J. 122.
Mittwoch, 26. Mai.
1869.
Organ der deulſchen Volkspartei in
Die „Mannh-imer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage – täg
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
lich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Beſtellungen bei der Expedition 0 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten. j
TD Auf die „„Mannheimer Abend-
zeitung‘“ kann noch für den Monat Juni
bei allen Poſterpeditionen und Landpoſt-
boten abonnirt werden. Verlagspreis >
20 kr. ;
Das Offenburger Konzil.
* Das Volk in Baden wehrt sich mehr denn je gegen
die ihm angesonnene Verpreußung ; vernehmlich und
© dringend verlangt es die Einführung des allgemeinen und
direkten Wahlrechts, um ſseinen Willen in der Kammer
zur Geltung zu bringen, um die jeßige Regierung zur
Umkehr in der von ihr befolgten Politik oder zum Rück-
tritt zu veranlaſſen. Angesichts Desſſen eilten die badi-
ſchen Großpreußen aller Schattirungen nach Offenburg;
im „Großen und Ganzen“ handelt es sich bei ihnen
darum, Baden sobald als thunlich an den Nordbund an-
uſchmieden.
[! Liberalnationale und Nationalliberale, Offenburger und
Ministeriele fanden sich da zuſammen. In einer am
Vorabend abgehaltenen Vorbesprechung, an welcher unter
Anderen die Herren Bertheau, Artaria, Lamey, Bluntsſchli,
Kusel, Turban, Eckhard, Kiefer, Gerbel, Fauler und
Kirsner Theil nahmen, wurde der Friedensvertrag zwischen
den „Offenburgern" und dem Miniſterium geſchloſſen. Der
Hauptverſammlung vom Sonntag blieb es vorbehalten,
y Vorgang für die „große Menge“ in Szene zu
ehen.
—— Die Herren Eckhard, Kiefer, Kuſel, Stromeyer und
Treitſchke theilten ſich in die Rollen. Eckhard zog die
„erpreußungsflagge auf und sprach die Erwartung aus,
„alle charattervouen Männer könnten und würden ſich
unter diesem Banner ſchaaren."“" Kiefer ging auf die
Hauptsache los. Er leitete den Uebergang oder die Rück-
kehr der Offenburger in das miniſsterielle Lager ein, indem
er das Friedensinſtrument, eine Adresſe an den Großher-
zog, verlas und begründete. Nachdem die Adresse auf
„guten Boden“ gefallen, ging Kiefer einen Schritt weiter
und sprach deutlicher: er halte es für eine ſchimpfliche
Sache, unserer Regierung bei dem Stande ihrer gegen-
wärtigen Feinde Schwierigkeiten zu bereiten. Was die
auseinandergehenden Ansichten der nationalen und libe-
ralen Partei in den „inneren Fragen“ betreffe, so be-
merkte er, daß Jeder seine Meinung haben könnez er
ſelbſt wolle stets ein ehrlicher Mann bleiben in Wort und
That und werde eng zu ſeinen Parteigenoſſen halten,
denn Jeder müſſe stets in ſtreitigen Fragen ſſeine
perſönliche Ansicht dem großen Ganzen unterordnen. Nun
hatte der große Kiefer auch das Mittel an Handen, ſeine
„ſchwungvollen Reden“ für das allgemeine und direkte
Wahlrecht ins Feuer zu werfen. . Er wünſcht es auch
und iſt auch dafür, aber in . . . „freiſinnigſten Kreiſen“
sagt man, daß nach den Erfahrungen der drei legten
Jahré jett nicht die Zeit sei, dieses Wahlrecht auszuführen.
