt, der auf diesem Gebiete Spe-
zialist ist; also ein Beweis für die Notwendigkeit des
wissens für diesen Erwerbszweig. Die Bemerkungen
über die elende (Dualität der Bilder in den natur-
wissenschaftlichen Schulbüchern bestätige ich voll-
kommen; und doch sollte uns für unsere Kinder
das Beste gerade gut genug sein. Es schleppt sich
in diesen Büchern oft eine schlechte Zeichnung wie
eine Krankheit von den (sOer Jahren des vorigen
Jahrhunderts, in stets verschlechterter Auflage, bis
heute von einer Generation zur andern fort, viel-
leicht wirklich aus Mangel an neuem Material.
Inzwischen muß ich aber auch für den zeich-
nerischen Nachwuchs eine Lanze brechen. Die Schuld
liegt nicht allein bei ihm, sondern auch bei den Ver-
legern und Herausgebern, welche die rechten Leute
nicht zu finden wissen, einfach deshalb nicht, weil
ihnen nur zu oft das Unterscheidungsvermögen
zwischen einer guten und schlechten Zeichnung gänz-
lich mangelt. Das Verständnis für (Qualität der
Zeichnung ist in Laienkreisen in erschreckendem Maße
zurückgegangen, und geht immer mehr zurück, je
weniger wert in den Schulen auf eine richtige
Schulung des Sehorgans gelegt wird. Ich könnte
eine ganze Reihe beschämender Beispiele der Ver-
ständnislosigkeit von Verlegern hier anführen, welche
nicht bloß oft recht unkünstlerische, sondern sogar
technisch unmögliche Forderungen an den Zeichner
stellen. Daß aber künstlerische Auffassung mit zeich-
nerischer Qualität und wissenschaftlicher Genauigkeit
und Richtigkeit recht wohl vereinbar ist, dafür zeugen
vor allem eine Reihe älterer deutscher Meister (z. B.
Dürers Vogelflügel in der Albertina) und die Ja-
paner. Dazu wird oft für wissenschaftliche Illustra-
tionen eine so kleine Entlohnung geboten, welche
in gar keinem Verhältnisse zu der verbrauchten Zeit,
Kraft und Mühe, wie auch zu dem erforderlichen
Können und wissen steht! Ich kann sagen, daß
trotz meiner Eignung zu solchen Arbeiten und trotz-
dem ich es in früheren Jahren als eine Wohltat
Die Werkstatt der Kunst.
heft 32.
Nicht die impressionistischen Schulen allein, welche
gewiß ihre großen Verdienste um unsere Kunstentwick-
lung besitzen, aber leider auch den Schüler in vielen
Dingen hilflos lassen, sind für das zeichnerische Elend
verantwortlich zu machen. Ls ist auch die heute noch
weit verbreitete Meinung daran Schuld, man könne
Naturgegenstände willkürlich stilisieren. Stil ist be-
kanntlich der Ausdruck der Naturformen in der
Sprache eines bestimmten Materials und ergibt sich
von selbst — in jedem Material anders — durch
materialgerechte Behandlung und nicht durch will-
kürliches Abweichen von der Natur und willkürliche
Verwendung der Form. Solche Willkür ist nur Selbst-
betrug. Sie ist bequem und bei einigem Nachahmungs-
vermögen leicht zu erlernen. Nun haben wir heute
einen großen Stamm jüngerer Leute, welche, ohne
genügendes Naturstudium zu besitzen, ohne über-
haupt eine Form richtig und naturgerecht darstellen
zu können, gleich zum „Stilisieren" gekommen sind,
d. h. zur Nachahmung von veränderten und verein-
fachten Formen, welche bei ihnen nur Äußerlich-
keiten sind, die sie von Meistern, welche durch langes
Naturstudium zu solchen Formen gelangten, gedanken-
los entlehnen. Die Fühlung mit der Natur ging
ihnen dadurch gänzlich verloren; man sehe nur die
Unzahl von Faunen- und Tentaurenfabrikanten, von
„Böcklinisten", „Thomaten", „Doppellinigen" u. s. w.
und alle jene, welche Pflanzenformen hartnäckig in
Gedärmornament verwandeln, der Reihe nach an!
