Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 5.1905/1906
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Heft 45
DOI Artikel:Unser Sachverständiger bei Gericht
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622
Die Werkstatt der Kunst.
Heft H5.
einmal so glatt herunterzustreichen wie bei dem
Hintergründe eines Porträts.
Der Sachverständige hat also, wenn dem Künstler
Recht geschehen soll, nicht nur in Betracht zu ziehen,
wievielmal größer die zu malen gewesene Fläche des
Streitgegenstandes gegenüber früheren Arbeiten sei,
sondern auch wie viel Partien, welche besondere Auf-
merksamkeit erforderten, dieselbe gegenüber den frühe-
ren Arbeiten besitze. Sodann hat der Sachverständige
in Betracht zu ziehen, wie sorgfältig alles gemalt
worden sei. wie verzögerten einzelne Partien die
Vollendung? Ferner: Ist der Künstler z. B. wegen
seiner guten Farbengebung berühmt, d. h. dienen
diese Eigenschaften hauptsächlich dazu, seine Arbeiten
zu charakterisieren? Wie weit und gut kommeu die-
selben bei dem Gegenstand des Streites zum Aus-
druck? Weiter kommt die Frage hinzu: Ist das
Bild bestellt oder war es vom Künstler gemalt in
der Hoffnung, es später verkaufen zu können? In
unserem Falle war das Bild von einem reichen
Kunstliebhaber bestellt. Der Künstler durfte also an-
nehmen, daß sein Auftraggeber auch die Leistung
angemessen bezahlen werde, besonders deshalb, weil
ihm die sehr guten Vermögensverhältnisse desselben be-
kannt waren. (Bekanntlich darf dieser Umstand mit-
sprechen, denn gerade der Künstler wird und darf
eine Ausnahme machen zwischen arm und reich.
Keiner kann gezwungen werden, für beide gleich
wohlfeil zu arbeiten.) Weiter kommt noch hinzu:
Ist das bestellte Bild z. B. ein solches, wie eines
nur ein Liebhaber sich kaufen würde, weshalb der
Künstler annehmen durfte, daß auch ein Liebhaber-
preis vom Besteller dafür bezahlt werden würde?
Auch diese Frage muß in unserem Falle besaht
werden. Ein Akt oder, was dasselbe ist, eine
nackte weibliche Figur mit Emblemen ist Liebhaber-
sache. Eiiw solche wird aber bekanntlich nur ein
Liebhaber kaufen und dementsprechend bezahlen.
Liebhaberpreise sind immer höher und der Künstler
durfte schon aus diesem Gruude annehmen, daß
sein Auftraggeber das Bild mit einem höheren,
d. h. einen Liebhaberpreis bezahlen werde.
Hand in Hand mit unserer soeben besprochenen,
ersten Grundfrage geht aber die folgende zweite Frage:
„In welcher Weise kann der Sachverständige
mit gutem Gewissen mit Beziehung auf Kunstwerke (in
der bereits angeführten Begrenzung) die Frage nach
dem Wert oder nach dem Preis beantworten?"
Zunächst: Ist es bei Kunstwerken überhaupt
möglich, genau die Summe anzugeben, wie viel sie
wirklich wert sind? Besser jedoch wird die Frage
nach dein objektiven Wert gestellt. Schon aus
den vorhergehenden Zeilen geht hervor, daß dies
nicht möglich ist. Eine rein objektive Wertbemessung
gibt es in der Kunst bekanntlich nicht. Dieselbe
ist stets subjektiv. Was der eine schön findet, ist
dem andern häßlich. Und ein Kunstwerk, welches
der eine vielleicht mit einem vermögen bezahlt,
möchte der andere vielleicht nicht geschenkt haben.