Die ,ſreiſinnigsten Kreiſe“ sagen Dieß dem ,freiſinnigen“
Kiefer, und da muß er wohl seine perſönliche Anſchauung
dem „großen Ganzen“ zum Opfer bringen. „Umarme
mich mein Sohn“ ~ wird Jolly ſprechen ~ dir iſt der
härtere Kampf gelungen. Nimm dieses Kreuz. Es ist
der Lohn der Demuth, die ſich ſelbſt bezwungen." Nun
war Kuſel am Platze. Er befürwortete die Organiſation
der wieder glücklich vereinigten national-liberalen Partei
und den Beginn rühriger Arbeit und ermahnte die An-
weſenden, sie möchten sich in dieser Hinsicht beſſern und
dafür wirken, daß auch die abwesenden politiſchen Freunde
ſich beſſern. Heiterkeit lohnte den Redner! Stromeyer
brachte ſich kurz in Erinnerung; worauf Treitſchke „mit
Gott für König und Vaterland“ ins Zeug ging und
aufforderte, die Kluft auszufüllen, die den Süden noch
irenne von dem Norden > in welchem das deutſche Leben
ſchon in feſter staatlicher Form ſsich freudig (in Milita-
rismus und Steuern) entfalte. Die Trompeten ſchmetterten,
jugendliche Begeiſterung erfaßte Alle, die da getommen
waren ; ſie griffen hinein in den Himmel und holten her-
unter sich die ~ Adresse.
Dieſe Adreſſe iſt nach Kiefer „eine Art“ Programm,
das die „Wünſche“ (wie zahm) der Liberalen und Na-
tionalen in Bezug auf innere und äußere Fragen ent-
halte. Nach Innen: ſind die Liberalen und Nationalen
der Meinung, daß einzelne Gebiete unserer Verfaſſung
einer zeitgemäßen Verbesserung unterzogen werden Jollen.
Hiezu rechnen Jie „eine Fortentwicklung der Wahlordnung”,
wobei sie das allgemeine und direkte Wallrecht für poli-
tische Wahlen v erwerf en, dagegen die Ausdehnung des
Wahlrechtes vom Ortsbürger auf den Staatsbürger und
die Vergrößerung der Wahlmänner-Körper befürworten.
Ferner wollen ſie erhebliche Abkürzung der Dauer der
Abgeordneten-Mandate, Umbildung des Bestandes der
erſten Kammer nach den Interesſſenkreiſen der Gegenwart,
die Verleihung des Rechts der Jnitiative an die Volks-
vertretung und Abkürzung der Budgetperioden.“ In Be-
zug auf die Gemeinde erſcheint ihnen „wichtig und un-
verſchieblich“ eine durchgreifende Reform der bestehenden
Gemeindegeſeßgebung, im (dunklen) Sinne „einer gerechten
Ausgleichung der Rechte und Pflichten der Einwohner der
Gemeinde, namentlich aber durch die Berufung sämmt-
licher Gemeindegenosſen zur direkten Erwählung der Ge-
meindebeamten“’ . . . wobei wieder offen gelassen ist die
Frage über die großen und kleinen Ausſchüſſe und die
Dreiklaſſenwahl zu denſelben. So ſchwach die Reformen
auch sind, die hienach gewünscht werden, und so unklar
sie vorgetragen werden, so wären dieſelben doch immer eine
Kundgebung für freiheitliche Entwicklung“, wenn wir Denen
gegenüber, die ſie heute machen, nur nicht in der Lage wären,
immer wieder darauf zurückkommen zu müssen ; Die Bot-
schaft hör’ ich wohl, doch mangelt mir der Glaube! Und
nun nach Außen. Hier läßt sich das „Programm“ kurz
zusammenfassen in den einen Saz : baldige Ve r-
preußun g Badens. Die Liberal-Nationalen ſprechen
zum Großherzog: sie alle fühlten den ſchweren Ernst der
Zeit, in welcher Baden „des Segens einer staatlichen
Verbindung“ mit dem unter Preußens Führung geeinten
Nordbunde entbehre; ſie betrachteten es als patriotiſche
Pflicht, die Laſten des Heerweſens zu tragen; sie wollten
vertrauensvoll und unerschütterlich r Führung des Groß-
herzogs folgen, „auf jenen Wegen der Pflicht und der
Chre, welch uns mit Sicherheit zur ersehnten Einheit des
nationalen deutschen Staates hinüberführen."“ In „tiefster
Ehrfurcht“ verharren ſie nun ,in einheitlicher Gemein-
samkeit“, bis sie „hinübergeführt“ werden. Doch auch
ſie wollen die Initiative ergreifen ; sie wollen den Freunden in
Heſſen. Württemberg und Bayern Kenntniß geben, von
dem „erfreulichen Reſultate" des Konzils von Offenburg,
so abgehalten am Sonntage der Dreifaltigkeit, im Jahre 3.
