f
g.. Y
;
Z
Organ der deulſchen Volkspartei in V
aden.
m
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird –~ mit
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr.
Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich als Abendblatt a
, bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der
usgegeben. – De
Expedition CQ 1 Nr.
r Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlas
15 in Mannheim und bei allen Poftanſtalten.
Das rothe Geſpenſt.
91 Das rothe Gesſpenſt iſt ein recht artiger Gesell : es
kommt , wenn man es ruft, und verſinkt , ſobald es seine
Pflicht gethan hat. Als Bonaparte die Freiheit morden
wollte, im Jahre 1851 , schickte er das rothe Geſpenst auf
Straße und Märkte, damit Niemand über den abgeſchiede-
nen Geiſt erſchrecken sollte, den er eben vom Leibe der
Republik abzutrennen gedachte. Sein Gehilfe ging als
Orgeldreher umher, ſchlug mit der Gerte auf eine schauer-
lich bemalte Leinwand und ſchrie: Le spectre rouge!
Das fleckte.
Jetzt da ein ähnlicher Verfalltag für den Bonapaurtis-
mus herandroht, da es sich um Erneuerung des ganzen
Corps legislatif handelt, jetzt ist es auch Zeit , das rothe
Gespenſt aus der Theatergruft zu holen und es einen
neuen Umzug über die Bretter halten zu lassen. Bei Dentu
zu Paris iſt auf 100 Seiten ein Büchlein erschienen, welches
eine Blumenlese aller ungewöhnlichen und außergewöhnlichen
Phraſen und Ausrufe und Wünsche enthält, die in den
ſeit Kurzem geduldeten Volksversſammlungen laut gewor-
den ſind.
Man weiß, daß das lebhafte Volk der Franzosen
17 Jahre lang mundtodt gemacht wurde , daß Niemand
reden durfte , als Er und die Seinigen , daß das Volk
aber mittlerweile viel Groll und auch einige Lektüre an-
ſammelte. Endlich erſchliegtt man den Krahn halb und
verlangt von Obrigkeitswegen klar gegohrnen Wein. Natür-
lich sturzte und ſsprudelte durch das Luftloch ein wilder
Moſt, „viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit“ , ent-
ſezlich viel Leidenschaft und alleinseligmachende Redensart
—~ etwa wie bei unsern Laſſalleanern.
Von der einen Seite intervenirte die Polizei, die ſich
in der jüngsten Zeit förmlich als Präsidium der Versamm-
lungen aufspielte ; von der andern drangen die beſonnenen
Volkselemente auf Disziplin und Selbstachtung der Redner.
Die neue Freiheit ſtand eben im Begriff , in ein zweites
Stadium überzugehen , als auch ſchon die Werkzeuge des
Bonapartismus Lärm und Kapital aus gewissen Erzeſſen zu
ſchlagen beginnen. Nach der erwähnten Broschüre wird in
allen öffentlichen Verſammlungen gepredigt + man ver-
hülle sein Antlitß und schlage das Kreuz = :
vDer Atheismus — der Königsmord — der Bürger-
krieg + der Mord > die Plünderung + die Güterge-
gemeinſchaft ~ die Abschaffung der Familie ~ der (o
Wunder!) Despotismus durch die Unterdrückung aller per-
sönlichen Freiheit und jeder geſellſchaftlichen Besserstellung!“
Bürger, lies: Philiſter! wählt gut , vorsichtig , wählt
Cures Gleichen, denn ihr ſeht, das rothe Geſpenſt geht um
und suchet, wen es verſchlinge. Stütz die Autorität, rettet
die Superiorität Curer Stellungen, werft einen Damm
quf wider den ,„Despotismus “! . Bis jett ſeid- Ihr im
Vollgenuß der perſönlichen Freiheit geweſen, wie sie
der Staatsſtreich Euch verliehen; hütet Euch, dem D es-
potismus zu verfallen!
_ Das iſt die Moral von der Geschichte, und ſo ſoll die
homöopathische Dosis von Freiheit, die man den öffentlichen
Verſammlungenzumaß, zum Gifttrunk für die Freiheit über-
haupt werden. Wird die gegenwärtige oder eine ihr ähn-
liche Kammer wieder gewählt, so iſt Frankreich auf's Neue
zu ſechs Jahren Zuchthaus verurtheilt.
. Dieser Vorgang intereſſirt uns aus zwei Gründen.
