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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 1 – No. 26 (1. Januar – 31. Januar)
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1869.







"Muhe

Organ der deulſchen Vol



ksp



arlei in Paden.



















Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird – mit Ausnahme der Sonnt

Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr.

bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der Expedition CQ 1 Nr.

.





Große und kleine Politik.

_ D.C. Zwei Namen, die, so gäng und gäbe sie ſind,
doch der Crklärung zu bedürfen scheinen. Aeußerlich be-
trachtet, stellt sich der Unterschied dahin: große Politik iſt
die, welche die Kabinette machen ; kleine Politik die, welche
das Volk in seiner politiſchen Tagesarbeit vollbringt. Dem
Wesen nach iſt der Unterschied der entsprechende : die große
Politik kommt auf Krieg hinaus, die kleine iſt der Frieden;
auf dem Gebiet der großen Politik liegen die akuten Cnt-
scheidungen, auf dem der kleinen die dauernden Crfolge.
Für die Volkspartei zicmt ſich alſo die ſog. tleine Po-

litik?! ~- Gewiß, sofern ſie überhaupt dauernde Erfolge

will. Die große Politik ziemt ihr also nicht?! – Doch,
tenn die akuten Entscheidungen wirken hemmend, stö end,

wenn nicht gar präjudizirend ein auf den Erfolg der Ta-

gesarbeit.

Jedermann weiß, wie unheilvolle Folgen die große
Politik gehabt hat, welche die Freiheitsarbeit des franzöſi-
ſden Voltes in den 90er Jahren des vorigen Jahrhun-
Auf Jahrzehnte hinaus lentte sie die

derls unterbrach.

Kraft des Volkes von der innern Arbeit ab ; vom Re-

publikaniémus fuhrte sie blutigen Pjades zum Cäſarismus;
bis auf den heutigen Tag wirkt sie mit ſchlimmſter Wir-
kung nach. In den zwanziger Jahren ſuchten die Bour-
bonen das franzöſiſche Volk durch den Reattionsfeldzug
nach Spanien und die Ruhmes-Expedition nach Algier ab-
zulenken von den Freiheitsfragen; unter den Orleans mach-
ten die Politiker der alten Schule die ähnliche Diversion
mit dem Geschrei nach der Rheingrenze ; endlich treibt der
Erbe und Fortſeßer des erſten Cäſarismus nun ſchon ins
zweite Jahrzehnt die Kunst, seine Franzosen mit gloire zu
ſättigen, um ſie an Freiheit darben zu laſſen.

Ein anderes Beispiel haben wir in Deutschland erlebt.
Cs iſt in Aller Gedächtniß. Leider ein gelungenes. Mit
Blut und Ciſen iſt in Preußen die Freiheitsentwicklung ge-
brochen : über die Macchtpolitik des S ta a ts hat das preu-
ßiſche Vo lk seinen R echtst am pf vergeſſen, verloren.
Seine Signatur iſt jezt Bismarck und Zubehör, nicht mehr
Grabow und Zubehör.

Und diese Signatur beherrſcht uns alle mit! Es war
Pflicht der Volkspartei, und, soweit sie bestand, hat sie die
Pflicht erfüllt, zu warnen nach Preußen hinein, daß man
über der Lockung neuer Provinzen nicht der Wahrung alter
Rechte vergesſe.. Cs hat nicht geholfen. Nicht bei den
Führern, nicht einmal beim Volke. Selbst jezt, wo ihm
die Kehrseite seiner Siege klar wird, folgt das Volk nach
wie vor denſelben Männern, die das ihnen anvertraute
höchſte Gut nicht bloß in Verblendung, nein, irt ſchnöder
Verſchuldung preisgegeben haben und nun in dem kind-
lichen Vergnügen nachträglicher Proteste, so sei es nicht ge-
meint gewesen, die Manneswürde von Voltsmännern zu
retten meinen, um die sie ſich ſelbſt gebracht.

