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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 4.1904/​1905

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Heft 45
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"Der Fall Böcklin", [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.42122#0617

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Oie werklwtt derKunlt

s^eäaktem: I)emrick Slemback.

IV. Jakrg. ^ I)elt 45. * Aug. 190Z.

In ctiesern ^eite unserer LeitsÄ>rist erteilen vc>ir jeclern Künstler clas freie Mort. Mir sorgen clafür, ctas tunlickist keinerlei
Angriff« auf Personen oüer Eenossensckaften sbgectruckt werclen, okne class vorder cler Angegriffene clie MögliiZikeit gekabt
KLtte, in cleniselben yefte zu erwiclern. Oie keclaktion kalt sick vollstsnclig unparteiisiZ, uncl gibt cluriZr clen Abclruck keineswegs
- eine Aebereinstirnrnung rnit clen auf ciiese Meise vorgetragenen Meinungen zu erkennen. > ^

„vor ssll
so bezeichnet I. Meier-Graefe (Berlin) die Worte,
welche, wie wir schon mitteilten, er der Auseinander-
setzung Thode-Thoma-Liebermann folgen ließ
und welche die „Franks. Zeitung" nunmehr als das
Schlußwort der Kontroverse in ihren Spalten be-
trachteil möchte. Meier-Graefe schreibt:
Liebermann weist mir in seiner Entgegnung in der
„Franks. Ztg." vom 2;. Juli auf den Aufsatz Hans Thomas
die Antwort auf die gegen mich gerichteten Angriffe zu, und
mein Schweigen auf dieses öffentliche Monitum könnte übel
ausgelegt werden. Deshalb wäre ich Ihnen, Herr Redakteur,
für die Veröffentlichung der folgenden Zeilen dankbar.
Liebermanns Entgegnung auf das Rolleg Th ödes,
namentlich die Heranziehung Wickhoffs war ungeschickt,
nicht weil das Urteil des Wiener Kunsthistorikers der Ueber-
zeugungskraft mangelt, sondern, weil diese Zeugenschaft den
Fall einschränkte und die größten Blößen Thodes außer acht
ließ. Ueber die wissenschaftliche Potenz Thodes dürfte nicht
viel Neues zu sagen sein; was hier zuerst in Frage steht, ist
der moralische Wert des Mannes. Um diesen festzustellen, ge-
nügen die von Thode allein gelieferten Tatsachen. Ich habe
im „Fall Böcklin" kein Schlagwort formuliert, sondern mit
ausschließlich wissenschaftlichen Mitteln versucht, die Behaup-
tung zu erweisen, daß Böcklins Bilder nicht zn den Werken
gerechnet werden können, die wir als Kunst schätzen. Ist
diese Behauptung richtig, so wird bei der Bedeutung Böck-
lins für die deutsche Kunstanschauung und bei der Analogie
dieses Falls mit vielen anderen Fällen die Schwäche dieser
Anschauung bewiesen, eine Schwäche, in der ich den wesent-
lichen Grund des Niedergangs der deutschen Kunst sehe. Diese
Frage ist wichtig genug, um das Interesse eines Professors
der Kunstgeschichte zu erwecken, und Thode konnte der Wissen-
schaft mit einem ernsthaften Kolleg über dieses Problem einen
Dienst erweisen, indem er entweder die Schwäche oder die
Stärke meiner Argumente sehen ließ, mich widerlegte oder be-
stätigte. Diese sehr zahlreichen Argumente liegen in meinem
Buche vor den Augen jedes ehrlichen und gebildeten Men-
schen klar zutage. Sie bestehen aus streng gesonderten Wegen,
die aus der ästhetischen und entwicklungsgeschichtlichen Be-
trachtung der Kunst abgeleitet wurden. Ich habe für den Fall
Böcklin keine besonderen Gesetze erfunden, sondern den Kom-
plex von Erfahrungen benutzt, den uns einerseits die großen
Perioden der Malerei vom — ^9. Jahrhundert, andrerseits
die Kenntnis der in der ganzen Kunst von den frühesten
Zeiten an wirksamen Faktoren erschlossen haben. Ls wurde
nicht etwa mit Erscheinungen einer zeitlich oder räumlich be-
schränkten Epoche operiert; der vergleich mit der französischen
Kunst oder der Impressionisten insbesondere wurde überhaupt
nicht gezogen.
Nichts zwang Herrn Thode, in einein beliebigen Kolleg
über moderne Kunst mit gleichen Erfahrungswegen zu ar-
beiten. Das ist eine Frage des Intellekts. Las er aber, um,
wie er ausdrücklich gesagt hat, meine Bücher zu widerlegen,
so hatte er auf meine Argumente einzugehen, um so mehr
als er der von mir vertretenen Anschauung, wenn nicht „in-
famierende Beweggründe", wie Liebermann es nennt, so

