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Donnerſtag, 29. April.
1869.
L- :
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Eine bemerkenswerthe Erinnerung.
Das österreichiſche Generalſtabswerk, welches die mehr-
fach besprochene Depesche des Grafen Bismarck an den
preußiſchen Gesandten in Paris an das Tageslicht brachte,
hat Staub aufgewirbelt , wüſten Staub , der König und
Minister in Berlin in die Augen gekommen iſt und = beißt.
Die ganze politische Welt beschäftigt sich mit der fraglichen
Depeſche ; während ſsich die verſchiedenſten Erörterungen
daran knüpfen, wandert die „Demokratische Korrespondenz“
in ihrem Gedächtniſſe zurück in die Zeit , aus der jene
Depesche von Bismarck an Golt, stammt. Da finden wir
einige Monatedarauf ~ ſo schreibt die „Dem. Korr.“ > einige
Abweichungen in verschiedenen preußischen Aktenstücken, auf
die wir mit dem Wunſche aufmerkſam machen, daß der
König und der Miniſter, die im Herzen so wunderbar
ſtimmen, sich in Zukunft vor Mittheilungen über die
Abſichten des Königs darüber verſtändigen mögen, w a s
mitgetheilt werden soll, und zugleich mit dem entsprechen-
den Wunsche, daß sie zunächst sich untereinander und dann
auch uns übrige Sterbliche verſtändigen mögen, wer
denn die Abſichten des Königs aus dem Sommer 1866
richtig dargestellt hat: der König ſelbſt oder sein Mi-
niſter.
Schwarz auf weiß liegt vor uns eine Erklärung der
amtlichen Provinzial-Korreſpondenz aus dem Juli 1866,
wonach eine Hindeutung auf Annexion von Hanno-
ver u. s. w., „etwas Landesverrätheriſches“ haben |
ſoll. Nach der Depesche Bismarcks an Goltz vom 20.
ejusd. müßte Das ein Druckfehler ſein und richtig heißen:
„etwas Landes vä terliche s." „Jedenfalls kann das Lan-
desverrätheriſche“ höchſtens ein „Etwas,“ ein Geringes
gewesen sein ; denn, wenn Bismarck in seiner Depesche die
Stimmung des Königs richtig angibt, so war es ja dieſer
Landesvater ſelbſt, der etwas ſtark in ſelbiger Richtung
machte, und Das ist doch für jeden Preaßenmenſchen in
gleicher Lage ein sehr mildernder Umſtand. Wir bitten
um Aufklärung.
Schwarz auf weiß liegt, was wichtiger iſt, vor uns
die freundliche Ansprache, welche König Wilhelm ſselbſt am
17. Auguſt 1867 an die bekannte hannoverſche Depu-
tation gehalten hat. Liest man neben der Darstellung
des vertrauten Miniſters über die ihm doch gewiß ver-
trauten Absichten des Königs aus dem Juli 1866 diese
nur um ein Jahr späteren Worte des Königs ſelbſt, so
kann man ſich einer gewiſſen Sorge für die künftigen
Geſchichtſchreiber nicht erwehren, wie die sich da zurecht-
finden sollen. So groß, so völlig unvereinbar sind die
Widerſprüche. Bismarck läßt am 20. Juli 1866 den
König auf Annexionen bis nach Oesterreich hinein förm-
lich brennen. Was aber sagt König Wilhelm ſelbſt von
ſich am 17. Auguſt 1867 ?° ,Ich ſehe mich veranlaßt,
Ihnen ausführlich die Gründe darzulegen, welche wa h r-
lich gegen meine urſprüngliche Absicht und nach
wiederholten ſc<hweren Kämpfen mit meinem
Wunſſche, die Vollſtändigkeit meiner früheren Genossen
im deutſchen Bunde fortbeſtehen zu laſſen, mich zu dem
jeßt bereits in der Ausführung begriffenen und somit un-
widerruflichen Beſchluß genöthigt haben, Annexionen vor-
zunehmen." Dann an ſein Wort von den „moralischen
Eroberungen“ anknüpfend sagt der König, es ſei „be-
ſpöttelt, ja gehöhnt“. worden, und doch ,ertheile ich Ihnen
noch heute die feſte Versicherung, daß meine Pläne
darüber nie hinausgeg ang en ſind, und daß
wenn ich als 70jähriger Mann zu gewaltigen Eroberun-
gen übergehe ~+ ich Dies nur thue, gezw ungen durch
die Macht der Verhältniſſe, durch die unabläſsigen An-
feindungen meiner angeblichen Bundesgenossen und durch
h. sst gegen das meiner Führung anvertraute
Preußen.“
Nun ist wohl klar, daß nach dem ganzen Wortlaut
dieſer kö ni glichen Erklärung der Entſchluß, Annexionen
vorzunehmen, als ein verhältnißmäßig friſcher, als ein
nicht eben lange vor der Erklärung gefaßter erſcheint, wie
denn ja auch der Krieg immerfort als ein in reinster
Deutſchheit begonnener dargestellt wurde, sowohl vom
König wie von allen ſeinen Agenten und Sttribenten.