Einmal handelt es sich um unser westliches Brudervolk,
das wohl eines beſjern Looſes würdig wäre, das ſchon ver-
ſchiedene Male den ganzen Erdtheil taghell erleuchtet hat
und dem wir die Freiheit schon deßhalb wünſchen, weil die
Hreiheit die heilſamſte ansteckende Krankheit ist. Wenn das
ſpaniſche Zucken ſchon so wohlthätig war, wie würde erſt
der elektriſche Schlag von Frantreich aus wirken? Zweitens
aber betümmert uns die Noth und der Mangel, in welchem
ſich unsere Nationalliberaten befinden , sehr’ lebhaft. Sie
ſtheinen zu Ende zu ſein mit allen ihren Mitteln und
Mittelchen; ſie winden und drehen sich, wie die armen
Sünder vor dem Hochgericht. Wie wär's, wenn ſie einmal
in „rothem Gesſpenſt“ machten ? Wenn sie die ehrſamen
Bürger von Süddeuiſchland mit dieſem „rothen Geſpenſt“
in die Arme des Norddeutschen Bundes ſchrectten? Wenn
ſie in richtiger Nachahmung ihres Herrn und Meisters
durch ein Paar gehörige Schreckſchüſſe diesen. das Wild
entgegentricben, welches sich immer noch scheu in den
Wäldern des „Parlikularismus“ verbirgt?
Vorwärts, ihr Herren, ans Geschäſt! Cs lebe das
„rothe Gespenst“! ~ . i
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 17. März.
* Der Senat der nordamerikanischen Union ist
vorgestern den Beschlüſſen des Repräsentantenhauſes in Be-
treff der Bill wegen Goldheimzahlung der Staatsschuld
beigetreten. Nachdem hiermit ein Gesammtbeſchluß der
beiden Häuſer vorliegt, bedarf die Bill? um in Rechtskraft
zu treten, noch der Genehmigung des Präsidenten, welcher
ſie sofort unterbreitet worden und gewiß ist.
Der Telegraph hat gestern die Versicherung des der
Regierung im Ganzen befreundeten monarchistisſchen Madrider
„Imparcial“ gebracht, daß „die Ministerkriſis in Spanien
vorüber und jeder Gedanke an eine Aenderung des Mini-
sſteriums aufgegeben iſt.! Von einer akuten Miniſsterkriſis
hatte bisher nichts verlautet; bekannt war nur, daß die
bisherige Kortesmehrheit mit dem geringen Grade des ſelbſt-
thätigen Vorgehens der Regierung etwas unzufrieden und
daß von einigen Mitgliedern der Mehrheit ſelbſt auf eine
Verſtärkung der demotratiſchen Elemente im Ministerium
gedrungen worden war. An Zeichen der Unzufriedenheit
mit der Regierung und den bestehenden ſchwankenden Ver-
hältniſsen fehlt es übrigens in vielen Theilen des Landes
nicht; namentlich in dem überwiegend republitaniſch geſinn-
ten Andalusien tritt eine große Gährung an den Tag.
Dem ,Conſstitutionnel“ wird aus dieser Provinz berichtet:
„Die Steuern werden nicht mehr bezahlt. Lie Munizipa-
litäten schreiten zur Vertheilung der Gemeinde- und Privat-
güter, und in Voraussicht von Unruhen und Gefahren, zu
denen die nächſte Militäraushebung führen kann, haben
bereits mehrere Gemeindevorſtände ihr Amt niedergelegt."
Wenn auch der ,Conſstitutionnel“, der ſich weiters von
bedenklichen ſozialistischen Umtrieben aus Andalusien be-
richten läßt, bei diesen Angaben von ſeiner Antipathie
gegen die Septemberrevolution beeinflußt sein mag, ſo
zeichnet ſich doch das Schwüle der Lage ſcharf in den
jüngſt in den Kortes zur Sprache gekommenen Unruhen
in Sevilla (die ſich ſeitdem erneuert haben Jollen); in der
gegen den Willen der Regierung in Sevilla bereits erfolg-
len, in Kadix vorbereiteten Wiedereinführung der Verzehrs-
ſteuer; endlich in manchen, in der Kortesſitung vom 12.
erwähnten Gerüchten von einem Pronunciamiento einer
Armeediviſion zu Gunsten des Herzogs von Montpensier.
