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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 102 - No. 126 (1. Mai - 30. Mai)
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Samſtag, 22. Mai.





J u9.



Organ der deutſchen Volksparlei in











Paden.







Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag

Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

Beſtellungen bei der Expedition

C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.











Schreibebries Derer von Windek
an – Die es angeht.

„Warum in die Weite schweifen ?
Sieh’, das Gute liegt ſo nah."

] | Wir altadeligen Vollblutjunker auf unserer Burg hier
ohren lesen natürlich auch die Bad. Landeszeitung. Da
es nämlich bei den ungemein geordneten Zuſtänden des
Landes Baden nichts mehr zu rauben, zu plündern oder
zu brandſchatzen gibt, so müſſen wir uns zur Vertreibung
der Langweile aufs Leſen verlegen. Es iſt ja ſo ange-
nehm, jeden Morgen zu wissen, was es von der Tauber
bis zum See in jedem Krähwinkel Neues gibt, daß
Zrivillinge auf die Welt gekommen, ein Kalb mit zwei
Köpfen geboren wurde, ein Lebensüberdrüſsiger ſich gehentt
4nd ein Amtsrichter eine Rede gehalten habe. Alle diese
für das Volkswohl so unendlich hochwichtigen Vorgänge
geben uns viel Stoff zu Gesprächen bei unsern wenn nicht
zehn- doch neunschöppigen Humpen. Seit einiger Zeit
ireiben wir aber auch Politik und zwar mit vollem Rechte.
Auf unsern Zinnen nämlich, von denen wir vom Kaiser-
ſtuhl bis nach Karlsruhe ſchauen können, sehen wir Alles,
was im Umtreiſe vor ſich geht, und da haben wir merk-
würdige Dinge wahrgenommen. „Im Himmel regiert
unser Herrgott, auf Erden der Junker,“ so hieß unser

Grundsatz im Mittelalter, aber die ſchlechten Zeiten haben

bös daran gerüttell. Das Volk wird immer dummer
und will's nicht mehr glauben, wie gut wir es mit ihm
meinen, wenn wir ihm die schwere Laſt des Regierens
abnehmen und uns ſelbſt damit belasten. Besonders ſind
wir in Süddeutschland übel daran, wo das Volk in dieſer
Erkenntniß, die wir Liberalität heißen, noch am Weitesten
zurück iſt. Jetzt aber scheint es ſich, Gottlob, zum Beſſern
zu wenden. Unsere norddeutschen Standesgenossen haben
im Jahre 1866 unsern Grundſatß wieder zu Ehren ge-
bracht und seither beginnt es auch im Volke zu tagen.
Bereits haben ſich überall Parteien gebildet , welche ſich
die Verwirklichung unserer Ideen zum Ziele gesetzt haben;
ſie nennen ſich einstweilen national-liberal, bis ſie mit dem
wahren Namen herausrücken, was jedoch Nichts zur Sache
thut. Aber, ihr lieben Herren, wenn Ihr es doch ein-
mal nicht ohne Junker thut, warum müssen es denn ge-
rade die märkiſchen sein? Sind wir nicht eben so viel
werth, als jene s Sind wir Windeker Euch nicht näher,
ſo daß Ihr weder Kohlen zur Miquel’ſchen Lokomotive,
noch Steine zur Mainbrücke braucht! Und wenn Ihr ein
deutſches Vaterland wollt, wem könnt Ihr die Schaffung
eines ſolchen besſer übertragen als uns? Wir haben für
Deutschlands Wohl so viel gethan, als unsere märkiſchen
und pommerschen Vettern! Wir haben auch Städte ein-
geäſchert und dadurch zu neuen, schönen Bauten Veran-
laſſung gegeben ! wir haben auch unerhörte Brandſchatzun-
gen auferlegt und dadurch den Gewerbfleiß zur höchsten
Anstrengung getrieben; wir haben die Freizügigkeit im
weitesten Maße geübt und sie gegen billige Sporteln auch
Andern gestattet; wir haben auch Steuern auf
alles Mögliche gelegt, was die Landstraße daher fuhr, und
dadurch Handel und Verkehr belebt! Und bei alledem
hatten wir die billigſte Verwaltung, denn wir thaten Alles
dieß ſelbſt! Was die Stellung Deutſchlands gegen Außen
betrifft, ſo können wir uns allerdings mit unſeren nörd-
lichen Vettern nicht meſſen. Wir haben Deutſchland nicht
zerriſſen, wir haben keinen Stamm aus dem großen Hauſe
hinausgeworfen, wir haben die Welſchen nicht nach Wien
und München gehett, wir haben Luxemburg nicht ſchmäh-
lich im Stiche gelaſen + wir haben Alles dies nicht
gethan, aber, ihr ſogenannten Volksvertreter, gebt uns
Geld und vor Allem, gebt uns Soldaten, so viel wir

wollen, und wir thun es auch und noch viel mehr!

