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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 284 - No. 309 (1. Dezember - 31. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#1157

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Manuheim

Donnerstag, 2. Dezember









sir „Mannheimer Khendzeitun

Hnzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokslanzeigen 2

Der Abonnementspreis vierteljährließ Ein Gulben, ohne Voſtauſſchaaen. mul
15 in Mannheim und bei alten Voſtanſtalten. f

in Baden.

1869.

er Abendzeitung.

Organ der deulſchen Volksparlei

* wird . mit Ausnahme der Sonntage und Feſitage ~ gut. ;! fut g! uU: w. .
kr. Beftellungen bei der Expedition 0 1 Nr.





Die Korruption in Italien.

H Als die Stunde der Erlösung für Italien ſchlug,
das ſtolze Wort erklang: „Frei bis zur Adria!“ da ging
ein tiefer Riß durch die Herzen der denkenden Volks-
freunde. Wir haben deß kein Hehl, auch heute noch
nicht, daß sich zwei Seelen in unserer Bruſt befehdeten,
obwohl die Zweise.lentheorie seitdem auf dem Kasperltheater
eingebürgert worden iſt.

Nicht nur war es hart, dem Franzmann den Daumen
gegen Oeſterreich einzubiegen und den letzten Reſt deutsch-
kaiſerlicher Herrlichkeit ans Ungewisse preiszugeben, die
letzte Erinnerung an die Machtſtellung des weiland Reiches,
des deutſchen Einfluſſes in Europa. Nicht nur drohte
hinter dem italienischen Kriege ein deutscher Krieg und
ein ruſſiſcher, weil es klar war, daß Oesterreich im ge-
heimen Rath der Faiſeurs zum Abbruch verurtheilt wor-
den. Setzte man sich über das Alles weg, so blieb
immer noch die Frage nach der Zu kunft des ,be-
freiten“ Italiens, nach seiner hiſtoriſch-vernünftigen oder
zwangsweise oktroyirten Entwicklung. Denn das bon außen
her befreite, ſich ſelbſt zum Geschenk gemachte Italien
mußte voraussichtlich den Kompaß für sein inneres na-
tionales Thun und Treiben aus fremder Hand an-
nehmen. “ .

Und so geſchah's. Napoleon blieb der Schutzherr der
sog. ſechſten Großmacht ; er führte dem König-Ehrenmann
die Hand und die Feder; unter seiner Aegide entstand
eine der franzöſiſchen ähnliche Zentraliſation, ein großes
ſtehendes Heer, die Präfektenwirthſchaft und eine Schul-
denmasſe, Herz, was verlangſt Du ?

Daß eine liberale Verfaſſung, eine parlamentariſche ;

Regierung, ein Kabinet aus der Majorität, ein verant-
waortliches Miniſterium mit unverantwortlichem Könige
nicht ausreichen zur ſselbſtſtändigen volktsthümlichen Ent-
wicklung, zur Begründung der Regierung des Volkes
durch das Volk + das hat Italien seit einem Dezennium
über die Gebühr hinaus bewieſen. Es hat für die Blin-
deſten dargethan,. daß alle jenen gepriesenen Dinge ledig-
lich zur Regierungs f or m, zum Mechanismus gehören,
der für den Kern und das Wesen in keiner Weise gut-
spricht, ja, der die ächte Volksregierung in. die Zwangs-
jacke preßt und ihre Glieder lähmt.

Auch die parlamentariſche Regierung Italiens mit
dem ſtreng konstitutonellen Könige ist der furchtbarſten
Willkür und der ſchnödeſten Korruption verfallen. Die
Betrügereien und Schuftereien grassiren in der offiziellen
Welt von Florenz gerade wie in der von Paris und die
ärgſten Steuererpreſſungen, die ſchwerſten Schuldenlaſten
für das Volk bilden das Leder, woraus die Offiziellen
und Offiziöſen sich Riemen ſchneiden.