In Spanien zeigt ſich, wie Dies in Deutschland im Jahre
1848 der Fall gewesen, wie verderblich es iſt, wenn eine
konſtituirende Nationalverſammlung eine Zauderpolitik ein-
ſchlägt, statt den Augenblick der flammenden Begeiſterung
zu Schaffung des Neubaues der Dinge zu benutzen. Noch
eine andere Aehnlichkeit mit deutſchen (freilich auch mit faſt
allen europäiſchen) Zuſtänden weist ein Blick auf das jetzige
Spanien auf. Stenern und Soldaten: Das ſind dort,
wie hier, die Brennpunkte der Volksbeschwerden. Theil-
weiſe von dieſem Gesichtspunkte aus ſchreibt das Pariſer
„Avenir national“ : „Drei Viertheile der europäischen Staa-
ten unterliegen heute unter dem unaufhörlich zuwachſenden
Gewichte ihrer Militärbudgets und des gegenseitigen Miß-
trauens, welches ſie sich durch die Uebertreibung ihrer
Rüſtungen ſelbſt gegen einander einflösen. Das monar-
chiſche Syſtem hat durch seine Natur selbſt, aus Gründen
innerer Politik, das Bedürfniß bedeutender stehender Armeen;
und je mehr es ſich entwickelt, je mehr es absolut wird,
um so mehr vermehrt es ſie. Eine jede Regierung, welche
ihren Völkern die moraliſche Größe der Freiheit nicht geben
kann, träumt für sie und für sich materielle und territoriale
Vergrößerungen; es iſt demnach sehr natürlich, daß die
Monarchiſten in Spanien die Aufrechthaltung des militä-
riſchen Status quo in ihrem Lande verlangen; aber die
Republikaner handeln nach ihren Prinzipien, indem ſie die
ſofortige Abschaffung der stehenden Heere verlangen. Die
republikaniſche Politik iſt weſentlich eine Politik, welche die
Ruhe der Völker respektirt." ;
Ueber den Stand der durch das belgiſche Eiſen-
bahngeſ et hervorgerufenen Paris-Brüſſeler Verhandlungen
berichtet die „Independance belge" vom Geſtrigen: „Wir
erfahren, daß der hieher zurückgekehrte französische Gesandte
eine Depeſche Lavalette's mit einem Gegenvorſchlag Frank-
reichs überreicht habe, um die Baſis der Unterhandlungen
festzustellen, bevor man über die Frage der Zesſion der
Luremburger Bahn in die Crörterungen eingehe. Die fran-
zöſiſche Regicrung verlangt,, daß die Konferenz in Paris
zuſammentrete. Heute wird ein Minſsſterrath über die
Vorschläge Lavalette's berathen." Nach einer angeblichen
ſtänden“ ſprechen.
u. A. angewiesen sein , in Brüſſel die Bürgschaft seiner
Regierung dafür anzubieten , daß die französische Ostbahn
keinen Differential-Tarif einführen, also auf der holländischen
Linie keinen niederigeren Satz erheben dürfe,, als auf den
belgischen Bahnen bis Antwerpen erhobert wird. Wo ist
Wahrheit ?
Der in München erſcheinenden „Bayeriſchen Landes=z
zeitung“ zufolge soll es denn doch ſo etwas von Südbund
gewesen sein , was die Herren Miniſter des Aeußern von
Bayern und Württemberg auf ihrer Nördlinger Kon-
ferenz am 8. beſprochen haben. Das genannte Blatt iſt
das Organ der bayeriſchen Mittelpartei, welche zwar in
der Ansſchlußfrage dem Fürsten Hohenlohe gegenüber, in
vielen anderen Punkten aber mit dem gegenwärtigen
bayeriſchen Ministerium in so befreundeten Verhältniſen
ſteht, daß sie über die Vorgänge in den Regierungskreiſen
wohl gut unterrichtet ſein kann. Welcher Art d er Süd-
bund ist, desſſen Idee dem württenbergiſchen und dem
bayerischen Staatsmanne vorsſchwebt, ergibt ſich ohne weiteren
Kommentar aus den kurzen Worten der „Bayer. Landesz." :
„Es wurden die allgemeinen Gesichtspunkte des Südbundes
als der Brücke zu einer engeren Verbindnng mit dem
Nordbund festgestellt.“
Deutſchland.
