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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

DOI issue:
No. 180 - No. 205 (1. August - 31. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0755

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f 1872. ....

Dienstag, 10. August.









Organ der deutſchen Volkspartei in Paden.



lung.









Tie „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täglich als Abendblatt
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr.,

bei Lokalanzeigen 2 kr. Befſtellungen bei der Expedition C 1 Nr.

ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchla

15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.









+ E



îGambetta + tin Programm.

_ H Ein Mann ist wenig, unter Umständen jedoch ſehr
viel, und der richtige Mann iſt im gegebenen Augenblicke
Alles. Die Bedeutung der franzöſiſchen Maiwahlen tritt
erſt jeßt in ihr volles Licht, seit Gambetta sein Programm
an die Pariſer Wähler veröffentlicht hat.

Emilio Caſtellar ſeßte Europa in Verwunderung, weil
Europa einstimmig der Ansicht war : Was kann aus Na-
zareth Gutes kommen? Caſtellar ſprach als ſpanischer
Idealiſt, der dem Welttheil das Ideal hinſtellte. Aber
Caſtellar ſelbſt verwies in der tlaſſiſchen Rede wider die
Monarchie auf Frankreich, als auf den heiligen Heerd der
Revolution. Gambetta antwortet jeßt auf Caſtellars
Appel und schwingt die hiſtoriſche Fahne von 1792; er
knupft dort wieder an, wo Gewalt und Trug die große
Arbcit der. Selbſtbefreung und Selbstbestimmung der
Völker unterbrochen hatte; er ruft die hiſtori ſche Le-
gitimität des revolutionären Rechtes an:

„Will Frankreich ſich nicht ermedrigen, ja nicht des
ſozialen Todes sterben, so muß es die französisch e Re-
volu tion zu Ende füh ren: Dies iſt die Aufgabe
unſeres Jahrhunderts und im Besondern die unſeres heu-
tigen Geſchlechts. Das Jubeljahr von 1789 darf nicht
eintreten, ohne daß das Volk für ſich wie für die üb-
rig e Welt die politiſche Hinterlaſſenſchaft wieder an ſich
gezogen, deren es seit dem 18. Brumaire beraubt ist."

Die Revolution iſt alſo nicht zu Ende geführt ?

Nein, sie ward unterbrochen, theils durch eigene Un-
fähigkeit und frühe Ermattung, theils durch den lauern-
den Cäſariemus. Und die große demokratische Bewegung
des Vernunftrechtes iſt kein egoiſtiſch-nationaler Att mehr,
sondern muß auch „für die übrige Welt“ durchgeführt
werden. Was das 18. Jahrhundert immer ahnte, iſt
jezt ins Vollbewußtsein getreten und muß aus dem vol-
len Bewußtſein verwirklicht werden. Ö

Wir sagen: „die große demokrati ſche Bewegung“,
und wir ſagen das mit vollendeter Abſsichtlichkeit; denn
die Demokratie iſt das Wesſey, die Subſtarz, der In-
halt aller Unruhe des Jahrl&ü;ts, und ſselbſt die Re-
publit iſt immer eine JFormbezeichnung. Niemand em-
pfindet das tiefer und betont das schärfer als der Re-
yublikaner Gambetta. Er ſtellt das Prinzip oben hin,
leitet Alles aus dem Prinzip ab, und ſeine ſtärkſten
Waffen gegen den Cäsarismus holt er aus der Rüſt-
kammer der Demokratie, der Selbſtbeſtimmung des
Volkes.

Verfolgen wir einmal den prinzipiellen Verlauf des
Gambetta’ſchen Manifeſtes; wir werden finden, daß es
in ſeinen Hauptzügen überall paßt, daß es ein euro-
päiſches Manifeſt iſt, und daß wir auch hier wieder, wie

bei allen Kundgebungen von Bedeutung, auf die „Verci-

nigten Staaten von Europa" stoßen. Das liegt in der

Luft, das iſt die gemeinſame Quelle aller ernſten Beſtre-

bungen, das Tempo, m welchem alle freien Pulse
ſehlagen.

