Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

DOI issue:
No. 102 - No. 126 (1. Mai - 30. Mai)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0505

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Hi. 125.

Samqſtag, 29. Mai.













Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.



er





: [d z . sta
Ss s ~. E. s . E
s A c: IJ zt. s: s





Die „Mannheimer Abendzeitung“ z sus mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täg
! Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

lich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Beſtellungen bei der Expedition C© 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.





Er Auf die „„Mannheimer Abend-
zeitung“ kann noch für den Monat Jun i
' bei allen Poſtexpeditionen und Landpoſt-
boten abonnirt werden. Verlagspreis >
20 kr.





Die Wa',!. . in Frankreich.

I Se. Majestät von Staatsſtreichs Gnaden hat Un-
glück mit allem JItalieniſchen. In der finſterſten Nacht
der franzöſiſchen Gewaltzuſtände leuchteten die Bomben
Orsini's auf und ließen den Kaiser aller Franzoſen und
Beduinen deutlich erkennen, an welcher Kleinigkeit sein
Leben, ſeine Herrſchaft, ſeine ganze Geschichtspfuſcherei
, hängen. Beim Schein dieses Meteors ſah Er den Weg
nach Italien vor sich, und eine ganze Nation ward ſich
ſelbſt zurückgegeben.

Die Befreiung Italiens brachte Savoyen und Nizza
ein, aber den Franzoſen keine Freiheit. Zum andern
Male gedachte Er, als „Mehrer des Reichs“ die Aus-
zehrung der Freiheit zu maskiren, und ließ sich mit Bis-
mark zu Biarriß auf die „Einheit Deutschlands“ ein.
Der Streich ging fehl, Bismarcé nahm was er gewollt
hatte, Bonaparte bekam nichts ; die alten Parteien knurr-
ien und das Volk verlangte Ersſaß im Innern, mehr
Freiheit. ß

Und wiederum war es ein italieniſcheer Mann, der
drohend an die Tuilerienpforte klopfte, diesmal nach Innen,
nicht nach Außen hinweiſend, und dieser Mann lautete
G a mbetta. Ein junger Advokat zu Paris vertheidigte
die Angeklagten des Montmartre-Kirchhofs, ibo dem Mär-
tyrer des 2. Dezember, dem Volksvertreter Baudin, eine
Huldigung gebracht worden, und in dieſer Vertheidigung
wurde hiſtoriſches Gericht gehalten über den Dezember und
den DezemberrMann. Achtzehnjährige Herrſchaft, die
Sanktion von so und so viel Millionen Stimmen, die
Einbürgerung ins europäiſche Völkerrecht, Kriege in der
Krim und in Italien, Besuche der „Brüder“ und „Vet-
tern“ in Paris, Gegenbeſuche in Baden und Salzburg,
Ammenlied der Gewohnheit ~ Alles war vergebens,
Nichts bestand vor dem Richterſtuhl des sittlichen Be-
wußtſeins: ein Verbrechen blieb ein Verbrechen,
der Verbrecher ein V erbrecher! .

Der junge Mann aber, der über die Köpfe so vieler
Richter weg das harte Urtheil über die franzöſiſchen Zu-
ſtände gesprochen, ſchien den Wählern zu Paris und
Marſeille der würdigſte Kandidat für den gesetzgebenden
Körper zu sein, und sie gedachten durch seine Erwählung
gegen ein achtzehnjähriges Unrecht und die Nuynießung
aus achtzehnjährigem Frevel zu protestiren.

Dieſe Wähler wollten nicht eine Opposition, wie ſie
bis dahin üblich geweſen war, nicht Jules Favre, den
Vertheidiger Orsinis, nicht Thiers, den orleaniſtiſchen
Nrakehler, nicht dieses oder jenes Mitglied der proviſori-
schen Regierung von 1848 : sondern etwas ganz Neues,
etwas unzweideutig madikales, etwas dem Kaiserthum
abſolut Feindliches, den Ankläger des Dezemberverbre-
chers, den Todtenrichter über den lebenden Bonaparte
Gambetta.

