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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 76 - No. 101 (1. April - 30. April)
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F. 86.

1869.









Piannhe

Organ der deutſchen Volksparlei in Paden.















Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage – täg
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

lich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Beſtellungen bei der Expedition 0 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.

















Die mobile Nationalgarde in
Frankreich.

** Das Soldatenthum des Cäsarismus und das
wahrhafte Bürgerthum der Republik sind die Gegensätze,
welche den Völkern unſeres Jahrhunderts geboten ſind.
Jenes vernichtet die Nationen, ohne sie doch zu ſchüten;
dieses schützt sie, ohne sie zu verderben. Das cäſarisſtiſche
Soldatenthum, selbst auf die höchſte Stufe getrieben, reicht
nicht aus, eine Nation gegen äußere Angriffe zu ſichern.
Die Schrift Areoly's –~ die wir übrigens in der Haupt-
sache für über das Ziel hinauswerfend halten, ~ behaup-
tet, daß wenn der Krieg zwischen Frankreich und Deutſch-
land losgebrochen, ein paar Kolonnen Elſaßer mobiler Na-
tionalgarden genügen würden, um Säüddeutſchland zu
überziehen, auszuſaugen, zu verderben. Und es läßt ſich
nicht leugnen, daß hierin eine gewiſſe Wahrheit liegt, und
zwar die, daß Süddeutſchland, und Norddeutſchland im
Wesentlichen ebenso, überall wehrlos iſt, wo nicht
zufällig eine Heeresabtheilung des Cäsarensoldatenthums
ſteht. Napoleon der Dritte hat Dies für Frankreich eben-
falls begriffen, und deswegen die mobile National-
garde in ganz Frankreich organiſirt. Er hat damit zu-
geſtanden, daß troß seines Heeres von 7-800,000 Sol-
daten er zum Schutz des Landes eines bewaffneten wehr-
haften Volkes bedarf. Jenes theoretiſche und dieſes prak-

_ tiſche Zugeſtändniß ist die klarſte und ſchlagendſte Verur-

theilung eines Wehrſyſtems, das die Nation dennoch nicht
zu vertheidigen im Stande ist.

Die Errichtung der mobilen Nationalgarde in Frank-
reich iſt dann aber von einer andern Seite ein noch be-
deutenderes Zugeſtändniß. Napoleon W. ruft die Volks-
bewaffnung, die Volkswehr zu Hilfe; es iſt Das ein erſter
Schritt zur Herſtelung des Milizſyſtems. Der Unsinn
führt angewendet ſtets ~ ad absurdum oder zur Rück-
kehr zum gesunden Menſchenverſtande. Die Ahſurdität
des cäſariſtiſchen Soldatenthums muß für jeden denkenden
Menschen klar sein; die Rückkehr zum Voltswehrsſyſtem
iſt ſelbſt für einen Napoleon MI. eine unerläßliche Bedin-
gung der Cxisſtenz geworden. Er iſt lange genug in der
Schweiz Major im Milizheere gewesen, um die Bedeutung
deſſelben zu begreifen; er hat in dieſe Bahn eingelentt,
weil er am Ende der Möglichkeit angelangt war. Aber
erſt wenn die Kluglinge, die heute in Deutſchland herr-
ſchen, begreifen, was Napoleon in Frankreich gethan
hat, werden auch ſie – wie ſie überall ihn nachäffen,
~ auch hier seinen Schritten folgen. Und erſt, wenn
ſie wieder zum Volksheer-Volkswehrſsy ſtem zu-
rückgekehrt sein werden, wird die Nation wehrhaft
und nicht mehr der Staat, mit einem Riesſenheere belaſtet,
dennoch stets in Gefahr sein, von einem glücklichen Feinde
mit einem einzigen Stoße eines gleich rieſenhaften Heeres
über den Haufen geworfen zu werden.

