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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 153 - No. 179 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0641

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Donnerſtag, 8. Juli.









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Tie „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſltage ~ täglich als



Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

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Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementzyreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Po stauſſchlag
der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poftanſtalten.







Die deutſche Mahnung nochmals.

N.C. Von einer Gefahr iſt der Süden seit und mit
. 1866 bedroht, wenn nicht gar ſchon heimgeſucht, die nicht
nach Gebühr beachtet zu werden ſcheint und auf die es
uns drängt ausdrücklich hinzuweiſen. Wir möchten sie
nennen die Gefahr der stillen Verpreuß ung auf
militärischem Gebiete. Damit meinen wir nicht die Ge-
fahr der offiziellen Cinrichtungen des preußiſchen Milita-
rismus – die Verpreußung geschieht ſehr offen —,
sondern die Gefahr, daß der bürgerfeindliche Geiſt, der
das preußische Heer mehr als irgend ein anderes unvor-
theilhaft auszeichnet, im Stillen ſich hier festſette.

Wenn wir recht ſehen, war bisher das Verhältniß
der Militärbersonen in Süddeutſchland zum Zivilſtande
ein völlig anderes, ein durchaus besseres als in Preußen.
Die ganze Süddeutsche Art gestattete die ſchroffe Schei-
dung, den widerwärtigen Gegensatz nicht, in welchem die
Bollerei ihr Heer mit künstlicher Berechnung und jahrzehnte
langer Konsequenz hineingezwängt hat. Wenigstens hatte
jeder, der vom Norden hier hereinkam, sofort den günſti-
gen Eindruck, dergleichen sei im Süden nicht geſchehen,
ja, ſei hier gar nicht durchführbar. War es die Klein-
heit der staatlichen, alſo auch der militäriſchen Verhält-
niſſe, war es die unleugbare, höchſt beachtenswerthe und
höchſt erfreuliche Thatsache, daß überhaupt hier im Süden
viel mehr von „Gleichheit“ im französſiſchen Sinne zu
merken iſt als im Rorden, wo die „Stände“ sich weit
ſpröder sondern, war es die im Ganzen und Großen
naturwüchſigere Art der süddeutschen Bevölkerungen, die
ein gemüthlicheres Verhältniß der Landeskinder unter ein-
ander (wahrlich nicht gegen Fremde und Fremdes !) her-
beiführt ~ kurz, notoriſch iſt, daß das unselige Produkt
des modernen Militarismus, die sogenannten Militär-
Konflitte, hier im Süden so gut wie unbekannt waren
und noch sind. ;

Wer es mit Volk, Bürgerthum, Staat redlich meint,
kann nur wünſchen, daß ein ſolches Verhältniß fortbe-
ſtehe. Schon aus rein menschlichen Gründen, und aus
freiheitlichen Gründen gewiß auch. Vollends jetzt, dem
großpreußiſchen Wesen gegenüber. Da gibt denn aber
der Schencksche Fall in Würzburg allerlei zu denken.
Zuſammen mit einem andern, Münchener Vorgang, wo
gar ein württembergiſcher Offizier „vom Zerhauen der
ſanaille“ gesprochen haben soll, iſt er ein erstes Zeichen
von veränderter Stimmung.

Im Grunde iſt's zu verwundern, daß nicht schon mehr
dergleichen vorgekommen ist. Die preußiſchen Militärein-
richtungen werden amtlich als muſtergiltige Vorbilder an-
gepriesen und nachgeahmt. Die Ueberlegenheit der preußi-
ſchen Führung hat man aus eigenster Erfahrung friſch
im Gedächtnißk. Von der bevorzugten Stellung der Mi-
litärpersonen in Preußen hört alle Welt übergenug. Seit
drei Jahren hat gewiß mancher ſüddeutſche Ofsizier bei
einem Beſuch im Norden sich mit eigenen Augen über-
zeugen können, daß der „Kamerad“ drüben sich ganz
anders fühlt, ganz anders auftritt als links vom Maine.
Kommt er heim, so dürfte er von verpreußten Obern
den entſprechenden Kommentar schon dazu bekommen, daß
das nämlich hier auch anders werden müſſe und ganz ge-
wiß anders werde, wenn nur erſt in Baden, Schwaben,
Bayern ebenſo wie in dem „mächtigen Preußen“ das
Heer als Mittel- und Angelpunkt alles ſtaatlichen Seins
anerkannt und behandelt sei. All das muß seine Wir-
tung thun, seine schlechte Wirkung auch bei dem Beſten,
das iſt menschlich erklärlich. Aber eine ſc<lech te Wir-
kung bleibt's und eine bürgerliche wie staatliche Gefahr
ſchließt es in ſich.