Und siehe, im erſten Pariſer Wahlbezirke, im vor-
nehmſten Quartiere der Hauptſtadt, ging Gambetta mit
gr o ß e r Mehrheit durch; in Marseille aber, der großen
Hafenstadt, dem Mutterschooße der Gironde und der Frei-
willigen von 1792, in Marseille hatte Gambetta allein
mehr Stimmen als Thiers und der Suezgräber Lesſeps
zuſammen, nämlich 8663 gegen 8116. Das Reſultat
der zweiten Wahl, bei]welcher die abſolute Mehrheit entschei-
det, iſt darnach leicht vorauszuſehen; denn die Anhänger
von Thiers , der nicht mehr in Betracht kommt, werden
ſich zu Gambetta und nicht zu Leſſeps schlagen. Dann
haben Paris und Marfſeille geſprochen.

Die zweite charakteriſtiſche Wahl von Paris iſt die des
langjährigen Exulanten B ancel, der mit 10,000 Stim-
men Mehrheit über den Liebling des Kaisers , C. Ollivier,
geſiegt hat. In Paris nennt man Das den Sieg der
Revolution über die ,kaiſerliche Freiheit.“ Derselbe
Baneel hat zu Lyon, in der dritten Hauptstadt des
Landes, den Sieg davon getragen, in Gemeinschaft mit

dem Rötheſten der Rothen, mit Raspail! Die Städte

erklären sich alſo in Frantreich für die Revolution.
Ganz abgesehen von allen unmittelbaren Folgen iſt Das ein
ungeheures Creigniß, welches das Empire zu ſſeiner
dritten und letzten Häutung zwingt. Die dritte Phaſe





wird nämlich der Verſuch eines ,konſtitutionellen Kai-

f serthums“ sein. Der Miniſterpräsident ist schon in Be-

reitschaft, es iſt der nämliche Olliv i er, der im Chatelet-
Theater Vorstellungen in der ,kaiserlichen Freiheit“ gab
und den die Wähler des dritten Pariſer Bezirks über
Bord warfen.

An der Majorität für den Kaiser iſt keinen Augenblick

zu zweifeln; dafür sorgen die Präfelten und der Bauer,

aber der Kaiser weiß eben ſo genau wie wir, was
die Majorität der Mameluken werth iſt, und daß die
neue Lage der Dinge ihn zur Aufziehung neuer Kou-
liſſen nöthigt. „Nach den Wahlen,“ hieß es in der
Geheiinſprache der Offiziöſäen; nun „nach den Wahlen“
werden wir ſsehen.

Unterdeſſen fällt die französische Rente. Wie sagt
doch Verrina im Fiesko? „Wenn die Rente fällt, muß
der Rentier nach." Oder so ungefähr.

Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 28. Mai.