Nach der Bismarckſchen Erklärung aber, wie man ſich
erinnert, war das Annexionsverlangen bereits am 20.
gYquli 66 ſehr heſtig ausgebildet. Wir bitten um Auf-
klärung, auf wesſen Seite hier der Irrthum iſt, ob ein
ſachlicher auf Seite des Miniſters , ob ein chronologiſcher
auf Seite des Königs. Da beide Erklärungen gleich be-
Ftimmt ſind, die des Miniſters durch vielfache Details
n
innere Wahrscheinlichkeit hat, die des Königs aber durch
die „feste Verſicherung“ unantastbar ist, so liegt offenbar
ein höchst intereſſanter, höchſt schwieriger Fall vor, und
bei den 72 Jahren des Königs wäre eine Richtigstellung
des Sachverhalts besonders erwünſcht. Der Fortbestand
des Widerſpruchs könnte bei dunkeln Charakteren, wie sie
Süddeutschland birgt, recht betlagenswerth wirken.
So gern wir nun hier abſchlöſen und die bedrängte
Lage unserer Bedränger nicht noch mehr erschwerten,
können wir zu unserm tiefsten Leidwesen doch der Wahr-
heit gegenüber keine Rückſichten persönlicher Schonung
walten laſſen. Für die Th ats ach e , daß der angeblich
deutſche Krieg Preußens nichts war , als von Anfang
bi s zu Ende, in Plan und Ausführung der all er-
gewöhnlichſte landläufige zollerſche Ero be-
rung skri eg, kommt ein weiterer Beweis aus Italien.
Dort wird zum erſten Mal der bisher geheim gehaltene
vierte Artikel des preußisch - italienischen Bündnisses vom
8. April 1866 veröffentlicht, welcher dahin geht: Die in
Art. 3 vorbehaltene „gegenseitige Zuſtimmung“ zu Frie-
dens- und Waffenstillſtands-Schluß, „kann nicht verwei-
gert werden, wenn Oesterreich an Italien das lombardiſch-
venetianiſche Königreich und an Preußen äquivalente
Gebietstheile abzutreten ſich bereit erklärt."
Damals, am 8. April 1866, war Frieden in Deutſch-
land , Frieden mit Oeſterreich. Noch am 5. desselben
Monats hatte Bismarck amtlich in einer Depesche nach
Wien jeden Gedanten einer ,offenſiven Haltung“ gegen
Oesterreich abgelehnt. Aber schon am 8. wurde dieſer
vor jedem Richterſtuhl vollgiltig beweiſende Ero b erun g s-
Artikel unterzeichnet – unterzeichnet vom Minister auf
Vollmacht seines Königs. Uns dünkt , der Anlaß für
König Wilhelm wird damit immer dringender, sich genau
darüber auszuweisen, wieweit er jene seine „urſprün g-
liche Absicht“, nicht zu erobern, nicht zu annektiren, zu-
rückdatirt. Angesichts des vorſtchenden Art. 4 wird er
nicht leugnen wollen, daß er die „wied erholten
ſchweren Kämpfe“ bereits am 8. April 1866 glück-
lich überſtanden haben muß, alſo noch in vollem Frieden
bei seierlichſter Ablehnung aller Angriffsplane. Sollte die
so vielfach bemühte „Vorsehung“ auch dabei geholfen
haben?! Oder war sie bereits durch den „Gott der
Schlachten“ erſeßt ?! Wir bitten um Aufklärung.