Die „,französiſche mobile Nationalgarde“ ruft den
deutſchen Nachäffern Napoleons mit Hohn zu: „Jhr ſeid
bewaffnet bis an die Zähne dennoch wehrlos, ſo lange
ihr nicht zur Volkswehr zurückgetehrt ſeid.“

Wenn Preußen oder auch Baden und die Südſtaaten
den Muth hätten, ihr halbes Heer ſchon heute heim-
zuschicken , um in jeder Stadt, jedem Dorfe aus dieſer
Hälste die Cadres für eine Volks wehr zu bilden, die
nur wenige Wochen zur Herſtellung bedürfte, ~ dann
erſt würde Preußen und auch Süddeutschland den Dro-
hungen des Napoleonismus mit aller Gemüt!hsruhe zuſehen
tönnen, ſicher, daß man ſie nie auszuführen wagen dürfte,
ohne den furchtbarſten Niederlagen entgegenzugehen.



Politiſche Ueberſicht.

Mannheim, 12. April.

* Dem offiziellen Eingeſtändniß des Korbes, welchen
der kluge portugiesiſche Don Ferdinand den Königſuchern
in Spanien ertheilt hat, iſt in jenem Madrider Blatte,
worin bisher der Kandidatur des Herzogs von Montpen-
ſier am Entschiedenſten das Wort geredet worden, die
Mittheilung gefolgt, daß auch diefer Prinz seine Thron-
bewerbung nicht aufrecht erhalte. Bestürzung im Lager
der Monarchiſten: ihrer 112 ſind in einer Versammlung
der Progresſſiſten zuſammengekommen, einen neuen Kan-
didaten haben sie aber nicht gefunden. Unter diesen Um-

ſtänden kann es nicht befremden, wenn die miniſterielle

„Correſpondeneia“ mittheilt, daß in den offiziellen Kreisen
die Perſonenfrage ruhe und daß der Gedante an Ein-
ſeßzung eites Direktoriums an Beſtand gewinne. Die
Dinge treiben zur Aufrichtung der republikaniſchen Staats-





form, deren Verfechtern in der Kortesversammlung bereits
eine ansehnliche Verstärkung in Aussicht ſteht, nachdem
das Organ der sogenannten demokratischen Monarchiſten,
die unter der Führung Rivero's, des Oberbürgermeisters
von Madrid, eine zahlreiche Frattion bilden, sich für den
Fall einer Ablehnung Don Ferdinands in der entſchie-
denſten Weise für Republik ausgesprochen hat.

Ob er Preußen, ob er Frankreich heiße : der Mi-
litärſtaat bleibt ſich überall gleich. Das neulich in Ber-
lin gegebene Beiſpiel, daß das Verlangen nach Aufbeſſe-
rung der Lehrerpensionen um einen bettelmäßigen Betrag
von den Ministern mit einem Weheruf über den dadurch
drohenden finanziellen Ruin des Staates beantwortet und
abgewiesen worden, hat ſich kürzlich in Paris wiederholt.
Von dem über 2000 Millionen betragenden Budget eine
Viertelmillion den alten Lehrern zuzuwenden, damit die-
selben nach 40jähriger Dienstzeit durch eine Penſion von
500 Francs nicht mehr zwiſchen Betteln oder Verhungern
zu wählen hätten, erſchien den Ministern als eine unzu-
läſſige Sache. Nichl weniger als drei derſelben erhoben
ſich, um den geſeßgebenden Körper von ſolch’ leichiſinni-
ger Zugrunderichtung der Staatsfinanzen zu warnen.
Und der gesetz gebende Körper lehnte denn auch ~ wir
wollen jedoch nicht verſchweigen, daß es nur mit Stim-
mengleichheit geschah ~ den Antrag ab. In derselben
Sitzung wurden mehrere Millionen als Theuerungs -
zuſchuß für die Pferde der Reiterregimenter bewil-
ligt!!

Die angebliche Inkognito - Anwesenheit des Prinzen
Amadäus, Herzogs von Aoſta, in Berlin erweiſt ſich
als ein Märchen. Der Herzog iſt ſeit dem 1. dieß in
Genua , wo er die Uebungen des italieniſchen Schiffsge-
ſchwaders kommandirt, und hat dieſe Stadt, wie von
dort berichtet wird, seitdem nicht verlassen.

In Rumänien ſind die Landtagswahlen überwiegend
in regierungsfreundlichem Sinne ausgefallen. Die ruſſiſch-
preußische Partei hat nur wenige ihrcr Anhänger durch-
gesetzt und gerade die Führer derſelben, Bratiano und
Roſetti , haben in keinem Bezirke, wo sie als Kandidateu
aufgetreten, ein Mandat erhalten. In einigen Städten
des Landes iſt es bei den Wahlen zu Ruhestörungen ge-
kommen, so u. a. in Plojeſti, wo die Nationalgarde ſich auf
Seite der Tumultuanten gestellt hatte und durch reguläre
Truppen entwaffnet werden mußte. Der Zuſammentritt
der Kammer iſt auf den 11. Mai anberaumt.



