Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 4.1904/1905
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.42122#0688
DOI issue:
Heft 50
DOI article:"Der Fall Böcklin", [3]
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.42122#0688
68§
Die Werkstatt der Kunst.
Heft 50.
Königs Heinrich VIII. von England, der behäbig
unter dem Speck lachend dasitzt, obgleich ihn Freund
Hain mit dem Knochenarm über die Achsel langt,
um auf ein Stundenglas zu deuten, das vor dem
Sterblichen steht. Dieses Bildnis gilt für eine Arbeit
Holbeins d. I., weil es die Anschrift IO.
trägt und in der (Qualität nahe an Holbeins Ar-
beiten heranreicht." (Folgen die Aeußerungen
Rleier-Graefes über dieses Werk.)
Nach Gegenüberstellung der Darlegungen Or.
Volls fährt Artur Seemann fort:
„wir haben zu den Aeußerungen dieses Kenners
nur wenig hinzuzufügen. Die Urheberschaft des jün-
geren Holbein hat der englische Biograph des Wa-
lers, wornum, schon bestimmt in Abrede gestellt.
Die Anschrift holpain hat ein Fälscher aufgetragen,
der bezeichnet Bilder oder Handzeichnungen des
älteren halbem kannte; die Schreibung des Namens
ist die des Alten. Die Behandlung des Bildes, die
Nöte des Inkarnats, die Struktur des Untergrunds
deutet auf die Nähe des Ou. RIassys. Das echte
Bild des jüngeren Holbein ist wahrscheinlich in Eng-
land verblieben, und man könnte vermuten, der
Schatzmeister habe zu Geschenkzwecken, wie dies z. B.
Erasmus tat, das Original kopieren lassen. Diese
Wiederholung sei nach Bayern gelangt, der Fälscher
habe den Namen aufsetzen lassen und vielleicht die
Uebermalung mit dem Tode veranlaßt, um die Iden-
tität mit dein Original auszuheben.
Gegen diese Vermutung spricht jedoch ein wenig
das Unholbeinische der Auffassung des Dargestellten.
Es wäre merkwürdig, wenn Holbein hier der Heiter-
keit so viel Raum gelassen hätte. Das war seine
Art nicht. Läßt man seine Bildnisse in der Erinne-
rung vorbeiziehen, so wird man finden, daß sie fast
ine lächeln, Im Gegenteil, in den meisten Köpfen
liegt tiefer Eriist, höchstens Gleichmut; selbst auf den
Frauengesichtern keimt kaum der Schatten eines
Lächelns, (wir sprechen von den Gemälden, nicht
von den Handzeichnungen.) Alle Dargestellten sehen
aus, als hätte inan ihnen eben das Todesurteil vor-
gelesen, oder als wohnten sie einer Geschworenen-
sitzung bei. Wan erkennt das lustige, kußfrohe Alt-
england in diesen Typen nicht wieder. Der Waler
hatte einen Adlerblick, dem nicht das Kleinste ent-
ging, aber er sah seine Wodelle mit dem Auge eines
Staatsanwalts. Das lag in Holbeins Natur. Seine
Jugend muß trübe genug gewesen sein; das hat
schon Anton Springer aus dem Lebenswerke des
Weisters herausgelesen. Der holbeintisch in Zürich,
das Lob der Narrheit, der Totentanz, das Toten-
alphabet, die Entwürfe für Luzern und Basel, alles
ist düster, voll schneidender Ironie, voll Grausam-
keit, voll Blut und Leichen. Den toten Christus in
Basel, das Bildnis seiner Frau mit dem vergrämten
Antlitz und den verweinten Augen, alles kann man
dafür herbeiziehen.