Politiſche Uebersicht.
Mannhdheim, 28. April.
* Von politischen Tagesneuigkeiten iſt heute abermals
von nah und fern nur wenig zu berichten. Unter der
Rubrit: Spanien bringen wir einen telegraphiſchen
Bericht über die Kortesſitung vom 26., in welcher die
Berathung des auf kirchliche Verhältnisse bezüglichen Art. 20
des Verfaſſungsentwurfes zu einer heftigen Szene geführt
hat. Aus Italien wird gerüchtweiſe gemeldet, die Re-
gierung habe die neuliche Entdectung der angeblichen
mazziniſtiſchen Verſchwörung in Mailand dazu verwerthet,
beim Bundesrath der Schweiz die Ausweiſung Mazzi-
nis aus dem eidgenöſſiſchen Gebiete anzuregen. Die
Schweiz hat ihr Asylrecht stets gewahrt, und dem italieni-
ſchen Ansinnen iſt die Ablehnung gewiß. Den entgegen-
geſetten Erfolg wünſchen wir einem Gutachten des Appel-
lationsgerichtes in Florenz, welches ſich kürzlich einstimmig
für Abschaffung der Todesſtrafe aussprach.
Während wir bisher den Grund des Schweigens,
womit die preußiſchen Offiziöſßen iber den Inhalt der
„Blick-in's-Herz-Depeſche“ hinwegſchlüpfen, in einer Scham
über die nun unbarmherzig enthüllten Länderraubsgelüſte
des preußischen Königs und in der Unmöglichkeit einer
Entschuldigung derselben geſucht haben, belehrt uns nun
eine hochosfiziöſde Berliner Mittheilung in der Allg. Ztg.,
daß wir bei dieser Annahme auf dem falſcheſten Wege
gewandelt ſind. Jener Berliner Berichterſtatter des ge-
nannten Blattes, welcher nur bei den bedeutendsten An-
läſſen als Bismarck sches Sprachrohr fungirt, läßt ſich
nämlich folgendermaßen vernehmen : „Es wäre ein großer
Irrthum, wenn man voraussetzen wollte, daß die öffent-
liche Meinung in der überwiegenden Mehrzahl etwas
daran auszuseßen fände, daß König Wilhelm im Jahre
1866 mehr auf Vergrößerung Preußens, als
auf eine Reform des deutſchen Bundes bedacht
gewesen iſt. In diesem Punkt würden neun Zehntel
aller Preuß en in jenem Sommer ebenſo wie der
König gedacht haben.“ Angesichts dieſer, offenbar mit
genauer Persſonenkenntiniß abgegebenen Verſicherung säumen
wir nicht, den patriotiſchen „neun Zehnteln aller Preußen"
aufrichtige Abbitte zu leiſten mit dem Versprechen, daß
wir niemals mehr in die Verſuchung kommen oder etwa
gar der Versuchung unterliegen werden , die ehrenwerthen
„neun Zehntel“ eines Reſtes von bundesgenossenschaftlicher
Treue, von deutscher Gesinnung, von Entrüſtung über
verdammenswerthe Thaten für fähig zu halten. Der
König von Preußen iſt seines Bismarcks, Bismarck seines
Königs und die Beiden miteinander sind der „neun
Zehntel aller Preußen“ vollständig werth. + In dersel-
ben Korrespondenz wird mitgetheilt, daß in den preußi-
ſchen Regierungskreiſen die Wiener Angabe, wonach die
Enthüllungen des öſterreichiſchen Generalſtabswerkes ohne
alle Mitwirkung des Grafen Beust erfolgt ſind, als eine
begründete betrachtet und die Quelle der Veröffentlichung
in „höher gestellten Cinflüsſen, deren Bedeutung auch
durch einen eventuellen MinisſterWechſel in Wien nicht
berührt werdenkann, gesucht wird.“ Daß jetzt, ſo ſchließt der
Bismarck sche Prophet, „von Annäherungsverſuchen zwiſchen
Berlin und Wien, mit denen vor einiger Zeit ſo viel
Humbug getrieben wurde, für eine unberechenbare Friſt