h. Mannheim, 16. März. Der „Karlsruher Zei-
tung“ entnehmen wir, daß „über die Einführung eines
Le sebuchs für Volksschulen an maßgebender Stelle weder
Entschließungen gefaßt, noch auch nur Verhandlungen und
Berathungen eröffnet worden ſind.“ Cs iſt doch wahrlich
mitleidserregend, wenn man die geiſtigen Zuckungen wahr-
nimmt , die das Gespenst: Lesebuch für die Volksſchulen
erzeugt. Seit vollen 35 Jahren (seit 1884) iſt den Volks~
ſchulen ein Lesebuch verſprochen, ohne bis heute ein ſolches
erhalten zu haben. Wir wiſſen wohl, daß ein Lesebuch
für Volksſchulen herzustellen keine kleine Aufgabe iſt , daß
hier nur das Beste gut genug iſt. Es iſt anch unsere
Aufgabe nicht , eine Rezenſion der vorhandenen Leſebücher
vom rein bpädagogiſchen Standpunkte (denn nur von da
aus darfs geſchehen) zu geben. Wir wollen nur die Frage
ftellen, ob die vorhandenen Lesebücher wirklich unbrauchbar
für ihren Zweck sind , ob z. B. das Pflüger’ſche so viel
Gottloſes enthält, daß die Regierung + ſelbſt die Kammer
nicht den Muth hat, es obligatoriſch einzuführen , nachdem
von kompetenter Seite dieses Buch als zu den besten
Schriften dieſes Faches gehörend“, bezeichnet wurde ? Der
Gang der Verhandlungen über das neue Leſebuch iſt frei-
lich ganz analog dem des neuen Schulgeseßes ; es wäre ja ein
Verlaſſen des Prinzips, wollte man hier auf einmal ſchneller
zu Werke gehen. „Gut’ Ding will’ weil han." Also
getroſt ihr Volksschulen! „Sobald der Lehrplan endgiltig
feſtgestellt it, werden auch die ~ ~ Erörterungen über
das Leſebuch beginnen.“
* Mus Baden, 17. März. Die alte „Bad. Ldsz."
hält sich auf „jene Seite, auf der die Morgenröthe des
neuen Deutschlands hervorbricht.* Da dieſe Berliner Mor-
genröthe indessen sehr lange ausbleibt, ſo verlegt sich die
„B. L.“ inzwischen auf den Reptilien-Fang. Und da ent-
deckte sie „eine demokratische Maulwurfsarbeit“, indem 1hr
der von demotkratiſcher Seite ausgehende „Entwurf einer
an Gr. Staatsregierung zu richtenden Eingabe“ wegen Ein-
berufung eines außerordentlichen Landtages zum Zwecke der
Abänderung des Wahlgeſeßes angeblich „zu Handen“ kam.
Sie warnt vor Unterzeichnung der „rothen Adresſe“ und
ſucht nach einem Witz über die „Vertraulichkeit“, in welcher
der Entwurf vorerſt Geſinnungsgenoſjen mitgetheiit wurde, .
und über „die Eintreiber“ von Unterschriften, die wie „ver-
mummte Verschwörer durch das Land ziehen und mit ihren.
Machenſchaften das Licht des Tages ſcheuen“. Die Machen-
schaften der Demokratie haben das Licht des Tages nicht
zu ſchenen. Speziell in bezeichnetem Falle ſind ſie darauf ge-
richtet, den Willen der Bevölkerung in Baden zum Ausdruckzu
bringen, ihn maßgebend zu machen, die Fälſchung zu bes
ſeitigen, hei welcher die Landesbase zu Tiſche ſitt. Und,
Großpreußin, hoffentlich wird diese „demagogiſche“ Ahsichk ers
reicht werden. Der ,„Eintreiber“ hat überall im Lande
gefunden, daß man im Volke nichts weniger, als über das
herrschende Regiment erbaut ist; ſelbſt in der Residenz, wo
die „B. L.“ öffentliche Meinung macht, reicht die Unzufries
denheit und Mißſtimmung hoch hinan und muß ja doch
die „B. L." selbſt von „unsern annoch unbefriedigenden Zu-
Herrliche Morgenröthe! H
Pariſer (wir vermuthen aber Berliner) telegraphiſchen De-
peſche in der „Kt. Zto “ fell der franzöſiſche Gesandte
* Stuttgart, 16. März. In Ehingen hat vor-
g.. Y
;
Z
Organ der deulſchen Volkspartei in V
aden.
m
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird –~ mit
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr.
Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich als Abendblatt a
, bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der
usgegeben. – De
Expedition CQ 1 Nr.
r Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlas
15 in Mannheim und bei allen Poftanſtalten.
Das rothe Geſpenſt.
91 Das rothe Gesſpenſt iſt ein recht artiger Gesell : es
kommt , wenn man es ruft, und verſinkt , ſobald es seine
Pflicht gethan hat. Als Bonaparte die Freiheit morden
wollte, im Jahre 1851 , schickte er das rothe Geſpenst auf
Straße und Märkte, damit Niemand über den abgeſchiede-
nen Geiſt erſchrecken sollte, den er eben vom Leibe der
Republik abzutrennen gedachte. Sein Gehilfe ging als
Orgeldreher umher, ſchlug mit der Gerte auf eine schauer-
lich bemalte Leinwand und ſchrie: Le spectre rouge!
Das fleckte.
Jetzt da ein ähnlicher Verfalltag für den Bonapaurtis-
mus herandroht, da es sich um Erneuerung des ganzen
Corps legislatif handelt, jetzt ist es auch Zeit , das rothe
Gespenſt aus der Theatergruft zu holen und es einen
neuen Umzug über die Bretter halten zu lassen. Bei Dentu
zu Paris iſt auf 100 Seiten ein Büchlein erschienen, welches
eine Blumenlese aller ungewöhnlichen und außergewöhnlichen
Phraſen und Ausrufe und Wünsche enthält, die in den
ſeit Kurzem geduldeten Volksversſammlungen laut gewor-
den ſind.
Man weiß, daß das lebhafte Volk der Franzosen
17 Jahre lang mundtodt gemacht wurde , daß Niemand
reden durfte , als Er und die Seinigen , daß das Volk
aber mittlerweile viel Groll und auch einige Lektüre an-
ſammelte. Endlich erſchliegtt man den Krahn halb und
verlangt von Obrigkeitswegen klar gegohrnen Wein. Natür-
lich sturzte und ſsprudelte durch das Luftloch ein wilder
Moſt, „viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit“ , ent-
ſezlich viel Leidenschaft und alleinseligmachende Redensart
—~ etwa wie bei unsern Laſſalleanern.
Von der einen Seite intervenirte die Polizei, die ſich
in der jüngsten Zeit förmlich als Präsidium der Versamm-
lungen aufspielte ; von der andern drangen die beſonnenen
Volkselemente auf Disziplin und Selbstachtung der Redner.
Die neue Freiheit ſtand eben im Begriff , in ein zweites
Stadium überzugehen , als auch ſchon die Werkzeuge des
Bonapartismus Lärm und Kapital aus gewissen Erzeſſen zu
ſchlagen beginnen. Nach der erwähnten Broschüre wird in
allen öffentlichen Verſammlungen gepredigt + man ver-
hülle sein Antlitß und schlage das Kreuz = :
vDer Atheismus — der Königsmord — der Bürger-
krieg + der Mord > die Plünderung + die Güterge-
gemeinſchaft ~ die Abschaffung der Familie ~ der (o
Wunder!) Despotismus durch die Unterdrückung aller per-
sönlichen Freiheit und jeder geſellſchaftlichen Besserstellung!“
Bürger, lies: Philiſter! wählt gut , vorsichtig , wählt
Cures Gleichen, denn ihr ſeht, das rothe Geſpenſt geht um
und suchet, wen es verſchlinge. Stütz die Autorität, rettet
die Superiorität Curer Stellungen, werft einen Damm
quf wider den ,„Despotismus “! . Bis jett ſeid- Ihr im
Vollgenuß der perſönlichen Freiheit geweſen, wie sie
der Staatsſtreich Euch verliehen; hütet Euch, dem D es-
potismus zu verfallen!
_ Das iſt die Moral von der Geschichte, und ſo ſoll die
homöopathische Dosis von Freiheit, die man den öffentlichen
Verſammlungenzumaß, zum Gifttrunk für die Freiheit über-
haupt werden. Wird die gegenwärtige oder eine ihr ähn-
liche Kammer wieder gewählt, so iſt Frankreich auf's Neue
zu ſechs Jahren Zuchthaus verurtheilt.
. Dieser Vorgang intereſſirt uns aus zwei Gründen.
