1869
Organ der deulſchen Vol
§ j 0- Ma ; w c G
. H r h / B y j
: f Ö f§
j J §; : E; Us §rz
kspartei in Baden.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonn
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 83 kr.,
tage und Festtage ~ täg
bei Lokalanzeigen 2 kr.
lich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Bestellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtansſtalten.
Selbſt iſt der Mann.
D.C. Man ſphpricht von fortifikatoriſchen Vorsichtsmaß-
regeln, die für Raſtatt angeordnet sein sollen. Ob man
mit Recht davon spricht, wiſſen wir allerdings nicht. Aber
daß es das erſte Mal ſeit faſt drei Jahren iſt, daß man
davon spricht, und daß man bisher damit ausgelacht wor-
den wäre, nun aber nicht mehr damit ausgelacht wird,
Das wiſſen wir. Und Das ſcheint uns denn doch ein wohl
beachtenswerthes Zeichen der Zeit.
Beachtenswerth! Ob aber beachtet? Wir glauben kaum.
Es wird eben nichts gelernt aus der Geschichte, nicht ein-
mal aus der Geschichte, die wir ,ſschaudernd selbſt erlebt.“
Wäre Das doch der Fall, die Aehnlichkeit der Symptome
von heute mit denen vor drei Jahren müßte jedem Be-
sonnenen auffallen, dürfte keinem Manne von geſunden
Sinnen Ruhe lassen, bis er sein und der Seinigen und
der Mitbürger und des Ganzen Wohl sicher geſtellt in die
rechten Hände, auf daß womöglich die Kriegsgefahr ver-
mieden, oder, wenn Das nicht möglich, zu bestem vater-
ländischen und freiheitlichen Ausgang geleitet werde. Ge-
ſchieht dergleichen ? Nein. Nirgends.
So ist's heut. So war's vor drei Jahren. Wer ſich
in jene Zeit zurückverſezt, Dem ſtellt ſich ein Bild so boden-
loſer Zerfahrenheit dar, daß der Ausgang. den wir erlebt,
ſehr begreiflich, ſehr nothwendig erſcheint. Das Ungeheuerste,
was ein Land treffen kann: Bruderkrieg, Sprengung aller
Rechtsbande, Zerſtörung der (wie immer gearteten) einheit-
lichen Exiſtenz ~ die Regierungen behandelten es als Mi-
niſterſache, als Diplomatensorge; da war keine, die das
Nothſignal gegeben hätte für die Nation, die offiziell und
formell den Aufruf erlaſſen hätte an die Nation, der viel-
leicht allein noch im Stande gewesen wäre, uns wachzu-
rufen und zu einigen gegen das- Verbrechen aller Ver-
brechen. Und die Ration ſelbſt ?! Von der elenden Poſſe
des Abgeordnetentages abgeſehen, wurde an eine Geſammt-
Maniſeſlation gar nicht gedacht; das Bürgerthum trat nir-
gends ſelbſt ins Mittel: es ließ sich genügen an ſ|einen
beliebigen, unter ganz andern Voraussetzungen gewählten
Vertretern. ,
Das allés ſteht heute noch schlimmer als damals. Im
Norden eiſerne Gewalt, im Süden blinder Zufall, und in
Osterreich Unfertigheit – Das scheint uns der Zuſtand
zu ſein, in welchem die auseinander geriſſenen Theile des
ehemaligen Deutſchland einer Zukunft entgegentreiben, die
ihrerseits rauher und roher sein wird, als wir seit lange
eine Zeit erlebt haben. Mit den bisherigen Formen und
Mitteln iſt kin Wandel zu schaffen. Die ſüddeutſchen Re
gierungen verharren iſolirt gegen einander, iſolirt gegen
ihre Bevölkerungen. Die ſüddeutſchen Ständeversammlun-
gen verharren wie fesſtgenannt in den angeſtammten Ge-
wohnheiten eines Parlamentarismus ohne Initiative, ohne
Cnergie, ohne den Trieb eines Vollgeiühls von Verant-
worllichteit, und seltener, als man glaubt, sind die Aus-
nahmen, daß über Wahl und Neuwahl hinaus das Be-
tztitſetn dieser Verantwortlichkeit Leben und Gestalt ge-
winnt.