nicht die Rede sein kann, bedarf gewiß keiner beſonderen
Versicherung.“ :
In Bay ern haben gestern beide Kamme n des
Landtags ihre Schlußſizungen gehalten. Das neue
Schulgeſeß iſt den von uns erwarteten Weg gegangen,
indem die Kammer der Reichsräthe troß der großen, in
vielen Punkten weit über das gerechte Maß gegangenen
Willfährigkeit, womit das andere Haus viele ſeiner ur-
sprünglichen Beschlüsse den reichsräthlichen Verlangen ent-
ſprechend umgewandelt hatte, mit 28 gegen 13 Stimmen
die vier unausgeglichen verbliebenen Differenzen aufrecht
erhalten und so den Entwurf zu Falle gebracht hat. Die
reichsräthliche Entscheidung ~ bei welcher, was nicht ganz
unbeachtenswerth, der Bruder des Königs, Prinz Otto,
ſich unter der ablehnenden Mehrheit befand = ist nicht
besonders zu beklagen. So dringend nothwendig auch
für Bayern ein Schulgesez iſt: das Schulgesey , wie es
aus dem lauwarmen Regierungsentwurfe durch weitere
vom Landtag vorgenommene Aenderungen ſich zu einem
von Halbheiten ſtroßgenden Werke ausgebildet hatte, würde
dem Bedürfniß nicht genügt haben.
Aus den Verhandlungen der in München tagenden
Bundesliquidationsktommiſſsion verlautet nur
Weniges, und was verlaulet, hat wenig Werth. Vor-
gestern hat die Kommission ihre fünfte Sitzung abgehalten
und darin besſchloſſen, den bayeriſchen Antrag auf eine
nochmalige Inventariſirung des noch in Mainz, Landau,
Rastatt und Ulm befindlichen gemeinſamen Fesſtungs-
materiales „den betheiligten Regierungen vorzulegen."
Wichtigere Dinge, als in dem Sitzungssaal, ſcheinen außer-
halb deſſelben vorzugehen. Bekanntlich iſt die ſüddeutſche
Feſtungskommission in's Stocken gerathen, weil Baden
seine Betheiligung daran von der Zulasſung eines ſtän-
digen preußiſchen Bevollmächtigten abhängig gemacht hatte,
die anderen ſüddeutſchen Staaten jedoch auf eine derartige
Erweiterung des Projektes bisher nicht eingegangen waren.
Nun wird aus München durch den Telegraphen gemeldet,
daß das Zuſtandekommen einer gemeinſamen deutſchen
Miltärkommiſsion nach Art der bisherigen ſüddeut-
schen Feſtungskommission an Aussicht gewinne.
Deutſchland.
* Karlsruhe, 28. April. Amtliches. Ober-
amtsrichter Kärcher in Konſtanz wurde zu dem Amtsge-
richt Oberkirch und Oberamtsrichter v. Wänker in Ober-
kirch zu dem Amtsgericht Konstanz versett.
* Aus Baden , 28. April. Die Führer der
National-Liberalen in unserem Lande ſollen sich
jüngſt an das Komite der nationalliberalen Partei Vürt-
tembergs mit dem Wunſche „eines gemeinsamen Wirkens"
gewendet, aber einen Korb erhalten haben; „weil das
extreme Auftreten der badischen Liberalen in der inneren
Politik, namentlich den kirchlichen Fragen, in Württemberg
faſt auf allen Seiten getadelt wird." So meldet die
„Warte“, und zu ihrer Befriedigung kann dieselbe mit-
thcilen, daß dagegen „ein inniges Zuſammengehen der
National-Konſervativen beider Länder“ angebahnt worden
sei. Zu den National - Konservativen zählen vorwiegend
Proteſtanten poſitiv kirchlicher Richtung (Pietiſten), klein-
deutsche Reaktionäre und Bureauktraten, und dieſelben
zeigen für den preußiſchen Zukunftsſtaat jedenfalls mehr
Verſtändniß, als die National-Liberalen, welche der Wür>
digung Mühler-Eulenburg-Leonhardtſcher Segnungen ent-