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Dehio, Georg
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler (Band 4): Südwestdeutschland — Berlin, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.10980#0408

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Str — 395 — Str

Schlechtbesserung. — In der letzten Phase bekundet sich wohl ein
Sinken des Stilgefühls, aber noch kein eigentlich grober Mißgriff.
Ein solcher trat ein mit der Einschiebung des Zwischengeschosses.
Was mit dieser unseligen Maßregel bezweckt war, ist weder prak-
tisch noch ästhetisch zu verstehen. Auch für sich allein be-
trachtet, bezeichnet dieser Bauteil einen Tiefstand des künstlerischen
Vermögens; eine in der 2. H. des 14. Jh. fast überall durchgehende
Erscheinung. — Bald darauf erwachte die Kritik. Die Bürger-
schaft, begierig, die Ehre des Münsters zu retten, beschloß die Er-
richtung eines sehr hohen, über die älteren Absichten weit hinaus-
gehenden Turms. Daß man damit auf den Ausbau des zweiten
(südl.) T. prinzipiell verzichtete, kann nicht bewiesen werden, ist
aber wahrscheinlich. Der aus Ulm berufene Meister Ulrich En-
singer stand vor einem Dilemma: einerseits war die Geschoßent-
wicklung der Türme schon auf dem Punkte angelangt, daß ihnen
nichts mehr hinzugefügt werden durfte, als die Helme; anderer-
seits war dieses durch den Zwischenbau ästhetisch eine Unmög-
lichkeit geworden. Die Lösung, die Ulrich wählte, ist ein Ge-
waltakt. Mit der Balustrade der großen Plattform machte er
gleichsam einen Strich durch die bisherige Rechnung und setzte
seinen T. als ein neues Gebäude hin, ohne Verpflichtung auf Fort-
entwicklung der begonnenen Motive. Es ist ein aus 8 Pill, zu-
sammengesetztes hohes Oktogon, an den Diagonalseiten begleitet
von 4 vom Hauptkörper völlig abgelösten Treppentürmen, außen
3 eckig, innen 6eckig, ein jeder in den Einzelheiten des Gr. von
den andern verschieden. Die über den Fensteröffnungen sitzenden
Rippenanfänger bekunden, daß ursp. hier der Helm beginnen
sollte. Es war Ulrich selbst, der sein Oktogon noch nicht hoch
genug fand und ihm noch 7 m zulegte. Der Tod überraschte ihn
vor Beginn des Helmes. Derselbe sollte (Riß erhalten) im ganzen
dem Freiburger ähnlich werden, doch mit konkaver Einziehung
des Konturs und in der Mitte umkränzt von einer Aussichts-
galerie. Sein Nachfolger Hüliz überbot ihn durch eine ganz
originelle Idee. Er machte den Helm bis zur Spitze ersteigbar,
indem er eine jede der 8 in der Spitze zusammentreffenden Rippen
mit einer Folge von je 6 kleinen Treppentürmchen besetzte, der
eine in den anderen überleitend. Es können also 8 Gruppen von
Besuchern sich gleichzeitig in die Höhe winden. Merkwürdiger-
weise hat man, nachdem so viel schon an den T. gewandt war,
ihn doch nicht ganz vollendet. Denn zweifellos hätte jedes
Türmchen noch eine durchbrochene Spitze erhalten sollen, wie
auch die Treppentürme des Oktogons. Der jetzige eigentümlich
sägeartige Kontur war nicht die gewollte Linie. Den höchsten
Punkt krönte ein Marienbild. Der T. war mit 142 m H. der
 
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