Begreiflicher Weise . wirkt dieser Zuſtand, daß in der
größeren Hälfte des Vaterlandes das Recht nichts ist,
die Gewalt Alles, auf uns hier im Süden ſchon mit-
telbar mit unabweisbarer Macht bestimmend ein. Der durch-
weg unfreiheitliche, bolizeiliche, militäriſche Karakter des
großpreußiſchen Staatswesens hat zunächſt den entschieden-
ſlen Einfluß auf die Höfe und die Regierungen. Früher
derwienert, heute verberlinert ~ Das iſt die einfache Folge
bei den Einzelnen wie bei den Koterien, die aus dem
Volksgeiſte, aus dem Menſchengeiſte zu schöpfen verschmä-
hen, weil sie nicht jenen, nicht diesen begreifen. Wie ſich
Das vor Allem beim Militärwesen geltend macht, iſt bekannt.
Nùcht nur gilt die unbedingte Nachahmung aller preußiſchen
Einrichtungen als höchſte Pflicht, nein, das herrliche
Kriegsheer“ iſt nun auch hier im Süden Gipfel und In-
begriff alles ſtaatlichen Wesens, seine Pflege nun auch hier
das höchste Intcr.sse, vor dem alles Andere zurücksſtehen
muß.
| Indeß, die Einwirkurg der Dinge um uns her, d. h.

des Ganges ter großen Politik, iſt ja leider nicht bloß
tine mittelbare. Durch die Auguſtverträge von 1866 isl
das Schickſal des Südens ganz unmittelbar an die Macht-
palitik im Norden gebunden. Von dem bloßen Entschluß
Preußens, Krieg zu machen, hängt ab, was aus dem Sü-
_ den wird ~ a. Vohlfahrt, Recht, Beſtand. Und daß dic
Ber i cr Poliikt, um die im Jahre 1866 übernommenc
Berpflichtung der Mainlinie lozzuwerden, Krieg machen
wird, ſobalo sie es mit eivizer Gewißheit des Crfolgs
thuu zu tönen glaubt : d.ß ſie zu diesem Ende nunmehr
geräadeſo im O
ueite' 119 Stizerr,

ſten herumzettelt, wie vor drei Jahren im.

preußten Gehirn und Gewissen nicht erſt erwiesen zu wer-
den. So gewiß von dem Abschluß des Govone’ſchen Bünd-
niſſes mit Italien, von der Biarritzer Verſtändigung mit
Frankreich, von der stillen Neutralität Rußlands der An-
fang und Ausgang des Kriegs abhing, welcher Deutschland
zerstörte, ſo gewiß hängt der Anzang des Krieges, welcher
Deutschland in die volle Schande preußiſcher Verjunkerung

betrieben werden.

Es ist nicht parodox, es iſt die einfachste Thatſache von
der Welt: nicht zwiſchen München und Stuttgart ſpielt
das ſchließliche Schickſal Süddeutſchlands, sondern zwiſchen
Buchareſt und Alhen, zwiſchen Wien und Berlin, zwischen
Petersburg und Paris. Taß wir Das nicht loben, son-
dern verwünſchen und verdammen, brauchen wir nicht erſt

sen Fluch loszuwerden, über kein Mittel darüber verfügen,

Situation liegt, zu verkünden, daß wir nämlich auch unse-

päische Kombination zur Rettung und Wiederherſtellung,
— nicht müde, darauf hinzuweiſen, daß der Gewalt und
Liſt gegenüber, die Das über uns gebracht hat, keine Rück-
ſicht vergangener Zeiten noch irgendwie für uns maßgebend
ſein darf, wenn wir nicht ihr, die unablässig in gleich ver-
derblicher Weise. rüctſichtslos fortarbeitet, die Prämie des
Sieges geben wollen noch vor dem Siege!

Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 21. Januar.
* Die Konferenz hat, wie eine telegraphiſche De-
peſche meldet, in ihrer geſtrigen Sitzung die letzten Forma-
litäten erledigt, wird aber, was tröftend beigefügt iſt, bis
zum Eintreffen der griechiſchen Antwort versammelt bleiben.
Ob zu etwas Anderem, als zu „Formalitäten“, bleibt ab-
zuwarten. Den hoffnungsreichen Stimmen, welche durch die
bisherigen Konferenzerrungenſchaften den Frieden gesichert
erkennen wollen, schließt sich die ministerielle preußische
„Provinzial-Korreſpondenz“ an, welche „nicht bezweifelt,
daß die einmüthige Erklärung der Konferenzmächte über die
völkerrechtlichen Grundsätze auch bei der griechischen Regie-

