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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. [259] - No. 283 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#1129

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JF 273.



Mittwoch, 24. November



Abendzeitun

en Volksparlei in Vaden.





Vie „Wannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit RUusnatrt
Anzeigen-Gehbühr : die einſpattig

::..

Organ der deulſch

Mmrag und gdJFeſttage
e Petitzetle 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

Beſtellungen bei der Expedition CQ 1 Nr.

: . täglich als Abendblatt ausgegeben. – Her Abonnementspreis viertellätrlich Ein Gulden, ohne Voſiaufſſchlag w
15 in Mannheim und bei allen Voftanftalten. "ttt









Freund Ziegler.

H Wie leid thut uns doch dieser Abgeordnete Ziegler
in Berlin, weiland Oberbürgermeiſter der Stadt Bran-
denburg, Jagdgenoſſe und Gaſtgeber Friedrich Wilhelm
IV., dennoch muthiger 1848er, hierauf demotkratiſcher
Temperanzler und Enthaltsſamkeitsmann, sodann JFort-
ſchrittller in der neuen Aera, endlich Boruſſe quand
même und Annekttirer erſter Klaſſe mit Eichenlaub, der
in der preußiſchen Zebrawindel die deutſche Freiheitsfahne
erblickte.

Regelrichtiges Loos eines preußiſchen Deputirten, der
aus dem Nreußenthume nicht heraus kann und stets mit zu
reden das dringende Bedürfniß fühlt! Unvermeidliche
Ent- und Verwickelung eines Heißſporns, der niemals
deutsche Geschichte und Vernunftrecht studirte!

Zu Allem hatte er Ja und Amen gesagt, zur Auf-
löſung des deutſchen Bundes, zur Theilung und Spal-
tung Deutschlands, zur Vergewaltigung des Nordens, zur
Erniedrigung des. Südens, zur Ausstoßung Oſterreichs.
Als er das Ales konſakrirt hat, findet er ſich plötzlich
vor dem Syſtem Mühler-Eulenburg als der Signatur
der neuen deutſchen Aera, ſieht er ein Neudeutsſchlard
vor sich, in welchem der Schulmeister ein Paria iſt und
bleiben soll, den erweiterten „Staat der Intelligenz“, in
welchem die Lehrerwittwen methodisch verhungern und der
Kultusminiſter versichert, 60,000 Thlr. aufzubringen sei
eine abſolute Unmöglichkeit.

Da beſchließt der Heißſporn Ziegler in männlichem
Muthe, ſich fürder auszuſchweigen und das geflügelte
Wort an die Kette zu legen. Es wird ihm unwnrſch in
der tapferen Seele, halb polniſch jammert er: „Keine
Hoffnung iſt ~ Wahrheit geworden, ſelbſt des Ziegler
hochſchlagende Bruſt hat im Bunde vom deutschen Norden
ſeinen Träumen entſagen gemußt." Also dafür Krieg und
Gewaltthat, dafür Aufhebung des Rechts, dafür Indem-
nität und Anerkennung des großen Staatsmannes von
Varzin, dafür die Fahne von 1848 in die Taſche gesteckt,
dafür die größte Untreue, die der Mann begehen kann,
die Untreue gegen das Prinzip, dafür, daß Hr. v. Mühler
achſelzuckend erkläri: 60,000 Thaler für die honorabelste
Dürftigkeit auf der Welt, für Unterſtüßung von Wittwen
und Waiſen der Volkslehrer, 60,000 Thaler? Ich kanns
nicht finden in dem Schrein!

O, wenn Hr. Ziegler doch dieses Bekenntniß abge-
legt hätte, wenn nur ein einziger Seufzer: Pater peccavi
ſeiner Bruſt entquollen wäre, wenn wir die Worte ver-
nommen hätten: Irrthum, Inkompetenz, Verblendung!
Aber nein, Hr. Ziegler sagt uns nur bombaſtiſch, daß er
dieſe Seſſion über habe ſchweigen wollen, und dann be-
weiſt er, daß er auch dieſen Vorsatz nicht zu halten im
Stande war, daß er reden muß und den gewaltigen
Theaterdonner nicht zurückzuhalten vermag, der wieder ſo
rührend an den Kompetenzkonflikt erinnert, an die glor-
reichen Tage des: ,Diesem Ministerium keinen Heller!
Fort mit dieſem Ministerium !“ welcher Theaterdonner
dann mit dem ſanfien Geplätſcher der Indemnität ſein
ſeliges Ende erreichte. W Br

