J 115.
Organ
der
Sonntag, 16. Mai.
deulſchen Volksparlei in
1869.
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Paden.
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Bis hieher und nicht weiter!
Bis hieher und darum weiter!
N.C. Die rückläufige Bewegung der Bismärckerei hat
begonnen. Mit gerechter Freude ſprechen wir's aus : die
Dinge im Süden ſind zum Stehen gekommen; wir fürch-
ten keinen Fortſchritt der Verpreußung mehr; wir stehen
vor der Möglichkeit, die Verpreußung, soweit sie einge-
drungen, hinauszuwerfen über den Main; wir stehen au
der Arbeit, diese freudige Möglichkeit zur froheren Wirk-
lichkeit zu erheben.
Damit Niemand ſich überhebe, fügen wir wahrheits-
getreu hinzu : Nicht der eigenen Kraft zunächſt verdankt
der Süden dieſes Glück; um nur erst den Norden ver-
preußen zu können, mußte die Politik Bismarck ſich in
Paris und Biarritz ſelbſt die Ruthe binden, die andre
Hälfte Deutschlands zu verſchonen. Bei der ſtillen Hoff-
nung, das Weitere werde sich dann von Fselbſt machen,
werde höchſtens einer kleinen Rachhilfe durch eine beförde-
rungsſüchlige Bureaukratie, einen ſchwahſüchtigen Parla-
mentarismus und ſonstiges geiſtesarmes Bettelpreußenthum
bedürfen, war die Rechnung ohne den Wirth gemacht.
D. h. ohne die Volkspartei. Denn Deſſen allerdings darf
die Volkspartei ſich rühmen: das Zeichen zum Widerſtand
trol; Alledem, das Beispiel zum Ausharren trot Alledem:
— Das hat ſie gegeben, Das ist uns ein gerechter Stolz.
Aber, so freudig wir Das empfinden, gar jämmerlich wäre
es um Stolz, Ehre, Zukunft dieser unsrer Partei bestellt,
wenn wir nicht den Verſtand und die Kraft hätten, über
dieſes negative Resultat hinaus zu einer positiven Erfül-
lung unſrer vaterländiſchen Pflicht zu gelangen und aus
diesem Baden, Württemberg, Bayern, die vor der Zollerei
gerettet sind und fich gerettet haben, ein Stück Deutſch-
land zu ſchaffen, vor welchem die Zollerei ſich nicht soll
retten können und von welchem aus Deutschland gerettet
wird von Zollern.
Die Unhaltbarkeit des jetzigen Zuſtandes in Süd-
deutſchland ſühlt Jeder, Freund wie Feind ; ſie iſt eine
ſo unbeſtreitbare Thatsache, daß sie unbestritten ist.. Dreier-
lei Möglichkeiten liegen vor dem Süden: der Zufall, Das
iſt der Ausgang der Sinnlosigkeit ; die Verpreußung, Das
iſt der Ausgang der Ehrloſigkeit; die freiheitliche Födera-
tion, Das iſt logisch, iſt ehrenvoll, ist ſichre Rettung.
Wir kannten und wir kennen nur den lezten Weg. Wir
haben dieſen Retttungsgedanken hingestellt unmittelbar
nach dem vaterländiſchen Sturz; wir haben ihn feſtgehal-
ten bei aller und trog aller moralischen Zerſchmetterung,
die ſich nach diesem Sturz auf die Gemüther lagerte, und
unſrer Treue Lohn iſt nun, daß wir jett von dem wie-
dererwachten Geiſte der ſüddeutſchen Bevölkerungen, die
ſich den Alp der Bismärckerei abgeschüttelt haben, die Ver-
wirklichung des Gedankens hoffen dürfen. Verändert hat
ſich in all den drei Jahren an unserm Programm und
unsrer Taktik - Das glauben wir im Sinne der ganzen
Partei ſagen zu können ~ nur das Cine, daß wir ſelbſt
auf die entfernteſte Möglichkeit, von den gegenwärtigen
Regierungen etwas zu erwarten, nicht mehr rechnen. Das
Schicfſal, seine Regierungen niemals in freier Initiative
zu rechter Zeit dus Rechte thun zu sehen, scheint das
deutsche Volk nach 1866 wie vor 1866 durchkoſten zu
sollen bis in die lezte Konsequenz.
