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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. [259] - No. 283 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#1109

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Donnerſtag, 168. November

G C O O Ü = äÖzmm mz:

1869..







M auuh eimer Abend zeitung.

Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.









Wie „Manni eimer Abendzeitung? wird ~ mit Ausnahme ber Sonntage und Fefitage

. täglich als Abendblatt ausgegeben. - Her Abonnementzpreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne PoftauſſchlaI

UAnzeigen-Gebühr: die einſpaltige Petilzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der Expedition O. 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen PVoſtanſialten.













Was will Bonaparte ?

| Laßt Euch den Gedanken vergehen , daß er nichts
mehr will, daß er kapitulirt und gutmüthig dem ſchwel-
lenden Wasser eine Schleuſe nach der andern öffnet, einen
Deich nach dem andern durchsticht! So trank iſt er
nicht, und derart iſt seine Krankheit nicht. Wäre sein
Herz nicht so argliſtig, wir möchten sagen: er iſt beſtän-
dig geſunden Herzens.

Was will er überhaupt, abgesehen von den augen-
blicklichen Konjunkturen der Neuwahlen, des drohenden
Republikanismus, der persönlichen Krankheit ? Cine D y-
na sti e gründen, Napoleon IV. das Reich hiterlaſjen,
etwas g e gr ünd et haben, was den Namen , Napoleon“
irägt, den Titel seines berechneten Aberglaubens, des ſtets
geträumten Kaltuls.

Er hat bekanntlich keinen Blutstropfen der korsikani-
schen Familie in sich, und sein Sohn wird wieder ihm
von der boshaften Fama abgesprochen. Er heirathete eine
Aventuriere, er kündigte das Enkant die France allem
Volk an; das Enkant de France erſchien wie das Mäd-
chen aus der Fremde — und weiter erſchien nichts.

Bis zur merxikaniſchen Erpedition drohten sich seine
Absichten zu verwirklichen, nichts Bedeutendes war seinem
perfiden Ehrgeisg in den Weg getreten. Von da erhob
ſich ein Gegenſtrom mächtiger und mächtiger, breiter und
breiter, zulezkt wild. Zäsſar ſsehien abgängig zu werden
und bereits meldeten ſich die Erben, vor Allen die
lachende Erbin, die Republik. .Die Orleans wühlten nur
ſtill im Dunkeln. G

Das allgemeine Stimmrecht machte eine bedenkliche
Schwenkung, es erhob sich gegen den eigenen Patron, es
tohte wie der Löwe im Kktfig wider den ſelbſtgewissen
Bändiger, bleckte die Zähne und ſperrte den Rachen
weit 115 Da stand er und ſann. Was hat er ge-
onnen?

] Neue Gewaltmaßregeln? Thorheit!t Man macht im
selben Leben keinen zweiten Staatsstreich. Die 116 von der
Mittelpartei würden zur Revolution übergehen , und die

ganze Schichte der franzöſiſchen Geſellſchaft, welche bisher

unter dem Schutze der kaiserlichen Adler erworben und
gewuchert hat, alle jene Vergeßlichen und Unpolitiſchen,
welche ihm die zwanzigjährige Ruhe verdanken, welche an-
erkennen, was er für Frankreich und natnentlich für Paris
gethan, alle die guten Leute und zufriedenen Musikanten,
ſie wären mit Einem Schlage ins Lager der verzweifelten
Oypoſition getrieben..

Alſo das nicht! Was dann? Laſſen wir ein-
mal Alles herausſa gen, was die „Unversſöhnlichen“
auf dem Herzen tragen! Je ärger, desto besſſer. Das er-
ſchöpft sich und ermüdet Viele, uns aber bringt es
den Namen des Teleranten ein. Kreiſchen sie lange
und arg genug, ſo werden ſich Stimmen erheben, die
Ruhe fordern. Wird durch die Verzweifelten eine Emeute
hervorgerufen, so ſchlagen wir ſie im Intereſſe der „wah-
ren Freiheit“ nieder, und die „Besonuenen“ werden Beifall
klatſchen. Das wäre ja der Fall, die Geſel.ſchaft noch
einmal zu „,retlen.!“ ;