köcklm",
mindestens unsachliche, kunstfeindliche und unpatriotische In-
tentionen unterschob und daher den Autor der zu widerlegen-
den Bücher verdächtigte. Das ist eine Frage der Moral. In
dasselbe Gebiet gehört die Wortklauberei, mit der versucht
wurde, Liebermanns Angriff aus den hinlänglich feststehenden
Sinn der Darlegungen Thodes abzuschwächen. Indem Thode
auch nicht im geringsten eine sachliche Widerlegung versuchte,
machte er sich einer intellektuellen Unehrlichkeit schuldig, wenn
jemand in einem anderen nicht so „idealen" Beruf das gleiche
täte, würde er sich die Mißbilligung jedes anständigen Men-
schen zuziehen und genötigt sein, sein Tun und Treiben vor
einem strengeren Auditorium als der Zuhörerschaft junger
Studenten und Dilettanten zu verantworten. Der Angriff war
um so weniger korrekt, als er sich gegen ein dem Publikum
so gut wie unbekanntes Buch richtete und mit der Tatsache
spekulierte, daß man in Deutschland jedem ernsten Studium
die Rednerphrase vorzieht. Die Hörer und Leser Thodes, die
meine Argumente nicht kennen, müssen mich nach diesem An-
griff und den daraus hervorgegangenen Aeußerungen der
Presse für ein lediglich auf Sensation gerichtetes Individuum
zweifelhaften Genres halten.
Indem Hans Thoma, um Thode und sich selbst zu
verteidigen, von meinem Buch über Böcklin wie von einer
„Herausforderung" spricht, „die gerade das Beste, was aus
der deutschen Volksseele herausgewachsen ist, mit Füßen oder
eigentlich mit Phrasen tritt", macht er sich dieselben, soeben
charakterisierten Mittel zunutze. Ich wundere mich, daß
Liebermann dies aus dem klugen Aufsatz Thomas nicht her-
ausgelesen hat.
Liebermann verhalf Thoma durch den Angriff auf den
Antisemitismus zu einer leichten Abwehr. Uebrigens könnte
aus dieser Parenthese Liebermanns geschloffen werden, daß
ich Jude oder von jüdischer Abstammung bin; ich benutze
gern die Gelegenheit, um das Gelegenteil festzustellen, nicht
weil ich mich nicht mit Vergnügen mit Liebermann einer
Stammesgenossenschaft wüßte, sondern weil ich wenigstens
dieses verwirrende Moment persönlicher Art aus der Dis-
kussion ausscheiden möchte. Tatsächlich hatte Liebermann mit
seinem vorschnellen Hinweis auf politische Dinge den richtigen
Instinkt. Denn es handelt sich hier wirklich nicht um eine
Doktorfrage, sondern in letzter Instanz um zwei Weltan-
schauungen, die sich so gegenüberstehen, wie der Glauben
an die Unterscheidung des Menschlichen nach Religionen und
die Aufklärung, die uns seit einigen hundert Jahren die
Früchte der Kultur beschert. Die Klärung des Falles Böcklin
könnte zu einer Entscheidung des Kampfes beitragen. Der
nicht alleinstehende versuch Thodes und Thomas, die Klärung
zu verhindern, dient einer begrenzten Glaubenssache und per-
sönlichem Vorteil und ist daher verständlich, scheint mir aber im
Interesse keines Standpunktes allgemeinen Nutzens zu liegen.
Meier Graeses „Der Fall Böcklin" erfährt
inzwischen durch eine in diesen Tagen in den
„Münchn. N. Nachr." erfolgte Veröffentlichung vr.
L. v. Bürckels (Fiesole) eine neue und zwar höchst
merkwürdige Beleuchtung, von welcher wir unsere
Leser in: nächsten Hefte in Kenntnis setzen werden.
 
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