Des Volkes iſt der Ausgang, des Voltes iſt die Noth
und das Verderben, die, wenn's so fortgeht, sicher der
Ansgang ſein werden. Die Cinzelnen vergehen oder retten
ſich hinüber, ob Miniſter, ob Volksvertreter; das Volk bleibt
und haftet für den Schaden. Und zwar das Volk nicht
als unbeſtimmte Allgemeinheit. Sondern Ihr, Hinz und
Kunz ~ Ihr Hans . und Peter, Ihr bleibt und hattet,
oder wollt Ihr's noch faßlicher: die Stuttgarter Bürger-
ſchaft bleibt, und die von Ulm und Heilbronn und Tü-
bingen, und die Münchener Bürgerſchaft bleibt und die
von Nürnberg, Augsburg u. s. w., und in Baden entspre-
chend, und drüben in Österreich durchaus geradeso. Da,
ſollte man denken, wäre denn auch das gemeinsame Inter-
eſſe angezeigt, in gemeinsamer Thätigkeit, in dauernder
Gemeinſchaft dafür zu sorgen, daß man nicht blos seine
Gesetze, sondern auch seine Geschicke ſelbſt macht; da wäre
der Weg gewiesen, das vielgebrauchte, vielmißbrauchte Wort
„Selbſtverwaltung“ einmal im Ernſt zur Wahrheit zu
machen, nicht bloß für Kreuzer und Gulden, für Straßen-
laternen und Straßenpflaſter, sondern für das Beſte,
Höchſte, Größte, ohne welches Ihr eure Krenzer und Gul-
den, enre Laternen und Straßen schließlich gar nicht für
euch selber habt, sondern für sehr Jemand anders.
Das Bürgerthum ſelbſt muß heran, muß voran, muß
dauernd und ſtetig ſelbſt Politit machen, sonſt iſt es binnen
Kurzem das klägliche, wenn auch wahrhaftig kaum noch
beklagenswerthe Opfer seiner eigenen Trägheit und Derer,
die es vertreten und regieren. ;
Die Bismarck-:Laſſalleaner in Baden.
Frei b urg, den 12. Febr.
Allzu scharf macht schartig. Das haben die
klugen Herren in Freiburg, die dort das Regimentchen füh-
ren, wieder einmal erfahre. Man hat den Agiiatoren
des allgemeinen deutschen Arbeitervereins das zu allen grö-
ßeren politiſchen Verſammlungen ſtets allen Parteien offen-
ſtehende Kaufhaus verweigert; dann wußte man es zu be-
wirken, daß ihnen auch andere größere Räume in der
Stadr nicht zugeſtanden, und Ciner, der ihnen zugestanden
war, wieder abgeſagt wurde, nachdem ſchon angeſchlagen
%
mehr zu, als recht war. Die Agitatoren erhielten Jeder
eine unbedingte Redezeit für iyren erſten Vortrag; ihre
Widerleger nahmen für sich nur eine BViertelſtunde in An-
ſpruch. Schließlich geſtattete der Präsident (Hr. Metz, ehe-
mals Mitgl. des Frankf. Parlaments) den Agitatoren noch
das letzte Wort, nachdem sie auch das erſte ſämmllich zu
ſtundenlanger Rede gehabt hatten. Das mag denn auch
mit beigetragen haben , daß die verſammelten Arbei!'er in
Mehrzahl –~ immerhin aber sicher nur 600.70 Stimmen
gegen 40–50 = für den Antrag der Agitatoren auf Ein-
tritt zum allg. deutſchen Arbeitervereine zu Erwerbung des
allgemeinen und geheimen Stimmrechts die Hände hoben.
Die Verweigerung eines Saales zur Versammlung war ein
Unrecht, –~ haben wir ein Recht, uns zu beklagen, daß ein
solches Unrecht gegen den Geist der Zeit sich rächte ?
worden war, daß die Verſammlung hier stattfinden werde.