Bei klassischen Werken ist es noch am ehesten mög-
lich, einen ungefähren Preis zu bestimmen; aber
selbst hier, wo der Weltmarkt den allgemeinen Ton
angibt, gibt es immer nur einen ungefähren Preis,
wir haben es oft erlebt, daß die Wode auf diesem
Gebiete ein großes Wort mitspricht. Einmal sind
die großen englischen Weister begehrt und sie wer-
den mit Niesensummen bezahlt, in einem anderen
Jahrzehnt die Holländer, welche dann mit Gold
ausgewogen werden. Doch alles dies ist bekannt,
weshalb wir uns die weiteren diesbezüglichen Ausfüh-
rungen wohl schenken dürften. Der Waterialwert
ist selbst bei den Werken ersten Ranges im Vergleiche
zu ihrem idealen Wert meistens sehr gering. Also
hiernach eine Summe zu bestimmen, ist gänzlich aus-
geschlossen. Reberhaupt sind auf im Kunsthandel
befindliche Bilder diese Ausführungen nicht anzu-
wenden, denn was dem einen nicht gefällt, wird
er nicht kaufen. Und wenn der eine einen modernen
humoristischen Genremaler mit 60000 Ulk. bezahlt, ob-
gleich er schon um 30000 Rlk. einen herrlichen alten
Uleister haben könnte, ist dies eben seine Sache. Nie-
mandem wird es einfallen, bei einer solchen Wert-
bemessung jemanden zur Verantwortung zu ziehen,
auch nicht den Kunsthändler. Ganz anders aber
liegt die Sache bei Gericht, wenn der Sachverstän-
dige eine genau begrenzte Summe nennen soll. Ist
ihm dies möglich, wenn er gleichzeitig sein gutes
Gewissen mit seinem Gutachten in Einklang zu
bringen wünscht? Diese Frage muß unbedingt ver-
neint werden, wie leicht kommt aber ein Sach-
verständiger, wenn er ein Kunsthändler ist, wie
es z. B. in Wünchen viel der Fall ist, in die Lage,
dies, nämlich die Angabe einer genau begrenzten
Summe, dennoch tun zu wollen? Der Kunsthändler
als Sachverständiger wird unwillkürlich Vergleiche
anstellen und sich fragen, wie bei ihm ein ähnliches
Bild zu haben sei. Dies ist aber vollständig
gleichgültig und falsch. Der Händler kann Bilder
von einem hochgeschätzten Weister besitzen, welche
nach seiner Weinung in jeder Beziehung sehr hoch
über dem fraglichen stehen, die er weit unter der
geforderten Summe des strittigen zu verkaufen in
der Lage ist, wobei der Ruf der Künstler ganz um-
gekehrt zu ihren verlangten Preisen steht. Aber der
eine arbeitet vielleicht rascher, ist in der Lage, drei
und vier Bilder und noch mehr zu malen, in welcher
Zeit der andere nur eines vollenden kann. Auch
noch andere Verhältnisse können hier mitsprechen.
Es entzieht sich z. B. oft der Kenntnis, unter welchen
besonders günstigen Verhältnissen das Bild in den
Besitz des Kunsthändlers kam, weshalb er eben wohl-
feil zu verkaufen in der Lage ist u. s. w. Es wäre doch
jedenfalls eine tolle Sache, wenn es jemanden ein-
siele, dem weniger berühmten Waler zuznrufen:
„Wein Bester, höre 'mal, der berühmte Waler Zö.
verkauft seine Bilder viermal wohlfeiler, Du bist
aber noch lange nicht so berühmt und darfst also
Deine Bilder nicht mehr so unverhältnismäßig teuer
Die Werkstatt der Kunst.
Heft H5.
einmal so glatt herunterzustreichen wie bei dem
Hintergründe eines Porträts.
Der Sachverständige hat also, wenn dem Künstler
Recht geschehen soll, nicht nur in Betracht zu ziehen,
wievielmal größer die zu malen gewesene Fläche des
Streitgegenstandes gegenüber früheren Arbeiten sei,
sondern auch wie viel Partien, welche besondere Auf-
merksamkeit erforderten, dieselbe gegenüber den frühe-
ren Arbeiten besitze. Sodann hat der Sachverständige
in Betracht zu ziehen, wie sorgfältig alles gemalt
worden sei. wie verzögerten einzelne Partien die
Vollendung? Ferner: Ist der Künstler z. B. wegen
seiner guten Farbengebung berühmt, d. h. dienen
diese Eigenschaften hauptsächlich dazu, seine Arbeiten
zu charakterisieren? Wie weit und gut kommeu die-
selben bei dem Gegenstand des Streites zum Aus-
druck? Weiter kommt die Frage hinzu: Ist das
Bild bestellt oder war es vom Künstler gemalt in
der Hoffnung, es später verkaufen zu können? In
unserem Falle war das Bild von einem reichen
Kunstliebhaber bestellt. Der Künstler durfte also an-
nehmen, daß sein Auftraggeber auch die Leistung
angemessen bezahlen werde, besonders deshalb, weil
ihm die sehr guten Vermögensverhältnisse desselben be-
kannt waren. (Bekanntlich darf dieser Umstand mit-
sprechen, denn gerade der Künstler wird und darf
eine Ausnahme machen zwischen arm und reich.
Keiner kann gezwungen werden, für beide gleich
wohlfeil zu arbeiten.) Weiter kommt noch hinzu:
Ist das bestellte Bild z. B. ein solches, wie eines
nur ein Liebhaber sich kaufen würde, weshalb der
Künstler annehmen durfte, daß auch ein Liebhaber-
preis vom Besteller dafür bezahlt werden würde?
Auch diese Frage muß in unserem Falle besaht
werden. Ein Akt oder, was dasselbe ist, eine
nackte weibliche Figur mit Emblemen ist Liebhaber-
sache. Eiiw solche wird aber bekanntlich nur ein
Liebhaber kaufen und dementsprechend bezahlen.