des Erfolgs von Blut und Ciſen. Cine Deklaration an
die Freunde, ſo meinte ſchließlich Eckhard, müsse von
„tiefen Folgen“ sein: die Verbindung mit dem Norden
werde kommen ; was nicht zur Anbahnung derselben
ſtaatsrechtlich in den Kabinetten geschehen könne , „solle“
dann vom Volke ausgehen. Warum nicht vom „Kerne“
deſſelben ? Nicht wahr, ihr Eckhardt und Kiefer, ihr
Bluntschli und Treitſchke, ihr Lamey und Artaria — das
iſt ganz etwas Anderes. Die Kaſtanien soll euch das
Volk aus dem Feuer holen, es ſoll sich „die Knochen
zerſchießen“ laſſen, um sich ſelbſt dem von euch ge-
prieſenen deutſchen Staat der Gewalt und Unterdrückung
zu überliefern. Geht doch ihr Herren ! Für zum Rede-
halten und Adresſenbeſchließen mögt ihr nochLeute finden;
für euren deutſchen Staat rührt das Volk weder Hand
noch Fuß.
Das Königthum in Spanien.
Die Frage, welche Regierungsform Spanien künf-
tig haben ſoll, iſt von den Kortes am 20. entſchieden
worden, durch Annahme des Artikels 33 des Verfassungs-
Entwurfes, der kurz und trocken lautet: „Die Regierungs-
form der spaniſchen Nation iſt die Monarchie.“
Nach den Vorgängen der letzten Wochen wirkt dieser
Beschluß nicht wie eine Enttäuſchung, sondern nur wie
das Eintreffen eines vorhergeſehenen unangenehmen Er-
eigniſſese. Wir wissen, daß ſich Ideale im peaolitiſchen
Leben nur selten und ſchwer verwirklichen laſſen. Aber
unzweckmäßig ſcheint uns der Beschluß der Kortes jeden-
falle. Wenn das Volk in Spanien seine Dynaſtie ver-
trieben hat, wozu setzt man eine neue ein in einem Lande,
deſſen ausgeprägt föderativer Geiſt in Verbindung mit
jahrhundertalter Selbstverwaltung der Gemeinden es für
t gtteleuh Staatsform vorzugsweise geeignet
macht ?
Wiederholt haben die Mitglieder der provisorischen
Regierung die Republik mit der Erklärung bekämpft, sie
würde zum Bürgerkriege führen. Die Herren haben da-
mit ihre eigenen ehrgeizigen Gedanken verrathen; si e und
Niemand als sie würden die Fahne des Aufruhrs gegen
eine republikaniſche Regierung erheben. Sie wollen die
Gewalt, die ihnen durch die Revolution zugefallen , nicht
aus den Händen geben , ſie wollen die Erſten im Lande
bleiben, gleichviel durch welche Mittel. Kein Menſch außer
ihnen würde den Bürgerkrieg entzünden, indem sie die
alten Karliſten, die Fanatiker der Reokatholiken, kurz allen
reaktionär.n Kehricht der Halbinsel zu schnöden Bundes-
genoſſen hätten. Wer sollte sonst die Waffen gegen die
Republik ergreifen? In der Armee, ja ſelbſt unter dem
Landvolke sind während der Regierung Iſabella’s wieder-
holt republikanische Aufstände ausgebrochen, eine ganze
Reihe hervorragender, nicht blos geiſtig bedeutender, son-
dern auch durch Rang und Reichthum schwer wiegender
politiſcher Männer Spaniens bekennt ſich zu republikani-
schen Grundſätzen. Wo also lag die Gefahr des Bürger-
krieges ? Nirgends, und wenn die proviſoriſche Regierung
weniger diplomatisch und mehr ehrlich vorgienge, ſo hätte
ſie sagen müſſen: Wir wollen die Republik nicht, weil
wir lieber Höflinge als die geachtetſten Bürger des
Landes sind.