Der innerſten Natur des föderativen Gedankens ent-
ſprechend, hat die Volkspartei auf die so wirkungslose
wie mit dem verderblichen Schein einer Wirkung täuſchende
Agitation mittelst eines leitenden Komite's u. dgl. ver-
zichtet; ſie hat warten müssen, daß in den Einzelländern
die Partei ſich wieder finde und aus ſich ſelbſt heraus
die zu einer gemeinsamen Agitation nöthigen Faktoren
dem gemeinſamen Gedanken entgegenbringe; ſie hat die
Verſuche ablehnen müssen, etwa von Stuttgart aus nach
Baden und Bayern hinein Politik zu machen. Nun ſteht's
anders. Die Bewegung in den Nachbarländern iſt endlich
zu greifbarer Gestalt gelangt, und wenn ſie auch zunächst
mit rein inneren Fragen beschäftigt iht + es gibt kaum
noch rein innere Fragen, und jedenfalls drängen die ein-
ſchneidendſten, entſcheidendſten dieser Fragen von ſelbſt in
die deutſche Frage, in die Frage des rettenden Volksbun-
_ des hinein.
| Dieſe Bewegungen, meinen wir , würden ihr
Bestes verfehlen, wenn man nicht die unverkennbar gün-
ſtige Gelegenheit benütte, die sie zu einer deutschen Agi-
tation in unserm Sinne bieten. Was beherrſcht die Ge-
miüther, was die Lage der Dinge !! Die Frage der Steu-
ern und Laſten, die Frage ihres Zweckes oder ihrer Zweck-
loſigkeit, die Frage der Eriſtenz, ohne erdrückt zu werden
vom Mllitarismus, die Frage der Zukunft, ohne zerdrückt
zu werden zwischen dem Cäſarismus. Damit iſt man
unmittelbar im rettenden Süd b und der Freiheit.
Damit hat man zugleich den beſten Rückhalt für die los
fale und partikulare Agitation. Die Nöthe wie die Ret-
tungen verstärken einander in ihrer Wirkung.
Die Dinge greifen ineinander, die Gemüther ſind im
Zug. Das iſt ein Zuſammentreffen günstiger Umstände,
welches ja zu benutzen wir unſere Parteigenoſſen dringend
auffordern, damit die erſte lokale Grundlage geschaffen
werde, welche für die hoſſentlich bald einzuleitende allge-
mein-ſüddeutsche Agitation die unentbehrliche wie die ein-
zige, die leßte Vorbedingung ist.
(Ein äußeres Moment kommt hinzu. Als wollte uns
der liebe Nordbund ausdrücklich hilfreiche Hand reichen, ſo
enthüllt er grade jezt mit den neuen Steuerforderungen
seinen wahren Charakter. Mitten in die badiſche und
bayeriſche Bewegung hinein ~ wie ausgerechnet! — wirft
er das blendende Licht seines Si ebengeſtirns von
neuen Steuern! Das wahrlich nennt man den Leu-
ten ein Licht aufstecken. Sieben neue Steuern oder Er-
höhung von Klaſsen- und Einkommensteuer um die Hälfte,
wie Bksmarck-Heydt nicht anstehen zu drohen — Das
wird reichen, um alle Grof und Bettelpreußen abzufüh-
ren und dem Volke an ſemner empsindlichsten Stelle be-
greiflich zu machen, daß wir's anders machen müssen.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 15. Mai.
* Marseillaiſe, M1rſeillaiſe: so tönt's , wie aus den
geſtrigen , auch aus den heutigen Berichten aus Paris.
Bei den Vorfällen vor dem Theater Chatelet und auf
dem Baſtillenplaj (über welche wir an einer anderen
Stelle dieses Blattes Ausführlicheres mittheilen) von
Tauſenden angeſtimmt, hat der berauſchende Sang dieſes
Revolutionsliedes seine Tonwellen in der französiſchen
Hauptstadt ſchon weiter fortgepflanzt. Dießmal, am
18. Abends, waren der Zirkus Napoleon, die mediziniſche
Schule, der Baſtillenplag und die benachbarten Boule-
vards die Konzertſäle, in denen Bürger, Arbeiter und
Studenten das Lied der Marfeiller sangen , bis berittene
Munizipalgarden ſtatt des Taktſtockes den Säbel ſchwangen.