Kaum hat das kaiserliche Frankreich etwas Widrigeres
und Schändlicheres aufzuweisen als die Affaire Lo b bia.
Es handelte ſich um die Tabaksregie und deren Geld-
macherei. Tief in der Intrigue ſtectte der Finanzminiſter
Cambray-Digny, tief auch die morganatiſche Gräfin Roſine
des Königs Viktor Emanuel. Der Major Lobbia, der
zu viel von dem wußte, was hinter den Koulissen vor-
ging, wird Nachts meuchlings überfallen. Allgemeine
Empörung in der Kammer und im Volke, matte Ver-
folgung, offenbare Konivenz von Oben herab. Eine

höchſt wichtige Todtenſchau unterbleibt, weil gewisse Leute

? Leichenbesfund ſcheuten, wie ihr eigenes böses Ge-
wijten. ,
Noch nicht genug damit, wird der Staatsanwalt
kommandirt, einen Prozeß wieder den Major Lobbia an-
zuſtrengen wegen simuli r te n Angriffs auf ſeine Per-
ſon! Elende, verworfene Heugen weiblichen Geschlechts
müſſen den Beweis erbringen und der Gerichtshof ver-
urtheilt den Major Lobbia zu einem Jahre Gefängniß
und Verluſt der Uniform, ſo daß derselbe nach abgeſeſſe-
_ ner Strafe dem Kriegsgerichte verfällt und offenbar ein
verlorener Mann iſt ! P ; ;
Welche Zuſtände, welche Gerichie, welche Demorali-
ſation ! Die Kammer miſcht sich ſofort nach ihrem Zu-
ſammentritt ein und die Linke beantragt, daß der Gerichts-
hof Bericht zu erstatten und die Dokumente einzuſenden
habe, worauf dann ein Spezialausſchuß ſtrenge Prüfung
vornehmen werde. Das Ministerium Menabrea iſt unter-
deß der Majorität erlegen, die Opposition hat Oberwasser
bekommen und die Kammer ernannte richtig einen Aus-
ſchuß, der die Verfaſſung dahin zu prüfen hat, ob ohne
Genehmigung der Kammer ein gerichtliches Verfahren
_ gegen Lobbia eingeleitet werden konnte.

er des Nachts träumt + wie Lady Macbeth !



Es iſt heilſam, daß ein ſolches letztes Rechtsmittel
noch übrig bleibt, aber es gibt nichts Verderblicheres als
die Beanſtandung der richterlichen Erkenntsſe von Seite
der Legislative. Umgekehrt soll es sein : Die Gerichte
haben darüber zu befinden, ob die Kammer sich an den
Gesetzen vergreitt. Wenn die Crekutive mit der richter-
lichen Gewalt konspirirt, ſo iſt etwas ſehr faul im
Staate. Und das iſt der Fall in dem „befreiten“
Italien.



Politiſche Ueberficht.
Mannheim, 1. Dezember.

* Bonaparte hat, manche frappantoe
Wendung in ſsſeinem Leben geleiſtet; aber in
seiner jüngſten Thronrede hat er sich offenbar ſelbſt über-
troffen. Hier lesen wir: „Für die Ordnung stehe ich
ein, helfen Sie mir die Freiheit retten!‘ Die Ordnung
kümmert ihn weniger, die iſt Nebensache, und dieſe Neben-
sache iſt besorgt; aber die „Freiheit“, das iſt ſeine Herzens-
angelegenhcit, für die er gelebt und gelitten hat, von der
Er be-
schwört den gesetzgebenden Körper, dieses höchſte Gut zu
retten, welches die verwünſchten Republikaner und Unver-
söhnlichen aus allen Kräften zu Grunde richten. Denn
ſpricht der weise Zäsar, die Freiheit muß „regelmäßig und
friedlich" sein, Thee trinken und um zehn Uhr zu
Bette gehen; sie muß „ohne Umſturztentenzen ſein, ohne
„Crzeſſe der Preſſe und der öffentlichen Verſammlungen“,
ſie darf keine „Unsicherheit und Verwirrung“ in den
Gemüther anrichten, kurz; ſie muß „im Bunde mit der
Ordnung“ ſein.

Die Herren Abgeordneten werden aufgefordert, diese
zahme, gemüthliche, gesittete, besonnene, militärfromme Frei-
heit, diese zäsariſche , napoleonif:he Freiheit, einen Schritt
vorwärts und zwei zurück, diesen Punſch ohne Spiritus
und Zucker, dieses Meſſer ohne Heft, von dem die Klinge
abhanden gekommen iſt, dieses Etwas ohne Cigenſchaften,
diese Küche ohne Feuer, gefälligtt in Frankreich einzu-
F u. und ſich dabei seiner allerhöchſten Huld versichert
zu halten.