Und wie ſyſtematiſch verläuft die Minuslizitation
im Munde des Hrn. Ziegler. Früher, im Anfang der
ſechsziger Jahre, hieß es voll und akkordmäßig : Fort

mit diesem Miniſteium! In Pausch und Bogen, alle

miteinander ! Mitgegangen, mitgehangen! Wir können
nicht untersuchen, wer der Schuldigere, wer der Unschul-
digere iſt. Jetzt sammelt Hr. Ziegler alle Indignation,
die noch von Olim übrig geblieben und von dem ganzen
Zeuerwerk fliegt nur noch eine Rakete: Fort mit Hrn. v.
Mühler, Hr. b. Mühler muß fort! :

Der Eulenburg, der JIhtenplit, der Leonhardt, der
Selchow ~ so heißt, irren wir nicht, der Ackerbauminister
— können ruhig bleiben, gegen die geht unser poſthumer
(liathträglicher) Zorn nicht; aber der Mühler, der böse
Gatte der Adelheid, die lebendige Sparkasse für Hrn. v.

Roon, der Kloſterbeförderer und Knakfreund, der Aus- |

hungerer der Wittwen und Waisen, der muß fort. Halloh!
Und die Linke jubilirt und die Rechte wird nicht einmal
böſe — und Hr. v. Mühler zuckt die Achseln. Wahrlich,
es iſt keine Fiber in uns, die mit Hrn. v. Mühler ſym-
pathiſirt, aber die Achseln zucken wir mit ihm. :



Badiſcher Landtag.

** Karlsruhe, 21. Nov. (Schluß des Berichts
aus dem gestrigen Blatte). Erste Kammer.

Denn ig glaubt, daß durch die transitorischen Be- | (fs



stimmungen die Härten des Geseßes, mit dem man ſich
allmälig befreunden werde, für die betreffenden Eltern
hinlänglich gemildert seien, die Kinder seien aber dann
wohl besſer geſtelt, als die von vermöglichen Ellern,
welche eine höhere Schule beſuchen.

Artaria ſchließt sich dem Geſagten an und bemertt,
daß die Schonung der heranwachſenden Fabrikbevölkerung
ſchon im Staatsinter.sse zu wünſchen ſei. . Die pekuniäre
Schädigung der Famillien sei nur ſcheinbar, denn für die
Zukunft sei besſſer gesorg.. Man müsse die Kinder
in Schut nehmen gegen ihre eigenen Eltern. Aus diesem
Grund wünſcht er eher den völligeu Ausschluß aller
Schulpflichtigen, wenn er ſich in Rückſicht auf die In-
duſtrie und Familienverdienſt auch mit dem zwölften Jahr
befreunden könne. Ueberall würden ſich angeſehene Män-
ner finden lassen, die empfänglich für die Idee seien, daß
es Jedermanns Pflicht sei, zum allgemeinen Beſten mit-
zuwirken.

Prälat Holtz mann äußert Bedenken über die Grenze
von Fabrik und Gewerbe. Wenn in einer CEemeinde nur
eine erweiterte Schule beſtehe, so müſſe neben dieser noch

„eine einfache errichtet werden; aber auch eine ſolche lasse

keine Theilung in Tageshälften zu; Fabrikſchulen bestän-
den aber nicht überal. Vor Ausnahmen ſolle man ſich
hüten, da dieſe leicht zur Regel würden.

Graf Kageneck erken.1t die leitenden Humanitäts-
grundsäte an, findet aber auch in dem Kommissionsan-
trag nur ein Kompromik zwiſchen Schule und Fabrik.

Er gehe weiter und beantrage völligen Ausſchluß der
Schulkinder von der Fabrikarbeit. Leider, leid e r müsse
inan die Kinder gegen deren eigene Eltern in Schutz
nehmen. Schulkinder hätten auch Hausaufgaben, könnten
bei gleichzeitiger Erwerbsthätigkeit nicht gleichen Schrit mit
ihren Miſſchülern halten, und würden in Folge davon
urückbleiben.

( Biſchofs Kübel freutſich über die ſeither dargelegten Mo-
tive , wünſcht aber, daß, wenn möglich, Schulkinder nicht
zur regelmäßigen Fabrikarbeit angehalten werden.