Verhaftungen und Verwundungen waren die gewohnte
obligate Begleitung der gewaltsam herbeigeführten Stille;
der Stille vielleicht, die dem Sturm vorangeht. In
wenigen Tagen werden die Franzoſen an die Wahlurnen
treten: iſt der Sang der Marseillaſe ~ zumal wenn
zwischen ihn hinein, wie es in Paris der Jall iſt, Hoch-
rufe auf die Republik ertönen ~ nicht auch eine Be-
nützung des sukkrage universel, eine ungefälschtere, als
die von Napoleon diktirte ?
In Spanien haben gestern die Kortes die Bera-
thung des auf die Regierungsform bezüglichen Artikels
des Verfaſſungsentwurfes begonnen. Eine Depesche mel--
det mit telegraphischer Kürze, , daß Orense eine dreiſtün-
dige Rede für Einführung der Föderativ-Republik gehal-
ten habe, daß aber die Verwerfung seines Vorschlags zu
erwarten sei. Die Erfüllung dieser Vermuthung iſst
bei der Mehrheit, welche die Monarchiſten in den Kortes
besitzen, kaum zweifelhaft : das Königthum wird dekretirt
wrrden. Wird es aber auch eine Wahrheit werden ?
Hören wir hierüber die Ansicht eines Madrider Bericht-
erſtatters, der dem Pariser „Moniteur“ schreibt: „Wenn
die monarchiſche Staatsform beſchloſſen sein wird , wer-
den die Unioniſten und einige Ueberläufer den Herzog
von Montpensier ausrufen, während die Republikaner
und Demokraten sich Dem jedenfalls widerſezen werden.
Bleibt zu wiſſen übrig, wer den Sieg davon tragen wird.
In Madrid befinden sich 20,000 Mann ausgezeichneter
Truppen, welche man in 24 Stunden mittelſt der Ciſen-
bahn auf jeden bedrohten Punkt des Landes werfen
kann, sei es nun Saragoſſa, Barcellona oder Sevilla.
Allein Madrid bleibt dann vollständig in der Hand der
20 Bataillone der Nationalmiliz. Wird diese Miliz ſich
für Montpensſier oder für die Republik erklären ? Welcher
Seite wird sich der populäre Bürgermeiſter Madrids,
Herr Rivero, der über dieſe Miliz verfügt, zuwenden, den
ÜUnioniſten oder den Demokraten? Das ist das Unbe-
kannte und gerade dieses furchtbare Unbekannte hat bis
jezt die Kriſis verſchoben , welche Jedermann im Lande
seit Langem vorausſieht.“
Die nächste Nummer erſcheint am Dienſtag-
Deutſchland.
* Karlsruhe, 15. Mai. Amtliches. Die Porte-
peefähnriche K. Roſt im 6. Inf.-Reg. und von Wäuter
im 5. Inf.-Reg. wurden zu Seconde-Lieutenants beför-
dert, und nachbenannte Offizier-Aſpiranten zu Portepeez
fähnrichen ernannt: Gefreiter A. Knaus im 6. Inf.-
Reg., Musketier H. L. Muth im 5. Inf.-Reg., Gefreiter
A. Paris im 2. Drag.-Reg. , Füsilier H. von Soiron
im 2. Inf.-Reg. und die Grenadiere C. Graf v. Andlaw,
H. m. ' gruch ' qu i (1) §eib-Erer Meg.
Vertrauens ye. ift qlücklich vom [Y worst eth.