Wenn Ihr aber uns aus irgend welchen Gründen nicht
wollt, so ſind wir wenigstens zufrieden, daß unser Prinzip
ſiegt. Man muß ſich eben auf einen höheren Standpunkt
ſtellen und sagen : Der Weltgeschichte iſt es gleich, ob die
Herrſcher in Deutſchland Bismärcker oder Windeker heißen.
Vir können nur nicht begreifen, wie altberüuhmte Ger-
ſchlechter unſeres Standes mit einer Partei gehen können,

welche ſich Volkspartei nennt und ſeit Jahrtauſenden

© unſer ſchlimmſter Feind iſt! Das darf nicht ſo fortgehen !

Am 28. Mai iſt Versammlung unserer Partei in Offen-
burg; wir wollen unsern Vettern, den Cbersſteinern,
Yburgern, Bosenſteinern, Rodeckern und Schauenburgern
zu wiſſen thun, ob ſie mitgehen und rathen helfen. Das
wollen wir ſehen, ob wir nicht siegen, wenn wir feſt
zusammenhalten!







Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 21. Mai.

* Dir haben ihn!“ = den Königssessel nämlich, so
mögen jezt in Spanien die Monarchiſten frohlocken,

wenn anders die Ankündigung einer Madrider Depesche, |

daß die Diskuſſion der Kortesverſammlung über die künf-
tige Regierungsform am 20. zu Ende gehen und die
Proklamirung der Monarchie zum Ergebniß haben werde,
in Erfüllung gegangen iſt. (S. t. D.) Dem Throne fehlt alsdann
nur Cines noch: die Perſon, die ihn einnehmen oll. Die
Königsſuche kann beginnen; unter sich uneinig, ſchauen
aber von den verschiedenen Fraktionen der Monarchiſten
die einen da, die anderen dort nach ihrem künftigen Herrn
ſich um, und ist ein ſolcher gefunden, so wird er immer,
ſelbſt der Kortesverſammlung gegenüber, nur der Erwählte
einer Fraktion sein, einen neuen Zeitabſchnitt jener Par-
teienzerriſſenheit eröffnen, die dem spanischen Volke ſchon
so viele tiefe Wunden geschlagen hat. Und vollends dem
Volke selbſt gegenüber ? Allzuoft ſind in den lezen Tagen
in der Kortesverſammlung die Worte: Monarchie und
Bürgerkrieg in unheilvertündende Verbindung gebracht
worden, als daß man wähnen könnte, daß es nur Freu-
densalven sein werden, die der Proklamirung des Mo-
narchen entgegenknattern, und daß ſich nicht andere Schüſse
erheben, durch die das Volk auf die ihm dort von jeher
eigene Art seine Stimme abgibt, nachdem die Kortes-
mehrheit ſich geweigert hat, ihre Beſchlüſſe durch eine Volks-
abstimmung beſtätigen zu laſſen.

Eine andere Anschauung von der Volkssouveränetät,
als. in der spanischen Kvrtesmehrheit, herrscht in der
S < weiz. Dort haben nur wenige Kantone der jeweili-
gen Regierung und den Volksrepräsentanten das Geset-
gebungsrecht eingeräumt; in den meiſten bedürfen theils
alle, theils wenigstens die wichtigeren Gesetze, die von den
konstituirten Gewalten beschloſſen werden, der Gutheißung
einer Volksabstimmung, um Rechtskraft zu erlangen. Zu
den wenigen Kantonen, wo diese unmittelbare Volksge-
ſeßgebung bisher nicht beſtand, gehört der Kanton Bern,
und auch dort hat nun vorgeſtern der „Große Rath“
mit 117 gegen 48 Stimmen beſchloſſen, dem Volke diese
Einrichtung (in der Schweiz Referendum genannt) in
Vorschlag zu bringen. Am 4. Juli wird die stimmbe-
th Bevölkerung des Kantons über diesen Vorschlag
abſtimmen.

