Die „Mannheimer Abendzeitung" wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täg
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Organ der deulſchen Volksparlei in Paden.
1369.
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15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten. é
Serrano.
| An wen erinnert auch doch dieser ſpaniſche Hidalgo,
dieser Bramarbas und Eiſenfreſſer, ohne den Zeus ſelbſt
die Titanen nicht niedergezwungen hätte 2 . Doch der Leser
weiß nicht genau, was ſich am 24. April in der Sitzung
der Kortes zu Madrid begeben hat.
Ein. Progressiſt (Fortſchrittspartei), von der Sorte
Prim, Roja Arias , wäscht dem Patriarchen von Indien
den Kopf, weil er sich unterſtanden, seine von der Junta
von Madrid ausgeſprochene Abſeßung nicht hinzunehmen.
Ein Regierungsmann riskirt die tölpelhafte Behauptung,
die Junta habe kein Recht zu jener Absetzung gehabt.
Worauf Garrido , der Republikaner , der nicht so allein
ſteht wie Johann Jacoby : „Wenn ihr das Recht der
Junta leugnet, ſo leugnet Ihr Euch selbſt!“ Sonnen-
klar, denn dieſelbe Junta hat die proviſoriſche Regierung
gemacht, den Bramarbas Serrano, den Hanswurſt Prim
und die Theerjacke Topete.
Nun erhebt sich Romero Giron, auch von der Fort-
ſchriltspartei, und schlägt ein energiſches Tadelsvotum
gegen den Patriarchen vor. Wird unterſtützt von allen
Republikanern, Fortſchrittlern und monarchiſchen Demokra-
ten, Sorte Rivero. Zwei Drittel der Regierungemehrheit
gehen zu den Republikanern über; diese bigotten Spanier
verſtehen keinen Spaß mit der Mühler - Stiehl - Veit-
Knactkerei.
Serrano, der Eiſenfreſſer, wirst sich in die Breſche;
er droht , ſeine Entlaſſung zu nehmen. Aber die unge-
heure Mehrheit, Nationalliberale, Fortſchrittler, walachiſche
Demokraten, frißt nicht ſo aus der Hand wie anderswo,
ſie ruft: „Er kann gehn!“ Ja,- als Garcia Lopez ruft:
„Gehen Sie-mit Gott (sir Körrig urid Baterlansy, Ert
zellenz!“ erhebt sich stürmischer Beifall von diesem entarte-
ien Parlamenlsgeschlecht. ;
Bramarbas Serrano , rathlos , kopflos, hilflos, speit
Herausforderungen in das empörte Meer. Garcia Lopez
und der ſpaniſche Louis Blanc, der nicht aus der Art
geſchlagen : „Sparen Sie ſich dergleichen Soldaten- (oder
Küraſſier-) Stückchen!“ Serrano , der Bramarbas , den
unſer alter Andreas Gryphius Horribiliſkribifar nannte,
was die Franzoſen Ratapoil ausſprechen: „„In dieſer
Kammer geht es zu wie in einem B '
Das war der Punkt, wo der Becher überſchäumte
und der Wein auf den Boden lief. Rivero, der Präsi-
dent: „Hr. Präsident der Cxekutivgewalt! ich entziehe
Ihnen das Wort. Wofern Sie nicht schweigen, hebe ich
augenblicklich die Sitzung auf." ~ Serrano ſchweigt.
Die Kammer hat ihre Souveränetät behauptet. Zwei
Generale nähern ſich dem Eiſenfreſſer und bitten um Be-
fehle , die Sache draußen abzumachen , nämlich mit Blut
und Eiſen , was so der Herren Metier und Gewohnheit
iſt. Aber Serrano sieht die furchtbare Majorität gegen
ſich, den Prim neben ſich, und von der Armee gar viele
Regimenter, die abwesend, d. h. in Kuba ſind.
. . . . . .
Tode des Kaisers Nikolaus abberufen wurde.
Er zieht vor, um Entschuldigung zu bitten : der Mi-
litär beugt sich vor dem Zivil. Prim, der lächelnd sein
Spiel spielen ſieht, bittet die Kortes, den Antrag gegen
den Patriarchen zurückzuziehen. Serrano verspricht, in
14 Tagen genaue Auskunft über die Mühler-Stiel-Veit-
Knatkerei zu geben und ſelbſt Caſtellar, der Republikaner,
zieht seine und der Partei Unterſchriften zurück.