Und wenn die Herren ihre große Aufgabe noch nicht
verſtanden haben sollten , ſo sagt er es ihnen später noch
einmal : Die Interessen der Gesellſchaft, die Prinzipien der
(oktroyirten) Verfaſſung müssen geſchützt werden ; die Re-
gierung hat dazu die „Pflicht und die Macht“, die
uss und das Recht." „Für die Ordnung ſtehe
ich ein.“

Nun machen Sie, meine Herren , gebén Sie Frank-

reich die „Freiheit“; Sie haben jetzt „einen größeren Theil

der Verantwortlichkeit‘, bedenken Sie, was Sie thun.
Die Macht behalte ich, die Armee ist gut gezogen, die
Polizei überzählig und allgegenwärtig. Ich bin die Ge-
walt im Staate. Sie aber, geniren Sie ſich nicht,
„retten Sie die Freiheit“ ; ſehen Sie zu, wie sie mit den
Republikanern und Unversöhnlichen fertig werden.

So beginnt die neueſte Aera des Imperialismus.

Außer der republikaniſchen Partei in den sp ani-
sch en Kortes hat sich Niemand für den von den Re-

publikanern beantragten Tadelsausſpruch gegen die Re- | §

gierung, wegen ihres Verhaltens während der Aufhebung
der verfaſſungsmäßigen Freiheiten erhoben. Stolz stimm-
ten die Königsmacher dagegen. Den Letteren ſoll doch
noch Aussicht erhalten bleiben, den italieniſchen Knaben
in den Purpur hüllen zu dürfen. Eine Depesche des
Grafen Montemar hat die Regierung in Madrid benach-
richtigt, daß König Viktor Emanuel versuchen wolle, die
Mutter des Herzogs von Genua zu bestimmen, darein
zu willigen, daß ihr Sohn den Königsthron in Spanien
besteige. Die Mutterliebe wird 1indeſſen den Sohn vor dieſem
Glücke wohl bewahren.

Cine jener Konf erenzen, zuſammenberufen für eine
beſtimmte Frage, taucht am politiſchen Himmel auf. Die
t ü rtiſ che Regierung ſoll sich unter einer Verwahrung,
die ſich von ſelbſt verſtehe, bereit erklärt haben, auf die
zur Löſung des Konfliktes mit dem Vizekönig von Egypten
vorgeſchlagene Form eines „Firman explikatif" ~ letzten
erläuternden Erlaſſes ~ einzugehen und ſollen vorläufig
Oſterreich und die. Westmächte entſchloſſen sein, falls die
darin gegebene Auslegung des Verhältniſjes des Vize-
königs zur Pforte von dem Bizekönig beſtritten werden
ſollte, die Angelegenheit vor das Forum ,,einer jener
Konferenzen ad hoe zu bringen, denen es bereits mehr-
mals gelungen, eine brennende Streitfrage zum friedlichen
Austrag zu bringen.“ Oefters noch haben die Konferenzen



nur den Krieg vorbereite. Man denke an die Londoner
Konferenz über die ſchleswig-holſteiniſche Angelegenheit.

Deut9ſchland.

* Mannheim , 1. Dez. Der Gemeinderath hat
dem Drucke der öffentlichen Meinung nachgegeben und
ſich für die einheitlich e Volksſchule entschieden. Die
auf morgen anberaumte Sitzung des Großen Bürger-
ausschuſſes, um über die Organisation der gemischten



Volksschule zu beschließen , findet nicht statt. Die Wahl
des gemischten Ortsſchulrathes soll alsbald vorgenommen

werden und erſt wenn dieser über die Cinrichtung der
gemischten einheitlichen Voltsſchule das Nöüx
thige vereinbart hat, soll der große Bürgerausſchuß bes
rufen werden, um wegen den erforderlichen Mitteln zu
berathen und zu beſchließgen.

Dieser Beſchluß, wurde vom Gemeinderathe auf An-
trag des Hrn. Gem.-Rathes Fr. Löwenhaupt in der
gestern Abend abgehaltenen Sitzung des Gemeinderathes
gefaßt. Hr. L. hatte die Freundlichkeit, ein Mitglied des
Komite des Grünen Hauſes alsbald hievon zu unterrich-
ten, ſo daß der auf geſtern Abend in das „Grüne Haus“"
zur Behandlung der Sch ulf rage berufenen All ge-
meinen Verſamm lung Kenntniß hievon gegeben
werden konnte.

