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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 4.1904/​1905

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Heft 37
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Welti, Albert; Wieland, H. B.; Lehmann, Wilhelm Ludwig: Zur Organisierung aller bildenden Künstler
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Nochmals die "relative Unzüchtigkeit"
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https://doi.org/10.11588/diglit.42122#0507

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Heft 37.

Die Werkstatt der Kunst.

503

Meist sehen diese uns arme Künstler gewissermaßen als gute
Wurzen an, denen man ein Stück sonst nicht verwendbaren
Dachraumes für teures Geld aufhängen kann, und kommt
dann solch ein armer Teufel feinen Verpflichtungen mal ein
paar Monate nicht nach, so läßt er halt seine Bilder pfänden,
und meist nicht die schlechtesten, bis dieprivatgalerie vollendet ist.
Ein weiterer Punkt, der wohl auch sehr in Betracht
gezogen werden dürfte, wäre die Schaffung einer Verkaufs-
zentrale. Mit verschwindend geringen Ausnahmen verkaufen
doch die meisten Künstler den größten Teil ihrer Werke nicht
auf Ausstellungen, sondern auf privatem weg. Ich leugne
zwar nicht, daß es so manche Maler und Bildhauer gibt, die
Jahr für Jahr ihr Bild, ihre Statue im Glaspalast ver-
kaufen und von dem Erlös die übrige Zeit leben. Es gibt
aber auch Auftraggeber, die es zur Bedingung machen, daß
das von ihnen gewünschte Bild in die Iahresausstellung
kommen muß, die sogar im Falle, daß dies dem Künstler
nicht gelingt, die Annahme und Bezahlung verweigern. Kurz,
ich unterschätze die Ausstellungen als Kunstmarkt keineswegs.
Allein der ganze Kunsthandel ließe sich in andere, für den
Künstler gedeihlichere Bahnen lenken, vorausgesetzt, daß eben
die Genossenschaft sich derselben mehr annehmen wollte. Nein
plan einer verkaufszentrale wäre etwa folgender: Die Künstler-
gesellschaft setzt sich durch ihre kaufmännischen Mrgane mit den
Interessenten für Wandgemälde, Staffeleibilder, Illustrationen,
Plakate rc. in Verbindung und sucht Aufträge zu erhalten.
Dem Auftraggeber ist es jederzeit freigestellt, sich bestimmte
Künstler zur Ausführung seiner wünsche auszuwählen, ebenso
steht es dem einzelnen Künstler frei — um eine Protektion
seitens der künstlerischen oder kaufmännischen Leitung un-
möglich zu machen —, sich selbst Interessenten heranzuziehen.
Jeder Auftrag aber, ob groß oder klein, muß der Zentrale
angemeldet werden und diese besorgt die Ablieferung an den
Kunden, sowie die Einziehung des darauf entfallenden Honorars.
Dann aber werden im Laufe des Jahres noch so und
so viele Bilder und Studien von den einzelnen Künstlern ge-
malt, die sie naturgemäß auch gern verkaufen würden. Sache
der verkaufszentrale wäre es nun, für alle diese Werke
Käufer zu finden. Außerdem aber bedarf der Künstler häufig,
wenn er eine Arbeit vollendet hat, sofort des Honorares. In
diesem Falle könnte die Zentrale dem Autor einen Teil, sagen
wir ein Viertel des wertes vorstrecken, der dann nach dem
verkauf selbstverständlich wieder in Abzug kommt. Haben sich
dann in einiger Zeit, beispielsweise in einem Vierteljahr, eine
Anzahl Kunstwerke angesammelt, für die sich bestimmte Lieb-
haber nicht ermitteln lassen, so wäre eine Versteigerung ab-
zuhalten, und nach deren Ergebnis, sowie nach dem Abzug
der nötigen Kosten, die Konti der einzelnen zu regeln.
Infolge dieser Tätigkeit der verkaufszentrale könnten
die Ausstellungen von den Verkaufsbildern mehr und mehr
entlastet und wieder zu Lehrstätten hoher Kunst werden. Durch
den Rückhalt der Künstlergenossenschaft wäre dem Käufer
gewissermaßen der Kunstwert des gewünschten oder erworbenen
Werkes gewährleistet und er brauchte deshalb den Ausstel-
lungsvorbehalt nicht mehr zu machen. Andererseits aber wäre
der Künstler auch nicht mehr in diesem Maße wie bisher ge-
nötigt, sogenannte Kitsche zu malen, da er ja sicher ist, daß seine
ernsten Arbeiten wenigstens zum Teil honoriert werden. Endlich
könnte die Zentrale auch xreisbildend und erhöhend wirken.
Es würden naturgemäß, wenn die Künstlerschaft sich
dergestalt zu einer Verkaufsgenossenschaft organisieren würden,
die meisten Kunsthändler zu Grunde gerichtet, allein einer-
seits haben dieselben schon an sich ganz bedeutende Summen
an den Künstlern verdient, andererseits kaufen sie heutzutage
ja doch keine Bilder mehr, sondern sie nehmen dieselben nur
mehr in Kommission, und endlich ist sich jeder selbst der nächste.
Ich bin mir überhaupt bewußt, daß durch die Ausführung
der oben angeführten Pläne eine ganze Anzahl Existenzen
vernichtet werden könnten, es sind aber nur solche, die bis-
her von uns gezehrt haben. Ich hege aber auch die Ueber-
zeugung, daß wir Künstler als Arbeitgeber wiederum ein
ganzes Heer von geistigen und manuellen Arbeitern ernähren
würden.