Notiren wir unter der Hand Alles, z. B. wenn Felix
Pyat den Kaiſer mit Traupmann vergleicht und er-
klärt, Bonaparte verhalte sich zu Traupmann,, wie Paris
zu Pantin. Oder wenn der „Figaro“ von der Zelle der
Maria Antoinette ſpricht, welche auf den Wunſch
der Madame Eugenie ko nſervirt werden ſoll ~ etwa
zum dherſönlichen Gebrauch in extremis. Häufen wir
_ das Maß, bis es gerüttelt und geſchüctelt voll it ; man
_ kann eine ſolche Blumenleſe vielleicht einmal gebrauchen.
Unterdessen rüctt der 29. November heran, und die Ma-
jorität derKammer wird durch ein parlamentariſches
Ministerium überrascht und entzückt, Früher war die Mg-
jorität ein Gendarmenkorps zum perſönlichen Schutz des
Herrſchers; machen wir nunmehr eine. Nationalgarde aus
ihr. welche das Geseß aufrecht erhält; das Geſet iſt ja

doch immer der Staatsstreich und die Verfaſſung von
1852 und die Thronfolge nebſt Regentschaft!

Befriedigen wir die 116 ; die Atkadier, früher unter
Louis Philipp les bornes genannt, ſtehen von ſelbſt feſt.
Dann bringen die neuen Minister etliche Reförmchen über
_ Valtl der Maires, über gerichtliche Verfolgung der Beam-
ten und dergleichen. Die Atkadier thun entsetzt, aber die
116 votiren ,liberal‘ und die Linke wird „das Gute
nicht von der Hand weisen, woher es immer käme." Wer-
den amEndegardie Minister verantwortlich, so ſchwebt der

Kranz auf dem Gebäude und der Monarch zieht sich wie









" der nackte Gott in ſeine unantaſtbare Zelle zurück. Die Ge-

richte halten Schildwache vor den „Unverantwortlichen“
und etliche gute Exempel werden die Presſe ſchon
lehren :| ...!. .

Mit Einem Worte Bonaparte, will den Kampf par-
lamentariſch beschränken und einengen. Die Straße wird
gesperrt und das Palais Bourbon soll zur Arena werden.

In Spanien q,herrſcht die Ordnung“, und Viktor
Emanuel iſt wieder fieberfrei. Der HZäsarismus hat die
Todesschrecken überstanden und wird in der konſtitutio-
nellen Form seine Teufelskünste aufführen.

So denkt Bonaparte; fragt ſich nur, was die Creig-
niſſe herbei lenken. :

Badiſcher Landtag.

** Karlsruhe, 16. Nov. 2lie öffentl. Sizung
fc. H eiten Ka m mer. Vorsitender Präſid. Hilde-



Eingelaufen : Eine Anzahl Petitionen gegen das
Virthſchaftsgesßez. + Berathung des Berichts des Ahg.
Ni ef er, den Gesezentwurf über die Beurkundung des

bürgerlichen Standes und über die Förmlichkeiten bei

Schließung der Che betr.

Abg. Mühlh ä ußer, Mitglied der Minorität der Kom-
mission, erklärt ſich gegen die obligatoriſche Zivilehe. Obwohl
er auch Bedenken gegen die bürgerliche Standesbeamtung
hege, ſo erkläre er ſich doch damit einverſtanden. Die
Frage der obligatoriſchen Zivilehe dagegen ſei ſehr wichtig
und tief eingreifend und stehe im Zuſammenhange mit
der ganzen politischen Lage, mit dem zur Zeit waltenden
kirchlichen Konflikt. Die Kirche werde durch die obliga-
toriſche Zivilehe nichts verlieren; mit ihr falle der lehte
Reſt von staatlichem Zwang zu Gunſten der Kirche; hie-
durch könne die Kirche nur gewinnen. Der Konflikt
werde indeſſen durch Einführung der obligatoriſchen Zi-
vilehe nicht gehoben, eher geschärft werden. . Das reli-
giöſe Mißtrauen im Volke werde mit Cinführung des
Gesetzes wachſen; die Furcht vor der Abschwächung der
Heiligkeit der Ehe durch das Gesetz ſei keine unbegründete.
Auch entferne ſich Baden durch dieses Geſetß, von den
übrigen deutschen Staaten. Das Richtige ſcheine ihm
die Einführung der fakultativen (in die Wahl geſtellten)
Zivilehe. ;

Abg. Ho l ß mann: Seine perſönliche Neigung würde
ihn ebenfalls zur fakultativen Zivilehe führen. Allein
bei derſelben würden die kirchlichen Gehäſſigkeiten nicht
aufhören und deßhalb sei er für die obligatoriſche Zivil-
ehe, welche dauerhaften Frieden gebe.