Der Beſchluß der Kortes wird die eifrigen Königs-
macher mit großer Genugthuung erfüllen. Er vollzieht
ſich indeß unter Umständen , welche wohlgeeignet ſind,
einiges Nachdenken zu erregen. Dahin rechnen wir zuerſt
die einstimmige Annahme des Artikels 32 des Verfaſſungs-
Entwurfes... Er iſt ebenſo kurz wie der ihm folgende
und lautet: „Alle Gewalten gehen von der Nation aus."
Das iſt ein Satz, in dem man ſofort die Prinzipien von
1789 erkennt. ‘Er bricht alle legitimisſtiſchen Ueberliefe-
rungen entzwei und fußt auf der Lehre der Volks-Souz-z
veränetät. Wenn alle Gewalt von der Nation ausgeht,
dann iſt die Gewalt des Monarchen nur eine übertragene
und dadurch nothwendigerweisſe beschränkte. Wir wüßten
keine zweite europäische Volksvertretung, in welcher Jich
nicht ein Häuflein auf der äußerſten Rechten gegen einen
solchen Verfaſſungs - Artikel erheben würde. Aber in der
Heimat des Helden, der auf der Rozinante zu Streit
und Abenteuern ausritt, scheinen seine Enkel ausgeſtorben
zu sein. Spanien iſt durchtränktt von der Idee der
Volks-Souveränetät, und keine Stimme widersprach ihrer
Verkündigung. Selbst die Anhänger der vertriebenen
Dynastie, deren etwa ein Dutzend in den Kortes ſitzen,
selbſt die kirchlichen Würdentrager stimmten für Artikel 32.
Der künftige Regent Spaniens mag Dieß wohl beherzigen,
und nicht minder mag er die Stärte der republikaniſchen
Partei erwägen. Sie macht ein volles Viertel der konſti-
tuirenden Versammlung aus. Einundsiebenzig Republi-
kaner sind in die Kortes gekommen , obwohl die proviſo-
riſche Regierung alle Mittel gegen republikaniſche Kandi-
daten in Bewegung setzte , obwohl man unter Olozaga's
in Paris an der Quelle geſchulter Führung die Wahlen
in faſt bonapartiſtiſcher Weiſe überwachte. Alle Kunst-
griffe, alle Drohungen und Versprechungen wurden ange-
wendet, um die Republikaner von den Kortes fernzuhalten;
viele Mitglieder der Partei ſind auch auf dieſe Art bei
den Wahlen unterlegen, und dennoch verfügt ſie über eine
festgeſchlosene Phalanx von einundsiebzig Mitgliedern,
deren Disziplin und Cinigkeit den französischen Republita-
nern ein lehrreiches Muſter ſein könnte.
An der Thatsache, daß die Kortes die theure Mo-
narchie der billigen Republik vorgezogen haben und Spa-
nien eine neue Dynaſtie in den Palaſt der Bourbonen
einführen wird, ändern ſolche Betrachtungen allerdings
nichts. Die Königsmacher haben vorläuſig Recht behalten
und werden zu der schönen monarchiſchen Verfasſſung jetzt
den Monarchen ſuchen müssen. Leicht zu finden wird er
nicht sein ; im Gegentheile, die Verlegenheit der Macht-
haber, wem sie die ſüße Laſt der Krone auf das Haupt
laden wollen, dürfte geraume Zeit andauern. (N. Fr. P.)
Politiſche Ueberſiaht.
Mannheim, 25. Mai.
* Vorgestern begonnen, sind die Wahlen für den ge-
seh gebenden Körper in Frankreich geſtern beendet
worden. Ueber Ergebniſſe derſelben hat der Telegraph
bis jezt noch nichts berichtet; er meldet nur, daß die
Wahlen überall + mit einziger Ausnahme von Marseille,
wo einige unter Hochrufen auf die Republik die Straßen
durchziehende Volkshaufen eine gelinde, jedoch ungerecht-
fertigt verbliebene Besorgniß hervorriefen + in Ruhe vor
ich gegangen ſind. ;
j Uri ! Sturmſchritt, in welchem ſeit der Annahme
des Artikels über die künftige Staatsform S p a n i e n s die
Kortes in ihren täglich zweimaligen Sitzungen die Verfaſ-
ſind doch am 21. und 22.
kann die
ſungsberathung betreiben — '
nicht weniger als 86 Artikel erledigt worden
Mittwoch, 26. Mai.