Liebhaberpreise sind immer höher und der Künstler
durfte schon aus diesem Gruude annehmen, daß
sein Auftraggeber das Bild mit einem höheren,
d. h. einen Liebhaberpreis bezahlen werde.
Hand in Hand mit unserer soeben besprochenen,
ersten Grundfrage geht aber die folgende zweite Frage:
„In welcher Weise kann der Sachverständige
mit gutem Gewissen mit Beziehung auf Kunstwerke (in
der bereits angeführten Begrenzung) die Frage nach
dem Wert oder nach dem Preis beantworten?"
Zunächst: Ist es bei Kunstwerken überhaupt
möglich, genau die Summe anzugeben, wie viel sie
wirklich wert sind? Besser jedoch wird die Frage
nach dein objektiven Wert gestellt. Schon aus
den vorhergehenden Zeilen geht hervor, daß dies
nicht möglich ist. Eine rein objektive Wertbemessung
gibt es in der Kunst bekanntlich nicht. Dieselbe
ist stets subjektiv. Was der eine schön findet, ist
dem andern häßlich. Und ein Kunstwerk, welches
der eine vielleicht mit einem vermögen bezahlt,
möchte der andere vielleicht nicht geschenkt haben.
Bei klassischen Werken ist es noch am ehesten mög-
lich, einen ungefähren Preis zu bestimmen; aber
selbst hier, wo der Weltmarkt den allgemeinen Ton
angibt, gibt es immer nur einen ungefähren Preis,
wir haben es oft erlebt, daß die Wode auf diesem
Gebiete ein großes Wort mitspricht. Einmal sind
die großen englischen Weister begehrt und sie wer-
den mit Niesensummen bezahlt, in einem anderen
Jahrzehnt die Holländer, welche dann mit Gold
ausgewogen werden. Doch alles dies ist bekannt,
weshalb wir uns die weiteren diesbezüglichen Ausfüh-
rungen wohl schenken dürften. Der Waterialwert
ist selbst bei den Werken ersten Ranges im Vergleiche
zu ihrem idealen Wert meistens sehr gering. Also
hiernach eine Summe zu bestimmen, ist gänzlich aus-
geschlossen. Reberhaupt sind auf im Kunsthandel
befindliche Bilder diese Ausführungen nicht anzu-
wenden, denn was dem einen nicht gefällt, wird
er nicht kaufen. Und wenn der eine einen modernen
humoristischen Genremaler mit 60000 Ulk. bezahlt, ob-
gleich er schon um 30000 Rlk. einen herrlichen alten
Uleister haben könnte, ist dies eben seine Sache. Nie-
mandem wird es einfallen, bei einer solchen Wert-
bemessung jemanden zur Verantwortung zu ziehen,
auch nicht den Kunsthändler. Ganz anders aber
liegt die Sache bei Gericht, wenn der Sachverstän-
dige eine genau begrenzte Summe nennen soll. Ist
ihm dies möglich, wenn er gleichzeitig sein gutes
Gewissen mit seinem Gutachten in Einklang zu
bringen wünscht? Diese Frage muß unbedingt ver-
neint werden, wie leicht kommt aber ein Sach-
verständiger, wenn er ein Kunsthändler ist, wie
es z. B. in Wünchen viel der Fall ist, in die Lage,
dies, nämlich die Angabe einer genau begrenzten
Summe, dennoch tun zu wollen? Der Kunsthändler
als Sachverständiger wird unwillkürlich Vergleiche
anstellen und sich fragen, wie bei ihm ein ähnliches
Bild zu haben sei. Dies ist aber vollständig
gleichgültig und falsch. Der Händler kann Bilder
von einem hochgeschätzten Weister besitzen, welche
nach seiner Weinung in jeder Beziehung sehr hoch
über dem fraglichen stehen, die er weit unter der
geforderten Summe des strittigen zu verkaufen in
der Lage ist, wobei der Ruf der Künstler ganz um-
gekehrt zu ihren verlangten Preisen steht. Aber der
eine arbeitet vielleicht rascher, ist in der Lage, drei
und vier Bilder und noch mehr zu malen, in welcher
Zeit der andere nur eines vollenden kann. Auch
noch andere Verhältnisse können hier mitsprechen.
Es entzieht sich z. B. oft der Kenntnis, unter welchen
besonders günstigen Verhältnissen das Bild in den
Besitz des Kunsthändlers kam, weshalb er eben wohl-
feil zu verkaufen in der Lage ist u. s. w. Es wäre doch
jedenfalls eine tolle Sache, wenn es jemanden ein-
siele, dem weniger berühmten Waler zuznrufen:
„Wein Bester, höre 'mal, der berühmte Waler Zö.
verkauft seine Bilder viermal wohlfeiler, Du bist
aber noch lange nicht so berühmt und darfst also
Deine Bilder nicht mehr so unverhältnismäßig teuer