Organ der
Da A f
V ti ü I sI ſ
f: s s f
A ? :
ſ l
I ; §) 4 ct:
O P j
S| § § is
j oe NE 5
I j f
. :1. E::d
1869.
deutſchen Volksparlei in Paden.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich als Abendblatt ausgegebe
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr.
n. –ô– Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Nationalliberaler Jeſuitismus.
Facit indignatio versum.
= „Schaffen Sie ganze Arbeit, Graf!"
schrieb bekanntlich Roggenbach im Jahre 1866 dem preußi-
ſchen Staatslenker. tt
Hätte doch Bismarck im Jahre 1866 nach der Schlacht
bei Königgrätß ganze Arbeit geschafft, ſo hören wir heute,
im Frühjahr 1869, die bei Weitem größte Zahl der
National-Liberalen ausrufen. Natiulich dann nicht, wenn
ſie mit dem Abfassen von Loyalitätsadresſen beſchäftigt
ſind; da würde es nicht in ihren Kram paſſnen.
Das „g an ze Arbeit“ ſchaffen, ſo belehren uns die
Offenſten unter ihnen, heißt: Den Süden Deutſchlands
unter preußiſche Herrſchaft bringen, und zwar in der
Art, wie 1866 Hannover, Kurhesſen, Naſſau und die
freie Stadt Frankfurt.
So belehrte z. B. unter Anderem mit unumwundener . ..
Offenheit der kleindeutſche Gesſchichtsbaumeiſter Treitsſchke
vom Katheder herab seine Zuhörer: die Dynastien Süd-
deutschlands (den Namen „Baden“ nannte er wohlweis-
lich nicht, die ehrliche Seele !] müßten nothwendiger Weise
aufhören, wenu der deutſche Staat fertig werden Jſollte;
die preußiſche Dynaſtie, der „erlauchte Hohenzollernſtamm“
u:!ſe herrschen in Deutſchland vom Aufgang bis zum
iedergang.
Und dieser Herr Profesſor hatte dieſelbe Offenherzig-
keit, der Loyalitätsadrese an den Großherzog von Baden,
einen „süd d eutſch en“ Fürsten, gleichſam die Santtion
zu ertheilen durch ſophiſtiſche Redekunſt in Offenburg.
Er und Andere, wir wissen es ja, waren jüngst in
Offenburg zuſammengetommen ; Roggenbach war nicht
dabei — er zieht es ohne Zweifel vor, erſt dann wieder
öffentlich aufzutreten, wenn Friedrich des Zweiten poli-
liſches Teſtament verwirklicht sein wird. – und haben
an den Landesfürsten eine Lohalitätsadresse erlaſen.
Auch Blunlſchli, der in seinen Vorlesungen wegen
Langweiligkeit des Vortrags und Mangel der Vorbereitung
— die Politik läßt ihm keire Zeit, sich für seine Kollegien
vorzubereiten – wenig beſuchte Staatsrechtsprofeſſor (über
deſſen Biographie vergleiche man das Konversationslerikon
von Brockhaus) war dabei und machte seinen Frieden mit
Jolly, wohl eingedenk der Weisheitsſprüche, die er in ſo
ſinniger, zarter Weiſe in goldenen Buchſtaben an seinem
neuervauten Hauſe in Heidelberg angebracht hat. Dort,
dachte er, iſt gut Hütten bauen; in München dachte er
wohl früher auch ſo, aber die Luſt an der dort erbauten
Hütte ſcheint er bald verloren zu haben. In Heidelberg
schien ihm der Boden geeigneter; vielleicht kommt noch
die Zeit, wo er in Berlin ſich Hütten baut! Wir würden
ihm keine Thränen nachweinen, ſo wenig als ſein früheres
Vaterland, die freie Schweiz, es gethan hat, als er seligen
Angedenkens ſie verließ. |
Ferner fehlte auch Kiefer nicht, der Heißſporn für
Friedrich des Zweiten macchiavelliſtiſche Politik. und sprach
gegen Einführung des allgemeinen Stimmrechts. das
er vor Kurzem ercſt in Pforzheim befürwortet hatte.