So mußte die Verſammlung in einem kleinen Raume und
zwar außerhalb der Stadt, jenseits der Dreiſam, in der
Wiehre abgehalten werden. –~ Auch die Anschläge zu
diesem Verſammlungsorte waren von den Mauern polizei-
lich entfernt worden. Daher erfuhr nur ein ſehr kleiner
Kreis des Freiburger Arbeiter- und Bürgerstandes, daß die
Verſammlung überhaupt stattfinden werde, und Viele, welche
es erfuhren, hatten nicht Luſt, in Sturm und Wetter, wie
es eben hauste, daß man nicht gehen konnte, in die Vor-
ſtadt, wo nicht einmal Laternen sind, hinauszuziehen. Die
Arbeiter, welche von den Agitatoren beeinflußt sind, kamen
natürlich alle, und zwar mit dem Geſühle, daß den Ar-
beitern ein Unrecht geſchehen sei, wenn man ihnen zur Be-
ſprechung ihrec „Lebens- und Magensrage“, wie die Agita-
toren es nennen, den Verſammlungsfaal verweigert, welchen
man ſsſtets allen anderen Parteien zugeſteh. Tazu kommt
endlich noch, daß wenige Tage vorher ein Zwiſt zwischen
Arbeitern und einzelnen Jabritherren über Lohn entstanden
war, und mehrere Arbeiter, die nur von Arbeitseinstellurg
geſprochen hatten, entlaſſne worden waren. Daß unter
diesen Umständen in dem Lokale, welches höchſtens 100 bis
130 Leute fassen konnte, die Agitatoren ſchließlich eine
Mehrheit fanden, erklärt ich leicht.
Der Kampf der Agitatoren war in Freiburg ſicher
ganz derſelbe wie in Heidelberg, Karlsruhe, Pforzheim u. s. w.
Man hört es den Rednern an, daß sie gut ,eingepauktt“"
ſind und ihren Meiſter auswendig können. Die Gegen-
redner waren Venedey, Fehrenbach, Maier, Wagner. Ve-
nedey griff die Staatshilfe überhaupt an; dann charakteri-
ſirte er das Getreibe Lasſalles und v. Schweiters ſo ſcharf,
wie es die moraliſche Entrüſtung ihm eingab ; er zeigte,
wie dieſes Getreibe nicht nur die Besſitßenden in die Arme
der Macht zurückwerfe, ſondern die Arbeiter selbſt in ver-
ſchiedene Lager trenne, zum Haß und Kampf untereinan-
der, zu ſchauerlichen, entehrenden Schlachten auf Meſſer
und Stuhlbeine, wie leßthin in Berlin führen müſse. Feh-
renbach, in Frankfurt das ehemalige Mitglied der Linten,
jezt Rechtsanwalt in Freiburg, Vorſtand des Alrbeiterbil-
dungsvereins, klagte die Arbeitgeber an, daß ſie ihre Pflicht
gegen die Arbeiter nicht erfüllten, dieſe nicht unterstützten,
wo Unterſtizung und humane Handreichung ihre Pflicht
ſei. Die Laſſalle'ſche Theorie aber wies er dadurch ſchlagend
zurück, daß er zeigte, wie nach derselben 89 pCt. der Ge-
fellſchaft in Elend lebten, Staatshilfe bedürften, und wenn
Alle sie bekämen, die ganze Geſellſch a ft durch die
Staatshilfe zu Grunde gehen müßte, da der Reichthum
der 11 übrigen Prozente zur Unterſtüzung der 89 pCt.
leidenden Theile sicher nicht ausreiche. Klar und einfach
wurde. der Unsinn der Staatshilfe für alle Arbeit hier
dargelegt. Profeſſor Wagner griff die Lasſalle’sche Theorie
mit den Waffen der Wissenſchaît an, zeigte, wie in den
Hauptbeweiſen die Statiſtikt den Behauptungen Lassalles
widerſpreche. Wir hoffen, daß diese Rede b.sondurs ge-
druckt werden wird, denn sie war thatsächlich gehalten, und
jede der angeführten Thatsachen schlug ein Loch in die
Theorietrommel Lassalle's und der Agitatoren. Die Erwi-
derungen der Agitatoren ſelbſt waren zwar oft heftig und
;
in der Form ſchlagend; im Wesen aber hohl und gegen)
ſchen Ader“ erblickt die „Bad. Ldsz.“
Ende der Versammlung so ſchwach, daß, wer klar sehen
wollte, klar sah, daß die Herren Agitatoren selbſt unter dem]
Eindruck der moralischen Niederlage mit ihren Schlag- und
Stichwortphrasen nur noch auf gut Glück hin- und her-
fochten, um nicht einzugeſtehen, daß sie nicht mehr wußten,
wohin ſie ſchlagen ſollten.
Im Gefühle,. daß den Agitatoren in Freiburg ein Un-
recht geſchehen, indem man ihnen keinen Plat zum Kampfe
1
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 13. Februar.