* Ueber die Niederlage, die er durch die republikanischen
Wahlen in Paris und den drei bedeutendſten Städten
Lyon, Marseille und Bordeaux erlitten, will der Cäsaris-
mus in Frankreich ~ er gibt ſich mindeſtens den An-
schein ~ ſich durch die „guten“ Wahlen in den meiſten
übrigen Kreisen tröſten. Mit wie freundlichem Blicke aber
immerhin die Regierung auf das Gesammtergebniß der
Wahlen, insofern ihr dieses auch im nächſten geseßgeben-
den Körper eine große Mehrheit verbürgt, ſchauen mag:
bei einer Musterung der abgegebenen Stimmen muß ſich
ihr Auge gewaltig umdüſtern. Hinter der großen Mehr-
heit der Gewählten steht nur eine kleine Mehrheit der
Wähler. Nach den bis jetzt vorliegenden Berichten haben
im Ganzen etwas über 7 Millionen Wähler ihr Wahl-
recht ausgeübt; vier Millionen Stimmen sind auf re-
gierungsfreundliche, 3,248,885 auf oppoſitionelle Kandi-
daten gefallen; die Regierungsmehrheit beträgt demnach
nicht einmal das Neuntel der Gesammtſumme der abge-
gebenen Stimmen, und überdieß finden wir bereits in
einer Pariſer Korreſpohndenz die Vermuthung ausgespro-
chen, bei einer „genaueren“ Zählung werde ſelbſt diese
Mehrheit nahezu ganz verschwinden. Daß neben dem
numeriſchen Wachsthum der regierungsfeindlichen Par-
teien ganz besonders, wie wir geſtern hervorgehoben haben,
die an den Tag getretene Ausbildung des Charatters
der Opposition zu einem entſchieden republikaniſchen das
bedeutendſte Merkmal der diesmaligen Wakhlbewegung
war, wird in der gesammten Presse anerkannt. Aus
der großen Reihe solcher Urtheile heben wir hervor, was
unser schwäbischer Parteigenoſſe, der Stuttgarter „Beob-
achter“ mit folgenden Worten ausſpricht: „Das Wesentliche
bei dieſen Wahlen, was sie von früheren unterſcheidet,
iſt das laute unverhohlene Bekenntniß zur Republit, welches
Wähler und Gewählte wetteifernd überall abgelegt haben,
wo sie nicht im Sinn der Regierung stimmten. Das
Niederſchlagende für die Regierung liegt darin, daß es ge-
rade die Städte ind, welche den republikaniſchen Ruf er-
heben, und die vier Städte Paris, Lyon, Margſeille und
Bordeaux bilden ein gewaltiges Feſtungsviereck, auf dem die
republikaniſche Fahne siegreich weht. Die Hauptſtadt , die
man bei der Zentraliſation dieſes Kaiſerthums mehr als
in irgend einem Staate der Welt das Herz des Landes
nennen darf, unterſtüßt und flankirt von den größten
Induſtriezund Handelsſtädten, hat durch die Wahl der
ausgeſprochenſten Anhänger und Vorfechter des Freiſtaats
das Wort der Verdammung über den Cäſarismus aus-



gesprochen. Frankreich und die Welt hören dieses Urtheil. | -
Die neueſten Wahlen bringen allerdings keine Entscheidung

zwiſchen Kaiſer und Republik, aber Eins bringen sie, was
seither bestritten und namentlich von den regierenden
Staatsmännern, wie von den maulwurfsäugigen Piep-
meiern in Deutſchland niemals geglaubt war: daß die
Entſcheidung kommen muß zwiſchen diesen zwei, |zwiſchen
Napoleon und der Republic. Aus welche Weise die
Entscheidung kommen wird, noch weiß es Niemand zu
sagen, ſselbſt drüben in Frankreich nicht, aber daß sie un-
ausbleiblich ist, Das fühlt, Das glaubt alle Welt.
Wie aber auch die große Wandlung ſtattfinden möge,
durch Exploſion oder durch Zerſeßzung: Eins iſt durch die
Wahlen. bewiesen: Nach dem Kaiserthum wird die Repu-
blik sein. Nicht ein legitimes, gläubiges Bourbonenthum
von Gottes Gnaden, wie die Finſterlinge vom Himmel
erflehen; nicht ein konstitutionellen Vertrags-Schacher trei-
bendes Orleaniſtenthum auf einer papierenen Charte : die



Republik wird kommen, die Selbstverwaltung, die Selbst
regierung des Volkes, die ganze demokratiſche Freiheit.
Paris hat gesprochen; Frankreichs erſte Stadt. Aber
auch eine Weltſtadt iſt dies Paris, in gewiſſem Sinn die
Hauptstadt der Ziviliſation, auch für uns Italiener,
Engländer, Spanier, Ruſſen, Deutſche eine wichtige, unter
allen ausländischen Städten die wichtigſte. Welchen Ein-
fluß dereinst eine französiſche Republik auf die Welt, auf
Deutſchland haben wird = heute iſt's noch eine müßige
Frage. Vertagen wir sie! Einigen Einfluß aber wird es
immerhin auf unsere Geschicke haben, wenn in Frantreich
einmal ein ganzes Volk schamlos und offen und laut vor
aller Welt die Republik proklamirt, daß man's bis hüben
vernimmt. Wer es nicht erlebt hat, wie wir im Jahr
1848, Der reiße dann die Augen auf, er wird ſeine
Wunder erfahren, was jenes uralte Feindesland für einen
zauberiſchen Einfluß ausübt bis zu uns herüber. Da
gibts oft Tage in der Geschichte, wo man wirklich für

eine Wahrheit halten sollte, was man Jahre lang in ge-

cr

wissen Kreiſen für eine Fabel zu erklären übereingekommen
war, daß ein hoher Adel und das verehrungswürdige
Publikum der besißzenden und gebildeten Klassen über
Nacht im Volke aufgehen und daß die Völter Brüder
sind und einander nichts als Lieb's und Gut's erweiſen,
so lange sie keine Könige und Kaiser haben.“