1869.
Organ der deulſchen Volkspartei in
Die „Mannh-imer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage – täg
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
lich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Beſtellungen bei der Expedition 0 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten. j
TD Auf die „„Mannheimer Abend-
zeitung‘“ kann noch für den Monat Juni
bei allen Poſterpeditionen und Landpoſt-
boten abonnirt werden. Verlagspreis >
20 kr. ;
Das Offenburger Konzil.
* Das Volk in Baden wehrt sich mehr denn je gegen
die ihm angesonnene Verpreußung ; vernehmlich und
© dringend verlangt es die Einführung des allgemeinen und
direkten Wahlrechts, um ſseinen Willen in der Kammer
zur Geltung zu bringen, um die jeßige Regierung zur
Umkehr in der von ihr befolgten Politik oder zum Rück-
tritt zu veranlaſſen. Angesichts Desſſen eilten die badi-
ſchen Großpreußen aller Schattirungen nach Offenburg;
im „Großen und Ganzen“ handelt es sich bei ihnen
darum, Baden sobald als thunlich an den Nordbund an-
uſchmieden.
[! Liberalnationale und Nationalliberale, Offenburger und
Ministeriele fanden sich da zuſammen. In einer am
Vorabend abgehaltenen Vorbesprechung, an welcher unter
Anderen die Herren Bertheau, Artaria, Lamey, Bluntsſchli,
Kusel, Turban, Eckhard, Kiefer, Gerbel, Fauler und
Kirsner Theil nahmen, wurde der Friedensvertrag zwischen
den „Offenburgern" und dem Miniſterium geſchloſſen. Der
Hauptverſammlung vom Sonntag blieb es vorbehalten,
y Vorgang für die „große Menge“ in Szene zu
ehen.
—— Die Herren Eckhard, Kiefer, Kuſel, Stromeyer und
Treitſchke theilten ſich in die Rollen. Eckhard zog die
„erpreußungsflagge auf und sprach die Erwartung aus,
„alle charattervouen Männer könnten und würden ſich
unter diesem Banner ſchaaren."“" Kiefer ging auf die
Hauptsache los. Er leitete den Uebergang oder die Rück-
kehr der Offenburger in das miniſsterielle Lager ein, indem
er das Friedensinſtrument, eine Adresſe an den Großher-
zog, verlas und begründete. Nachdem die Adresse auf
„guten Boden“ gefallen, ging Kiefer einen Schritt weiter
und sprach deutlicher: er halte es für eine ſchimpfliche
Sache, unserer Regierung bei dem Stande ihrer gegen-
wärtigen Feinde Schwierigkeiten zu bereiten. Was die
auseinandergehenden Ansichten der nationalen und libe-
ralen Partei in den „inneren Fragen“ betreffe, so be-
merkte er, daß Jeder seine Meinung haben könnez er
ſelbſt wolle stets ein ehrlicher Mann bleiben in Wort und
That und werde eng zu ſeinen Parteigenoſſen halten,
denn Jeder müſſe stets in ſtreitigen Fragen ſſeine
perſönliche Ansicht dem großen Ganzen unterordnen. Nun
hatte der große Kiefer auch das Mittel an Handen, ſeine
„ſchwungvollen Reden“ für das allgemeine und direkte
Wahlrecht ins Feuer zu werfen. . Er wünſcht es auch
und iſt auch dafür, aber in . . . „freiſinnigſten Kreiſen“
sagt man, daß nach den Erfahrungen der drei legten
Jahré jett nicht die Zeit sei, dieses Wahlrecht auszuführen.