* „Es lebe die Volkssouveränetät, es lebe die Repu-
blik!“: mit diesen Rufen hat das Publikum die Kortes
bei ihrem Zuſammentritt begrüßt. Und dem einzigen Hoch
auf die Monarchie, welches Olozaga, der aus Paris einge-
troffene sſpaniſche Gesandte, anklanglos ausbrachte, iſt von
Marſchall Serrano, ein Hoch auf die Souveränetät der
Kortes entgegengestellt worden. Daß Serrano bei dieſem
Anlasse das „Silber des Redens“ dem „Golde des Schwein
gens" vorgezogen hat, iſt ein guter Höhenmesser für die
geringe Siegesgewißheit der Monarchiſten. Sie haben auch
Grund genug zur Sorge, da nach den jetzt vorliegenden
Angaben üb.r die Stärke der Parteien in den Kortes die
republikaniſche mit 72 Mitgliedern die drittgrößte und die
einzige ist, welcher ein bestimmtes Ziel unverrückbar vor-
webt, während bei allen anderen Parteien ~ bei der
monarchiſchen namentlich. in Bezug auf die Perſonenfrage
= die größte Zerfahrenheit herrſcht.
In Frankreich wird in den beiden großen Vertre-
tungskörpern des Landes gleichzeitig ein neuer Sturm auf
zweierlei Kajernen vorbereitet. Dem gesetzgebenden Körper
liegt ein von 14 Ohppositionsmitgliedern eingebrachter An-
trag vor, statt der von der Regierung geforderten 100,000
Mann nur 80,000 zur nächſten Aushcbung zu ſltellen,
und im. Senate will St. Beuve die Regierung wegen der
Vermehrung der Klöster interpellren. Mit Ablehnung
dort, mit Uebergang zur Tagesordnung hier wird die
Sache abgethan werden.
Aus Rumiänien verlautet, daß der moldauiſche Theil
des Landes die Auflösung der Kammer mit Jubel aufge-
nommen hat. In Jaſſy iſt zur Feier des Ereignisses eine
Beleuchtung veranstaltet worden: jedenfalls Licht genug,
um die Wallachen erkennen zu laſſen, daß man dort von
Bratiano nichts wiſſen will. Die Urwahlen zur neuen
Kammer sind auf den Schluß des nächſten Monates, die
Deputirtenwahlen ſelbſt auf die erſte Woche des April an-
geordnet.
In Bayern ſträubt ſich die Regierung gegen die
Ueberweiſung der gemeinen Verbrechen und Vergehen der
Militärperſonen an die Zivilſtrafgerichte. Ein dahin zie-
lender Beschluß iſt von dem mit der Berathung des neuen
Militärsſtrafgeſezes beauftragten Ausschuß der Adgeordneten-
kammer gefaßt worden, und der Kriegsminiſter hat nun
für den Fall, daß die Kammer den Ausſchußvorſchlag ge-
nehmigen würde, das Zustandekommen des Gesetzes für un-
möglich erklärt. Gestern haben die Abgeordneten die Be-
rathung der Anträge bezüglich des Wahlrechts begonnen.
Außer dem des Ausſchuſſes liegen noch fünf Anträge vor,
die sich theils, wie der Kolb’sſche, auf vollſtändige Durch-
sührung des Prinzips der allgemeinen, direkten und gehei-
men Wahlen, theils auf Vertretung der Minoritäten, Fern-
haltung klerikaler und büreaukratischer Uebergriffe ec. beziehen.
i
Deutſchland.
* Aus Baden, 13. Febr. In der ,kosmopoliti-
das Hauptgebrechen
10 krat i e. Wenn die deutſche Der
der d eut sch en Den é
Absicht hätte, „Europa zu germam-
mokratie nur noch die
ſiren“ –~ da vermöchte das national-liberale Blatt der Res
ſidenz ſith vielleicht zu beruhigen; ſo aber will die deutſche
Demokratie nichts, als daß die „Welt fret, frei, frei werde
— und, wie dasz genannte Blatt mit CEntseyen ausspricht,
„wenn darüber auch das Deutſchthum an ſich zu Grunde
überiasſſen wollte, geſtand die Verſammlung ſelbſt ihnenlgeh.n ſollte."