Gambetta geht von der Ansicht aus, daß die letzten
Wahlen in Frankreich eine Epoche bilden. Die große
Wiederforderung des revolutionären Rechtes, die Kritik
der kaiserlichen Regierung und Verwaltung, sei durch
einen Skan dal, durch die plötzliche Vertagung der
Kammer, unterbrochen worden. Das Prinzip, für welches
das Volk gestimmt, habe verlangt, daß man gegen jede
Regierungékandidatur votirte und sämmtliche kaiserliche
Wahlen für ungültig erklärte. Das habe er gethan.

Das nennt Gambetta die erſte „Rückforderung Eurer
Rechte". Krankheit habe ihn gezwungen, den Arbeiten
der Versammlung zu entsagen; aber für diese „Rückfor-
derung“ trete er ein. Die Linke habe ihre Pflicht nicht
gethan, es ſsei nichts geſchehen, um den ,„brüsken“ Ab-
ſchied, kaum verhüllt unter dem Deckmantel einer pſeud o-
liber alen Reform“, vor dem Lande zu kennzeichnen.

Handeln müsse die Linke, und zwar als ,feſt kon-
stituirte Gruppe“, nicht als zufällig zuſammengewürfelte
Oppoſition. Protestire n müſſe ſie ge gen das per-

önliche Regiment, rücfordern mäüſse sie, nicht

dieſes und jenes Reförrj;{hen, sondern das Prinzip, „die
immer gegenwärtige Souveränität des Volkes“". Keinerlei
Transattion, sondern „Las Recht, über die g e s ammt e

ausübende Gewalt und über alle Agenten der Regie-

rung zu verfügen.“ :
_ Das isſt neu, das iſt das „Unversöhnliche“; eine ſolche
h Sprache ward niemals auf den Bänken der Linken gehört.







Und das iſt mächtig, weil es ſtark iſt. Hier endlich er-

blickt der Cäſarismus seinen wahren Feind.

Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 9. Auguſt.

* Zu den so wenig erfreulichen und befriedigenden
Verhältniſſen und Zuſtänden im Nordbunde ſpricht
auch der Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis
Siegen. Die betreffende Stelle lautet : „Das abgelau-
fene Geſchäftsjahr rief als Folge des wieder erwachten
Vertrauens zu Unternehmungen, die die Kriegsereignisse
des Jahres 1866 in's Stocken gebracht hatten, in vielen



Yweigen der Industrie einen Aufschwung hervor; jedoch

war und iſt noch immer der Mangel an völliger Sicher-
heit für die ungestörte, fruchtbringende Entwicklung solcher
Gesſchäſte bemertbar, die zu ihrer Abwickelung eine längere
Dauer beanspruchen. Sichere Garantien für die Zukunſt
und die allmälige Wiederbelebung des Handels und der
Gewerbe vermag uns nur der Abſchluß der hierzu nö-
thigen liberalen Reformen in den Zuſtänden des Nord-
deutschen Bundes und die dadurch bedingte Beseitigung
kriegeriſcher Verhältnisse zu bieten.“

Der Entwurf eines Strafgesetz buches für den
Nordbund enthält in ſeinen erſten 8 Paragraphen ein-
leitende Bestimmungen, handelt dann in seinem erſten
Theile, welcher 5 Abschnitte mit 58 Paragraphen umfaßt,
von der Bestrafung der Verbrechen und Vergehen im All-
gemeinen, in seinem zweiten Theile, der 31 Abschnitte
enthält, von den einzelnen Verbrechen und Vergehen und
deren Bestrafung, worauf der dritte Theil in vier Ab-
schnitten sich mit den Uebertretungen beſchäftigt. Von
einzelnen Bestimmungen des Entwurfs ist hervorzuheben,
daß die Zuchthausſtrafe und die Gefängnißſtrafe sowohl

für die ganze Dauer, wie für einen Theil der erkannten

Strafzeit in der Weiſe der Cinzelhaft vollſtrectt werden

kann, daß der Gefangene unausgesetßt von der Gemeinz

ſchaſt mit anderen Gefangenen gesondert gehalten wird.
Jedoch darf die Einzelhaft die Dauer von ſechs Jahren
nicht übersteigen. Gefangene, welche eine längere Frei-
heitsstrafe zu verbüßen haben, ſind nach ſechsjähriger
Dauer der Einzelhaft zu entheben, wenn ſie nicht ſelbſt
ihre fernere Verlaſſung in der Einzelhaft beantragen. Die
Todesstrafe iſt für Mord, Hochverrath und schwere Thät-
lichkeit gegen die Person eines norddeutſchen Landesherrn
beibehalten. Die zeitliche Zuchthausſtrafe ſoll mindestens
1 Jahr und höchſtens 15 Jahre dauern.