Wir hoffen, sie iſt. noch abzuwehren. So raſch läßt
ſich das natürliche Gefühl, das zugleich traditionelle Ge-
ſühl landsmannſchattlicher Zuſammengehörigkeit gottlob
nicht aus der Welt bringen. Aber wenn es irgendwo
heißt : principüis obsta, dann iſt's hier. Es handelt sich
um ein Gift, welches das ganze bürgerliche Leben zerfrißt
— um eine wahre Peſt füc allen bürgerlichen Frieden
und alle staatsbürgerliche Freiheit. Nur einmal dieser
gottverfluchte Garde-Ton von Potsdam und Zubehör
hierher verpflanzt und eingewurzelt ~ nur einmal der

1 dumme Hochmuth und die brutale Verachtung des ſchasfen-

den, arbeitenden Menſchen hierher übersiedelt und einge-
bürgert, ~ und das ſuüddeutſche Volk hat für Frieden
und Freiheit einen Feind im Land, der beiden ſo ſicher
den Untergang bringt, wie er ihn dem preußiſchen Volke
längst gebracht. Um den Feind gleich an der Schwelle





zu bekämpfen, wird man gut thun, an jedes edle Gefühl,
an jede menschliche und gemüthliche Regung auch auf
der Seite anzukämpfen, wo das Uebel ſich einzuniſten
verſuchen könnte.

Volitiſche Uebersicht.
Mannheim, 7. Juli.

* (Es war ein Mißgriff von Virchow, das Zollparla-
ment anzugehen , wegen einer nationalen Feier für Ale-
rander Humboldt, an deſſen hundertjährigem Geburtstag.
Ja, wenn die Humboldt-Feier einen Steuerertrag gegeben
hätte, bemerkt sarkastisch die „Dem. Korr.: So aber . . .
„ſo herunter ist keine Nation auf Erden , nicht eine ſo
tief wie wir Deutsche. Um den Mann des Kosmos zu
feiern, haben wir politiſch keine Stelle im Vaterland zu
einheitlicher Initiative, einheitlicher Leitung. Keine ?!! ~
Daß wir nicht Unrecht thun : die Nation bleibt ; die Na-
tion hat 1866 überdauert mit ſeiner Blutthat, sie wird
auch die Blutthäter überdauern, und ihnen ins Angesicht
muß sie den Anlaß der Humboldtfeier ergreifen, um
diesen Glauben an ſich ſelbſt , diese Siegesgewißheit ihrer
Unsterblichkeit zu bekunden. Die Humboldtfeier der ge-
ſammten deutschen Nation muß der Protest werden gegen
die geiſtige Schändung , die uns 1866 angethan ; muß
die Wahrung werden der nationalen Einheit in Geiſt
und Kultur, die am Thron der Zollern vorbei urid über
alle Junker hinweg uns ſchon errungen haben die „Gott-
hold und Wolfgang und Friedrich und Alexander , die
Großen“, muß das Pfand werden ~ nach so vielen
wieder ein neues! ~ welches die Nation ſich ſelber gibt,
daß ſie treu bleiben will ihren wahren Führern , die sie
„geadelt zur Gedankenwürde“, sie befreit haben zur Herr-
schaft der Sprache und Natur , und die über mehr als
eine Mainlinie Brücken geschlagen haben nach Zeit und
Raum – Brücken in die Menſchheit hinein, über die
Jahrhunderte hinweg ~ daß sie treu bleiben will ſich
selber in dem was ihr unfterblich Theil: Wahrheitsdrang,
Freiheitssrang, Humanität. /