Diejſe letztere Behauptung iſt eine der bes-
einem Mitgliede der proviſoriſchen Regierung ſelbſ,, deem
Organ der deulſchen Vol
§ j 0- Ma ; w c G
. H r h / B y j
: f Ö f§
j J §; : E; Us §rz
kspartei in Baden.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonn
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 83 kr.,
tage und Festtage ~ täg
bei Lokalanzeigen 2 kr.
lich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Bestellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtansſtalten.
Selbſt iſt der Mann.
D.C. Man ſphpricht von fortifikatoriſchen Vorsichtsmaß-
regeln, die für Raſtatt angeordnet sein sollen. Ob man
mit Recht davon spricht, wiſſen wir allerdings nicht. Aber
daß es das erſte Mal ſeit faſt drei Jahren iſt, daß man
davon spricht, und daß man bisher damit ausgelacht wor-
den wäre, nun aber nicht mehr damit ausgelacht wird,
Das wiſſen wir. Und Das ſcheint uns denn doch ein wohl
beachtenswerthes Zeichen der Zeit.
Beachtenswerth! Ob aber beachtet? Wir glauben kaum.
Es wird eben nichts gelernt aus der Geschichte, nicht ein-
mal aus der Geschichte, die wir ,ſschaudernd selbſt erlebt.“
Wäre Das doch der Fall, die Aehnlichkeit der Symptome
von heute mit denen vor drei Jahren müßte jedem Be-
sonnenen auffallen, dürfte keinem Manne von geſunden
Sinnen Ruhe lassen, bis er sein und der Seinigen und
der Mitbürger und des Ganzen Wohl sicher geſtellt in die
rechten Hände, auf daß womöglich die Kriegsgefahr ver-
mieden, oder, wenn Das nicht möglich, zu bestem vater-
ländischen und freiheitlichen Ausgang geleitet werde. Ge-
ſchieht dergleichen ? Nein. Nirgends.
So ist's heut. So war's vor drei Jahren. Wer ſich
in jene Zeit zurückverſezt, Dem ſtellt ſich ein Bild so boden-
loſer Zerfahrenheit dar, daß der Ausgang. den wir erlebt,
ſehr begreiflich, ſehr nothwendig erſcheint. Das Ungeheuerste,
was ein Land treffen kann: Bruderkrieg, Sprengung aller
Rechtsbande, Zerſtörung der (wie immer gearteten) einheit-
lichen Exiſtenz ~ die Regierungen behandelten es als Mi-
niſterſache, als Diplomatensorge; da war keine, die das
Nothſignal gegeben hätte für die Nation, die offiziell und
formell den Aufruf erlaſſen hätte an die Nation, der viel-
leicht allein noch im Stande gewesen wäre, uns wachzu-
rufen und zu einigen gegen das- Verbrechen aller Ver-
brechen. Und die Ration ſelbſt ?! Von der elenden Poſſe
des Abgeordnetentages abgeſehen, wurde an eine Geſammt-
Maniſeſlation gar nicht gedacht; das Bürgerthum trat nir-
gends ſelbſt ins Mittel: es ließ sich genügen an ſ|einen
beliebigen, unter ganz andern Voraussetzungen gewählten
Vertretern. ,
Das allés ſteht heute noch schlimmer als damals. Im
Norden eiſerne Gewalt, im Süden blinder Zufall, und in
Osterreich Unfertigheit – Das scheint uns der Zuſtand
zu ſein, in welchem die auseinander geriſſenen Theile des
ehemaligen Deutſchland einer Zukunft entgegentreiben, die
ihrerseits rauher und roher sein wird, als wir seit lange
eine Zeit erlebt haben. Mit den bisherigen Formen und
Mitteln iſt kin Wandel zu schaffen. Die ſüddeutſchen Re
gierungen verharren iſolirt gegen einander, iſolirt gegen
ihre Bevölkerungen. Die ſüddeutſchen Ständeversammlun-
gen verharren wie fesſtgenannt in den angeſtammten Ge-
wohnheiten eines Parlamentarismus ohne Initiative, ohne
Cnergie, ohne den Trieb eines Vollgeiühls von Verant-
worllichteit, und seltener, als man glaubt, sind die Aus-
nahmen, daß über Wahl und Neuwahl hinaus das Be-
tztitſetn dieser Verantwortlichkeit Leben und Gestalt ge-
winnt.