Die ,ſreiſinnigsten Kreiſe“ sagen Dieß dem ,freiſinnigen“
Kiefer, und da muß er wohl seine perſönliche Anſchauung
dem „großen Ganzen“ zum Opfer bringen. „Umarme
mich mein Sohn“ ~ wird Jolly ſprechen ~ dir iſt der
härtere Kampf gelungen. Nimm dieses Kreuz. Es ist
der Lohn der Demuth, die ſich ſelbſt bezwungen." Nun
war Kuſel am Platze. Er befürwortete die Organiſation
der wieder glücklich vereinigten national-liberalen Partei
und den Beginn rühriger Arbeit und ermahnte die An-
weſenden, sie möchten sich in dieser Hinsicht beſſern und
dafür wirken, daß auch die abwesenden politiſchen Freunde
ſich beſſern. Heiterkeit lohnte den Redner! Stromeyer
brachte ſich kurz in Erinnerung; worauf Treitſchke „mit
Gott für König und Vaterland“ ins Zeug ging und
aufforderte, die Kluft auszufüllen, die den Süden noch
irenne von dem Norden > in welchem das deutſche Leben
ſchon in feſter staatlicher Form ſsich freudig (in Milita-
rismus und Steuern) entfalte. Die Trompeten ſchmetterten,
jugendliche Begeiſterung erfaßte Alle, die da getommen
waren ; ſie griffen hinein in den Himmel und holten her-
unter sich die ~ Adresse.
Dieſe Adreſſe iſt nach Kiefer „eine Art“ Programm,
das die „Wünſche“ (wie zahm) der Liberalen und Na-
tionalen in Bezug auf innere und äußere Fragen ent-
halte. Nach Innen: ſind die Liberalen und Nationalen
der Meinung, daß einzelne Gebiete unserer Verfaſſung
einer zeitgemäßen Verbesserung unterzogen werden Jollen.
Hiezu rechnen Jie „eine Fortentwicklung der Wahlordnung”,
wobei sie das allgemeine und direkte Wallrecht für poli-
tische Wahlen v erwerf en, dagegen die Ausdehnung des
Wahlrechtes vom Ortsbürger auf den Staatsbürger und
die Vergrößerung der Wahlmänner-Körper befürworten.
Ferner wollen ſie erhebliche Abkürzung der Dauer der
Abgeordneten-Mandate, Umbildung des Bestandes der
erſten Kammer nach den Interesſſenkreiſen der Gegenwart,
die Verleihung des Rechts der Jnitiative an die Volks-
vertretung und Abkürzung der Budgetperioden.“ In Be-
zug auf die Gemeinde erſcheint ihnen „wichtig und un-
verſchieblich“ eine durchgreifende Reform der bestehenden
Gemeindegeſeßgebung, im (dunklen) Sinne „einer gerechten
Ausgleichung der Rechte und Pflichten der Einwohner der
Gemeinde, namentlich aber durch die Berufung sämmt-
licher Gemeindegenosſen zur direkten Erwählung der Ge-
meindebeamten“’ . . . wobei wieder offen gelassen ist die
Frage über die großen und kleinen Ausſchüſſe und die
Dreiklaſſenwahl zu denſelben. So ſchwach die Reformen
auch sind, die hienach gewünscht werden, und so unklar
sie vorgetragen werden, so wären dieſelben doch immer eine
Kundgebung für freiheitliche Entwicklung“, wenn wir Denen
gegenüber, die ſie heute machen, nur nicht in der Lage wären,
immer wieder darauf zurückkommen zu müssen ; Die Bot-
schaft hör’ ich wohl, doch mangelt mir der Glaube! Und
nun nach Außen. Hier läßt sich das „Programm“ kurz
zusammenfassen in den einen Saz : baldige Ve r-
preußun g Badens. Die Liberal-Nationalen ſprechen
zum Großherzog: sie alle fühlten den ſchweren Ernst der
Zeit, in welcher Baden „des Segens einer staatlichen
Verbindung“ mit dem unter Preußens Führung geeinten
Nordbunde entbehre; ſie betrachteten es als patriotiſche
Pflicht, die Laſten des Heerweſens zu tragen; sie wollten
vertrauensvoll und unerschütterlich r Führung des Groß-
herzogs folgen, „auf jenen Wegen der Pflicht und der
Chre, welch uns mit Sicherheit zur ersehnten Einheit des
nationalen deutschen Staates hinüberführen."“ In „tiefster
Ehrfurcht“ verharren ſie nun ,in einheitlicher Gemein-
samkeit“, bis sie „hinübergeführt“ werden. Doch auch
ſie wollen die Initiative ergreifen ; sie wollen den Freunden in
Heſſen. Württemberg und Bayern Kenntniß geben, von
dem „erfreulichen Reſultate" des Konzils von Offenburg,
so abgehalten am Sonntage der Dreifaltigkeit, im Jahre 3.