Einmal handelt es sich um unser westliches Brudervolk,
das wohl eines beſjern Looſes würdig wäre, das ſchon ver-
ſchiedene Male den ganzen Erdtheil taghell erleuchtet hat
und dem wir die Freiheit schon deßhalb wünſchen, weil die
Hreiheit die heilſamſte ansteckende Krankheit ist. Wenn das
ſpaniſche Zucken ſchon so wohlthätig war, wie würde erſt
der elektriſche Schlag von Frantreich aus wirken? Zweitens
aber betümmert uns die Noth und der Mangel, in welchem
ſich unsere Nationalliberaten befinden , sehr’ lebhaft. Sie
ſtheinen zu Ende zu ſein mit allen ihren Mitteln und
Mittelchen; ſie winden und drehen sich, wie die armen
Sünder vor dem Hochgericht. Wie wär's, wenn ſie einmal
in „rothem Gesſpenſt“ machten ? Wenn sie die ehrſamen
Bürger von Süddeuiſchland mit dieſem „rothen Geſpenſt“
in die Arme des Norddeutschen Bundes ſchrectten? Wenn
ſie in richtiger Nachahmung ihres Herrn und Meisters
durch ein Paar gehörige Schreckſchüſſe diesen. das Wild
entgegentricben, welches sich immer noch scheu in den
Wäldern des „Parlikularismus“ verbirgt?
Vorwärts, ihr Herren, ans Geschäſt! Cs lebe das
„rothe Gespenst“! ~ . i
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 17. März.
* Der Senat der nordamerikanischen Union ist
vorgestern den Beschlüſſen des Repräsentantenhauſes in Be-
treff der Bill wegen Goldheimzahlung der Staatsschuld
beigetreten. Nachdem hiermit ein Gesammtbeſchluß der
beiden Häuſer vorliegt, bedarf die Bill? um in Rechtskraft
zu treten, noch der Genehmigung des Präsidenten, welcher
ſie sofort unterbreitet worden und gewiß ist.
Der Telegraph hat gestern die Versicherung des der
Regierung im Ganzen befreundeten monarchistisſchen Madrider
„Imparcial“ gebracht, daß „die Ministerkriſis in Spanien
vorüber und jeder Gedanke an eine Aenderung des Mini-
sſteriums aufgegeben iſt.! Von einer akuten Miniſsterkriſis
hatte bisher nichts verlautet; bekannt war nur, daß die
bisherige Kortesmehrheit mit dem geringen Grade des ſelbſt-
thätigen Vorgehens der Regierung etwas unzufrieden und
daß von einigen Mitgliedern der Mehrheit ſelbſt auf eine
Verſtärkung der demotratiſchen Elemente im Ministerium
gedrungen worden war. An Zeichen der Unzufriedenheit
mit der Regierung und den bestehenden ſchwankenden Ver-
hältniſsen fehlt es übrigens in vielen Theilen des Landes
nicht; namentlich in dem überwiegend republitaniſch geſinn-
ten Andalusien tritt eine große Gährung an den Tag.
Dem ,Conſstitutionnel“ wird aus dieser Provinz berichtet:
„Die Steuern werden nicht mehr bezahlt. Lie Munizipa-
litäten schreiten zur Vertheilung der Gemeinde- und Privat-
güter, und in Voraussicht von Unruhen und Gefahren, zu
denen die nächſte Militäraushebung führen kann, haben
bereits mehrere Gemeindevorſtände ihr Amt niedergelegt."
Wenn auch der ,Conſstitutionnel“, der ſich weiters von
bedenklichen ſozialistischen Umtrieben aus Andalusien be-
richten läßt, bei diesen Angaben von ſeiner Antipathie
gegen die Septemberrevolution beeinflußt sein mag, ſo
zeichnet ſich doch das Schwüle der Lage ſcharf in den
jüngſt in den Kortes zur Sprache gekommenen Unruhen
in Sevilla (die ſich ſeitdem erneuert haben Jollen); in der
gegen den Willen der Regierung in Sevilla bereits erfolg-
len, in Kadix vorbereiteten Wiedereinführung der Verzehrs-
ſteuer; endlich in manchen, in der Kortesſitung vom 12.
erwähnten Gerüchten von einem Pronunciamiento einer
Armeediviſion zu Gunsten des Herzogs von Montpensier.