Des Volkes iſt der Ausgang, des Voltes iſt die Noth
und das Verderben, die, wenn's so fortgeht, sicher der
Ansgang ſein werden. Die Cinzelnen vergehen oder retten
ſich hinüber, ob Miniſter, ob Volksvertreter; das Volk bleibt
und haftet für den Schaden. Und zwar das Volk nicht
als unbeſtimmte Allgemeinheit. Sondern Ihr, Hinz und
Kunz ~ Ihr Hans . und Peter, Ihr bleibt und hattet,
oder wollt Ihr's noch faßlicher: die Stuttgarter Bürger-
ſchaft bleibt, und die von Ulm und Heilbronn und Tü-
bingen, und die Münchener Bürgerſchaft bleibt und die
von Nürnberg, Augsburg u. s. w., und in Baden entspre-
chend, und drüben in Österreich durchaus geradeso. Da,
ſollte man denken, wäre denn auch das gemeinsame Inter-
eſſe angezeigt, in gemeinsamer Thätigkeit, in dauernder
Gemeinſchaft dafür zu sorgen, daß man nicht blos seine
Gesetze, sondern auch seine Geschicke ſelbſt macht; da wäre
der Weg gewiesen, das vielgebrauchte, vielmißbrauchte Wort
„Selbſtverwaltung“ einmal im Ernſt zur Wahrheit zu
machen, nicht bloß für Kreuzer und Gulden, für Straßen-
laternen und Straßenpflaſter, sondern für das Beſte,
Höchſte, Größte, ohne welches Ihr eure Krenzer und Gul-
den, enre Laternen und Straßen schließlich gar nicht für
euch selber habt, sondern für sehr Jemand anders.
Das Bürgerthum ſelbſt muß heran, muß voran, muß
dauernd und ſtetig ſelbſt Politit machen, sonſt iſt es binnen
Kurzem das klägliche, wenn auch wahrhaftig kaum noch
beklagenswerthe Opfer seiner eigenen Trägheit und Derer,
die es vertreten und regieren. ;
Die Bismarck-:Laſſalleaner in Baden.
Frei b urg, den 12. Febr.
Allzu scharf macht schartig. Das haben die
klugen Herren in Freiburg, die dort das Regimentchen füh-
ren, wieder einmal erfahre. Man hat den Agiiatoren
des allgemeinen deutschen Arbeitervereins das zu allen grö-
ßeren politiſchen Verſammlungen ſtets allen Parteien offen-
ſtehende Kaufhaus verweigert; dann wußte man es zu be-
wirken, daß ihnen auch andere größere Räume in der
Stadr nicht zugeſtanden, und Ciner, der ihnen zugestanden
war, wieder abgeſagt wurde, nachdem ſchon angeſchlagen
%
mehr zu, als recht war. Die Agitatoren erhielten Jeder
eine unbedingte Redezeit für iyren erſten Vortrag; ihre
Widerleger nahmen für sich nur eine BViertelſtunde in An-
ſpruch. Schließlich geſtattete der Präsident (Hr. Metz, ehe-
mals Mitgl. des Frankf. Parlaments) den Agitatoren noch
das letzte Wort, nachdem sie auch das erſte ſämmllich zu
ſtundenlanger Rede gehabt hatten. Das mag denn auch
mit beigetragen haben , daß die verſammelten Arbei!'er in
Mehrzahl –~ immerhin aber sicher nur 600.70 Stimmen
gegen 40–50 = für den Antrag der Agitatoren auf Ein-
tritt zum allg. deutſchen Arbeitervereine zu Erwerbung des
allgemeinen und geheimen Stimmrechts die Hände hoben.
Die Verweigerung eines Saales zur Versammlung war ein
Unrecht, –~ haben wir ein Recht, uns zu beklagen, daß ein
solches Unrecht gegen den Geist der Zeit sich rächte ?
worden war, daß die Verſammlung hier stattfinden werde.