So machen sies in Spanien mit der Regierung,
welcher ein gewiſſer deutscher Gesandter so emſig hofirt ;
die Triumvire , die man für Königsmacher hält , machen
vielmehr dem souveränen Volke Reverenz.
Im ersten Augenblicke denkt man, die Majorität hätte
den Antrag aufrechterhallen und so der Regierung die
Wege und die Thüre weisen ſollen. Wir können Das
aus der Ferne nicht beurtheilen; aber der größere Sieg
beſteht jedenfalls in der Demüthigung Serrano'’s, der ſich
am Lüängsten zugeknüpft hielt und den „Staatsmann“
noch am Erträglichſten simulirte. Topete war längst als
Tapps erkannt, Prim als Intrigant durchschaut. Jett
hat Prim ſogar den Serrano gerettet, was dieſer ihm
nie verzeihen wird. Und der Montpensier, der auf Ser-
rano’'s Schultern lag, iſt ins Bodenloſe gefallen.
Vermuthet der Leſer jezt, daß Serrano uns an Je-
manden erinnern muß. „Zugeknüpft, stramm, staatsmän-
niſch“, so lange es geht; im entscheidenden Augenblicke
ſeiner nicht mächtig, polternd, heraussordernd, tobend, un-
gezogen. Er hat einmal „Erfolg“ gehabt und renommirt
beſtändig mit diesem „Erfolge“ ; er hält ſich für unent-
behrlich und glaubt nur drohen zu dürfen: „Ich gehe !“,
] so muß Alles zu Kreuze kriechen und Fortschritt und
Nationalliberalismus müſſen wimmern : Es war ja nicht ſo
schlimm gemeint, es ſollle ja kein Mißtrauensvotum ſein!
Nur die Kortes erinnern uns an gar nichts, an keine
Versammlung, weder aus dem allgemeinen Wahlrecht, noch
aus dem Dreiklaſjen-Syſtem. Sie ſind beispiellos ver-
derbt , ruchlos ohne Erempel. Cine Minorität wie die
der spaniſchen Republikaner wird ſtets auf die Dauer den
Sieg davon tragen, weil ſie weiß, was sie will, und
will, was sie weiß. Mit hoch im Winde flatternder
Fahne zicht sie in den Strauß wider Bajazzo, Bramar-
bas und Theerjacke, wider Generale und Patriarchen,
Soldaten und Pfaffen. Sie kann ruhig abwarten, wer
sich zu ihr gesellt; ſie iſt die Armee der braven Leute.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 4. Mai.
* In Petersburg iſt am 1. dieß ein zur Zeit des
Krimkriegs vielgenannter Mann, der Admiral Fürst
Meniſchikof f geſtortben. Ein Urenkel jenes Paſteten-
bäckerjungen, den Peter der Große zu den höchſten Würden
erhob, im Jahre 1789 geboren, hatte er nach frühzeitigem
Eintritte in die Armee bereits mehrere hervorragende
militärische und diplomatische Stellen eingenommen, als
ihn das Jahr 1853 zu einer europäiſcehen Berühmtheit
machte. Man erinnert sich des brutalen Auftretens, wo-
mit er damals, in Paletot und ſchmutigen Juchtenstiefeln,
dem feierlich versammelten Divan das Verlangen seines
kaiserlichen Herrn nach dem Protektorat über alle grie-
chiſchen Chriſten in der Türkei kundgab, welches barsſche
Benehmen ein gutes Theil dazu beigetragen hat, daß die
Pforte , nachdem ſie ſich der Gutheißung der Weſltmächte
versichert hatle, das ruſſische Ultimatum ablehnte. Wäh-
rend des in Folge hievon ausgebrochenen Krieges hat
Mentſchikoff als Gouverneur der Krim fungirt und das
Mititärkommando in Sebaſtopol geführt, bis er nach dem
Seitdem
hatte er in Petersburg gewohnt und ſich nicht weiter her-
vorgethan. Mit ihm hat das Altruſſenthum einen fana-
tiſchen Anhänger und die abſolutistiſsche panſlawistiſche
Partei einen ihrer Hauptführer verloren.