Der treue Eckhardt, Kuſel. der Märtyrer Stromaier,
ſie ale waren da,. nur Einer fehlte: Lamey. Dieſem
war es vorbehalten, in Mannheim am 1. Juni im
Badner Hof zu sprechen, den von ihm verfaßten Ent-
wurf einer Organisation der nationalliberalen Partei zu
begründen, worauf dann am selben Abend in Mannheim
der Preußenverein zur Welt kam. Die Ausführungen
des Herrn Staatsraths waren hie und da durch einige
Sùcnurren über die katholiſche Geiſtlichkeit gewürzt, die
naturlich pflichtſchuldigſt mit großer Heiterkeit und Bei-
fallsklaiſchen von Seiten der 180 aufgenommen wurden.
Nach so vielen politischen Mißerfolgen, Schwankungen und
Wendungen = erwar früher unter Cdelsheim großdeutſch,
jezt kleindeutſch; einſt gerirte er sich faſt demotratisſch,
als er sog. badischer Bürgermeiſter war; zur Zeit der
Offenburgerei war er antiministeriell, jezt iſt er wieder
miniſteriel – wäre es wohl das Klügſte und Beste für
den Herrn Staatsrath, da er ja doch kein Vertrauen mehr
im Lande beſitt und von ſseinen eigenen Karlsruher Par-
teigenoſſen nicht besonders hoch als Politiker taxirt wird,
, von der politiſchen Bühne abzutreten.
Dieß die Männer, die das Volk zä überreden ſuchen
Sc iii: die sie felbſt nicht glauben , nicht glauben
Dieß die Partei , die sich hauptſächlich berufen fühlt,
gegen die Ultramontanen in die Alarmtrompete zu ſtoßen,
während ſie doch ſelbſt offenbar dem jeſuitiſchen Grund- | /
ſat huldigt; der Zweck heiligt die Mittel.
So recht zeigt ſich dieſer politische Jeſuitismus in dem
Hauptſate ihres in der Mannheimer Versammlung auf-
getiſchten Organisationsentwurfes : „Die national-liberale
Partei verfolgt selbſtändig die Errichtung des diutſchen
Bundesstaates durch Vereinigung Süddeutschlands mit
dem norddeutſchen Bund und die freiſinnige Entwicke-
lung der inneren Angelegenheiten Badens."
Faſſen wir die Sache näher ins Auge. . Den nord-
deutſchen Bund hält Jeder, der überhaupt eine Idee da-
von hat, was Bundesstaat und Cinheitsſtaat iſt, (er kann
hierüber ganz besonders des großen Bluntſchli allgem.
Staatsrecht vergleichen), nicht für einen wa hren Bun-
de sstaat, sondern sür den noch nicht fertigen Ein-
h eitsſtaat, – so insbesondere Treitſchke.
Hätte doch Bismarck im Jahre des Heils 1806 ganze
Arbeit geschafft ; Das kann doch wohl — und Dies be-
ſtätigt uns, ich möchte ſagen, faſt jeder geborene Preuße,
der nach Süddeutschland kommt, und sagt's uns mit
der größten Arroganz ins Gesicht nichts Anderes
heißen, als: hätte Bismarck doch nach dem König-
grätzer Brudermord, wie er Naſjau, Hannover, Kurhessen
und Frankfurt unter die Fittige des Kukuks brachte, ſo
auch den Süden dem preußiſchen Militärſtaat einver-
leibt.
Alle die Herren Nationalliberalen sind entzückt über
die Annexionen, die Preußen im Jahre 1866 machte; so
sagen uns viele unserer badiſchen Nationalliberalen,, wenn
man es hören will,. auch mehrere von den 180 Mann-
heimern, wenn man mit ihnen allein iſt, offen ins Gesicht,
es ſei das Besſte, wenn Baden als ſeltſtſtändiger Staat
aufhöre, wenn Bayern und Württemberg als ſelbſtſtändige
Staaten von der Karte verſchwänden :: auf diesem Wege
müſſe endlich und könne nur endlich Deutſchland
uw unter unseren National- Liberalen, die
sich angeblich in ihrer Auffaſſung an Hecker anſchließen,
sagen dann sogar auch noch, wenn Preußen herrſche,
wenn einmal Alles unter dem Hohenzoller sei, dann könne
man mit dieſem Einen abrechnen, es gienge beſſer, als
mit Vielen. "ut ..