In Spanien zeigt ſich, wie Dies in Deutschland im Jahre
1848 der Fall gewesen, wie verderblich es iſt, wenn eine
konſtituirende Nationalverſammlung eine Zauderpolitik ein-
ſchlägt, statt den Augenblick der flammenden Begeiſterung
zu Schaffung des Neubaues der Dinge zu benutzen. Noch
eine andere Aehnlichkeit mit deutſchen (freilich auch mit faſt
allen europäiſchen) Zuſtänden weist ein Blick auf das jetzige
Spanien auf. Stenern und Soldaten: Das ſind dort,
wie hier, die Brennpunkte der Volksbeschwerden. Theil-
weiſe von dieſem Gesichtspunkte aus ſchreibt das Pariſer
„Avenir national“ : „Drei Viertheile der europäischen Staa-
ten unterliegen heute unter dem unaufhörlich zuwachſenden
Gewichte ihrer Militärbudgets und des gegenseitigen Miß-
trauens, welches ſie sich durch die Uebertreibung ihrer
Rüſtungen ſelbſt gegen einander einflösen. Das monar-
chiſche Syſtem hat durch seine Natur selbſt, aus Gründen
innerer Politik, das Bedürfniß bedeutender stehender Armeen;
und je mehr es ſich entwickelt, je mehr es absolut wird,
um so mehr vermehrt es ſie. Eine jede Regierung, welche
ihren Völkern die moraliſche Größe der Freiheit nicht geben
kann, träumt für sie und für sich materielle und territoriale
Vergrößerungen; es iſt demnach sehr natürlich, daß die
Monarchiſten in Spanien die Aufrechthaltung des militä-
riſchen Status quo in ihrem Lande verlangen; aber die
Republikaner handeln nach ihren Prinzipien, indem ſie die
ſofortige Abschaffung der stehenden Heere verlangen. Die
republikaniſche Politik iſt weſentlich eine Politik, welche die
Ruhe der Völker respektirt." ;
Ueber den Stand der durch das belgiſche Eiſen-
bahngeſ et hervorgerufenen Paris-Brüſſeler Verhandlungen
berichtet die „Independance belge" vom Geſtrigen: „Wir
erfahren, daß der hieher zurückgekehrte französische Gesandte
eine Depeſche Lavalette's mit einem Gegenvorſchlag Frank-
reichs überreicht habe, um die Baſis der Unterhandlungen
festzustellen, bevor man über die Frage der Zesſion der
Luremburger Bahn in die Crörterungen eingehe. Die fran-
zöſiſche Regicrung verlangt,, daß die Konferenz in Paris
zuſammentrete. Heute wird ein Minſsſterrath über die
Vorschläge Lavalette's berathen." Nach einer angeblichen
ſtänden“ ſprechen.
u. A. angewiesen sein , in Brüſſel die Bürgschaft seiner
Regierung dafür anzubieten , daß die französische Ostbahn
keinen Differential-Tarif einführen, also auf der holländischen
Linie keinen niederigeren Satz erheben dürfe,, als auf den
belgischen Bahnen bis Antwerpen erhobert wird. Wo ist
Wahrheit ?
Der in München erſcheinenden „Bayeriſchen Landes=z
zeitung“ zufolge soll es denn doch ſo etwas von Südbund
gewesen sein , was die Herren Miniſter des Aeußern von
Bayern und Württemberg auf ihrer Nördlinger Kon-
ferenz am 8. beſprochen haben. Das genannte Blatt iſt
das Organ der bayeriſchen Mittelpartei, welche zwar in
der Ansſchlußfrage dem Fürsten Hohenlohe gegenüber, in
vielen anderen Punkten aber mit dem gegenwärtigen
bayeriſchen Ministerium in so befreundeten Verhältniſen
ſteht, daß sie über die Vorgänge in den Regierungskreiſen
wohl gut unterrichtet ſein kann. Welcher Art d er Süd-
bund ist, desſſen Idee dem württenbergiſchen und dem
bayerischen Staatsmanne vorsſchwebt, ergibt ſich ohne weiteren
Kommentar aus den kurzen Worten der „Bayer. Landesz." :
„Es wurden die allgemeinen Gesichtspunkte des Südbundes
als der Brücke zu einer engeren Verbindnng mit dem
Nordbund festgestellt.“
Deutſchland.