Die Kortes in Spanien haben am 1. ein Amnestie-
dekret für alle Theilnehmer an den Aufständen von
Kadix , Malaga und Xeres beschloſſen. Eine würdige
Vorfeier für den auf den 2. Mai gefallenen Gedächtniß-
tag der drei ſpaniſchen Offiziere, die ſich im Jahre 1808
in Madrid dem französischen General Lefranc, als er
das dortige Viertel Monteleon beſegen wollte, an der
Spitze einer kleinen Schaar entgegengeworfen und bei
ihrem kühnen Wagniß den Tod gefunden haben. An
der Stelle, wo sie gefallen, auf dem ſchönſten Theile des
Prado , steht eine zum Gedächtniß errichtete Säule , die
den Namen Dos de Mayo fuhrt und alljährlich der
Schauplay einer Huldigungsfeier iſt. Auch vorgesſiern
haben militärische und bürgerliche Aufzüge die Erinnerung
an den 2. Mai 1808 wach erhalten. Das Jeſt iſt ohne
alle Störung verlaufen.
Mitunter wohl verſteigt sich die Mehrheit des Nor d-
bundsreicht ages zu einer Oppoſition gegen Bismarck-
ſchen Willen. Es ſind meiſt ungefährliche Anläufe der
nach Bewahrung des Scheines ringenden Vertreter , die
bei diesen Beſchlüſſen im Voraus wohl wisſen , daß der
Bundesrath dieselben lahm legen und die Dinge so ein-
richten wird, wie der Bundeskanzler es verlangt. Heute
haben wir ausnahmsweise etnen oppositionellen Beſchluß
des Reichstags in einer Angelegenheit zu berichten, in der
ſeine Eniſſcheidung die endgiltige iſt. Gar eindringlich hatte
Graf Bismarck befürwortet, daß der in Gladbach verhaf-
tete Reichstagsabgeordnete Mend e in der Gefangenschaft
belaſſen werden möge, und doch ~ „wahrlich so iſt's,
man hat's uns geschrieben“ ~ hat der Reichstag geſtern
auf Antrag Bennigſens mit 107 gegen 90 Stimmen
die sofortige Haftentlassung seines Mitgliedes beschlossen.
Wir haben kürzlich angezeigt, daß der nach Kassel
ausgeschriebenen Generalverſammlung des deutschen Tabak-
vereins Vorbeiprechungen an mehreren Orten vorangehen
werden, um bezüglich der Mittel zur Abwehr der Tabak-
ſteuererh öhu ng ekn vorläufiges Einverſtändniß zu er-
in Berlin unter Theilnahme von beiläufig 200 Inter-
eſſenten abgehalten worden und hat zu Annahme einer
Resolution geführt, in welcher nach Aufzählung der Er-
wäguugsgründe der Entschluß ausgeſproehen iſt, mit allen
zielen. Die erste dieser Versammlungen iſt am 28. April f
in Bezug auf Bau , Fabrikation und Handel mit Tabak
dermalen in Deutſchland bestehenden Verhältnisse hinzu-
wirken und im allgemeinen Interesse jedes finanzielle Ex-
periment zu einer Aenderung derſelben zu bekämpfen.
Eine intereſſante Erinnerung weckte ein Theilnehmer der
Verſammlung, indem er auf die Erklärungen verwies,
womit im Jahre 1856 ein Antrag auf Erhöhung der
Staatseinnahme aus Tabak vom Miniſtertiſche aus bes
kämpft worden. Damals war von den Regierungskom-
misſären klärlichſt dargelegt worden, daß der Tabakskonſum
durch eine Erhöhung der Tabakſteuer bis auf die Hälfte
herabgedrückt, daß die nolhwendig werdende Verſchärfung
der Grenzkontrole übermäßige Koſten verursachen, daß eine
ſtarke Besteuerung des Rohproduktes namentlich ein für
Deutschland ganz unmögliches Ding Fei 2c.. Und jeht.