cher eine Beilegung des ſchwebenden Streites zu erwarten
iſt. Dank der Konferenz erscheint die Hoffnung auf eine
friedliche Entwickelung jezt noch fester als zuvor begrün-
det." Nuch feste r! Wir beneiden die „Provinzial-Kor-
reſpondenz“ um ihren Optimismus. Inzwiſchen hinken der
bisherigen Angabe, daß die Großmächte sich jedenfalls neu-
tral verhalten würden, bereits Andeutungen des Gegentheils
nach. Aus Wien und. Berlin wird angekündigt, daß Eng-
land und Frankreich jeder Schädigung, die dem europäi-
schen Handel durch die griechiſche Kriegführung etwa dro-
hen ſollte, mittelſt einer mit rückſichtsloſer Strenge zu hand-
habenden Seepolizei entgegentreten würden. Und was Ruß-
land betrifft, ſo ſteht die geſtern von Wien eingetroffene
Rachricht, daß es zu einer unbedingten Neutralitätsverpflich-
tnng sich nicht verſtehe, mit den alten ruſsiſchen Absichten
in vollkommener Harmonie.

Aus S panien liegen außer den von der proviſori-
schen Regierung verbreiteten noch keine Angaben über das
Geſammt-Ergebniß der Wahlen vor. Was die Gewalthaber
unter „Wahlfreiheit“ verſtehen, und in welcher Weise auch
dort der napoleonische Mißb auch des allgemeinen S.imm-
rechtes in Anwendung gekommen iſt, zeigt die nachſtehende
Thatsache. Cinige Tage vor den Wahlen ließ der Gou-
verneur vvn Madrid, General Milano del Boſch, die Of-
fiziere der Garnison zu ſich kommen, um ihnen zu eröff-
cn, daß die Armee nunmehr berufen werde, ihr Wahlrecht
in voller Freiheit auszuüben. Sie ſoklten ſich aber wohl hüten,
andere als der Regierung genehme Männer zu wählen.
Die soziaie Frage iſt vorgeſtern in zwei Landesver-
tretungen gleichzeitig zur Sprache gekommen: in beiden zu-
nächſt nur bezüglich der Arbeit in den Fabriken. Im
öſterreichiſchen Reichstag begründete der Abgeordnete
Dr. Roſer ſeinen deßfallſigen (bereits mitgetheilten) Antrag,
wobei er als Mittel zur Abhilfe der Arbeiter - Misere die
Verkürzung der Arbeitszeit, die Verbesserung der Löhne, die
CEinführu g van Arbeiterwohnungen, vor Allem aber dic
Gewihrung vollen Koalitionsrechtes der Arbeiler bezeichnete



sas braucht wohl einem nicht ver Uu id nebenbei die Verwendung van Kindern in den Fabri-

age und Festtage – täglich als Abendblatt ausgegeben. – De

ſtürzen soll, von den Bettelungen ab, die jetzt iim Orient

zu verſichern! wir 1hun nichts, als es konſtatiren. Es iſt
der Fluch, der von 1866 nachwirkt, und da wir, um die-
als die Gemüther dagegen wachzurufen und mit dem vollen
Maße des gebührenden Haſſes zu erfüllen, so werden wir
eben nicht müde, die Maschen des Netes aufzudecken, in
das wir verstrickt ſind; nicht müde , die Lehre, die m solcher

rerſeits hinarbeiten und uns vorbereiten müſſen auf eine euro-

rung die Aufnahme und Beachtung finden werde, von wel-

r Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.

ken auf's Kräftigſte verdammte. Der Antrag wurde einem
besonders zu wählenden Ausschuſſe von zwölf Mitgliedern
zur Vorberathung überwiesen. Ueber die Verhandlttingen der
belgiſchen Abgeordnetenk a mmer über denſelben Ge-
gensland bringen wir unter der Rubrik Belgien in dieſem
Blatte einen ausführlicheren Bericht.

Der Wunsch der badischen Regierung nach Abſchluß
eines Vertrages mit dem Nordb unde, durch welchen
es den Militärdienstpflichtigen in Baden und im Nordbund
sreigesteltt werde, ob ſie in der Nordbunds- ader in der
badifchen Armee ihre Dienſtpflicht ableiſten wollen, ſoll nach
Berliner Nachrichten auch von den Regierungen in Bayern
und Württemberg in Bezug auf ihre Landesangehörigen ge-
theilt und die Verhandlung hierüber, welcher man einen
baldigen erfolgreichen Ausgang vorhersagt, bereits im Gange
sein.