h. Mannheim, 16. März. Der „Karlsruher Zei-
tung“ entnehmen wir, daß „über die Einführung eines
Le sebuchs für Volksschulen an maßgebender Stelle weder
Entschließungen gefaßt, noch auch nur Verhandlungen und
Berathungen eröffnet worden ſind.“ Cs iſt doch wahrlich
mitleidserregend, wenn man die geiſtigen Zuckungen wahr-
nimmt , die das Gespenst: Lesebuch für die Volksſchulen
erzeugt. Seit vollen 35 Jahren (seit 1884) iſt den Volks~
ſchulen ein Lesebuch verſprochen, ohne bis heute ein ſolches
erhalten zu haben. Wir wiſſen wohl, daß ein Lesebuch
für Volksſchulen herzustellen keine kleine Aufgabe iſt , daß
hier nur das Beste gut genug iſt. Es iſt anch unsere
Aufgabe nicht , eine Rezenſion der vorhandenen Leſebücher
vom rein bpädagogiſchen Standpunkte (denn nur von da
aus darfs geſchehen) zu geben. Wir wollen nur die Frage
ftellen, ob die vorhandenen Lesebücher wirklich unbrauchbar
für ihren Zweck sind , ob z. B. das Pflüger’ſche so viel
Gottloſes enthält, daß die Regierung + ſelbſt die Kammer
nicht den Muth hat, es obligatoriſch einzuführen , nachdem
von kompetenter Seite dieses Buch als zu den besten
Schriften dieſes Faches gehörend“, bezeichnet wurde ? Der
Gang der Verhandlungen über das neue Leſebuch iſt frei-
lich ganz analog dem des neuen Schulgeseßes ; es wäre ja ein
Verlaſſen des Prinzips, wollte man hier auf einmal ſchneller
zu Werke gehen. „Gut’ Ding will’ weil han." Also
getroſt ihr Volksschulen! „Sobald der Lehrplan endgiltig
feſtgestellt it, werden auch die ~ ~ Erörterungen über
das Leſebuch beginnen.“
* Mus Baden, 17. März. Die alte „Bad. Ldsz."
hält sich auf „jene Seite, auf der die Morgenröthe des
neuen Deutschlands hervorbricht.* Da dieſe Berliner Mor-
genröthe indessen sehr lange ausbleibt, ſo verlegt sich die
„B. L.“ inzwischen auf den Reptilien-Fang. Und da ent-
deckte sie „eine demokratische Maulwurfsarbeit“, indem 1hr
der von demotkratiſcher Seite ausgehende „Entwurf einer
an Gr. Staatsregierung zu richtenden Eingabe“ wegen Ein-
berufung eines außerordentlichen Landtages zum Zwecke der
Abänderung des Wahlgeſeßes angeblich „zu Handen“ kam.
Sie warnt vor Unterzeichnung der „rothen Adresſe“ und
ſucht nach einem Witz über die „Vertraulichkeit“, in welcher
der Entwurf vorerſt Geſinnungsgenoſjen mitgetheiit wurde, .
und über „die Eintreiber“ von Unterschriften, die wie „ver-
mummte Verschwörer durch das Land ziehen und mit ihren.
Machenſchaften das Licht des Tages ſcheuen“. Die Machen-
schaften der Demokratie haben das Licht des Tages nicht
zu ſchenen. Speziell in bezeichnetem Falle ſind ſie darauf ge-
richtet, den Willen der Bevölkerung in Baden zum Ausdruckzu
bringen, ihn maßgebend zu machen, die Fälſchung zu bes
ſeitigen, hei welcher die Landesbase zu Tiſche ſitt. Und,
Großpreußin, hoffentlich wird diese „demagogiſche“ Ahsichk ers
reicht werden. Der ,„Eintreiber“ hat überall im Lande
gefunden, daß man im Volke nichts weniger, als über das
herrschende Regiment erbaut ist; ſelbſt in der Residenz, wo
die „B. L.“ öffentliche Meinung macht, reicht die Unzufries
denheit und Mißſtimmung hoch hinan und muß ja doch
die „B. L." selbſt von „unsern annoch unbefriedigenden Zu-
Herrliche Morgenröthe! H
Pariſer (wir vermuthen aber Berliner) telegraphiſchen De-
peſche in der „Kt. Zto “ fell der franzöſiſche Gesandte
* Stuttgart, 16. März. In Ehingen hat vor-