Eine in O eſt erreich erſchienene Verordnung gibt

den aus dem aktiven Dienste getretenen Offizieren
die Ermächtigung, unter Beibehaltung des Offizierscharak-
ters und mit Fortbeziehung ihrer Pension jede mit der
Standesehre zu vereinbarende bürgerliche Erwerbsbeschäf-
tigung zu betreiben, unter der einzigen Bedingung, daß
der Betreffende, wenn er persönlich das Geschäft betreibt,
dabei weder die Uniform tragen, noch bei geschäftlichen
Atten sich als Offizier aufführen darf. Es legt auf der
Hand, daß dieſe Verfügung, welche der bisher ſtreng durch-
geführten militärischen Exklusivität ein Ziel set, materiell
und moralisch tief in die Verhältnisse einschneidet.

In Spanien hat die Regierung ein Detret erlassen,
welches die Prälaten anweiſt, gegen die der Regierung feind-
lichen Priester einzuſchreiten, und in ihren Predigten die
Diözesanen zum Gehorſam gegen die Behörden aufzu-
fordern. – Ein in Madrid verbreitetes Gerücht besagt,
der Karliſten-Chef Sabariego habe sich mit seinen beiden
Söhnen nach Portugal geflüchtet. Faſt die geſammte
spanische Presſe macht die franzöſiſche Regierung zum Mit-
ſchuldigen des Don Karlos, da ſie denſelben nicht im
Geringsten belästigt, vielweniger in den Vorbereitungen,
die derſelbe zu seinem Einfalle in Spanien auf französi-
schem Gebiete getroffen, ernſtlich gehindert haben.

Deutſchland.

* Mannheim, 9. Aug. In den Distrikten elf
und zwölf haben die Preuß en ſchwache Mehrheit er-
halten; ebenſo Mehrheit heute Vormittag im Bezirk drei-
zehn. Als heute Vormittag die Infanteristen, die ein
„öffentliches Amt“ als Unteroffizier oder Spielmann be-
kleiden, in aufgelöster Tirailleuikette zur Wahlurne eilten,
war das Ergebniß kein zweifelhaftes. Die heute gewählten
.lohtutan:: ruhen auf Bayonettſpiken. Beneidens-
werther Sit.

t Aus Baden, 9. Aug. In verſchiedenen An-
zeigeblättern begegnet man hin und wieder Antündigungen,
die Luſttragenden gegen Einſendung von einem Thaler



das Geheimniß verrathen wollen: wie man es anzuſtellen
habe, um ,durch leichte Beschäftigung ein vortheilhaftes
Einkommen und eine gesicherte Exiſtenz ſich zu verſchaften.“
Das Organ unserer Regierung gibt nun ebenfalls und
zwar unentgeldlich ein. ſolches Mittel an. Dasselbe ver-
weiſt auf die jüngſte Verordnung über Anſtellung
der niederen Diener, welche „eine große Zahl von
Stellen“ ausschließlich für Militärp erſonen vorbehalte,
welche 12 Jahre (hievon 9 als Unteroffiziere) gedient
haben. In Ermangelung älterer Bewerber genügt auch
eine 9- beziehungsweise 7jährige Dienstzeit. In den letz-
ten 9 Monaten, so theilt die „Karlsr. Ztg.“ mit, hätten
16 Unteroffiziere des Erenadierregiments in den betreffen-
den verſchiedenen Branchen Anſtellung gefunden; auch
ſeien 11 zur Gendarmerie abgegangen, welche in Bezug
auf Zivilverſorgung dem Militär gleichgestellt sei. Da
sich nun in den übrigen Regimentern dieser Abgang an
Unteroffizieren in ähnlicher Weiſe geſtellt haben dürfte,
während ſich andererseits nur noch wenig Leute finden,
welche ſich zu einer längeren, als der gesetzlichen Dienſt-
zeit verpflichten, um sich durch das Avancement zum Un-
teroffizier den Anſpruch auf eine Zivilverſorgung wie an-
gegeben zu erdienen, so wird es den Regimentern ſchon
sehr schwer, ihre Unteroffiziersſtellen mit geeigneten Indi-
viduen zu beſeßgen. Da aber diese Verhältnisse noch we-
nig unter der Bevölkerung bekannt eien, während doch
mancher ehemalige Soldat im Lande ſein dürfte, der ſeine
Lage durch Wiedereintritt, d. h. Abschluß einer Kapitu-
lation, vorläufig nur auf 1 Jahr, bei einem Regiment
weſcntlich verbeſſern könnte, ſo hat die „Karlsr. Ztg."
geglaubt, darauf hinweiſen zu müſſen, „in wie kurzer
Zeit sich junge, anständige Leute ohne Mittel
eine geſicherte nnd geachtete Exiſtenz gründen
können.“ Beſonders will das Regierungsorgan Eltern
und Vormündern empfe hlen, ihre Söhne oder Mün-
del für die Uniteroffizierſchule in Biebrich anzumelden.
Diese erhielten dort einen vorzüglichen Unterricht und eine
gründliche militäriſche Erziehung, so daß sie, wenn ſie
mit 20 Jahren in die Armee eintreten und sich gut auf-
geführt haben, gewöhnlich gleich oder nach wenigen Mo-
naten Unteroffizier werden und die ſichere Aussicht haben,