Der Reichsrathskammer in Bayern widerfährt, was
sie noch nie erlebt. Bisher stets ausschließlich von reaktio-
närer Seite angerufen, sieht ſie jetßt liberale Bittſteller an
ihrer Schwelle. Die vom fortſchrittlichen Abgeordnetenhaus
auf Vorschlag seines noch mehr fortſchrittlichen Ausschusses
angenommene Gemeindeordnung für die rechtsrheiniſchen
Landestheile stößt täglich auf eine größere Mißbilligung der auf-
geklärten Gemeinden. In Unter- und Mittelfranken häu-
fen ſich Versammlungen,’ in denen dagegen proteſtirt und
die Anrufung der Reichsrathskammer um Verwerfung des
Gefetßentwurfes beſchloſſen wird. Dse Zeit .der bayeriſchen
National-Liberalen nähert sich ihrem Ablaufe.

Deutſchland.

Stuttgart, 20. Jan. Der von der preußiſchen
Regierung „angeſtrengte" Preßprozeß gegen den Redak-
teur des hiesigen „Beobachters“ K. Maier, kam gestern vor
dem Gerichtshof in Eßlingen zur Verhandlung. Der An-
geklagte war nicht erſchienen; ſeine Vertheidigung führte
Advokat Becher. Der heute verkündete Urtheilsſpruch lau-
tet auf: Schuldig und spricht eine ſechswächentliche Frei-
heitsstrafe und eine Geldbuße von 100 fl. aus. ~ Dem
heute zur Erde beſtatteten Murſchel widmet der „Beob-
achter“ folgenden Nachruf: „Vom dpeolitiſchen Schauplatz
war er längſt verſchwunden, aus der Welt verſchwindet
mit ihm der letzten einer von den altliberalen Volksführern,
die der württembergiſchen „Opposition“ einen Namen in
Deutschland gemacht haben. Murschels Bedeutung beſtand
nicht in hervorragender parlamentariſcher Thätigkeit, ſondern
in der Agitation, die er nach den Rezepten ſeiner Zeit
trefflich zu betreiben verſtand. Als 1848 das Volk ſelbſt
auf die Bühne trot, war er einer von Denen, welche gleich
Römer in der Feuerprobe leider nicht bestanden. Murſchel
mußte, da im ganzen Kreis der Altliberalen kein Taug-
licherer dazu erfunden wurde, nachdem er seine Koryphäen
in's Ministerium abgegeben hatte, 1848 das Kammerprä-
ſidium übernehmen; als Präſident erlebte er einen hiſtori-
ſchen Tag, da er vom Balkon des Ständehauſes die An-
nahme der Reichsverfassung zu verkünden hatte. Minder
rihmlich war's, als er wenige Wochen ſpäter dem Präsidenten
der Nationalverſammlung den Gebrauch des Ständeſaals
aufsagte, welcher jener bei ihrer Ueberſiedlung von Frank-
furt nach Stuttgart eingeräumt worden war. Die Reak-
tion der fünfziger Jahre streifte auch Mursſchel vom Tiſch,
und er ward ſeither in Volksberathungen nicht mehr ge-
sehen. Die neue Richtung, die im Jahre 1864 mit Grün-
dung der Volkspartei begann, war ihm ſchwerlich mehr
verſtändlich, aber das agitatoriſche Leben that ihm wohl,
wie einem alten Fuhrmann das Knallen. Es iſt wenige
Monate her, daß er dem Redakteur des „Beobachters“, der
einſt 1846 für ihn als Eßlinger Landtegskandidaten zum
erſtenmal iu's Feuer zu gehen hatte, über die Straße
herüber zurief: „Nur fortgemacht, ihr gewinnt's doch
noch!“ Was er in ſeiner guten Zeit geleiſtet, liegt schon
fernab hinter uns, aber wenn Schwaben seine Bürger
zählt, welche ihr Leben den öffentlichen Dingen uneigen-
nütig hingegeben haben, wird sein Name nie übergangen
werden.“

Nürnberg, 18. Jan. Dahier hatte sich auf Grund
der Berliner Statuten deutscher Gewerkvereine ein Verein
von S c uhma chern zuſammengethan, der dann ſofort für
cinen politischen Verein erklärt und polizeilich geschloſſen.
worden iſt.



* München, 19. Jan. Der dritte Ausschuß der
Kammer der Abgeordneten empfiehlt der Kammer, die Re-
gierung zu erſuchen, daß zur Unterſtütung der im Feuer-
wehrdi enſt Verun glückt en oder deren Hinterlaſsſenen
ein entsprechender Betrag ins nächſte Budget aufgenommen






 
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