Graf B erlichingen unterſtißt Kagenecks Antrag,
iſt jedoch mit der zweijährigen Uebergangszeit nicht ein-
verſtanden. Wenn Jabrikarbeit für die Jugend ſchädlich
ſei, solle man ihr ſo raſch als möglich ein Ziel ſetzen.
Auch er warnt vor dem diesseitigen Weltgericht.

Miniſt.-Rath Turban macht die Dürftigkeit der
betr. Eltern, di- Aufssichtsloſigkeit der Kinder, da erstere
meiſtens ſelbſt in der Fabrik seien, geltend, und versichert,
daß nicht Rückſicht auf die Induſtrie, sondern das Wohl
bon Eltern und Kindern für die Regierung das in erſter
Reihe Maßgebende sei. Erweiterte Volksſchulen würden
wohl keine Fabriktinder haben. In Preußen und den
Staaten des Nordbundes habe man auch Uebergangssſta-
dien eintreten laſſen. Er erſuche das hohe Haus, auf
den Antrag des Grafen von Kageneck nicht einzu-
gehen.

Geh. Rath Herrm ann: Cine allgemeine Volks-
ſchule könne ſich den Fabrikkindern nicht anbequemen, und
nur in wenigen Fällen werde es möglich ſein , die vom
Kommissionsbericht gewünschte Erzichung der Fabrikjugend
durchzuführen. Man miöge ſich deßhalb für den Antrag
v. Kagenecks entscheiden.

Prinz Wilhe lm beantragt, daß bei neu zu errich-
tenden Fabriken Kinder und ſpeziell Knaben, welche noch
ſchulpflichtig ſind , keine Aufnahme finden sollen, und
tvünſcht die Modifizirung des Kageneck schen Antrages in
diesem Sinne.

Prälat Holtz mann hebt hervor, daß in gewbhn-
lichen Volksschulen Kinder gleichen Alters wohl alle in
einer Klaſſe ſein würden, besſtänden keine Fabrikſchulen,
so ſei demnach eine Ablöſung nicht möglich.

_ Graf Kagenect kann dem Wunsche des Prinzen
Wilhelm nicht willfahren, da er Ungleichheit der Be-
ht U der Jugend in den einzelnen Fabriken nicht
illige. ;

HMin.-Pr. v. Duſch: Mäßige Arbeit werde nur
günſtige Folge haben.

Oberst v. Bötklin konſtatirt als Rekrutirungsoffizier,
daß in Fabrikgegenden oft die nöthige Quote tauglicher
Männer nicht aufzubringen sei, und unterstützt aus dieſem
Grunde ebenfalls den Antrag des Grafen v. Kageneck.

Geh. Rath Blu ntsch | i: Gerne gebe er zu, daß dem
Kageneck' schen Antrag die Zukunft gehöre; jet aber werde
er eine Opposition gegen das ganze Gesetz hervorrufen.

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in Pforzheim, wo man keine Kinder in Fabriken beschäf-
tigt, werde es bald überall sein.

Cs sprechen nun noch Obtircher, Bluntſchli und Wei-
zel, worauf zur Abstimmung über Art. 1 gesſchritten wird.
Bei Abzählung ergeben sich 11 gegen 11 Stimmen. Ge-
heime Rath von Moll gibt als Präsident den Ausschlag
für den Antrag des Grafen Kageneck.

Die Vorlage ist hiermit eigentlich gegenstandlos ge-
worden, was von allen Seiten anerkannt wird.

Der Art. 5 wird mik besonderer Rüclſicht auf Ruh.

Erholung und das Anfathmen der jugendlichen Arbeiter
unter Uebergehung des nicht unterſtützten Antrages von
Artaria auf einfache Gottesdienſtfeier ebenfalls nach dem
Wunſche des Grafen Kageneck dahin gefaßt, daß junge
Leute im Alter von 14 +16 Jahren außer in Nothfällen
(die ein Geseß näher zu bestimmen haben wird) an Sonn-
und bezüglichen Feiertagen nicht zur Fabrikarbeit verwen-
det werden dürfen, und es erklärt ſchließlich

Min.-Pr. v. Duſch auf Anfrage des Prinzen Wil-
helm, daß ſich das ganze Geseß nur auf Fabriken und

nicht auch auf Gewerbe beziehe, spricht . aber die Ansicht. '

aus, daß das andere Haus dem Gesetz in dieſer Form
wohl nicht beitreten werde.

