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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 127 - No. 152 (1. Juni - 30. Juni)
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Organ der deulſchen Vollksparlei in







Paden.





Die , Mannheimer UÜbendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſtta
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.



ge – täglich als Abendblatt ausgegeben. — Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poftauſſchlag
Bestellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.







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Preußen, Nordbund und ihre parla-
mentariſche Maſchinerie.

Von der triumphirenden Rundfahrt im Nordweſten
Deutschlands über Bremen und Hannover nach Berlin
zurückgekehrt, hat König Wilhelm am Dienstag die Ses-
sionen des norddeutschen Reichstages und des Zollparla-
mentes geschlossen. y

Wie Schade , daß Friedrich Wilhelm IV. Das nicht
noch erlebt hat! Der ſsprechgewandte Mann hätte jetzt
sein gut Wetter. Weniger leichtzüngig, als er, muß nun
sein Bruder, König Wilhelm , zwei Reden uno actu
abhalten , so daß er nach altem Brauch die dritte Rede
hätte zugeben können. Wirklich, man ſollte lieber gleich
ein Abonnement eröffnen.

Welch Posſenspiel! erſt überreicht Bismark als Vor-
ſißzender des - Zollbundesraths .die Schlußrede für das
Zollparlament und Kömig Wilhelm verliest sie für die
Vertreter der Zollvereinsſtaaten; dann ~ ohne sich um-
zukleiden - wird Bismarck Nordbundskanzler , überreicht
dem Bundes-Schirmherrn die Reichstags-Schlußrede : die
Süddeutschen treten zurück, als würde eine Kuliſje vorge-
ſchoben, und bekommen gnädigst mitzuhören, was Zollern
ſeinen Norddeutſchen ſagt.

Der Schluß war ſo trübſelig, wie der ganze Verlauf
der Sessionen beider Parlamente, und die Schöpfer und
Träger des Norddeutſchen Bundes werden nichts weniger
als mit Stolz auf die dießjährigen Leiſtungen des von
ss geſchaffenen parlamentariſchen Mechanismus zurück-
licken dürfen. :

Dieſe norddeutſche Bundesverfaſſung mit ihren inein-
ander gesſchachtelten Parlamenten, mit ihrem preußiſchen
Minister-Präſidenten, der zugleich Bundeskanzler iſt, mit
ihrer einheitlichen Spißze im preußiſchen Königthum,
welches aus seiner eigenen Haut nicht heraus und in die
deutsche nicht hinein will ~ ſie iſt nicht das Symbol
irgend ciner deulſchen Einheit, sondern recht eigentlich ein
fortgesetzter Proteſt gegen dieselbe. Sie bekundet das alte
Streben Preußens, ſich Deutschland botmäßig und tribut-
pflichtig zu machen, Stücte desſelben an sich zu reißen,
aber sie iſt zugleich eine geharniſchte Verwahrung dagegen,

daß Preußen in Deutschland jemals aufgehen könne und

dürfe.

Der Kampf des eingefleischten Preußenthums um die
Behauptung ſseiner prädominirenden Stellung, das Streben,
die Koſten der ſpezifiſch preußiſchen Herrlichkeit auf die
Staaten des Norddeutſchen Bundes abzuwälzen , bildete
auch dießmal den Untergrund der Verhandlungen des
norddeutſchen Reichstages und des Zollparlamentes. Nach
dem eigenen CEingeſtändniß der preußiſchen Regierung iſt
das Defizit in Folge des unsinnigen Heeresaufwandes
auf zehn bis zwölf Millionen Thaler angewachſen, und

dieſes Defizit sollte vom norddeutſchen Reichstage mittelſt

Bewilligung neuer Steuern, welche beſtehen bleiben und
daher verfassungsmäßig von der Regierung fort erhoben
werden können, gedeckt werden. Die Thronreden , welche
König Wilhelmam Dienstag gehalten, ' gleiten über das Fiasko,
welches die verſchiedenen Steuervorlagen erfahren haben,