Und nun sehe man diesen Ausbund eines Schatz-
meisters an, mit dein vergnügtesten Lächeln von der
Welt, das aus den kleinen Aeuglein spricht, auf den
fetten Backen und den vollen, genäschigen Lippen
liegt, wo Holbein Heiterkeit malt (Bauerntänze),
ist es nur ein ausgelassenes Springen, ein Taumel
im Rausch.
wie dem nun auch sei, unzweifelhaft ist es für
den aufmerksamen Betrachter des Wünchener Bildes,
daß der Knochenmann eine spätere Zutat ist, und
auf jedes Bild Holbeins hätte er besser gepaßt, als
zu dieser Darstellung eines seelenvergnügten, genuß-
frohen Geldmannes. Die schreiende Dissonanz hat
auch Weier-Graefe gefühlt und er deduziert daran
die Genialität Holbeins, der absichtlich die grellen
Gegensätze aufeinander platzen lasse. ,woher kommt
es nun/ fährt er fort, ,daß man bei dem sanfteren
Böcklin nicht das Unbehagen unterdrücken kann, wäh-
rend der wilde Holbein zu den Lieblingen des Kunst-
freundes gehört?' Antwort: .weil der Holbein phä-
nomenal gemalt ist, und der andere nicht.'
wenn man nun bedenkt, daß der in das Bild
hineingezwängte Tod mit der kläglich gemalten Sense
(so etwas Erbärmliches hat Holbein nie gemacht!)
ganz und gar nicht zu dem Bilde gehört hat, so
wird man Voll für voll nehmen dürfen, wenn er sagt:
,Der besprochene vergleich zwischen Holbein und Böcklin
hat noch ein ganz besonderes Interesse. Meier-Graefe gehört
gewiß zu jenen, die sich zu einer vorurteilslosen Auffassung
der alten und neuen Kunst bekennen. Gb ein Bild von Hol-
bein oder von Böcklin gemalt sei, gibt ihnen, wenn man
ihren Worten glaubt, nicht den Ausschlag bei der Beurteilung
des wertes. Sie behaupten mit Recht, daß ein vollwertiges
modernes Kunstwerk nicht verliere, wenn man es mit einem
erstklassigen alten Meisterwerk vergleiche. Aber ich fürchte doch
sehr, daß wir es hier nur mit einer allerdings sehr guten
Theorie zu tun haben, die in der Praxis nicht befolgt wird.
Im gegebenen Fall wenigstens handelt es sich um ein altes
Gemälde, das von Haus aus wohl nie sehr gut gewesen
ist und das in späterer Zeit sehr unglücklich umgearbeitet
wurde. Aber das Gemälde ist ein Porträt und soll von Hol-
bein d., I. stammen. Nun kommt die ewig zu beobachtende
Befangenheit und jene Art der Beurteilung, die nicht die
vorhandenen Tatsachen klar beobachtet, sondern mit Hilfe von
Vernunftschlüssen — freilich unvernünftig genug — den wert
des Kunstwerkes festzustellen sucht. Der Gedankengang ist hier
folgender: Das Bild ist nicht bezweifelt; also echt. Lin echtes
Porträt von Holbein d. I. muß immer gut sein. Also ist
das vorliegende Bild gut, womöglich sehr gut und muß dar-
um bewundert werden. Daran knüpft sich der weitere Ge-
dankengang: Holbein ist der Urheber des Totentanzes, der
glänzendsten Paraphrase über den Tod, die der bildenden
Kunst überhaupt gelungen ist. Das Porträt enthält ein Ske-
lett, das jedenfalls auch von Holbein gemalt ist; denn es ist
noch nie bezweifelt worden. Das Skelett muß aber erstens
gut gemalt und außerdem erschütternd tiefsinnig sein. Indem
dann beide Gedankengänge sich verbinden, entsteht das Schluß-
resultat der verschiedenen logischen Mperationen: aus dem
entstellten Bildnis des Bryan Tuke, das möglicherweise nicht
von Holbein herrührt und niemals sehr bedeutend war, wird
ein Meisterwerk ersten Ranges, gegen das jedes andere Porträt,
auf dem ein Skelett oder Totenkopf vorkommt, einen schweren
Stand hat. Ist dann gar die These zu beweisen, daß Böcklins
Selbstbildnis mit dem fiedelnden Tod ein schlechtes Bild ist,
an dem inan bei jedem neuen Besuch neue Mängel entdecken
wird, dann braucht das holbein'sche Bild nur resolut gelobt
zu werden und der Böcklin ist in Grund und Boden kritisiert.'