In der Hauptſtadht Frankreichs iſt ſeit Pfingſt-
montag die Ruhe ungeſtört geblieben; der dort verstummte
Sang der Marſeillaiſe hat ſich dagegen in den letten
Tagen in mehreren Provinzſtäßten vernehmen lassen.
So in Nismes , wo die Polizei die Sänger auseinander-
triebz in einem Orte nahe bei Bourges, wo einer Ver-
haftung durch einen Gendarmen die Befreiung des Ge-
fangenen durch den Volkshaufen folgte; in der Stadt
Thiers und gestern in Marseille, wo zahlreiche Zuſammen-
rottungen zu vielen Verhaftungen führten.

Dem Bismarck- v. d. Heydt'schen Erfindungsgeiſte iſt
es alſo in der That gelungen, noch ein Steuerpro-
jekt aufzutreiben. Wie unseren Lesern ſchon geſtern in
einem Theile der Auflage mitgetheilt, sind es dieß-
mal die Eiſeubahnfa hrkarten, worauf die Finanz-
verwaltung des Norddeutschen Bundes ihre lüſternen Augen
wirft. Nun, diese Steuer mag wohl was Erktleckliches
einbringen, zumal bei den immer lieblicher verſpürten
preußischen Segnungen die Zahl der zur Beförderung
von Auswanderern nöthigen Waggons auf ſtetige Zu-
nahme rechnen kann. Daß die miniſterielle Denkſchrift,
welche das neue Steuerprojekt ankündigt, endlich einmal
das preußiſ < e Defizit für 1868 in seinem wahren
Betrage mit faſt 10 Millionen Thalern eingeſteht, erklärt
ſich aus der Noth der Umſstände; die weitere Mittheilung,
daß auch das gegenwärtige Jahr mit einem Ausfall ab-
schließt und daß für 1870 ein Defizit von über 10
Millionen droht, wird Niemand überraschen ; ſo ſehr man
aber auch gelernt hat, über nichts mehr zu staunen , was
dort im deutſchen Führerſtaate geſchieht, ſo verdient es doch
unsere volle Bewunderung , daß die erwähnte Denkschrift
mit kühner Offenherzigkeit sich ſchließlich an die „Mit-
glieder des Reichstags“ wendet, damit „P reu-
ßen seinen Verpflichtungen“ nachkommen könne.
Alle die stattlichen Defizitssummen beziehen sich auf
preuß iſ ch e Defizite; diese zu decken, sollen die Be-
völkerungen in den verbündeten Staaten beſtmöglichſt aus-
gezogen werden. Das heißt man den ,deutſchen Beruf“"
Preußens. Die norddeutſchen Staaten stehen unter der

" „Bad. Wesztg.',



Führerschaft der Zollern; wollen wir Süddeutſchen uns
nicht auch anführen laſſen ? ;

In Sachsen hat die Volkspartei in einer Landesverſamm-s
lung beschlossen, bei den bevorstehenden Landtagswahlen
sich nicht zu betheiligen. Unter Hervorhebung des Um-
ſtandes, daß das ſsächſiſche Wahlgeſet durch Aufſtellung
eines Zenſus das Wahlrecht beſchränke und daß nur eine
aus allgemeinen und direkten Wahlen hervorgegangene
Kammer als eine Volksvertretung anzuſehen sei, fordert
ſie zur Wahlenthaltung auf, damit nun recht auffällige
Minderheitswahlen erfolgen und so das Volk über die
ihm zugefügte Rechtsvorenthaltung zweifellos klar werde.

Ueber die Ergebniſſe der geſtern in Bayern ſtattge?
habten Landtagswahlen liegen bis jezt nur vereinzelte
Berichte vor, denen wir Nachſtehendes entnehmen: Im
Stadtbezirk München, in Augsburg, Erlangen, Ansbach
und Immenstadt hat die national-liberale; im Landbezirk
München, in Wasserburg, Donauwörth, Kelheim die klerikale
Partei alle ihre Kandidaten durchgeſezt, in Würzburg
sind die Wahlen auf liberale Großdeutſche; in der bayer
riſchen Rheinpfalz auf die Kandidaten der National-Liberalen
gefallen. Die zur bayerischen Mittelpartei zählenden Kan-
didaten glänzen in den bisher eingelaufenen Berichten faſt
durchaus durch Abwesenheit.