Diese Leute, die offenbar einen preußiſchen Einheit s-
staat wollen, fordern ihre Mitbürger auf , Sorge zu
tragen, daß der deutsche B undes ſtaat fertig werde, daß
Süddeutschland, insbesondere Baden, in den Norddeutſchen
Bund eintrete; sie faſſen Loyaliätsadressen ab!
Wie richtig bezeichnete der „Stuttgarter Beobachter“
im Jahre 1867 die fich regierungsfreundlich , gut königl.
württembergiſch gerirenden württembergiſchen National-
Liberalen, indem er sagte: „Jm ſchwarzen Frack und in
weißer Loyalitätshalsbinde versichern sie den König ihrer
Treue und Anhänglichteit, huldigen aber im Herzen einem
andern Herrn, nämlich der in Berlin ſitt, Wilhelm dem
Adler.“
Auf dieſes Ansinnen, das man uns ſtellt, gebührt
gehörige Zurückweiſung.
Wir sind Badenſer und wollen es bleiben; wir er-
blicken in dem Eintritt Badens und des übrigen Süd-
deutſchlands in den Norddeutſchen Bund den Anfang der
Annektirung dieser Länder; wir wollen keinen Theil haben
an dem fortgeſezten Raub, den die Politik Preußens ſeit
den Zeiten des macchiavellistischen Friedrich in Deutschland
verübt! Wir huldigen nicht dem Grundsatz: „divide et
impera‘, (theile und herrſche) wie es Preußen 1866 ge-
than, indem es Oesterreich,, als es durch den Bund
Preußens mit dem Ausland beſiegt am Boden lag,, zu
Deutschland hinauswarf, um über das übrige Deutſchland
allein Herr sein zu können. Wir kennen diese Politik
Preußens, die den Basler Frieden 1795 schloß und ſchon
damals sich mit der Idee eines norddeutschen Kaiſerthums,
eines Einheitsſtaates trug.
Dann ſsind wir gegen den Eintritt des Südens, ins-
besondere Badens in den Norddeutſchen Bund , weil wir
keinen Krieg mit Frankreich wollen, der unausbleiblich
wäre; weil wir keinen Krieg mit Oesterreich wollen , das
wir trotz Alledem und Alledem als zu Deutſchland ge-
hörig betrachten und das um ſeiner eigenen Eriſtenz willen
zum Schwert greifen müßte. |
Vir haben überhaupt genug an dem Blut, das im
Jahr 1866 gefloſſen; die ſechszigtauſend Menſchen , die
in Deutschland und Italien dem preußiſchen Ehrgeiz
fallen mußten, wollen wir nicht in zweiter Auflage dem-
ſelben Chrgeiz geopfert . ſehen.
ir wollen ein kräftiges Zuſammenhalten der vier
Südstaaten in einem Bunde mit gemeinsamem freiheitlichen
Parlament und Heere. Wir wollen, mit einem Worte,
den Südbund. | ta 15
Wir denken uns den Südbund durchaus nicht bloß
in republikaniſcher Form möglich ; wir erinnern uns viel-
mehr an das Wort jenes Schweizers, der auf dem
Wiener Schütenfeſt ſagte, daß man, um glücklich und
frei zu leben, nicht gerade nothwendig der republikaniſchen
F or m bedürfe.
Sollte aber wirklich die Grundidee der National-
Liberalen ſich unſeligerweiſe verwirklichen , ſollte der
preußische Einheitsſtaat bis an den Bodensee ſich aus-
dehnen, d ann würden wir unser Heil bloß in der re-
publikaniſchen Staatsform suchen und uns nicht dem
Hohenzollernthume beugen, sowenig, wie ſich die freie
Schw.iz der Hahsburgermacht beugte. Sie riß ſich los
vom uralten Reichsverband, auf die Gefahr hin, frei und
glücklich zu werden. Und ſFie ward es.
Nur wer ſich ſelbſt aufgibt, Den gibt Gott auf.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 10. Juni.