Diese ganze parallele des Antiböcklinianers
RIeier-Graefe erweist sich, juristisch gesprochen, als
Die Werkstatt der Kunst.
Heft 50.
Königs Heinrich VIII. von England, der behäbig
unter dem Speck lachend dasitzt, obgleich ihn Freund
Hain mit dem Knochenarm über die Achsel langt,
um auf ein Stundenglas zu deuten, das vor dem
Sterblichen steht. Dieses Bildnis gilt für eine Arbeit
Holbeins d. I., weil es die Anschrift IO.
trägt und in der (Qualität nahe an Holbeins Ar-
beiten heranreicht." (Folgen die Aeußerungen
Rleier-Graefes über dieses Werk.)
Nach Gegenüberstellung der Darlegungen Or.
Volls fährt Artur Seemann fort:
„wir haben zu den Aeußerungen dieses Kenners
nur wenig hinzuzufügen. Die Urheberschaft des jün-
geren Holbein hat der englische Biograph des Wa-
lers, wornum, schon bestimmt in Abrede gestellt.
Die Anschrift holpain hat ein Fälscher aufgetragen,
der bezeichnet Bilder oder Handzeichnungen des
älteren halbem kannte; die Schreibung des Namens
ist die des Alten. Die Behandlung des Bildes, die
Nöte des Inkarnats, die Struktur des Untergrunds
deutet auf die Nähe des Ou. RIassys. Das echte
Bild des jüngeren Holbein ist wahrscheinlich in Eng-
land verblieben, und man könnte vermuten, der
Schatzmeister habe zu Geschenkzwecken, wie dies z. B.
Erasmus tat, das Original kopieren lassen. Diese
Wiederholung sei nach Bayern gelangt, der Fälscher
habe den Namen aufsetzen lassen und vielleicht die
Uebermalung mit dem Tode veranlaßt, um die Iden-
tität mit dein Original auszuheben.
Gegen diese Vermutung spricht jedoch ein wenig
das Unholbeinische der Auffassung des Dargestellten.
Es wäre merkwürdig, wenn Holbein hier der Heiter-
keit so viel Raum gelassen hätte. Das war seine
Art nicht. Läßt man seine Bildnisse in der Erinne-
rung vorbeiziehen, so wird man finden, daß sie fast
ine lächeln, Im Gegenteil, in den meisten Köpfen
liegt tiefer Eriist, höchstens Gleichmut; selbst auf den
Frauengesichtern keimt kaum der Schatten eines
Lächelns, (wir sprechen von den Gemälden, nicht
von den Handzeichnungen.) Alle Dargestellten sehen
aus, als hätte inan ihnen eben das Todesurteil vor-
gelesen, oder als wohnten sie einer Geschworenen-
sitzung bei. Wan erkennt das lustige, kußfrohe Alt-
england in diesen Typen nicht wieder. Der Waler
hatte einen Adlerblick, dem nicht das Kleinste ent-
ging, aber er sah seine Wodelle mit dem Auge eines
Staatsanwalts. Das lag in Holbeins Natur. Seine
Jugend muß trübe genug gewesen sein; das hat
schon Anton Springer aus dem Lebenswerke des
Weisters herausgelesen. Der holbeintisch in Zürich,
das Lob der Narrheit, der Totentanz, das Toten-
alphabet, die Entwürfe für Luzern und Basel, alles
ist düster, voll schneidender Ironie, voll Grausam-
keit, voll Blut und Leichen. Den toten Christus in
Basel, das Bildnis seiner Frau mit dem vergrämten
Antlitz und den verweinten Augen, alles kann man
dafür herbeiziehen.