So mußte die Verſammlung in einem kleinen Raume und
zwar außerhalb der Stadt, jenseits der Dreiſam, in der
Wiehre abgehalten werden. –~ Auch die Anschläge zu
diesem Verſammlungsorte waren von den Mauern polizei-
lich entfernt worden. Daher erfuhr nur ein ſehr kleiner
Kreis des Freiburger Arbeiter- und Bürgerstandes, daß die
Verſammlung überhaupt stattfinden werde, und Viele, welche
es erfuhren, hatten nicht Luſt, in Sturm und Wetter, wie
es eben hauste, daß man nicht gehen konnte, in die Vor-
ſtadt, wo nicht einmal Laternen sind, hinauszuziehen. Die
Arbeiter, welche von den Agitatoren beeinflußt sind, kamen
natürlich alle, und zwar mit dem Geſühle, daß den Ar-
beitern ein Unrecht geſchehen sei, wenn man ihnen zur Be-
ſprechung ihrec „Lebens- und Magensrage“, wie die Agita-
toren es nennen, den Verſammlungsfaal verweigert, welchen
man ſsſtets allen anderen Parteien zugeſteh. Tazu kommt
endlich noch, daß wenige Tage vorher ein Zwiſt zwischen
Arbeitern und einzelnen Jabritherren über Lohn entstanden
war, und mehrere Arbeiter, die nur von Arbeitseinstellurg
geſprochen hatten, entlaſſne worden waren. Daß unter
diesen Umständen in dem Lokale, welches höchſtens 100 bis
130 Leute fassen konnte, die Agitatoren ſchließlich eine
Mehrheit fanden, erklärt ich leicht.
Der Kampf der Agitatoren war in Freiburg ſicher
ganz derſelbe wie in Heidelberg, Karlsruhe, Pforzheim u. s. w.
Man hört es den Rednern an, daß sie gut ,eingepauktt“"
ſind und ihren Meiſter auswendig können. Die Gegen-
redner waren Venedey, Fehrenbach, Maier, Wagner. Ve-
nedey griff die Staatshilfe überhaupt an; dann charakteri-
ſirte er das Getreibe Lasſalles und v. Schweiters ſo ſcharf,
wie es die moraliſche Entrüſtung ihm eingab ; er zeigte,
wie dieſes Getreibe nicht nur die Besſitßenden in die Arme
der Macht zurückwerfe, ſondern die Arbeiter selbſt in ver-
ſchiedene Lager trenne, zum Haß und Kampf untereinan-
der, zu ſchauerlichen, entehrenden Schlachten auf Meſſer
und Stuhlbeine, wie leßthin in Berlin führen müſse. Feh-
renbach, in Frankfurt das ehemalige Mitglied der Linten,
jezt Rechtsanwalt in Freiburg, Vorſtand des Alrbeiterbil-
dungsvereins, klagte die Arbeitgeber an, daß ſie ihre Pflicht
gegen die Arbeiter nicht erfüllten, dieſe nicht unterstützten,
wo Unterſtizung und humane Handreichung ihre Pflicht
ſei. Die Laſſalle'ſche Theorie aber wies er dadurch ſchlagend
zurück, daß er zeigte, wie nach derselben 89 pCt. der Ge-
fellſchaft in Elend lebten, Staatshilfe bedürften, und wenn
Alle sie bekämen, die ganze Geſellſch a ft durch die
Staatshilfe zu Grunde gehen müßte, da der Reichthum
der 11 übrigen Prozente zur Unterſtüzung der 89 pCt.
leidenden Theile sicher nicht ausreiche. Klar und einfach
wurde. der Unsinn der Staatshilfe für alle Arbeit hier
dargelegt. Profeſſor Wagner griff die Lasſalle’sche Theorie
mit den Waffen der Wissenſchaît an, zeigte, wie in den
Hauptbeweiſen die Statiſtikt den Behauptungen Lassalles
widerſpreche. Wir hoffen, daß diese Rede b.sondurs ge-
druckt werden wird, denn sie war thatsächlich gehalten, und
jede der angeführten Thatsachen schlug ein Loch in die
Theorietrommel Lassalle's und der Agitatoren. Die Erwi-
derungen der Agitatoren ſelbſt waren zwar oft heftig und
;
in der Form ſchlagend; im Wesen aber hohl und gegen)
ſchen Ader“ erblickt die „Bad. Ldsz.“
Ende der Versammlung so ſchwach, daß, wer klar sehen
wollte, klar sah, daß die Herren Agitatoren selbſt unter dem]
Eindruck der moralischen Niederlage mit ihren Schlag- und
Stichwortphrasen nur noch auf gut Glück hin- und her-
fochten, um nicht einzugeſtehen, daß sie nicht mehr wußten,
wohin ſie ſchlagen ſollten.
Im Gefühle,. daß den Agitatoren in Freiburg ein Un-
recht geſchehen, indem man ihnen keinen Plat zum Kampfe
1
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 13. Februar.