Die Allgemeine Verſammlung war trotz des ſchlechten
Wetters zahlreich beſucht. Dieselbe wurde von Hrn. Ür.
Wunder eröffnet. Hr. Eichelsdörfer leitete die auf der
Tagesordnung stehende Frage: „Beshprechung der vom Ge-
meinderathe anden Großen Bürgerausſchuß über die Organisa-
tion der einzuführenden gemischten Volksschule gemachten Vor-
ſchläge" ein. Er verwies zunächst auf die Beschlüſſe der Allge-
meinen Versammlung vom 183. Okt. 1868, welche die
Einführung der gemischten Volksſchule, die einheitliche
Organisation derſelben , Errichtung einer Volksſchule in
den „Neckargärten“ und Abschaffung des Schulgeldes
verlangten. Die Einführung der gemiſchten Volksschule

wurde durch die Abstimmungen der Konfeſſionsgemeinken

am 28. und 29. Jan. d. J. erreicht. Die weiteren
Wünſche der Versammlung vom 18. Okt. 1868 fanden
dagegen beim Gemeinderathe keine Berückſichtigung, weß-
halb das Komite des Grünen Hauſes auf gestern Abend
eine Allgemeine Versammlung einberufen, um derselben
über seine Thätigkeit in der Schulfrage Bericht zu er-
ſtatten und in derselben den Antrag zu ſtellen: Bei den
Besſchlüſſen der Versammlung vom 18. Okt. 1868 ſtehen
zu bleiben ; dieselben unmittelbar dem auf morgen
zur Entscheidung der Frage berufenen großen Bürger-
ausſchuß vorzulegen und an denselben das drin-
geitde Erſuchen zu ſtellen: die Anträge des Gemeindes
rathes zu verwerfen ; dagegen zu beſchließgen: 1) daß die
gemischte Volksſchule eine einheitliche sei und minde-
ſtens nach dem Lehrplan der bisherigen erweiterten Volks-
ſchule eingerichtet werde; 2) daß die vorgeſchlagene KNlaſ-
ſen-Eintheilung 2c. demgemäß Abänderung erhalte; 3)
daß in den Neckargärten eine Voltsſchule errichtet werde,
und 4) daß der Gemeinderath die ihm zu Gebote ſtehen-
den Mittel anwenden wolle, um die Abänderung des
57 des neuen Schulgeſeßes zu erlangen, und die Ab-
schaffung des Schulgeldes in unserer Stadt durchzu-
führen. ; : t
An die Verleſung des bez. Antrages knüpfte ſodann
der Redner die Eingangs erwähnte Mittheilung, daß der
Gemeinderath in geſtriger Sitzung sich edenfalls für die
ein heitliche Volksschule entschieden habe. Eine Be-
gründung des Antrags, welche Hr. Prof. Krebs über-
nommen, könne daher ausfallen. Trotzdem aber wolle er
beantragen, die Verſammlung möge den in der verleſenen
Eingabe ausgesprochenen Grundſäßen und Forderungen
beipflichten und das Komite des Grünen Hauſes ermäch-

tigen, auch ferner in der Frage auf der Wache zu ſtehen |

und im Namen der Versammlung thätig dafür zu ſein, daß
ihre Wünſche und Forderungen bei der Organisation der
gemischten Volksſchule Berücksichtigung finden. Ö

Die Versammlung stimmte diesem Antrage, nachdem
noch die Herren Prof. Krebs, J. Rhodius, Bruchmann,
E. Kuhn und E. Hirſch zur Frage geſprochen, ein-
stimmig zu. Hr. Krebs sprach ſich dahin aus, man
habe dem Gemeinderathe nicht zu danken, daß er dem
Wunſche der Bürgerſchaft gerecht geworden; bei den nächſten
Wahlen werde die Bürgerſchaft ihr Urtheil abgeben.

Auf Anregung des Hrn. Dr. Stern trat die Ver-

sammlung in & eſprechung der Wahlen zum gemiſchten

Ortsſchulrathe ein, an welcher ſich die Herren W. Kopfer,



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