Und nun sehe man diesen Ausbund eines Schatz-
meisters an, mit dein vergnügtesten Lächeln von der
Welt, das aus den kleinen Aeuglein spricht, auf den
fetten Backen und den vollen, genäschigen Lippen
liegt, wo Holbein Heiterkeit malt (Bauerntänze),
ist es nur ein ausgelassenes Springen, ein Taumel
im Rausch.
wie dem nun auch sei, unzweifelhaft ist es für
den aufmerksamen Betrachter des Wünchener Bildes,
daß der Knochenmann eine spätere Zutat ist, und
auf jedes Bild Holbeins hätte er besser gepaßt, als
zu dieser Darstellung eines seelenvergnügten, genuß-
frohen Geldmannes. Die schreiende Dissonanz hat
auch Weier-Graefe gefühlt und er deduziert daran
die Genialität Holbeins, der absichtlich die grellen
Gegensätze aufeinander platzen lasse. ,woher kommt
es nun/ fährt er fort, ,daß man bei dem sanfteren
Böcklin nicht das Unbehagen unterdrücken kann, wäh-
rend der wilde Holbein zu den Lieblingen des Kunst-
freundes gehört?' Antwort: .weil der Holbein phä-
nomenal gemalt ist, und der andere nicht.'
wenn man nun bedenkt, daß der in das Bild
hineingezwängte Tod mit der kläglich gemalten Sense
(so etwas Erbärmliches hat Holbein nie gemacht!)
ganz und gar nicht zu dem Bilde gehört hat, so
wird man Voll für voll nehmen dürfen, wenn er sagt:
,Der besprochene vergleich zwischen Holbein und Böcklin
hat noch ein ganz besonderes Interesse. Meier-Graefe gehört
gewiß zu jenen, die sich zu einer vorurteilslosen Auffassung
der alten und neuen Kunst bekennen. Gb ein Bild von Hol-
bein oder von Böcklin gemalt sei, gibt ihnen, wenn man
ihren Worten glaubt, nicht den Ausschlag bei der Beurteilung
des wertes. Sie behaupten mit Recht, daß ein vollwertiges
modernes Kunstwerk nicht verliere, wenn man es mit einem
erstklassigen alten Meisterwerk vergleiche. Aber ich fürchte doch
sehr, daß wir es hier nur mit einer allerdings sehr guten
Theorie zu tun haben, die in der Praxis nicht befolgt wird.
Im gegebenen Fall wenigstens handelt es sich um ein altes
Gemälde, das von Haus aus wohl nie sehr gut gewesen
ist und das in späterer Zeit sehr unglücklich umgearbeitet
wurde. Aber das Gemälde ist ein Porträt und soll von Hol-
bein d., I. stammen. Nun kommt die ewig zu beobachtende
Befangenheit und jene Art der Beurteilung, die nicht die
vorhandenen Tatsachen klar beobachtet, sondern mit Hilfe von
Vernunftschlüssen — freilich unvernünftig genug — den wert
des Kunstwerkes festzustellen sucht. Der Gedankengang ist hier
folgender: Das Bild ist nicht bezweifelt; also echt. Lin echtes
Porträt von Holbein d. I. muß immer gut sein. Also ist
das vorliegende Bild gut, womöglich sehr gut und muß dar-
um bewundert werden. Daran knüpft sich der weitere Ge-
dankengang: Holbein ist der Urheber des Totentanzes, der
glänzendsten Paraphrase über den Tod, die der bildenden
Kunst überhaupt gelungen ist. Das Porträt enthält ein Ske-
lett, das jedenfalls auch von Holbein gemalt ist; denn es ist
noch nie bezweifelt worden. Das Skelett muß aber erstens
gut gemalt und außerdem erschütternd tiefsinnig sein. Indem
dann beide Gedankengänge sich verbinden, entsteht das Schluß-
resultat der verschiedenen logischen Mperationen: aus dem
entstellten Bildnis des Bryan Tuke, das möglicherweise nicht
von Holbein herrührt und niemals sehr bedeutend war, wird
ein Meisterwerk ersten Ranges, gegen das jedes andere Porträt,
auf dem ein Skelett oder Totenkopf vorkommt, einen schweren
Stand hat. Ist dann gar die These zu beweisen, daß Böcklins
Selbstbildnis mit dem fiedelnden Tod ein schlechtes Bild ist,
an dem inan bei jedem neuen Besuch neue Mängel entdecken
wird, dann braucht das holbein'sche Bild nur resolut gelobt
zu werden und der Böcklin ist in Grund und Boden kritisiert.'
Diese ganze parallele des Antiböcklinianers
RIeier-Graefe erweist sich, juristisch gesprochen, als