* „Es lebe die Volkssouveränetät, es lebe die Repu-
blik!“: mit diesen Rufen hat das Publikum die Kortes
bei ihrem Zuſammentritt begrüßt. Und dem einzigen Hoch
auf die Monarchie, welches Olozaga, der aus Paris einge-
troffene sſpaniſche Gesandte, anklanglos ausbrachte, iſt von
Marſchall Serrano, ein Hoch auf die Souveränetät der
Kortes entgegengestellt worden. Daß Serrano bei dieſem
Anlasse das „Silber des Redens“ dem „Golde des Schwein
gens" vorgezogen hat, iſt ein guter Höhenmesser für die
geringe Siegesgewißheit der Monarchiſten. Sie haben auch
Grund genug zur Sorge, da nach den jetzt vorliegenden
Angaben üb.r die Stärke der Parteien in den Kortes die
republikaniſche mit 72 Mitgliedern die drittgrößte und die
einzige ist, welcher ein bestimmtes Ziel unverrückbar vor-
webt, während bei allen anderen Parteien ~ bei der
monarchiſchen namentlich. in Bezug auf die Perſonenfrage
= die größte Zerfahrenheit herrſcht.
In Frankreich wird in den beiden großen Vertre-
tungskörpern des Landes gleichzeitig ein neuer Sturm auf
zweierlei Kajernen vorbereitet. Dem gesetzgebenden Körper
liegt ein von 14 Ohppositionsmitgliedern eingebrachter An-
trag vor, statt der von der Regierung geforderten 100,000
Mann nur 80,000 zur nächſten Aushcbung zu ſltellen,
und im. Senate will St. Beuve die Regierung wegen der
Vermehrung der Klöster interpellren. Mit Ablehnung
dort, mit Uebergang zur Tagesordnung hier wird die
Sache abgethan werden.
Aus Rumiänien verlautet, daß der moldauiſche Theil
des Landes die Auflösung der Kammer mit Jubel aufge-
nommen hat. In Jaſſy iſt zur Feier des Ereignisses eine
Beleuchtung veranstaltet worden: jedenfalls Licht genug,
um die Wallachen erkennen zu laſſen, daß man dort von
Bratiano nichts wiſſen will. Die Urwahlen zur neuen
Kammer sind auf den Schluß des nächſten Monates, die
Deputirtenwahlen ſelbſt auf die erſte Woche des April an-
geordnet.
In Bayern ſträubt ſich die Regierung gegen die
Ueberweiſung der gemeinen Verbrechen und Vergehen der
Militärperſonen an die Zivilſtrafgerichte. Ein dahin zie-
lender Beschluß iſt von dem mit der Berathung des neuen
Militärsſtrafgeſezes beauftragten Ausschuß der Adgeordneten-
kammer gefaßt worden, und der Kriegsminiſter hat nun
für den Fall, daß die Kammer den Ausſchußvorſchlag ge-
nehmigen würde, das Zustandekommen des Gesetzes für un-
möglich erklärt. Gestern haben die Abgeordneten die Be-
rathung der Anträge bezüglich des Wahlrechts begonnen.
Außer dem des Ausſchuſſes liegen noch fünf Anträge vor,
die sich theils, wie der Kolb’sſche, auf vollſtändige Durch-
sührung des Prinzips der allgemeinen, direkten und gehei-
men Wahlen, theils auf Vertretung der Minoritäten, Fern-
haltung klerikaler und büreaukratischer Uebergriffe ec. beziehen.
i
Deutſchland.
* Aus Baden, 13. Febr. In der ,kosmopoliti-
das Hauptgebrechen
10 krat i e. Wenn die deutſche Der
der d eut sch en Den é
Absicht hätte, „Europa zu germam-
mokratie nur noch die
ſiren“ –~ da vermöchte das national-liberale Blatt der Res
ſidenz ſith vielleicht zu beruhigen; ſo aber will die deutſche
Demokratie nichts, als daß die „Welt fret, frei, frei werde
— und, wie dasz genannte Blatt mit CEntseyen ausspricht,
„wenn darüber auch das Deutſchthum an ſich zu Grunde
überiasſſen wollte, geſtand die Verſammlung ſelbſt ihnenlgeh.n ſollte."
Diejſe letztere Behauptung iſt eine der bes-
einem Mitgliede der proviſoriſchen Regierung ſelbſ,, deem