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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 4.1904/​1905

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Heft 51
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Eine Internationale Kunstausstellung des Instituts Carnegie in Pittsburgh in Amerika
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Gottschalk, Hermann: Künstler und Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.42122#0702

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6Y3

Die Werkstatt der Kunst.

Heft 5 t.

sollen auf der diesjährigen Ausstellung verteilt wer-
den: Die I. Medaille in Gold mit dem f. Preis von
s500 Dollars, die II. Medaille in Silber mit dem
2. Preis von sOOO Dollars, die III. Medaille in
Bronze mit dem 3. Preis von 500 Dollars, ferner
ein oder mehrere ehrenvolle Erwähnungen, deren
Zahl dem Ermessen der Zury anheimgestell ist. L.
Künstler unä Kunstkritik.
Der Streit um Kunstanschauungen wird nicht
verschwinden, und ob heute der Fall Thode-Lieber-
mann-Thoma-Meyer-Graefe oder ein anderer aktuell
ist: mit einem Morte einzugreifen wird es nie zu
spät sein, insbesondere in dieser Zeitschrift vom Stand-
punkt des Künstlers aus, der doch als Opfer aller
Prinzipienstreite endlich auf der Strecke bleibt. Zn
der Tat, was den Künstler anbetrifft, den der Streit
um „Richtungen" verwirrt, so muß er die allgemeine
Unsicherheit in diesen Kunstanschauungen, wenn ihn
nicht stärkste Urwüchsigkeit vor Ansteckung schützt,
mit seiner Ruhe, seinen Nerven, seiner Arbeitsfreude
und seinem Glauben an sich selbst bezahlen, kurz —
mit dem Verluste seiner Lebensarbeit. Dies wird
nicht übertrieben finden, wer, unter Künstlern woh-
nend, mit eigenen Augen den ungeheuren Kraft-
verlust kennen lernt, der aus der Unsicherheit in
Richtung und künstlerischem Bewußtsein entspringt,
die ungeheuere Talentvergeudung ohne Sinn und
Zweck und Erfolg, verschuldet durch das Hin- und
Herwerfen in der Brandung der Nichtungmacherei.
Als ob nicht die Verluste schon bitter genug wären,
welche die Kunst durch die Anpassung an feststehende
Marktwerte, durch Vordrängen von Talentlosigkeit
und anderes mehr erleidet.
Der Künstler sollte sich so viel wie möglich des
Lesens von Kritiken und Zeitungs-Polemiken ent-
halten und sich selber davor hüten, sich innerlich
für oder gegen „Richtungen" festzulegen. Denn fast
durchgängig fehlt unserer öffentlichen Kritik das klare
Bewußtsein dessen, worauf es allen ernsthaft ge-
staltenden Künstlern ohne Unterschied der Richtung
ankommt. Dies soll für die Kritiker kein Vorwurf
sein, denn wer die Ouelle kennt, aus der gerade
die Gewissenhaften ihre Urteile schöpfen, kann gegen
sie keinen erheben. Stets kann der Kritiker nur die
sekundäre Nolle spielen neben dein Künstler, denn
der Wundertrank der höchsten Naturanschauung strömt
nur dem unmittelbar Schaffenden. Erst wenn die
Naturanschauung im Organismus des Künstlers sich
der menschlichen Eindrucksform assimiliert hat, kann
der Nichtkünstler an ihrem Genüsse teilnehmen, denn
nur um deswillen treibt die Menschheit Kunst, daß
das Naturbild als ein anderes, ins menschlich-orga-
nische Uebersetztes wieder auferstehe. Es gibt heute
viele Kritiker, die, sich ihrer sekundären Nolle be-
wußt — entgegen veraltetem Schulmeisterbrauch —,
ihre Anschauung in enger Fühlung mit den Künst-
lern zu bilden streben. Wenn diese Kritik versagt,

indem sie sich am Erschaffen und Bekämpfen von
„Richtungen" beteiligt, anstatt die Künstler täglich
von neuem auf die Grundlagen alles ehrlichen Schaf-
fens zu verweisen, so kann man ihr nicht mehr Eigen-
sinn und Hochmut vorwerfen, sondern, im Gegen-
teil, übergroße Suggestibilität, daher die Schuld dem
zuzuschreiben ist, der sie unterrichtet: dem Künstler.
Eine peinliche Rolle, die der arme Kritikus zu
spielen hat: entweder ist er Schulmeister oder Partei-
gänger, nicht zu gedenken des Gefolges von Schma-
rotzern, das, anstatt ehrlich zu arbeiten, sich dem
geplagten Manne an die Flügel hängt und ihm
mit tausend Schmeicheleien die goldenen Eier ab-
lockt, aus denen herauskriecht: unser berühmter So-
undso, der bekannte ausgezeichnete Radierer Soundso,
der europäische Ruf unseres Soundso. — Mag die
Schuld indessen verteilt sein, wie sie wolle, so ist
dem Künstler, am meisten dem werdenden, nur an-
zuraten: Enthalte dich des Lesens über Kunst, be-
sonders in den Zeitungen. Und: sei taub gegen jedes
Kunstgeschwätz!
Woher wohl alles moderne Kunstelend mit
seinen apokalyptischen Mitreitern Historia und Hyper-
sapientia kommen mag? Ganz allgemein gesagt: von
der fiebernden Unrast unsrer Zeit, die uns die Be-
schaulichkeit versagt, die zu allem wirklichen Künstler-
tum notwendig ist. Die Stille fehlt uns, in der das
Talent sich bildet. Diese Stille um und in sich zu
erobern, ist aber die erste Pflicht eines jeden, der
es mit seiner Kunst ernst nimmt — und die meisten
fliehen sie. Es herrscht eine förmliche Furcht vor
Vertiefung, ein schwerer Erziehungsfehler, der sich
in der Kunst schrecklich rächt. Bis in die Anfänger-
schulen ist die moderne Hast eingedrungen. Wo wird
heute noch ehrlich und künstlerisch zugleich gearbeitet?
Der „moderne Mensch" entschuldigt zwar den schlap-
pen Künstler. Aber der geborene Künstler, so stehen
meines Erachtens die Dinge, sucht nicht mehr die
Festigkeit einer soliden, formalen Unterlage, und der
schwächer geborene weiß mit seiner nüchternen Ehr-
lichkeit keine Fühlung mehr mit der salopp gewor-
denen Genialität zu gewinnen. Das, was sie früher
alle verband, was auch den Nüchternen genießbar
machte, die unbestechliche Tüchtigkeit, das kalligra-
phisch sichere Beherrschen der Form — ist fast aus-
gestorben, die Gewissenhaftigkeit ist diskreditiert.
Werner darf Liebermann kritisieren, ohne daß man
ihm widersprechen möchte, weil er sehr viel Wahres
sagt — in der Tat, so stehen die Dinge! Das Beste
leistet heute die Karikatur, und das ist charakteristisch:
unsere Kultur ist nicht tragfähig für eine würdevolle,
die Genialität im abgeklärten Gleichmaße der schönen
Form offenbarende Kunst.
Wie dieser Ausschweifung abzuhelfen ist? Wenn
ich Pharao wäre, würde ich jeden Verdächtigen, der
sich durch Talent verrät, von: s5. Zahr an in die
Tretmühle des Aktzeichnens einspannen, bis er alle
Größe und Feinheit der Form aus dem Schlafe
wiedergibt. Dann ihn mit geschlossenen Händen
 
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