In Spanien haben die Kortes vorgeſtern die Ver-
faſsungsberathung zu Ende geführt und ſich sogleich mit
der Festſeßzung der Feierlichkeiten beſchäſtigt, unter denen
die Verkündigung der neuen Verfassung an einem dernächſten
Tage erfolgen solle. Wichtiger als dieſe Diskussion, war
eine Erklärung des Republikaners Garcia Lopez über die
Haltung , welche seine Gesinnungsgenoſſen emzunehmen
beſchloſsſen haben. Darnach werden ſie sich, ſo lange das
allgemeine Wahlrecht und die perſönliche Freiheit unange-
taſtet bleiben, ruhig verhalten und ihre Propaganda für
die Republik nur auf friedlichem Wege fortſeßen. Daß ſie
ein friedliches Gelingen der monarchiſchen Pläne nicht für
möglich halten, erhellt aus den Schlußworten des Redners :
„Unglücklich der König , der nach Spanien kommt! Er
wird ein Ende nehmen, wie Marimilian in Meriko !“

Die neuliche Nachricht von einer Ohrfe'ge aus hohen
Würdenträgers Hand, die auf derWange des französiſchen
Gesandten inPetking geklatſcht haben sollte, war, als was
wir sie ſogleich bezeichneten: ein unbegründeter Klatſch.
Wie die Pariſer „Patrie" mittheilt, hatte allerdings ein
Mandarin in China ſich Mißhandlungen zu Schulden
kommen lassen; deren Gegenſtand war aber nicht der Ge-
sandte, sondern einige im Norden des Reiches anſäßige
chriſtliche Schutbbefohlene. Französische Reklamationen be-
wirkten die Absezung des Schuldigen und eine Entſchä-
digung der Mißhandelten, und der Vertreter Frankreichs
steht nun wieder im besten Einvernehmen mit dem Hofe
in Peking.

Eine Florentiner Depeſche bringt über die perſönlichen
Verhältuisſe Negro 's, des Urhebers des Attentates auf
Graf Crenneville in Livorno, einige Ausschlüsse, die jedes
weitere Forſchen nach den Beweggründen der That voll-
ständig überflüssig machen. Im Jahre 1849 ſind, wäh-
rend der Belagerungszuſtand über Livorno verhängt, die
Kriegsgerichte demnach in Thätigkeit und Graf Crenneville
Kommandant war, der Vater und ein Bruder Negro'’s
sſtandgerichtlich erſchoſſen, er ſelbſt Angesichts der
Leichna me mit Stockprügeln traktirt worden. Zwanzig
Jahre sind seitdem verfloſſen ; aber
„Das iſt der Fluch der böſen That,

Daß sie fortwährend Böſes muß gebären."

Deutſchland.

F Aus der Residenz , 27. Mai. Die Rück-
kehr der „Offenburger“ in den väterlichen Schoß des der-
maligen Regierungsſyſtems wird von den National-
Konservativen nicht gerne geſehen. Sie tröſten ſich
indessen, die Sache werde nicht lange dauern und ſchließ-
lich doch die eigentliche „hreußiſche Strömung“ zur Herr-
ſchaft gelangen. Die National-Konſervativen, als deren
Seele und thätigſtes Glied Generalstabschef Leszczinski
gilt, halten auf die Anschluß-Entwicklung von innen her-
V überhaupt nicht viel. Jolly geht in der Richtung
des preußiſchen Cinheitsſtaates, Das iſt ihnen genug ;
seine halbliberalen Einrichtungen ſind ja bald beſseitigt,
wenn die Dinge sich von außen herein geſtalten. Dann
kommen die Männer der Eulenburg und Mühler an die
Spitze der Provinzial: Regierung; das junkerlich-militärisſch-
bureaukratiſch-pietistische Syſtem hält seinen Einzug, und








 
Annotationen