Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 4.1904/​1905

DOI Heft:
Heft 14
DOI Artikel:
Zur Kritik der deutschen Kunstzustände, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42122#0197

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
hcft ,4-

Die Werkstatt der Aunst.

t93

Auswüchsen der neuesten Zeit, mindestens auf gleicher Höhe
mit der anderer Nationen steht, viele davon sogar überragt,
so weiß ich mich in Uebereinstimmung mit dem Urteil be-
deutender Kunstkenner des In- und Auslandes. Also nicht
Mangel an Können und Schaffenskraft haben unsere Künstler
in eine mißliche Lage gebracht, die Schuld hieran tragen viel-
mehr — ich behaupte und werde es erweisen — die in München
wie in Berlin sich seit geraumer Zeit jährlich wiederholenden
internationalen Kunstausstellungen mit ihren Folgewirkungen,
im Verein mit dem eben so verständnislosen wie unpatriotischen
Verhalten eines großen Teiles der deutschen Kunstprefse. Diese
beiden Faktoren, die „Internationalen" und die Presse, sind
der wahre Krebsschaden der deutschen Kunst. Sie eingehend
zu besprechen, ihre Wirkung darzutun und den weg zur Ge-
sundung zu zeigen, soll meine Aufgabe sein. Um jedoch nicht
mißverstanden zu werden, ist es nötig, zweierlei vorauszu-
schicken, nämlich erstens, daß ich nicht etwa ein prinzipieller
Gegner der internationalen Kunstausstellungen an und für
sich bin. Ich halte sie vielmehr, wenn sie von allen kunst-
treibenden Nationen im Wechsel veranstaltet und in einein
Lande nur in längeren Zwischenpausen wiederholt werden,
gerade durch die Möglichkeit des sich bietenden Ver-
gleiches für außerordentlich lehrreich und fördernd;
nur ihre jährliche Wiederkehr in demselben Lande
muß nachteilig für die Kunst und die Künstler dieses
Landes wirken. Zweitens schicke ich voraus, daß, wenn
hier und in der Folge kurzweg von „Presse" oder „Kuust-
presse" die Rede ist, damit nur der Teil dieser Presse gemeint
werden soll, der, das Fehlen künstlerischer Sachkenntnis be-
mäntelnd, den Eindruck feinen Kunstverständnisses dadurch er-
wecken zu köunen glaubt, daß ihn die Leistungen der heimischen
Kunst nicht zufrieden stellen, die der fremden dagegen seine
Bewunderung erregen. Bei einer Reihe von Kunstreferentcn
deutscher Zeitungen kann man dieses Verfahren beobachten,
das zugleich den bei uns leider immer noch nicht ausgerotteten
Hang zur Bewunderung alles Fremden in charakteristischer
weise kennzeichnet.
Untersuchen wir zunächst, wie es gekommen ist, daß die
internationalen Kunstausstellungen nun schon seit längerer
Zeit in Deutschland einseitig ihre Feste feiern. Meinen In-
formationen gemäß sei festgestellt, daß München das zweifel-
hafte Verdienst für sich in Anspruch nehmen darf, mit der
jährlichen Abhaltung von „Internationalen" zuerst vorge-
gangen zu sein. Seit dem Jahre Z888 werden dort jährlich
sogenannte Ausstellungen von „internationalem Lharakter"
veranstaltet, die in ihrer äußeren Erscheinung sich in nichts,
in ihrer inneren Organisation höchstens durch ein bescheideneres
Maß der zur Verteilung gelangenden Medaillen von den
offiziellen „Internationalen" unterscheiden. Verleitet durch das
anscheinend glänzende Verkaufsresultat der internationalen
Kunstausstellung des Jahres Z888, wo im ganzen für
t 070000 Mk. Kunstwerke, darunter von deutschen Ausstellern
für sgO YHO Mk., verkauft wurden, glaubte man, durch jähr-
liche Wiederholung solcher und ähnlicher Ausstellungen auch
für die Folge annähernd gleich hohe Resultate erzielen und
damit eine dauernde Hebung des Münchener Kunstmarktcs
erreichen zu können. Hierbei ließ man jedoch in erster Reihe
die Erwägung außer acht, daß die internationalen Kunst-
ausstellungen, sonst ein seltenes, viele Besucher nach München
ziehendes Ereignis, bei jährlicher Wiederholung sehr an Zug-
kraft verlieren mußten. Daß dies in der Tat geschehen ist,
hat der finanzielle Erfolg seither erwiesen, denn das Verkaufs-
resultat für deutsche Werke schwankte bei den folgenden Aus-
stellungen bis zum Jahre ; 8Y5 zwischen 200 ooo und 500 ooo Mk.,
ging also bis weit unter die Hälfte (gegen 590 °>qo Mk. des
Jahres Z888) herab und unterscheidet sich nur wenig oder
gar nichtvondem dergewöhnlichennationalenAus-
stellungen der früheren Jahre. Doch dieser Mißerfolg
ist kaum erwähnenswert neben dem Riesenschaden, der zu-
nächst dem Münchener, in zweiter Linie aber dem gesäurten
deutschen Kunstmarkte durch diese jährlichen „Internationalen"
in München zugefügt worden ist. Es ist doch wahrlich leicht
verständlich und hätte vorausgesehen werden müssen, daß die