* Den gestrigen Mittheilungen über die tumultariſchen
Auftritte, die am 7. in Paris und einigen anderen
Städten Frankr eichs ſtattgehabt haben, fügt die an
einer anderen Stelle dieses Blattes enthaltene Pariser
Korreſpondenz Ergänzungen bei, aus denen sich — na-
mentlich im Zuſammenhalte mit weiteren vorliegenden
Nachrichten über die Größe des am 7. in Paris bereit
gehaltenen militärischen Apparates ~ faſt unahweislich
der Schluß auf. rängt, daß es dem napoleoniſchen Regi-
ment um Hervorrufung eines Aufstandes zu thun ge-
wesen iſt, . um die beliebten ,ſtaatsrettenden“ Mittel der
Kartätschen und Chaſſepots ordiniren zu können. Daß
es auch am 8. in Paris und Nantes zu Konflikten zwi-
schen der Bevölkerung und der bewaffneten Macht ge-
kommen iſt, haben wir in einer außerordentlichen Beilage
geſtern bereits mitgetheilt; da aber diese Beilage vielleicht
nicht allen unseren Lesern zugekommen iſt, ſo wiederholen
wir nachstehend den Inhalt der bis jetzt eingetroffenen
telegraphiſchen Depeſchen über diese Vorfälle: In Paris
war der hauptſächlichſte Schauplay derselben abermals der
Boulevard Montmartre. Hochrufe auf Rochefort und
Klänge der Marſeillaiſe wurden dort von der Garde de
Paris mit Verhaftungen und Verwundungen beantwortet.
Gleichzeitig hatten sich in der Vorstadt Belleville Zuſam-
menrottungen gebildet, die ſspä.er gegen das Innere der
Stadt hinzogen und dort in gleicher Weiſe empfangen
und auseinander gejagt wurden. Von einem Angriffe
auf die städtischen Soldaten oder auch nur von einem
thätlichen Widerſtande der Volkshaufen wird nichts be-
richte. In Nantes dagegen ſcheint der Angriff von
Seiten der Bevölkerung begonnen worden zu sein. Den
erſten Anlaß zu den unruhigen Vorfällen hatten die
ſtädtiſchen Arbeiter gegeben, welche die Wahl des Regie-
rungskandidaten Gaudin zum Abgeordneten für die Folge
einer Stimmfälſchung erklärten, indem sie in Abrede ſtellten,
daß die zu seinen Gunsten abgegebenen Stimmen der
ländlichen Bevölkerung zahlreich genug gewesen ſeien, ihm
zur Mehrheit zu verhelfen. Auf welche Weiſe sich aus
diesem Proteste ein offenſives Vorgehen entwickelte, ist bis-
her noch nicht bekannt; der Telegraph bringt nur die
lakonische Meldung: „Waffenläden wurden geplündert; es
kam zu Zusammenstößen mit den Truppen und zu vielen
Verwundungen." Nach einer anderen Depesche hat das
Militär von der Feuerwaffe Gebrauch gemacht; für den
ernſten Charakter der Vorfälle zeugt jedenfalls der Um-
ſtand, daß zur Verstärkung der Nanter Beſatßung, welche
jeit 48 Stunden ununterbrochen unter den Waffen
ſtand, Truppen von Tours auf der Eiſenbahn dahin ab-
gesendet worden sind. . ; .
Durch ein kaiserliches Detret vom Gestrigen iſt der
geſeßgebende Körper Fran kr eich s zu einer außerordent-
lichen Sitzung, in welcher er ſich lediglich mit der Prüfung
der Wahlen zu beschäftigen hat , auf den 28. d. einbe-
rutsn puer. in Spanien iſt vorgeſtern der Gesetz-
entwurf über Einsetzung einer Regentschaft zugegangen.
Der Regent , als welcher Serrano bezeichnet it, ſoll den
Titel „Hoheit“ führen ; .die Wahl des Mannes, dem ie
den Königstitel beilegen wollen, sei , ]0 erklärte Olozaga
bei Einbringung des Geseßentwurfes, „im Augenblick
unmöglich.“ Niemand widerſprach; nicht derſelben Eiti-
müthigkeit begegnete aber der Minister des Innern , als