des Erfolgs von Blut und Ciſen. Cine Deklaration an
die Freunde, ſo meinte ſchließlich Eckhard, müsse von
„tiefen Folgen“ sein: die Verbindung mit dem Norden
werde kommen ; was nicht zur Anbahnung derselben
ſtaatsrechtlich in den Kabinetten geschehen könne , „solle“
dann vom Volke ausgehen. Warum nicht vom „Kerne“
deſſelben ? Nicht wahr, ihr Eckhardt und Kiefer, ihr
Bluntschli und Treitſchke, ihr Lamey und Artaria — das
iſt ganz etwas Anderes. Die Kaſtanien soll euch das
Volk aus dem Feuer holen, es ſoll sich „die Knochen
zerſchießen“ laſſen, um sich ſelbſt dem von euch ge-
prieſenen deutſchen Staat der Gewalt und Unterdrückung
zu überliefern. Geht doch ihr Herren ! Für zum Rede-
halten und Adresſenbeſchließen mögt ihr nochLeute finden;
für euren deutſchen Staat rührt das Volk weder Hand
noch Fuß.
Das Königthum in Spanien.
Die Frage, welche Regierungsform Spanien künf-
tig haben ſoll, iſt von den Kortes am 20. entſchieden
worden, durch Annahme des Artikels 33 des Verfassungs-
Entwurfes, der kurz und trocken lautet: „Die Regierungs-
form der spaniſchen Nation iſt die Monarchie.“
Nach den Vorgängen der letzten Wochen wirkt dieser
Beschluß nicht wie eine Enttäuſchung, sondern nur wie
das Eintreffen eines vorhergeſehenen unangenehmen Er-
eigniſſese. Wir wissen, daß ſich Ideale im peaolitiſchen
Leben nur selten und ſchwer verwirklichen laſſen. Aber
unzweckmäßig ſcheint uns der Beschluß der Kortes jeden-
falle. Wenn das Volk in Spanien seine Dynaſtie ver-
trieben hat, wozu setzt man eine neue ein in einem Lande,
deſſen ausgeprägt föderativer Geiſt in Verbindung mit
jahrhundertalter Selbstverwaltung der Gemeinden es für
t gtteleuh Staatsform vorzugsweise geeignet
macht ?
Wiederholt haben die Mitglieder der provisorischen
Regierung die Republik mit der Erklärung bekämpft, sie
würde zum Bürgerkriege führen. Die Herren haben da-
mit ihre eigenen ehrgeizigen Gedanken verrathen; si e und
Niemand als sie würden die Fahne des Aufruhrs gegen
eine republikaniſche Regierung erheben. Sie wollen die
Gewalt, die ihnen durch die Revolution zugefallen , nicht
aus den Händen geben , ſie wollen die Erſten im Lande
bleiben, gleichviel durch welche Mittel. Kein Menſch außer
ihnen würde den Bürgerkrieg entzünden, indem sie die
alten Karliſten, die Fanatiker der Reokatholiken, kurz allen
reaktionär.n Kehricht der Halbinsel zu schnöden Bundes-
genoſſen hätten. Wer sollte sonst die Waffen gegen die
Republik ergreifen? In der Armee, ja ſelbſt unter dem
Landvolke sind während der Regierung Iſabella’s wieder-
holt republikanische Aufstände ausgebrochen, eine ganze
Reihe hervorragender, nicht blos geiſtig bedeutender, son-
dern auch durch Rang und Reichthum schwer wiegender
politiſcher Männer Spaniens bekennt ſich zu republikani-
schen Grundſätzen. Wo also lag die Gefahr des Bürger-
krieges ? Nirgends, und wenn die proviſoriſche Regierung
weniger diplomatisch und mehr ehrlich vorgienge, ſo hätte
ſie sagen müſſen: Wir wollen die Republik nicht, weil
wir lieber Höflinge als die geachtetſten Bürger des
Landes sind.