ausländischen Künstler, die in der höflichsten Weise jährlich
zu den Münchener Ausstellungen herangezogen und überreich-
lich mit goldenen Medaillen ausgezeichnet wurden, deren Werke
die schönsten Säle und Plätze erhielten und eine Menge
Käufer fanden, nur leichter Mühe bedurften, um nun auch
außerhalb dieser „Internationalen" auf dem täglichen Kunst-
markt Münchens (und für die Folge auch anderer deutschen
Städte) reichen Absatz zu finden, der deutschen Kunst aber
damit eine täglich sich steigernde, ja geradezu unerträgliche
Konkurrenz zu schaffen. Die Konkurrenz des Auslandes hat
aber um so leichteres Spiel in Deutschland gehabt, als, wie
schon angedeutct, die deutsche Presse die heimische Kunst gegen
die fremde herabzusctzen beliebt und damit so manchen Käufer
veranlaßt, sein Augenmerk auf das Ausland zu richten. Dem
fraglichen plus von einigen tausend Mark bei den
jeweiligen „Internationalen" stehen Verluste von
Millionen für den deutschen Künstler aus dem täg-
lichen Kunstmarkte gegenüber.
Gerade in diesem Markte aber, in den Verkäufen außer-
halb der großen jährlichen Kunstausstellungen, liegt der Schwer-
punkt der Einnahinen des Malers; die permanenten oder
periodischen Ausstellungen der Kunstvereine, besonders die der
Kunsthändler, die Bestellungen und Käufe dieser Händler und
der Kunstliebhaber iin Atelier machen das „Geschäft" und
bringen dem von seiner Kunst lebenden Maler die Mittel zur
Existenz. Wie wenig nach der Richtung hin die „Inter-
nationalen" tun, muß sofort einleuchten, wenn wir eininal
das Veckaufsresultat einer Münchener „Internationalen", so
weit es für dortige Künstler in Betracht kommt, der Kopfzahl
dieser Künstler, den Durchschnitt rechnend, gegenüberstellen.
Nehmen wir dabei nur tausend Künstler an, bei dem Ver-
kaufsresultat ein der Wirklichkeit entsprechendes Minimum
von 200000 Mk. und ein Maximum von HOO ooo Mk., so
entfallen auf den Kopf der Münchener Künstler 200 oder
höchstens q.00 Mk., d. h. eine so geringe Summe, daß von
ihr nicht einmal die Atelierunkosten annähernd gedeckt werden
können. Die übrigen Mittel, die die Lebensführung erfordert,
muß der Künstler also außerhalb der einmal im Jahre ver-
anstalteten — ob nationalen oder internationalen — Aus-
stellung sich erwerben und hier darf ihm, soll er vor Not be'
wahrt werden, die fremde Konkurrenz nicht überall die Mittel
wegnehmen. Man darf daher den auf der einen Seite mit
so äußerst geringem Nutzeffekt arbeitenden, auf der anderen
Seite aber so enormen Schaden bringenden Riesenapparat der
jährlichen „Internationalen" einen völlig verfehlten, ja gerade-
zu unheilvollen nennen. Unwillkürlich muß man bei
dem vermeintlichen Heilmittel dieser Ausstellungen
an den Morphinisten denken, der zuin Morphium
greift, um eine scheinbare, momentane Besserung
sein es Zu st an des zu erzielen, dabei aber außer acht
läßt, daß er in der Folge feine Gefamtkonstitution
damit völlig zu Grunde richtet.
Nach dem Vorgänge Münchens bedurfte es kaum noch
der Nachfolge Berlins, das seit einigen Jahren ebenfalls seine
jährlichen „Internationaleil" abhält, um die deutsche Kunst
immer schneller dem finanziellen Ruin entgegenzuführen. Mit
gänzlicher Verkennung der Folgewirkungen dieser Ausstellungen,
anscheinend nur, um nicht hinter München zurückzustehen,
zieht man nun auch hier mit aller Mühe und großen Opfern,
durch Entsendung von Deputationen, durch jury- und porto-
freie Einladungen, das Ausland heran, auch hier ist es mit
goldenen Medaillen überschüttet worden und erhält die schönsten
Plätze für seine Werke. Daß in neuester Zeit auch kleinere
Kunstzentren, wie Stuttgart und Dresden, nicht Zurückbleiben
und ihre „Internationalen" haben wollenFerübrigt noch hinzu-
zufügen. Vivain segusrNes!
Für die schlimmen Spekulationen der „Internationalen"
in München und Berlin dürfen indessen die dortigen Künstler-
schaften in ihrer Masse nur insofern verantwortlich ge-
macht werden, als sie dabei ihren führenden Per-
sönlichkeiten allzu vertrauensvoll gefolgt find. Diese
aber sind oft gar nicht in der Lage, die Tragweite ihrer Vor-
schläge und die Folgen ihrer Maßnahinen praktisch zu erproben
 
Annotationen