Die Fähigkeit, Mensch, Tier, Pflanze und Landschaft
naturgetreu darzustellen, haben sie aufgegeben oder
nie besessen.
was nun ferner die Zuschrift des „Kosmos"
an Herrn Professor Schultze-Naumburg anbetrifft,
so wird hier den jungen Leuten der Vorwurf ge-
macht, sie besäßen keine Technik. Das ist im wesent-
lichen richtig, denn an den Schulen erfahren sie
nichts über Technik, vor allem nichts über moderne
Reproduktionstechnik. Dieses technische wissen
muß leider erst im Leben durch viele vergebliche
und mißlungene Arbeit, verlorene Zeit und traurige
Erfahrungen im Verkehr mit Druckern und Ver-
legern gesammelt werden. Erst die moderneren
Kunstgewerbeschulen bilden wieder einen Stamm
technisch guter Zeichner heran. Ebenso richtig ist
dann ferner die Bemerkung über den Hochmut,
welcher die Meinung in die Welt gesetzt hat, es sei
eine Schande, einen naturwissenschaftlichen Gegen-
stand korrekt durchzuzeichnen. Sagte mir doch einmal
ein impressionistischer Kollege ins Gesicht, „er könne
nur mit Leuten verkehren, die ,aus Erscheinung'
arbeiten!" Recht betrachtet, gehört aber nicht bloß
Fleiß, sondern auch Geist und vor allem eine
Summe naturgeschichtlichen Wissens dazu, solche
Zeichnungen auszuführen. Denn Formen, welche
man kennt, von deren Wichtigkeit als Unterscheidungs-
merkmale man weiß, wird man als Zeichner nicht
vernachlässigen, und in diesem Punkte trifft die Schuld
nicht allein die Kunstschulen, sondern vor allem die
Mittelschulen (namentlich das humanistische Gym-
nasium), in welchen den Naturwissenschaften im Ver-
hältnis zu ihrer Bedeutung so wenig Raum gewährt
wird und das Interesse an all' diesen herrlichen
Dingen so wenig geweckt wird. Es wird daher ein
Stamm von Zeichnern für solche Zwecke, auch wenn
sie die technische Befähigung besitzen, immer noch
einige Zeit wissenschaftlich geschult und herange-
bildet werden müssen, und solche, welche sich ganz
diesem Fache zuwenden, werden sich nach und nach
zu Spezialisten in den einzelnen Zweigen der Natur-
wissenschaft herausbilden müssen. Die Tatsache, daß
ein Insektenbuch in Deutschland aus Mangel an
Zeichnern nicht hergestellt, sondern bloß gedruckt
werden kann, ist gewiß betrübend. Aehnliches pas-
siert aber auch anderswo: So weiß ich z. B. daß
eine zoologische Gesellschaft in London alle ihre
Publikationen über fossile und lebende Schaltiere
in Wien lithographieren und drucken läßt, weil dort
eben ein Zeichner sitzt, der auf diesem Gebiete Spe-
zialist ist; also ein Beweis für die Notwendigkeit des
wissens für diesen Erwerbszweig. Die Bemerkungen
über die elende (Dualität der Bilder in den natur-
wissenschaftlichen Schulbüchern bestätige ich voll-
kommen; und doch sollte uns für unsere Kinder
das Beste gerade gut genug sein. Es schleppt sich
in diesen Büchern oft eine schlechte Zeichnung wie
eine Krankheit von den (sOer Jahren des vorigen
Jahrhunderts, in stets verschlechterter Auflage, bis
heute von einer Generation zur andern fort, viel-
leicht wirklich aus Mangel an neuem Material.
Inzwischen muß ich aber auch für den zeich-
nerischen Nachwuchs eine Lanze brechen. Die Schuld
liegt nicht allein bei ihm, sondern auch bei den Ver-
legern und Herausgebern, welche die rechten Leute
nicht zu finden wissen, einfach deshalb nicht, weil
ihnen nur zu oft das Unterscheidungsvermögen
zwischen einer guten und schlechten Zeichnung gänz-
lich mangelt. Das Verständnis für (Qualität der
Zeichnung ist in Laienkreisen in erschreckendem Maße
zurückgegangen, und geht immer mehr zurück, je
weniger wert in den Schulen auf eine richtige
Schulung des Sehorgans gelegt wird. Ich könnte
eine ganze Reihe beschämender Beispiele der Ver-
ständnislosigkeit von Verlegern hier anführen, welche
nicht bloß oft recht unkünstlerische, sondern sogar
technisch unmögliche Forderungen an den Zeichner
stellen. Daß aber künstlerische Auffassung mit zeich-
nerischer Qualität und wissenschaftlicher Genauigkeit
und Richtigkeit recht wohl vereinbar ist, dafür zeugen
vor allem eine Reihe älterer deutscher Meister (z. B.
Dürers Vogelflügel in der Albertina) und die Ja-
paner. Dazu wird oft für wissenschaftliche Illustra-
tionen eine so kleine Entlohnung geboten, welche
in gar keinem Verhältnisse zu der verbrauchten Zeit,
Kraft und Mühe, wie auch zu dem erforderlichen
Können und wissen steht! Ich kann sagen, daß
trotz meiner Eignung zu solchen Arbeiten und trotz-
dem ich es in früheren Jahren als eine Wohltat