vonrſichtig hinweg. Von dem Dutend von der Regierung

beantragten Steuern, für welche der Bundeskanzler
wiederholt mit dem ganzen Gewichte ſeines Einfluſſes in
die Schranken trat, wurde nur die. Wechſelſtempelſteuer
bewilligt; alle übrigen Steuern wurden auf das Ent-
ſchiedenſte abgelehnt, und so ſehr auch das ſpezifiſch
preußiſche Interesse gebietet,, derlei zu vertuſchen, es ist
darum nicht minder klar, daß in der Verwerfung dieser
Steuervorlagen nicht nur eine Verwahrung gegen den
preußiſchen Militärſtaat, sondern auch ein Symptom
yr s'" innerhalb des norddeutſchen Bundes ſelbſt
iegt. ;
Graf Bismarck hat im Verlaufe der Debatten über
die Steuervorlagen wiederholt erklärt, daß die Regierung
nicht beſtehen könne ohne diese neuen Steuern, aber man

Hat ihm nicht geglaubt. Er wird sich nun doch darauf

einrichten müſſen , ohne diese Steuern zu exiſtiren , und
den Ausfall durch Erſbarungem zu decken verſuchen müſssen ;
denn was auch der preußiſche Premier dem Landtage,
welcher demnächſt zuſammentreten wird , zumuthen zu
dürfen glaubt, die Steuervorlagen, welche der Reichstag
] abgelehnt, wird der Landtag bei aller sonstigen Willfäh-
rigteit ſchwerlich votiren. Der Verſuch, das preußiſche
Defizit durch Beſteuerung der Staaten des norddeutſchen
Bundes zu decken und die Laſt Preußens durch Verthei-
lung derſelben auf eine größere Oberfläche zu vermindern,







iſt mißlungen, und die komplizirten Institutionen des
norddeutſchen Bundes , eigens zu diesem Zwecke ersonnen,
haben diesen wesentlichen Dienſt versagt.

Was Graf Bismarck unternehmen wird, um sich Ge-
nugthuung zu verschaffen : die bevorstehenden Verhand- |
Inngen des preußischen Landtages werden wohl Aufschluß
darüber bringen. Der preußiſche Premier wird da wohl
Gelegenheit finden , des Bundeskanzlers übervolles Herz
auszuschütten. Inzwischen aber mag er ſich mit der kö-
niglichen Huld und Gnade tröſten, die ihm auf der

jüngsten Rundreise ſo überreichlich bei jeder Gelegenheit

zu Theil geworden iſt. Er konnte bei jener Reiſe erfahren,
daß die norddeutſche Loyalität viel, viel größer iſt als
die Gefügigkeit des Reichstags in Steuerſachen, und daß
das Steuer-Fiasko im Parlamente seiner Popularität in
gewissen Kreiſen keinen Abbruch gethan hat. Und wenn
ihm die ihm persönlich dargebrachten Huldigungen nicht
genügen, so mag er sich an der Rede erlaben, welche der
Bürgermeister von Osnabrück beim Bankett in jener Stadt
an die Adresse des Königs gerichtet hat. Er hat daraus
erfahren, daß die Politik, welche ſich mit dem Auslande ver-
bündete, um acht Millionen Deutſche aus Deutschland
hinauszuſtoßen, und welche durch Errichtung der Main-
linie weitere acht Millionen Deutſche zur Beute des Aus-
landes bei der erſten Gelegenheit gemacht hat; daß d i e

Politik , welche Deutschland zerriß und eine Drachensaat

des wildsten Haſſes ausſäte, eine Mehrerin und Bewah-
rerin des Reiches, daß der Prager Friede epochemachend
für Deutschland wie der westphäliſche und daß Preußens
Wachsthum die Wiedergeburt Deutschlands sei. Der König
von Preußen hat den Bürgermeiſter, von Osnabrück, der
dieſe loyale Rede hielt, zum Ober-Bürgermeiſter ernannt.
Wären wir Graf Bismarck, wir würden für Herrn Mi-
quel das große Band ds ZTchwarzen Adler - Ordens be-
antragen, um diese seine Meiſterleiſtung in hiſtoriſcher

Lüge und hyperloyaler Heuchelei gebühreud zu belohnen.

So lange das Geschlecht der Miquels in Norddeutschland
fortwuchert, braucht dem Grafen Bismarck und ſeiner
tu. um ihre Gottähnlichkeit wahrhaftig nicht bange



Politiſche Ueberſicht.