Der Beſchluß der Kortes wird die eifrigen Königs-
macher mit großer Genugthuung erfüllen. Er vollzieht
ſich indeß unter Umständen , welche wohlgeeignet ſind,
einiges Nachdenken zu erregen. Dahin rechnen wir zuerſt
die einstimmige Annahme des Artikels 32 des Verfaſſungs-
Entwurfes... Er iſt ebenſo kurz wie der ihm folgende
und lautet: „Alle Gewalten gehen von der Nation aus."
Das iſt ein Satz, in dem man ſofort die Prinzipien von
1789 erkennt. ‘Er bricht alle legitimisſtiſchen Ueberliefe-
rungen entzwei und fußt auf der Lehre der Volks-Souz-z
veränetät. Wenn alle Gewalt von der Nation ausgeht,
dann iſt die Gewalt des Monarchen nur eine übertragene
und dadurch nothwendigerweisſe beschränkte. Wir wüßten
keine zweite europäische Volksvertretung, in welcher Jich
nicht ein Häuflein auf der äußerſten Rechten gegen einen
solchen Verfaſſungs - Artikel erheben würde. Aber in der
Heimat des Helden, der auf der Rozinante zu Streit
und Abenteuern ausritt, scheinen seine Enkel ausgeſtorben
zu sein. Spanien iſt durchtränktt von der Idee der
Volks-Souveränetät, und keine Stimme widersprach ihrer
Verkündigung. Selbst die Anhänger der vertriebenen
Dynastie, deren etwa ein Dutzend in den Kortes ſitzen,
selbſt die kirchlichen Würdentrager stimmten für Artikel 32.
Der künftige Regent Spaniens mag Dieß wohl beherzigen,
und nicht minder mag er die Stärte der republikaniſchen
Partei erwägen. Sie macht ein volles Viertel der konſti-
tuirenden Versammlung aus. Einundsiebenzig Republi-
kaner sind in die Kortes gekommen , obwohl die proviſo-
riſche Regierung alle Mittel gegen republikaniſche Kandi-
daten in Bewegung setzte , obwohl man unter Olozaga's
in Paris an der Quelle geſchulter Führung die Wahlen
in faſt bonapartiſtiſcher Weiſe überwachte. Alle Kunst-
griffe, alle Drohungen und Versprechungen wurden ange-
wendet, um die Republikaner von den Kortes fernzuhalten;
viele Mitglieder der Partei ſind auch auf dieſe Art bei
den Wahlen unterlegen, und dennoch verfügt ſie über eine
festgeſchlosene Phalanx von einundsiebzig Mitgliedern,
deren Disziplin und Cinigkeit den französischen Republita-
nern ein lehrreiches Muſter ſein könnte.
An der Thatsache, daß die Kortes die theure Mo-
narchie der billigen Republik vorgezogen haben und Spa-
nien eine neue Dynaſtie in den Palaſt der Bourbonen
einführen wird, ändern ſolche Betrachtungen allerdings
nichts. Die Königsmacher haben vorläuſig Recht behalten
und werden zu der schönen monarchiſchen Verfasſſung jetzt
den Monarchen ſuchen müssen. Leicht zu finden wird er
nicht sein ; im Gegentheile, die Verlegenheit der Macht-
haber, wem sie die ſüße Laſt der Krone auf das Haupt
laden wollen, dürfte geraume Zeit andauern. (N. Fr. P.)
Politiſche Ueberſiaht.
Mannheim, 25. Mai.
* Vorgestern begonnen, sind die Wahlen für den ge-
seh gebenden Körper in Frankreich geſtern beendet
worden. Ueber Ergebniſſe derſelben hat der Telegraph
bis jezt noch nichts berichtet; er meldet nur, daß die
Wahlen überall + mit einziger Ausnahme von Marseille,
wo einige unter Hochrufen auf die Republik die Straßen
durchziehende Volkshaufen eine gelinde, jedoch ungerecht-
fertigt verbliebene Besorgniß hervorriefen + in Ruhe vor
ich gegangen ſind. ;
j Uri ! Sturmſchritt, in welchem ſeit der Annahme
des Artikels über die künftige Staatsform S p a n i e n s die
Kortes in ihren täglich zweimaligen Sitzungen die Verfaſ-
ſind doch am 21. und 22.
kann die
ſungsberathung betreiben — '
nicht weniger als 86 Artikel erledigt worden