Deutſchland.

* Aus Baden , 12. Avril. Auch in der Preſſe
außerhalb unseres Landes wird darauf aufmertſam ge-
macht, daß der „siebente April“ dießmal Sang: und
Klanglos vorübergegangen. Es wird dieß „tiefe Schwei-
gen“ als „beredtes Zeichen“ dafür gedeutet, „was und
wie viel von den Verheißungen der Oſterprotlamation
von 1860 in Erfüllung gegangen." Die „Frankf. Ztg.“
ſagt hierüber: . . . „ein Miniſterium Jolly! als Konſe-
quenz deſſelben Preßprozeſſe in früher nie dagewesſener
Zahl (nach § 631a), bureautratiſche Bevormundung und
Einmiſchung überall in Allem, kaum mehr zu erſchwin-
gende Steuern, Kasernenbau und Militarismus in optima
forma, Mißtrauen nach Oben, faſt allgemeine Unzufrie-
denheit mit den bestehenden Zuſtänden, religiöser Zwiespalt
und Hader ärger als je, ein Wahlmodus zur Kammer,
der nach Ausſpruch des Meiſters Bismarck eine Fälſchung
der öffentlichen Meinung iſt, als Folge desselben eine
Volksvertretung ohne Volk hinter sich, endlich eine Ge-
meindeordnung, die so altmodiſch iſt, daß ſie dem Vater
Noah Ehre machen würde + dies Alles noch im Jahre
des Herrn 1869!“ Der ſchon unter Lamey vorgelegte
Geseßentwurf über die Reform der erſten Kammer ſcheint
als ſchätbares Material einfach ad acta gelegt. Auch
von einem Regentſchaftsgeſeße, das ſchon einmal vorgelegt
ward, aber wieder zurückgezogen wurde, ſcheint das Mi-
niſterium nichts wissen zu wollen . . . „Geſchieht wirklich
nichts, dann rathen wir ganz einfach ~ da man ſich ja
doch einmal mit Feſttags-Verordnungen beschäftigte +
den Feſttag vom 7. April, während der Amtsdauer des
Hrn. Jolly auf den 1. deſſelben Monats zu verlegen,
was allerdings gleich bei ſeinem Amtsantritt ~ dem Be-
ginne des strammen Regiments + hätte geſchehen follen,
man hätte dadurch von Haus aus manchen Irrungen
vorgebeugt! – Beruhigen wir uns indeſſen, wir können
warten, die 12. Stunde wird und muß bald kommen,
denn Könige und Königreiche vergehen, vollends gar ein



badisches Ministerium, wir aber, das Volk, bleiben ewig!
Nun lehrt uns der Dichter zwar, daß nach dem letten
Könige der erste wiederkommt, allein nach Herrn Jelly
tommt nicht wieder ein Herr Jolly, denn wir gestehen's
ihm gerne zu, daß er „Einzig“ iſt!“ Auch die „Neue
freie Preſſe“ spricht in mehreren Artikeln über Baden.
„Ein dumpfes Grollen + so sagt sie –~ „wälzt ſich
~ wegen der Verpreußung des Landes, wegen der hohen

Steuern und geringen Sicherheit ~ „durch das Land,

die Rekruten bringen dieſes Grollen in die Armee; troy
aller Pensſionirungen ist das Offizierkorps noch nicht ſaus
ber." + Recht nette Photographien aus unſerm Länd-
chen. Die ministerielle Preſſe wird zwar verſuchen, dies
selben als die Ausflüsſse „roth-schwarzen Partikularismus“
darzuſtelen und mit ſchlechten Witen die ernſte Lage
hinweg zu ſcherzen. Die Melodie dieſes Liedes iſt indeſ-
ſen ſo verbraucht, daß Niemand mehr darauf hört. Die
fortgeſezten Bestrebungen für Verpreußung des Landes
zerſtören das Ansehen unserer Staatsordnung und ver-
nehmlicher und kräftiger tritt der Republitanismus her-
vor . . . nicht aber der Republikanismus, der durch Bis-
marc gzum Ziele gelangen will, und dem auch unſere
Nationalliberalen in ,ſtreng vertraulicher“ Stunde Beifall
zollen ~ sondern der Republikanismus in Saft und
Kraft des Volkes.