Abg. Lender erklärt ſich gegen die Vorlage. Seine
Ansicht will er in 6 Sätzen niederlegen: 1) Die Zivilehe
entspricht nicht dem Wesen der Che, da sie vorzugsweise
als bürgerlicher Vertrag aufgefaßt werde. Die Ehe aber
sei ein Verhältniß, in welches ſich drei Momente theilen
und in welchen das religiöse und das moralische die
vorherrschenden sein müſſen. Redner führt hier tveiter
aus, daß die Ehe von der katholischen Kirche als Sakra-
ment betrachtet werde und dieſe ihre Natur bereits in
den Kirchenvätern, z. B. bei dem heil. Augustinus ge-
lehrt werde, nicht erſt, wie der Bericht behaupte, von dem
Conelium Tridentinum aufgestellt worden sei. 2) Die
Zivilehe schädigt die Fundamente des ehelichen Verhält-
niſſes, dadurch die Familie, die Gemeinde und den Stagt.
Redner führt hier aus, daß, ſobald die Ehe nur als
Vertrag, nicht als etwas Höheres betrachtet werde, auch
die eheliche Treue wankend werde, da der Bruch derſelben
nicht mehr als Sünde betrachtet werde. 3) Gleichwohl

anerkenne er die Berechtigung der Zivilehe für Alle, welche

durch ihr Wesen befriedigt ſind. Der § 4 des Gesetzes
vom 9. Ott. 1860 habe seine vollkommene Berechtigung.

Da aber die ungeheure Mehrheit des Volkes die obli-

gatorische Zivilehe nicht wolle, so dürfe man ſie nicht
wegen einer geringen Minorität einführen. 4) In der
Wahl zwiſchen der fakultativen und obligatoriſchen Zivile
ehe gebe er der erſteren den Vorzug ; die letztere ver-

| werfe er vollſtändig. Es handle ſich, seiner Anſicht nach, |

nicht um Vollendung der Geseßgebung, sondern man habe
allerlei Hintergedanken dabei. (Stimmen: heraus!) Die
Zivilehe trete in Gegenſatß zum Chriſtenthum und alterire
die Rechte der Chriſten, ungeachtet deren Schutz und die

freie Religionsausübung durch die Geſetze proklamirt sei.

Insbesondere ſei dieſelbe ein Zwang gegen die Katholiken,

welche die Zivilehe nie als eine Ehe, sondern nur als

ein Konkubinat ansehen tönnten.
Hr. St.-M. J olly : Die beiden Vorredner hätten





die Bedeutung des Gesezes übertrieben. Seit mehr als
50 Jahren ordne der Staat die Bestimmungen über die
Ehe.. Die kirchlichen Hinderniſſe paßten nicht mehr für
unsere Zeit; sie müßten deßhalb durch ein Staatsgeſet
beseitigt werden. j

Das Staatsgeſet habe seither beſtimmt, unter welchen
Bedingungen eine Ehe aufgelöst werden könne; auch habe
das Staatsgeſet beſtimmt über das Aufgebot, unabhängig
von den Kirchen. Die Kräfte und Orgatie, welche die
Rechtsbildungen in der Che fortführen, habe nicht die
Kirche, sondern der Staat. Jett ſolle der letzte, kleinſte
Schritt gethan werden. Bisher habe der Pfarrer als
Vollzugsorgan im Namen des Staates Aufgebot und