vielleicht würde es sich bei Verwirklichung dieser Vor-
schläge für notwendig erweisen, die Nitgliederbeiträge zu er-
höhen, doch bin ich in diesem Falle überzeugt, daß die Künstler,
wenn sie ihren Vorteil dabei sehen, auch willig etwas mehr
bezahlen. Das Hauptgewicht lege ich aber darauf, daß alle
Künstler ohne Ausnahme sich dergestalt wirtschaftlich ver-
einigen und daß eine große künstlerische Genossenschaft den
ersten Schritt auf diesem Wege tut. Private und kleinere
Künstlervereinigungen haben diesen versuch schon gemacht,
sind aber, da die Nittel unzulänglich waren, teils zu Grunde
gegangen, teils haben sie nichts erreicht. Den Beweis aber
haben sie erbracht, daß die Künstlerschaft selbst fühlt, es müsse
zur Hebung ihrer materiellen Existenz unbedingt etwas ge-
schehen. Man darf sich aber dabei auch nicht aufs hohe Roß
setzen, nicht glauben, einer Künstlervereinigung gezieme es
nur für deu Fortschritt in der Kunst zu arbeiten. Ein ebenso
hohes, ernster Arbeit würdiges Ziel ist es, für wirtschaftliche
Hebung des Künstlerstandes tätig zu sein. Der ganze Stand
wird in den Augen unserer Mitbürger gehoben, wenn das
Wort vom notigen Maler vollständig aus der Welt ver-
schwinden würde. Unsere geistigen Kämpfe und Taten können
ja die wenigsten beurteilen und die Wertschätzung des ein-
zelnen beruht halt doch meistens auf dem Geldbeutel.
Die Renten- und Pensionsanstalt für deutsche bildende
Künstler, sowie der Künstler Unterstützungsverein haben in
ihren engeren Kreisen viel Gutes gewirkt. Ihr Hauptfehler aber
ist der, daß der Künstler Mitglied sein kann und nicht Mitglied
sein muß. Es müßte so sein, wie beim (Offizier, wie beim Be-
amten, wo jeder, ob alt ob jung, ob Junggeselle ob verheiratet, in
die Witwen- und Waisenkasse zahlen muß, wodurch die Zukunft
der Hinterbliebenen geineinsam und für den einzelnen kaum
fühlbar gesichert wird. So müßte jeder Künstler zwangsweise
einen Beitrag zur Renten- und Pensionsanstalt, sowie zum
Unterstützungsverein entrichten und sich dadurch wenigstens ein
sorgenfreies Alter verschaffen.
Die Wege, auf denen die wirtschaftliche Existenz der
Künstler gehoben werden können, sind sehr verschieden. Der
eine oder der andere von denen, auf welche ich hingewiesen,
dürfte wohl zu einem Ziele führen. Der Ausbau dieser Straße
ist naturgemäß die Sache eines kaufmännisch und vor allem
organisatorisch begabten Mannes. Den ersten Schritt darauf
aber muß eine große Künstlervereinigung machen und alle
anderen müssen ihre prinzipiellen Fehden niederlegen und
wenigstens in diesem Punkte einmütig folgen, denn Einig-
zeit allein macht stark. —re—.
Dockmals clie „relative dnziicktigkeit".
Zu der von uns kürzlich mitgeteilten Entschei-
dung des Reichsgerichtes (siehe Heft 35), betreffend
die „relative Unzüchtigkeit" von Meisterwerken der
Kunst, schreibt die „Münchener Post":
„ . . . . Es steht also heute in Deutschland so, daß kein
Michelangelo, kein Rubens, kein Tizian mehr vor der Be-
schlagnahme und sein Verbreiter nicht vor der Bestrafung ge-
schützt ist, wenn ein Schutzmann das Werk dieses großen
Meister als .unzüchtig' empfindet! Ls trifft sich wahrhaftig
gut, daß ein solches Urteil gefällt wird zu einer Zeit, da
gute und billige künstlerische Reproduktionen eben erst be-
gonnen haben, in weiteren Volkskreisen Eingang zu gewinnen
und sich Arbeitervereine dieser guten Sache nach Kräften an-
nehmen. Es gibt keine Form der Kulturbewegung, die in
Preußen-Deutschland nicht alsbald auf die wohlweise aufge-
richteten .Schranken des Gesetzes' stieße; wenn man Flug-
schriften verteilt, Artikel schreibt, Reden hält oder Reproduk-
tionen berühmter Bilder verbreitet, so sind das nur ebenso-
viele Wege, um auf die Anklagebank zu kommen.
Die Auffassung des Reichsgerichts hat aber noch eine
andere Folge; wenn sie richtig ist, so müssen die Museen ge-
schlossen oder in ihnen doch geheime Kabinette eingerichtet
werden, die nur solchen Personen, bei denen der verdacht
 
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