* Achern, 12. April. Gestern waren dahier 50
Männer aus allen Theilen des Landes zuſammen gekom-
men, um über die politiſchen Verhältniſſe Badens zu be-
rathen. Es wurde konstatirt, daß die große Mehrheit
der Bevölkerung von der Verpreußung des Landes nichts
wissen will, daß sie mit der Haltung des Miniſteriums
nicht einverſtanden iſt und daß ſie ſich gegen die Unter-
stützung erklärt, welche die Mehrheit der dermaligen Kam-
mer der Regierung gibt. Unser dermaliges veraltetes
Wahlgeſeß zum Landtage gestattet nicht, daß der wahre
Wille der Bevölkerung in der Kammer zum Ausdrucke,
zur Geltung gelange. Unsere Bevölkerung will Freiheit
und Nationalität miteinander gewahrt wiſſen. Sie will
im Verein mit allen Bruderſtämmen die große Aufgabe
der Zukunft lösen, aber als freies Glied eines Bundes
und nicht als unterwürfiges Anhängſel eines herrſchenden
Führers. Sie will durch die Vereinigung ſtärker, ges-
sunder an Leib und Seele, wohlhabender werden; ſie will
aber nicht das unfreie Werkzeug einer Einzelregierung
ſein, zu der sie kein Vertrauen hat, zu der ſie nach deren
ganzen Vergangenheit und gegenwärtigen Haltung kein Ver-
irauen haben kann. Um diesen nationalen Aufgaben ges
nügen zu können, bedürfen wir in Baden vor Allem einer
wirklichen und ächten Volksvertretung. Ein Wahlmodus,
wie cr früheren Bedürfniſſen und Anforderungen entspre-
chen mochte, genügt für die Gegenwart nicht mehr. Unsere
bisherigen Kammern sind veraltet. Die Art ihrer Zu-
sammensetzung, namentlich die periodiſche Wahl zur zwei-
ten Kammer, vorgenommen in Abtheilungen und durch
Wahlmänner, iſt nicht im Stande, dem wahren Willen
des Volkes Geltung zu geben. Es richte ſich daher das
Verlangen aller Patrioten auf die Abänderung des der-
maligett Wahlgeſeßes, auf die Cinführung eines neuen,
auf dem allgemeinen und direkten Wahlrechte mit gehei--
mer Abſtimmung beruhenden Wahlgeseßes. Dieses Ver-
langen erhielt von allen in der gestrigen Verſammlung
Anwesenden Zuſtimmung und Unterſtütung und beschloß
die Versammlung, eine kräftige Agitation für die
Wahlreform einzuleiten, um diese Reform als erſtes
Crforderniß fernerer freiheitlicher Arbeit zu erringen.
Es wurde zu diesem Zwecke ein Landesausſchuß er-
nannt und demſelben die Abfaſſung einer Adreſſe an den
Großherzog aufgetragen, dahin gehend: Der Großherzog
wolle die konstitutionelle Initiative ergreifen, die jetzige Kam-
mer aufzulösen, eine neue Kammer durch Neuwahlen zu
berufen und derſelben die einzige Vorlage über die ver-
langte Abänderung des Wathlgeſezes zu machen. |

* Munchen, 10. April. Die Nachricht von einer
bevorstehenden Zuſammenkunft der Könige von Bayern
und Württemberg wird in halbamtlicher Weise für uur
richtig erklärt. -- Als Ort der diesjährigen (vierten)
y tverfammlung der bayeriſchen Bolks-
ſc<ullehrer iſt vom Zentralaussſchuß nun Würzburg, die
Brit der Versammlung auf die Tage vom 31. Auguſt bis
2. September festgeseßt worden.

D * Berlin, 10. April. An dem Entwurf der Ge-
werbeordnung, mit deſſen zweiter Leſung ſich der
Reichstag seit vorgeſtern beſchäftigt, ſind zwar bereits

manche Abänderungen in liheralem Sinne beſchloſſen wor-


 
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