Die meiſten andern Artikel ſind in Folge der Aen-
derung des Art. 1 unnütz geworden. Bei der Haupt-

abſtimmung ergaben ſich 14 gegen 8 Stimmen für des I '

t th diesem Hauſe wurde die Steuererhebung für
Dezember und Januar genehmigt.



X Karlsrnhe, 22. Nov.
Zweiten Kammer.

Nach geschäftlichen Mittheilungen und Verlesung einer
Anzahl von Petitionen wiederholte der Abg. Biſſsing ſeine
vor längerer Zeit angekündigte Interpellation an den
Kriegsminiſter von Beyer. Dieser stellte hierauf in Ab-
rede, daß den Landwehrmännern unter Androhung von
Strafe verboten sei, ſich an oppoſitionellen Vereinen zu
betheiligen. Solches habe auch gar nicht geſchehen kön-
nen, weil diese der Millitärgerichtsbarkeit nicht mehr
unterſtänden. Wohl aber habe das Kriegsminiſterium
in Folge eingelaufener Anzeige über das Getriebe der
Parteien, über den Mißbrauch des geiſtlichen Amtes ſich
yeranlaßt gesehen, an die in Kleinurlaub befindlichen

Soldaten Verbote, an Reserviſten und Landwehrmänner
dagegen Belehrungen und Warnungen ergehen zu laſſee,

denn der Schlagfertigkeit müſſe die Disziplin zur Seite
ſtehen. Darauf entwickelte ſich nun die heftigste Debatte
dieses Landtags. Bissing erinnerte an die ,„bürgerfreund-
lichen“ Erklärungen von Beyer an die lieben Heſſen-
brüder von 1866 und die denſelben vorgemalten libe-
ralen Aussichten. Bei uns ſolle -aber jetzt ein Verfaſſungs-
geſeß, das die Rechte aller Badner gleichſtellt, durch Dis-
ziplinarvorſchriften über den Haufen geworfen werden,
denn das wisse man, was Belehrungen und Mahnungen
auf dem Boden militäriſcher Disziplin zu bedeuten hätten.
Den Soldaten im Dienſt könne man vom öffentlichen
Leben ferne halten. Anders sei es beim. Reſeroiſten und
Landwehrmann. Letterer ſei meiſtens ſchon verheirathet
und treibe ſein eigenes Geschäft; da entſcheide nicht der
Soldatenrock, ſondern die Bürgerpflicht. Um ſich allen
Widerſtand vom Halse zu ſchaffen, brauche man nur noch
einen Schritt weiter zu gehen und einen Landſturm bis
zum 60. Jahr zu organiſiren; dann werde die ganze
Volksvertretung unter dem Vorantritt ihres Alterspräſi-
denten zum Saale hinausmarschiren. Inu Anbetracht der
Zuſammenseßung des Hauſes (Humor , Verlangen nath
Ordnungsruf. Der Präsident droht mit Unterbrechung
der Situng) wolle er keinen Antrag stellen; doch erſuche
er die Kammer zu Protokoll zu erklären, daß sie das er-
laſſene Verbot mißbillige und die Zurücknahme deſſelben
wünſche. Man möge vergeſſen , daß dieß ein Ulttramon-
taner geſagt habe. Auch für Nationalliberale könne eine
Zeit kommen, wo ſie durch solche Maßregeln zu leiden
hätten. Lindau behauptet gegen die Verſicherung des
Kriegsminiſters, daß wirkliche Verwarnungen vor ſeiner
Partei vorgekommen seien, und verlangt für das badische
Volk wenigſtens das Recht, dessen ſich Preußen erfreue.
Nief er vertheidigt den Kriegsminiſter utid wünſcht die
baldige Vorlage eines Geſeßentwurfes üher Milit ärſtrafs-
recht, die dieſer in Aussicht stelle In gleichem Sinne
ſpricht C ><h ar d. Dem Ktriegsminiſter tönne man nicht

Dennig mißräth ebenfalls den Antrag Kageneckss. | zumuthen , Mitglied der katholischen Volkspartei zu wer-
würden durch ihn zu viele Intereſſen verletzt. Wie ' den. Desſen Worte seien gehäſſig verdreht worden. Cr

26...Sizung der

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