| Trauung besorgt; jetzt solle dies ein anderer Beamteter be-

sorgen. Dieſer Schritt sei eine Nothwendigkeit geworyen
wegen der Weigerungen der kathol. Pfarrer. Gegen die
fakultative Zivilehe an ſich wende er nichts ein. Der
kirchliche Abſchluß der Che wäre dann vom Standpunkt
des Staats aus der ſubſidiäre, wenn auch thatſächlich
häufiger. Aber die Parteien können nicht frei zwiſchen
beiden Formen wählen, das erlaubt die Kirche nicht. Sie
verlangt die kirchliche Trauung. Da muß der Staat
für Rechtsverhältniſſe eine Rechtsform verlangen. In
dieser Art entſteht in gewiſſem Sinn ein Zwang, aber
keine Beeinträchtigung der Gewiſſensfreiheit. Die kathol.
Kirche habe die Vertragsnatur der Ehe immer besonders
betont. Der Vorredner (Lender) hat sogar die bloſe Zivil-
ehe ein Konkubinat genannt; iſt das Gesetz einmal rechts-
kräftig, ſo wird die Staatsgewalt Mittel finden, ſolche
Bezeichnungen unmöglich zu machen. Es liegt in der
Zivilehe nicht ein bloſes Vertragsverhältniß vor, ſondern
eine höhere Rechtsordnung. i
Mit Vorlage des Geſetes ſei ſich die Regierung deut-
lich bewußt, mit einer dem Volke seit Jahrhunderten lieb
gewordenen Sitte in Widerſpruch zu treten. Allein nach
Einführung des Geſetes werde ſich Jeder überzeugen, daß
der Religion nicht im Entferntesten zu nahe getreten werde.
Der Abg. Mühlhäußer befürchtet eine Schärfung des Kone
fliktes; das sei nicht richtig und der Abgeordnete könne
mit der ihm eigenthümlichen Klarheit dazu beitragen,
daß bei denen, die auf ihn hören, die Bedenken verſchwin-
den. Der Abg. Lender ſei von seinen angekündigten
6 Theſen zwei schuldig geblieben. Bei ſeiner Begrün-
dung könne er alle Arten von Zivilehe mit gleichem Recht
angreifen. Der kirchliche Konflikt, unter dem wir ſeit
Jahren leiden, wird vielleicht momentan durch dieses Gesetz
lebhafter, aber wir werden die Gelegenheiten zu weiterem
Streit vermindert haben. (Forts. fol.)

Bslitiſche Uebertſicht.
Mannheim, 17. November.

* Als in der preußi ſch e n Volksvertretung in den
Jahren 18621868 ein gut Stiick der deutſchen Frei-
heitsfrage zur Entſcheidung stand, da pflegten die Führer
der dortigen Bewegung gegen die Rathſchläge ihrer deut-
ſchen Genoſſen mit der Wendung ſich abzuſchließgen: Die
Dinge in Preußen ſeien ſehr besonders und könnten nur
von „Preußen“ verſtanden werden, Richtig in Einzel-
fragen war dieser Einwand im Ganzen der hochmüthige
Anfang des Großpreußenthums. Indeſſen, was der
preußiſche Liberalismus gesündigt, hat begonnen sich zu
rächen. Schlag auf Schlag iſt auf ihn hereingebrochen.
Das Volk iſt ihm entfremdet; die Regierung hat ihn ge-



knebelt. In ſich iſt er zerbröckelt nach der fog. Forts
ſschrittsparte und dem Nationalliberalismus. Jett, seit

der Abrüſtungsfrage hadert er, daß die Feßen davon
fliegen. Sie ſind aneinander, die das Vaterland einz
ander haben gehen laſſen. Sie zerfleiſchen einander, die
das Vaterland und Freiheit haben zerfleiſchen laſſen.
Die wir sterben werden, grüßen Dich, Züſar tte Wie
einſt die Gladiatoren Roms den Herrscher grüßten, zu
deſſen Augenweide ſie ſich umbrachten, ſo klingt es jezt
nach Varzin hinüber gewiß recht ſtärkend für die
krauken Nerven dessen, der ſeinen Vorſay, das Parlament
im Parlament zu vernichten, nua auch außerhalb des
Parlaments ausgeführt ſieht.

Die preußiſch e Regierung ſoll mit der niederlän-
diſchen Regierung üoer die Abtretung der inmitten
der oſtindiſchen Inseln gelegenen Banda-Insſel an den
Nordbund in Unterhandlung stehen. Es wird das Sei-
tens der Lobhudler des Nordbundes als ein „großerFort-
ſchritt“ des norddeutschen Seehandels bezeichnet und da-
hei urläuternd bemerkt: daß auf den fraglichen Inſeln
unter Anderen auch der Pfe ffer wächst.


 
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