Deutſchland.

* Karlsruhe, 21 Mai.
Sekretär bei dem Verwaltungshof in Bruchsal, Joh. Nep.
Kupferſchmitt, iſt wegen leidender Gesundheit ; der Buch-
halter bei der Weiber-Strafanstalt in Bruchsal, Karl
Friedr. Schlotterbeck, bis zur Wiederherſtellung seiner Ges-
sundheit in den Ruhestand versetzt worden.

Der Staatsanz eig er Nr. 18 enthält eine Bes
kanntmachung : Die Vorbereitung zum öffentlichen Dienſte
in der Verwaltung und freiwilligen Gerichtsbarkeit betr.
Dieselbe sagt : Sobald die Zahl der Assistenten, zu deren
Anstellung als Notar das Jusiizminiſterium ermächtigt iſt,
erschöpft sein wird, so können nur Referendäre als Notare
angestellt werden. Da dieß bald der Fall sein werde, ſo
sei es nothwendig , den Vollzug dieſer Anordnung jett
schon vorzubereiten. Zu dieſem Zwecke werden Referenz-
däre , welche wünschen, als Notare angestellt zu werden,



Amtliches. Der

aufgefordert, binnen 4 Wochen bei dem Juſtiz-Ministerium
ſich zu melden; sie werden mit Jahresgehalten von je
700 fl. tüchtigen Notaren zugewieſen werden, um durch
praktische Uebungen die Kenntniß der Gesſchäftsformen zu
erlangen. Die Annahme einer Anstellung als Notar
wird nicht als Verzicht auf die Richterlaufbahn, sondern
als eine erſprießliche Vorbereitung für diesen Beruf be-
trachtet, und der Uebertritt der künftigen Notare in dieſen
Stand unter den gleichen Vorausseßungen erfolgen, unter
denen er aus andern Zweigen der Rechtspflege ſtattfindet.
Gleichzeitig werden jene Notare , welche bereit sind, unter
den angegebenen Bedingungen Referendäre in ihren Schreib-
ſtuben zu beſchäftigen , aufgefordert, dies dem Justiz-
ministerium anzuzeigen. ~ Dem Notar Basler in Eigel-
tingen wurde gestattet , ſeinen Wohnſit nach Stockach zu
verlegen. – Thierarzt Oßwald in Waldürn wurde zum
Bezirksthierarzt für den Amtsbezirk Walldürn ernannt.~-
Für die Imperial-Feuerverſicherungs-Gesellſchaſt in London
wurde Kaufmann Kasimir Kaſt in Mannheim als General-
sqy U L rutuuhetä . Großpreußen
so AA. .
aller Schattirungen „brennt die Zeit auf dem Daumen-
nagel." Am Sonntag iſt große mmm
senburg, und noch hat Keiner die „Mittel und Wege“ gez
funden, wie ſich ein Abkommen zwischen m
Liberalnationalen und Miniſteriellen für ein zeitweiſes
Zusammengehen treffen ließe. Später, ſo meint die
könnte man ſich ja wieder „über die
Köpfe schlagen“ : jezt handle es ſich darum, die Gegner

der Verpreußung des Landes zurückzudrängen urtd die

Verpreußung zu fördern. Jeder, dem hierüber vor Sonn-
tag etwas einfallen sollte, iſt von der „Bad. Ldsztg.
aufgefordert, sich zu melden. Es iſt Noth in ~ Offen-
burg! Doch ein lehßter Troſt iſt ihm geblieben. Die
Mannheimer 130 werden helfen. Der „Bad. Beoh.“
zählt heute auf, daß er viele der 130 Namen schon bei
den verſchiedenſten, sich geradezu widersprechenden poli-
tiſchen Kundgebungen kennen gelernt habe und dieß von
1848 bis 1869. Wer ſo Bieles vermag, wird auch das
Eine noch vermögen, die drei genannten Richtungen des
Großpreußenthums in Baden ad hoc zuſammenzu-
schweißen. Vielleicht, daß sie noch mehr erreichen. Von








 
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