Mannheim, 26. Juni.

* Von dolitiſchen Thatſachen erheblicherer Art hat

der Telegraph heute aus dem In- und aus dem Aus- |

lande nur die eine zu melden gehabt, daß der Senat in
Belgien den von der Deputirtenkammer vorgeſchlagenen
Ausweg zur proviſoriſchen Beilegung des in der Schuld-
haftsfrage bestehenden Zerwürfniſſes nur halb beſchritten
hat. Statt dem Vorschlag der Deputirtenkammer auf
Suſspenſion aller auf Schuldhaft lautenden Urtheile
bis zum 1. März 1870 zuzuſtimmen, hat er einen
aus seiner Mitte hervorgegangenen Antrag, die Schuld-
haft nur in Handelssachen und gegen Ausländer abzu-
schaffen, mit 30 gegen 24 Stimmen zum Beschluß er-
hoben. Während die beiden Körperschaften ſich zanken,
bleiben an den Gefängnißthüren , auf deren Offnung so
zahlreichen Verhafteten nun seit Monaten durch die Re-
gierung und die Deputirtenktammer Hoffnung gemacht
worden, die Riegel vorgeſchoben, und ſeibſt jene Kategorie
der zur Haft Verurtheilten , gegen welche der Senat ſich
gnädig erweiſen will, wird noch manchen Tag im Ge-
fängniß zuzubringen haben, da die Sitzungen der Depu-
tirtenkammer auf unbestimmte Zeit vertagt sind.

In der Gemeinde Epiquerez , im Kanton Bern,
welche bekanntlich an Mazzini das Ehrenbürgerrecht
verliehen hat, ſind von ultramontaner Seite lebhafte An-
strengungen gemacht worden, den Gemeinderath zur Zu-
rücknahme seines Beſchluſſes zu beſtimmen. Als Ergeb-
niß dieser Mühen finden wir in einem Berner Blatte die
Ertlärung des Gemeinderathes , es sei ihm ,vollständig
bekannt, daß Mazzini ein Revolutionär sei, der die Re-
publik und die Aufhebung der Monarchie wolle; gerade
Dieß sei aber heute ein Beweggrund mehr für ihn , das
an Mazzini ertheilte Bürgerrecht aufs Neue zu bestätigen.“

Vom Reichtstage Ung arns ist ein von einem Abge-
ordneten eingebrachter Antrag auf Abschaffung der Todes-
ſtrafe für politische Verbrechen mit Sympathie aufgenom-
men und dem Juſtizausſchuß zur Berichtersſtattung über-
wieſen worden. Auch der Prügelstrafe, die in den un-
gariſchen Zuständen eine barbariſche Rolle spielt, soll jetzt
su Votzchltsg der Regierung das lange verdiente Ende be-
reitet werden.

1 hauptung zurückzukommen.



Deutſchland.

* Mannheim, 26. Juni. Das hiesige? Organ
der Bismärckerei in Baden fas elt bei Gelegenheit einer
Besprechung der Schulabſtimmung in Heidelberg wieder
einmal von dem Bunde der Demokraten mit den Schwarzen,
indem es ſagt: „Nein, wir haben es ſtets erklärt, das
Bündniß kann kein dauerndes sein , weil es auf natur-
widrigen Grundlagen beruht, weil jede der beiden Parteien
weiß, daß die andere nicht Wort halten kann, und die Abſtim-
mung in Heidelberg hat diese Voraussage glänzend bestätigt."
Wenn dasselbe Organ an diese Auslaſſung perfider Sophiſtik
die Frage knüpft: „Was werden unſere Mannheimer De-
mokraten tazu sagen? — so bemerken wir unserer Seits, daß
es, nachdem das hiesige Bismarckiſche Organ ſelbſt Notiz von
dem Ausspruche der hiesigen Demokraten: die Behauptung
eines Bündniſſes der Demokraten mit den Schwarzen ſei eine
Lüge, nehmen mußte, nachgerade unſittlich iſt, in
Der einen oder andern Weiſe auf jene lügneriſche Be-
Eine Partei, die mit ſolchen
gemeinen jeſuitiſchen Mitteln kämpft, ſchändet sſich ſelbſt
und mag ſich die hiesige national-liberale Partei bei ihrem
Organe bedanken. /