Ueber die Verhandlungen der Bundesliqu i da-
tions- Kommiſ sion gelangen die zurechtgemachten Mit-
theilungen nur ,löffelweiſe" in die Oeffentlichteit. So
wird jetzt eröffnet in Fragen, welche auf den Zuſammen-
hang des Defenſivſyſtems zwiſchen Süd- und Norddeutſch-





land und überhaupt auf das geſammtdeutſche Defensiv-

ſyſtem ſich bezögen, ſollten die Ansichten des norddeutſchen
Bundes durch den preußiſchen Militärbevollmächtigten, der
ſich am Sitze der ſüddeutſchen Feſtungskommission (die,
im vorigen Herbsſte beſchloſſen, noch ihrer Konstituirung
harrt) befindet, gehört werden. Bei abweichenden Un-
ſichten seien ſüddeutscher Seits die Gründe dafür mitzu-
theilen, und eben so Jolle von Seiten des norddeutſchen
Bundes gegenüber den ſüddeutſchen Regierungen verfahren
werden. Bei wichtigen Angelegenheiten sei überhaupt der
preußiſche Militärbevollmächtigte zu hören . . . und der
langen Rede kurzer Sinn . . . wahrscheinlich zu thun,
was der ,oberſte Kriegsherr“ für gut findet.

Die heutige Poſt aus Nor dde ut schl a nd iſt arm
an Neuigkeiten. Das Organ des Grafen Bismarck nennt
die „ſcharfe Beurtheilung, “ welche das nach dem „News
yorker Herald“ mitgetheilte Gespräch des Grafen Bismarck
ſür die nationalliberale Partei enthalte, eine gerechte
Kritik." Cs freut ſich recht herzlich darüber, daß die
Nationalliberalen sich gekränkt fühlen, wenn ,ein prakti-

tischer Staatsmann erklärt, er habe es att, ernsthafte

Politik mit einer Partei zu treiben,“ die nach Ansicht des
Organs des Grafen offenbar an „Traumhaften Gesichts-
erscheinungen“ leide, wenn sie, wie geschehen, behaupte, die
ganze Eriſtenz des Nordbundes sei nur dadurch möglich
geworden, daß die nationalliberale Partei um des Staates
willen dem. Miniſterium die weitgehendſten Konzessionen
gemacht habe. Den National-Liberaln im Süden zur
Erinnerung, wenn sie einmal nach geleisteten Diensten
ähnlich traktirt werden.

Das diesjährige Defizit im ungarischen Staats-
haushalte iſt gedeckt, weil ſechs Millionen Steuerrückstände
aus der Zeit vor dem eingeführten Ausgleich mit Wien
eingegangen sind.

Es gewinnt den Anschein, als sei die Regierung Na-
poleons, oder vielmehr er ſelbſt entſchloſſen, nachzugeben,
das heißt, sich zu einigen Zugeständnissen zu bequemen.
Das Progromm des linken Zentrums , welches die Her-
stellung eines verantwortlichen Miniſteriums , das Recht
für den gesetzgebenden Körper, die organiſchen Bedin-
gungen Feiner Arbeiten und ſeines Verkehrs mit der Re-



gierung als die Ziele bezeichnet, um dem Gefühle des
Landes Genugthuung zu geben, ſcheint es, soll den Sieg
davon tragen. Vorgestern Morgen zählte die betreffende,
endgiltig beſchloſſene Faſſung der Interpellation des linken
Zentrums erſt 25 Unterſchriften. Vorgeſtern Abend
zählte sie schon 101 Unterschriften, und Iurunter die-
jenigen der Herren v. Makau und des Herzogs v. Mouchy.
Gestern zählte die Interpellation 1125 Unterſchriften und
darunter weitere von Abgeordneten, die aus der Regie-
rungskandidatur hervorgegangen sind. Wenn die Mame-
luken schreiben, ſo darf zum Wenigsten angenommey
werden, daß der Zäſar ſchwankend geworden. Die Organe
der Mittelvartei oegrüßen sich einstweilen zum „errungenen
Sieg“, indem sie annehmen , der Kaiser werde nachgeben
und die Hand zur Bildung einer „liberalen Majorität"
reichen , durch welche Gestaltung der Dinge die extremen
Parteien verwirrt und ohnmächtig werden würden. Die
Linke der Kammer soll deßhalb auch ſchon beſchloſſen
haben, keine der Tiers-Partei parallele Interpellation zu
machen ; dagegen zwei andere abzufaſſen , die eine über
das Einſchreiten gegen die Unordnungen in Paris , die
ändere über die auswärtige Politik. Damit würde die
Linke ausſprechen, daß sie ſich vorerſt mit der Erfüllung
des Programms des linken Zentrums in den inneren
Fragen begnügen wolle.