„ſchon ſehr jung zum Feldwebel zu avanciren oder gar
die Zahlmeisterkarriere einschlagen zu können, jedenfalls
aber schon im Alter von 27 bis 30 Jahren einen aus-
kömmlichen Zivilverſorgungspoſten zu erhalten." Das
Regierungsorgan macht alle diese Mittheilungen „im In-
tereſſe des unbemittelten Theiles unserer NM
alſo „unbemittelter Theil‘ ~ zugegriffen.

In Bezug auf die Militär- Gebäulichkeiten, die in
Gottesaue errichtet werden, bemerkt die „Heidelb. Ztg.",
daß die Mittel hiefür von den Ständen bewilligt sind.
Auch befindet ſich dasſelbe Blatt in der Lage, die erfreu-
liche Mittheilung machen zu können, daß das Militär-
budget „überhaupt tein Defizit" haben werde. z..

Auf dem nächſten Landtage sollen, wie der „Obrh.
K.“ mit Vergnügen hört, die Regiſtra tur- und C x-
peditur-Beamten bei den Mittelſtaaten, die nicht mit
Staatsdienereigenſchast angestellt ſind, eine Besſerſtellung
erfahren. ;

h! München, 8. Auguſt. Der Magistrat hat dem
Beschluſſe der Gemeindebevollmächtigten, der iſraelitiſchen
Gemeinde behufs Erbauung einer zweiten Synagoge die
Summe von 30,000 fl. zur Verfügung zu ſtellen, zuge-
stimmt, mit der Modifikation, daß dieſer Betrag der Ma-
rimalbetrag und die Ausbezahlung davon abhängig ſei,
daß die Plane vorgelegt und die Mittel zu deren Aus-
führung vollkommen ausgewiesen werden. .

An der vor sechs Monaten dahier abgehaltenen Prü-
fung für den einjährigen Freiwilligendienſt in der Armee
hatten etwa 70 junge Leute theilgenommen, während ſich
zn der dießmaligen nur 38 angemeldet haben. :

* Nürnberg - U. Auguſt. Dem Magiſtrat lag
in ſeiner heutigen öffentlichen Sitzung die Eingabe be-
treffs der Einführung bon Kommunalsſchulen von. Er
beſchloß, die Sache in Inſtruktion zu nehmen zunächst
vom Magiſtrat Fürth die bezügliche Miniſterialentſchließung
ſich mittheilen zu laſſen, um vor allen Dingen den ge-
ſetzlichen Boden zu ermitteln, auf welchen das Vorgehen
in dieſer Angelegenheit gegründet werden kann.

+* Darmſtadt, 8. Aug. Gestern Abend 6 ]- Uhr
fand nach zweitägigen, zum Theil sehr animirten, von
einem zahlreichen Auditorium, meiſt aus den beſsſeren
Ständen , mit geſpannter Aufmerksamkeit verfolgten Ver-
handlungen vor dem hiesigen Bezirkssſtrafgericht der vielz








 
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