* Aus Baden, 26. Juni. Die nationalsliberalen
Wasser, die seit dem 28. Mai losgelaſſen und aufge-
sprudelt sind, haben ſich so ziemlich verlaufen. Noch
hin und wieder ein Plätſchern. So zuletzt in Mann-
h eim, wo der ,„National-Liberale Verein“ ſeine Statuten
berathen, seinen Ausſchuß gewählt und eine Rede des
Herrn Staatsrath Lamey (über die verſchiedenen Wahl-
ſyſteme) vernommen hat. Der Herr Staatsrath machte
auf seinem redneriſchen Spaziergange die Entdeckung, daß
die Bezeichnung „demotratiſche Partei“ eigentlich dem
Nationalliberalismus gebühre, daß die heutige Demokratie
diesen Namen sich nur angemaßt habe. Und zum Bes-
weiſe machte der Herr Staatsrath die Probe. Er legte
den demokratischen Maßſtab an sich an und fand: in
Baden ſei das allgemeine Stimmrecht „mit sehr
geringfügigen Modifikationen“ bereits seit 1831 zur Gele
tung gelangt; die öff entliche Wahlart halte er für
die beſte, und er habe die Ueberzeugung, daß die direkte
Wahlart die „Zukunft“ habe. Mein Liebchen was
willſt du noch mehr! Die Verſammlung hatte auch ge-
nug ; sie erhob sich, dem Redner dankend, von den Sitzen

und beſchloß, das Thema des Vortrags in der nächſten

Vereinigung zum Gegenstand der Beſprechung zu machen.
~ Unsere Zoll parlamentsa bge ordneten sind von
Berlin zurückgetehrt. Vor seinen Wählern hat noch keiner
derſelben gesprochen und Bericht erstattet : über die Groß-
thaten des Zoll-Varlamentes, das man so gern ſchon in
ein Voll-Parlament umgewandelt haben würde ~ wenn
es eben mit den Phrasen der Nationalliberalen zu machen
wäre. Die Zurückhaltung unſerer Zollparlamentsabgeord-
neten erklärt sich leicht. Sie haben nichts Gutes zu be-
richten und so ſc<{weigen sie ſtiſl. Doch . Einer
Bluntſchli + hat geſprochen. Er hat „im Norden
zwar im Allgemeinen einen Fortschritt zum Besſſern wahr-
genommen,“ doch habe er sich gefreut, wiederum dem
Süden sich genähert zu haben und Zeuge zu ſein von
der großen Schlacht, die in Heidelverg geschlagen worden.
Scha e, daß es dem ,„Freiheitsapoſtel“ nicht gegeben war,
den Heidelberger Siegern aus Berlin die Pet ro leum-
ſteuer mitzubringen, für die er ſo „wacker geſtimmt"
hat. Ueberhaupt muß es Manchen in der Heidelberger
Versammlung ganz besonders „angemuthet“ haben, diesen
Bluntſchli gegen den Ultramontanismus donnern zu hören,
denſelben Bluntschli, der weiland Genoſſe der Schweizer
Sonderbunds-Jesuiten, der Genoſſe von Siegwart Müller ,
war, der nach München gegangen, als dort die Herrſchaft
der „Ultramontanen“ in der schönſten Blüthe geſtanden.
— Die vom Karlsruher Arbeiterbildungsverein berufene,
am Donnerstag Abend in Karlsruhe abgehaltene allg e-
meine Arbeiterverſa mml ung zur Besprechung der
Gründung von Gewerkvereinen war zahlreich besucht. Man
wollte die Nothwendigkeit der Gründung folcher Vereine
befürworten, und ſelbſt die „Bad. Ldsztg. “ hatte dieſem
Bestreben im Voraus ihre Zuſtimmung ertheilt, indem sie
ausſprach: . . .û r man laſſe die Arbeiter ruhig ihre Ge-
werkvereine gründen; einen Stachel haben dieselben nur
da, wo die Arbeitgeber die Fähigkeit nicht besitzen, ihre
Arbeiter als Menſchen zu behandeln.“ Leider haben
die Verhandlungen dieſen Bestreben und der Absicht, durch
ruhige und leidenſchaftsloſe Darlegung der begründeten








 
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