Freilich Defizits-,, Noth kennt kein Gebot !‘. Auf die
norddeutschen Vertreter hat darum auch die Verſamm-
lung laut vielen Aeußerungen kein großes Vertrauen ge-
ſezt ; ihre Hoffnungen auf Abwehr der Tabakſteuerer-
höhung stützten ſich vielmehr nur auf die sſüddeutſchen
Mitglieder des Zollparlamentes , die, wie ein Redner be-
merkte , „nicht neue Steuern für preußiſche Militärzwecke"
bewilligen würden. An das Zollparlament soll denn auch
nach einem weiteren Beſchluſſe der Versammlung eine
Petition ergehen, zu welcher durch ganz Deutſchland ~
man höre, wie das „ganze“ Deutschland in Berlin wieder
zu Ehren kommt Unterſchriften gesammelt werden
sollen. Vom Abg. Fritzſche, der als Vertreter der Ar-
beiter an der Verſammlung Theil genommen, wurden
vorweg die Unterschriften von 10,000 Cigarrenarbeitern
in Aussicht gestellt. " §
Als ein zweckentiprechendes Formular fir Lehrers
Kond uite - Liste n mag dem preußiſchen Kultusminiſter
(und vielleicht auch anderen) das im Fürſtenthum Lippe
eingeführte beſtens empfohlen werden. Dort iſt in der *
Buchhaltung, die über die guten Sitten der Lehrer geführt
wird, das nachstehende runde undnette Duyend Fragen auf-
geſtellt: ,„1) Lieſt der Lehrer Zeitungen und welche?
2) Wer ſind seine Mitleser ? 3) Welches iſt ſeine sonſtige
Lektüre? 4) Trägt er einen Schnurrbart ? 5) Wie kleidet
er ſich? 6) Beſucht er Wirthshäuſer und welche ? 7) Ge-
hört er Vereinen an und welchen? s) Wie wählt er?
9) Beſucht er die Kirche fleißig ? 10) Kegelt er Sonn-
tags ? 11) Beſucht er Missions-, Enthaltſamtkeits-, Bibel-
und nher: Feſte? 12) Trinkt er auch Bier, Brannt-
wein?“ t .
Der letztverfloſſene 1. Mai veranlaßte die Neue Fr.
Pr. zu einem Rückblick auf den gleichen Tag, an welchem
vor 8 Jahren die kaiserliche Thronrede bei Eröffnung des
auf Grund der zentralisirenden Februarverfaſſung berufez
nen erſten Reichsrathes O eſter reich's der konstitutionellen
Entwicklung einen ſtetigen Fortschritt und der Vereinigung
der Völker des Kaiserſtaates den Triumph einer neuen
glücklichen Zeit verheißen hatte. Die Verheißung iſt in
ihren beiden Theilen unerfüllt geblieben : statt des ,ſteti-
gen“ Fortschritts hat die konjiitutionelle Freiheit einen
nicht kleinen Theil der acht Jahre hindurch in Folge der
Siſtirung der Reichsverfaſſung einen Stillſtand erlitten,
und der zentraliſsirenden Februarverfasſung iſt durch den
Ausgleich mit Ungarn die jetige dualisſtiſche Verfaſſung
gefolgt. Den Grund der erlebten Täuſchungen und des
Mißvergnügens, womit in jedem Stadium der Wand-
lungen das jemals Geschehene betrachtet worden , findet
die N. Fr. Pr. vornehmlich in dem Umſtande, daß „Alles,
was geschehen, ſtets um einen Tag zu ſpät gethan“ wor
den ſei. Mahnend erhebt ſie darum ihre Stimme, nicht
wieder in diesen Fehler zu verfallen, ſondern das
dringendſle Zeiterforderniß, die Einführung diretter Reichs-
tagswahlen, ungeſäumt zu befriedigen. Möge, fügen wir
bei, dieser Ruf nach Wahlgeſeyreform, die
Ueberzeugung von der Nothwendigkeit und Unaufschieb-
lichkit allge meiner direkter Wahlen auch im
Badener Land und Volk endlich mit aller Energie durch-
dringen und möge ebenso die Aufforderung zu unabläsſi-
gem Ausdauern beherzigt wecden, womit das Wiener
Blatt seine Umschau über die gegenwärtigen Zustände
des Kaiserſtaates folgendermaßen ſchließt : „Im Kampfe,
den der Haß gegen Bildung und Freiheit wider uns
ührt, brauchen wir nur Ausdauer zu haben, um des
Sieges gewiß zu ſein. Ausdauer erheiſcht die sorgſamſte
Pflege. Dafür gibt es keinen wirtſameren Hebel als den
Fortschritt. Rohheit, Unbitdung, Unfreiheit zeigen ihre
Ausdauer in ſtumpfer Trägheit, im indolenten Beharren.
zu Gebot ſtehenden Mttleln für Aufrechterhaltung der
Die Freiheit bethätigt Ausdauer in unabläſſiger Arbeit,