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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 4.1904/​1905

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Heft 22
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Meier-Graefes Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.42122#0298

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Die Werkstatt der Aunst.

Heft 22.

294

Aeste und Abzweigungen seien. Das H>aris der
70er Jahre mit seinen jungen Aräften, den „Im-
pressionisten", ist der eigentliche Ausgangspunkt für
seine Darstellung der Aunstgeschichte der aller-
jüngsten Zeit geworden. Ohne Hrage haben die
„Independants" von damals der alten Tradition
der „Academiciens" den Garaus gemacht. Aus
Wanet, Tezanne, Degas und Renoir, den „vier
Säulen der modernen Walerei", wie Weier-Graefe
sie nennt, ruht die neue französische Aunst. Wie
diese mit der älteren des Empire, mit Ingres,
David, Delacroix u. a., diese wieder mit der Aunst
der Niederlande, endlich mit der italienischen, der
Renaissance, zusammenhängt, ist in den Eingangs-
kapiteln ausführlich geschildert. Weier-Graefe be-
gegnet sich hier in vieler Beziehung mit den Aus-
führungen des Walers Adolf Holzel, die einem
sehr lesenswerten Artikel „Ueber künstlerische Aus-
drucksmittel und deren Verhältnis zu Natur und
Bild" in den November- und Dezemberheften der
„Aunst für Alle" (XX. Jahrgang) erschienen sind.
Trotz des Wechsels der Zeiten und des Geschmacks,
sagt er, fußen die scheinbar noch so großen Unter-
schiede der Richtung einerseits auf einer eigenartigen
Naturanschauung, der Verwertung der Natur und
ihrer großen Gesetze, andererseits auf der Einfüh-
rung und Betonung bestimmter zweckentsprechen-
der Ausdrucksmittel und deren gesetzmäßiger Ver-
wertung.
Was haben wir nicht in der letzten Genera-
tion allein für Wandlungen in diesen Dingen er-
lebt? Und auf den: natürlichsten Weg, auf Grund
der natürlichen Gesetze von Druck und Gegendruck,
von Anziehung und Abstoßung, wie bei den j?olen
einer elektrischen Batterie. Schon die Schule von
Fontainebleau war reaktionär gegenüber der von
Tlaude Lorrain, die in der Versüßlichung zu ver-
gehen drohte. „Hinaus ins Hreie" war die Losung,
Hreilicht die jDarole, nur der Woment-Eindruck
sollte wiedergegeben werden. Die Woment-slchoto-
graphie wurde Lehrmeisterin für Bewegung, ganz
andere Aompositions-Bedingungen wurden durch
Veränderung des Augenpunktes möglich, Harben-
kontrasterscheinungen gestatteten kraftvolleres Ao-
lorit. Aein Einfluß von außen blieb ungenützt,
wie u. a. die Leichtigkeit des Reifens in ferne Ge-
genden, und niemals, seit gemalt wurde, ist die
Natur „intimer" studiert, mit allen den kleinsten
Stimmungswerten, den sogen. „Valeurs", im Licht

und Gegenlicht, mit absoluter Treue wiedergegeben
worden. Auch die exakten Wissenschaften, die Natur-
erkenntnis, trugen ihren Teil bei. Wit einem Male
will man nicht mehr mit Farben, sondern mit „Licht"
malen. Weil die Physiker im Sonnenlicht die Summe
der durch das Spektrum trennbaren Einzelfarben
erkannten, wollen die „Neo-Impressionisten", die
Vorkämpfer dieser neuen Walweise, nur mit den
spektralen Einzelfarben ausreichend, es der Eigen-
schaft der Netzhaut überlassen, die Farben wieder
zu vereinigen, wie es bei der Rotation Waxwell-
scher Harbenscheiben der Hall ist.
Weier-Graefe führt uns alle die angedeuteten
Stadien der modernen Entwicklung in den charak-
teristischen Hauptträgern der Richtungen vor und
wir können ihm dankbar sein, daß er uns bekannt
macht mit Schwingungen in dem Reiche der Aunst,
die er mit der Genauigkeit eines Pulsometers regi-
striert. Durch reichliches Illustrationsmaterial ver-
mittelt er uns einigermaßen ein Bild der Schöpfungs-
art aus dem Areise seiner Helden und Märtyrer,
deren Namen uns bis jetzt wenig geläufig waren
und deren Werke wir höchst selten zu Gesicht be-
kamen. In den dithyrambischen Jubel aber mit
ihm einzustimmen, wenn er z.B. von Georg Seurats
„ornamentalem Meisterstück Ae Tbalmt" spricht
und wir die Reproduktion des Bildes (Bl. fOö des
III. Bandes) damit vergleichen, ist uns freilich nicht
gegeben. Auf die wunden Punkte des Neo-Impres-
sionismus hier einzugehen, ist nicht der Hllatz, weil
dazu viel zu weit ausgeholt werden müßte, aber
das muß zu Gunsten Weier-Graefes gesagt werden
und es spricht für sein gesundes Arteil: Derselbe
Wann, der in Extase gerät vor den Werken des
Seurat, Signac, Troß und Genossen, der nicht ge-
nug Worte des Entzückens und der Begeisterung
findet für die „Apostel der Gemeinde", schwingt
selbst die Axt, um den von ihm errichteten Götzen
zu zertrümmern! (Wan lese den Abschnitt: Der
Neo-Impressionismus als Aunstform S. 237.)
Seit Wucher seine „Geschichte der Walerei im
O. Jahrhundert" geschrieben hat, ist kein Werk von
gleicherBedeutung geschaffen worden. AberWuther
richtet sich in erster Linie an das Publikum, an
die Aunstgenießenden. Weier-Graefe wendet sich
an die Aünstler. Wit erstaunlicher Empfänglichkeit
für die feinsten Regungen der künstlerischen Pro-
duktion ausgestattet, in jahrelangein Zusammensein
mit gleichen Zielen zustrebenden Geistern hat Weier-
 
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