Einhun dert und dre ißig treten der allseitig erhobe-
nen Forderung : „die Kammern aufzulöſen und zur
Schaffung eines neuen Wahlgeſeßes a uf Grund des all-
gemeinen und direkten Wahlrechtes sofort einen außeror-
dentlichen Landtag zu berufen“ entgegen; 130 erklären
die von Tauſenden ausgeſprochene Behauptung: „daß
die Politik unseres Miniſteriums auf Ziele gerichtet ſei,
welche den Anschauungen und dem Charakter unseres
Volkes widerſtreben“ für unwahr; die 130 ſehen aber
klüglich von der Frage der Wahlreform und ob das all-
gemeine und direkte Wahlrecht einen reineren Ausdruck
des Volkswillens ermögliche, „hier ganz ab“ fie halten
ſich bei solchen Kleinigkeiten nicht auf, sondern wölben sich
in ,ſelbſtverleugnender Vaterlandsliebe" als mächtige
Stützen zu dem ,ſchwierigſten Werk eines Volkes" ; zu dem
Aufbau des preugßiſchen Einheitsſtaates, den ſie
für Glänbige geſchicktt in den „auf Einheit und Freis -
heit gegründeten Bundesſtaat“ übersetzen. Wer jeßht. >
nachdem die 180 gesprochen ~ nicht überzeugt iſt, Dem
iſt nicht mehr zu helfen!
* Mus Baden, 15. Mai. Wir wollen das all-
gemeine und direkte Wahlrecht, um die wahre Stimmung
des Volkes zur Geltung zu bringen, die sich gegen die
Haltung des gegenwärtigen Ministeriums, gegen die er-
ſirebte Verpreußung unseres Landes erklärt. Die Mini-
ſteriellen wollen auch die Wahlreform, aber erſt, wenn wir
an den Nordbund angeſchloſſen, wenn die Verpreußung
vollzogen iſt. So liegen die Verhältniſſe. Was geht
daraus hervor? Unzweifelhaft, daß die große Mehrheit
des badischen Volkes gegen die Verpreußung gestimmt iſt,
denn, wenn der Fall nur einigermaßen zweifelhaft wäre,
so würden die badiſchen S warz weiß e n den Versuch
wagen und ebenfalls für die sofortige Einführung des
allgemeinen und direkten Wahlrechtes eintreten, um durch
daſſelbe ihren Zweck zu fördern. Das darf man nur
feſthalten, um die ganze, jeßt durch Baden gehende Be-
wegung in einem Blick zu überſchauen und zu erkennen,
daß alle Diejenigen, welche gegen die ſofortige Cinführung
des bezeichneten Wahlrechtes auftreten, uns an Preußen
anſchmieden wollen; an das Preußen, das vor zwanzig
Jahren die Bewegung für die freiheitliche und nationale
Wiedergeburt Deutſchlands niedergeſchlagen, das im alten
Bundestage mitgewirthſchaftet hat, bis es ſich ſtart ge-
nug glaubte, ſich an deſſen Stelle zu ſeßen, ganz Deutsch-
land verſchlucken und nach einem modern-abſolutistiſchen
System, wie es sich eben in Berlin breit macht, regieren
zu können. Diese Gegner bereiten jekt Vert rauen s-
Adreſſen an das Ministerium Jolly vor. Ein Ge-
danke,, für welchen ihnen Herr Jolly gram ſein muß,
weil eine solche „Selbſtzählung“ eben offen und klar legen
wird, auf welch beſcheidener Grundlage die preußiſche
Spitze in der badiſchen Bevölkerung ruht. — Aus dem
Krciſe Wal ds h ut wird dem „Statthalter“ gemeldet,
es ſollen die in der dicksten Reaktionszeit aufgekommenen
Dienſtzeichen der Bürgermeiſt er — Halskette mit
Medaillon ~~ eine Umänderung erfahren. Die Koſten
der Umänderung haben vorausſichtlich die Gemeinden zu
tragen, welche auch die Kosten der erſten Anschaffung zu
tragen hatten. Und wozu das Eine wie das Andere ?
Für eine Zierrath oder Auszeichnung, welche anzulegen
die Herren Bürgermeiſter einmal doch unüberwindliche
Scheu empfinden. Wer möchte auch gern eine Kette um
den Hals haben . . . auch wenn man ſonſt gern an den
miniſterielen Strängen zieht. ] §
K. Heidelberg, 15. Mai. Gestern Abend hielt
der Ausschuß für Bürgerabende eine längere Sitzung, in
welcher beſchloſen wurde, von dem für heute in Aussicht
gewesenen Bürgera b end abzuſtehen, weil man sich der
Befürchtungnichtentſ chlagen konnte, beiderbedeutendenGegen-
ſtrömung diesmal Fiasco zu machen. Statt Deſſen wurde be-
ſchloſſen, eine Adresse an den Großherzog als Vertrauens-