Die von der fra nzöſiſch-bel giſ <en Kommission
vereinharten Punktationen für die noch feſtzuſtellenden
Verträge sollen eine Klausel enthalten, welche die An-
bahnung eines Handels- und Zollverbandes zwischen
Frankreich und Belgien in beſtimmte Aussicht nimmt und
für die Inangriffnahme der bezüglichen Verhandlungen
einen feſten Termin feſtgeſtellt haben ſoll.

Eine merkwürdige Strafbeſtimmnng enthält der r u ſ-
ſiſche Strafkodex ineinem soeben veröffentlichten abgeän-
derten 8 1586, welcher lautet: „Eltern, welche überwieſen
werden, ihre Kinder zum Eingehen einer Ehe gezwungen
zu haben, unterliegen hierfür einer Gefängnißhaft von vier
Monaten bis zu einem Jahr und vier Monaten, und wenn
ſie Chriſten sind, außerdem einer Kirchenbuße auf Anord-
nung ihrer geiſilichen Obrigtkeit Derſelben Strafe unter-
liegen Eltern, denen nachgewicſen wird, daß sie ihre Kinder
gezwungen haben, in ein Kloſter zu gehen oder ein Kloſter-
gelübde abzulegen.“



Deutſchland.

* Mannheim, 6. Juli. In denlettten Wochen gingen
so vielerlei Notizen über Vorgänge in der Arbe iter b e-
wegung durch die Zeitungen, daß es unſeren Leſern
erwünſcht sein dürfte, in einer gedrängten Ueberſicht den
Zuſammenhang näher zu erfahren. Es bestehen die fol-
genden sozialdemokratiſchen Fraktionen: 1. der allgemeine
deutsche Arbeiterverein unter dem Präsidium des Herrn
v. Schweiter; 2. der allg. deutsche Arbeiterverein unter
dem Präſidium des Herrn Mende (Gräfin Hatfeld) beide
Laſſalleaniſcher Richtung, 3. der Verband deutſcher Arbeiter-
vereine (auf Grundlage des Nürnberger Programms) unter
dem Präsidium des Herrn Bebel; 4. der deutſche Arbeiter-
bund (großpreußische Richtung) Vorort Karlsruhe und
5. die Sozialdemotratie in Oeſterreich. Nun erliegen am
16. Juni die Herren Schweißer und Mende eine Protkla-
mation, daß sie im Interesſe der Eintracht der „Arbeiter-
partei“ und aus Gründen, die sich der „Oeffentlichkeit
entziehen“ eine Uebereinkunft wegen Vereinigung der beiden
bisher getrennten Laſſalle’ſchen Arbeitervereine, auf „Grund-
lage des von Laſſalle ſelbſt gegebenen Statuts“ abge-
ſchloſſen hätten. Die Uebereinkunft wurde von Beiden der
Beschlußfassung der einzelnen, an den verschiedenen Orten
Deutschlands beſtehen.en Vereinigungen der Mitglieder
beider Fraktionen unterbreitet und verlangt, daß die Ab-
stimmung innerhalv weniger Tage nach Berlin eingeſendet
w rde. Die Abstimmung ergab, daß von der Mehrzahl
die Vereinigung gutgcheißen und im Anſchluſſe daran Herr
v. Schweitzer als Präſident des „Allgemeinen deutschen
Arbeitervereins“ gewählt wurde. Eine Minderheit und
darunter eine größere Anzahl der bisher thätigſten Ag i-
fatoren proteſtirte indeſjen gegen das Vorgehen der
Herren Schweitzer und Mende, gegen die Vereinigung der
bisher getrennten Fraktionen auf Grundlage des von
Lassalle beſtimmten, inzwiſchen aber abgeänderten Statuts.
Zuletzt trat auch Herr Fritzſche, der Präsident des allge-
meinen Zigarren- und Tabakarbeiter-Vereins gegen Herrn
v. Schweißer auf, indem er ihm Dummheit oder Ein-
verſtändniß mit der Berliner Polizei (1) zum Vorwurfe
macht . . . was einem ehrlichen Demotraten zu denken
















 
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