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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 102 - No. 126 (1. Mai - 30. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0485

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5 d i §

Organ der deulſchen

Sonntag, 23. Mai.



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]P-lzaperlei in Paden.

1869.













Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage – täglich als
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen

Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementzpreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
bei der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.



























Der Kaſernenſtaat und das Volk.

Aus der obern Rheingegend bringt die „Zukunft“
folgendes traurige Maibild : „Der erſte Mai, der Früh-
lingsanfang der alten Germanen, hat sich heuer an
badiſchen Eiſenbahnſtationen , welche an den Schwarzwald
und Odenwald streifen , auf eigene Weise bemerklich ge-

. macht: kräftige, wohlbehäbige junge Leute beiderlei Ge-

ſchlechts füllten die nach Bremen und Havre laufenden
Waggons. Es iſt nicht mehr das Auswandererwesen
früherer Zeiten, der öfters herzzerreißende Abſchied der
einzelnen Curopamüden von ihren Verwandten und Be-
kannten; mit ruhiger, ſelbſt mit befriedigter Miene reichen
die Zurückbleibenden den Scheidenden die Hand, und aus
den Blicken der Erſteren läßt sich der Hurut leſen : „Ihr
“geht einen guten Gang ~ wir folgen bald nach 7-
könnten wir nur jezt ſchon mit!“ JIn solcher Stimmung
beging heuer ein Theil der deutſchen Jugend den Tag,
an welchem ‘ihre Vorfahren ihr durch die Reize der Na-
tur verjüngtes Vaterland neu lieb gewannen.“

Woher dieser vermehrte Auswanderungsdrang ? = ſo

fragt der Stuttgarter „Beobachter.“ Und die Antwort

findet er in den „Einrichtungen der deutſchen Staaten
links und rechts vom Maine, in den Laſten und Entbeh-
rungen welche ſie ihren Angehörigen auferlegen“, sowie
in der alten Wahrnehmung , daß immer und überall da,
„wo das Vaterland gegen ſeine Kinder nicht gut iſt, die
Menſchen kurzweg aufbrechen und sich ein beſſeres ſuchen.“
Als eine drückendſte der Laſten bezeichnet unser ſchwäbiſcher
Parteigenoſſe das nach preußiſchem Muſter geſchaffene
Wehrgeſeß und erläutert Dieß in eincr längeren Aus-
führung, der wir ~ zur allgemeinen Beherzigung +
folgende Stellen ennehnn. - i s

„Wir haben ſeiner Zeit, als das Kriegsdienstgeset

berathen wurde, unter dem jetzt das Land seufzt, vorz

ausgeſagt, daß ſeine Annahme die militärpflichtige Jugend
aus. dem Vaterland treiben werde. Wir haben immer
und immer die allein vernünftige Forderung allgemeiner
Volksbewaffnung mit Jugendvorbereitung und kurzer
Dienstzeit (Milizſyſtem) erhoben. Aber ſelbſt wenn
wir heute von dieſem Standpunkte abſehen und dem der
Regierung näher rücken; wenn wir uns auf einen Augen-
blick auf das jetzige Syſtem eines stehenden und heraus-
gelooſten Heeres einlaſſen, können wir nur sagen: Was
bis 1866 das Land an Millitärpflichkt und Militärlast
geleiſtet hat, war schon viel zu viel; die Steigerung
Dejſ\elben durch das neue Wehrgeset, selbſi wenn dieſes
nicht verwerflich wäre, überschreitet das Maß, welches das
Volk ertragen kann. Selbſt wenn wir zugeben würden
— was wir jedoch keineswegs zugeben , daß das
Heer durch das neue Wehrgeſetz kriegstüchtiger geworden
sei: was nütt denn dieſe angeblich vermehrte Kriegstüch-
tigkeit, wenn das Land , wie Figura zeigt , dieſes Gesetz
eben nicht präjiiren kann. Ist denn der Frieden der
Ausnahms- , der Krieg der Normalzuſtand ? Und wie
soll der Krieg ſich führen laſſen, wenn der Frieden das
Land schon entkräftet hat , wenn wir mitten im Frieden
mehr junge Männer verloren haben, als uns die blu-
tigſten Schlachten gekoſtet haben würden ?

Allerdings Glieder werden in diesem Augenblick nicht
abgeſchoſſen, noch hat Alles Hand und Fuß, was in der
Kaserne gedrillt wird ~ das blutige Zerhacken der Leiber
kommt erſt nach – aber Verſtimmelungen und Ver-
krüppelungen wirthſchaftlicher Art ereignen sich jeden Tag.
Leute, die im 6. bis 12. Dienstjahr stehen, werden ein-
berufen. Auch Die sollen noch das preußiſche Cxerzitium
und den Stechſchritt lernen! Cs trifft dieß Loos aller-
dings nicht sehr Viele, die meisten sind durch ihre Ver-
heirathung dieser späten Inanspruchnahme entgangen,
Haber Die, so es trifft, und wenn's nur !ſ2 Dutzend oder
Dutzend Mann wären per Regiment , ſind ökonomisch
geliefert. Hecausgeriſſen aus ihrer geschäftlichen und
burgerlichen Laufbahn , ausgesetzt dem Loos , wieder und
wieder in die Kaſerne kommandirt zu werden — was
wird aus diesen jungen Männern , die sich eben anſchick-
ten , eine bürgerliche Zukunft sich zu eröffnen , und zur

Crwerbskraft des Landes beitzutragen, von denen Mancher

eben zur Hochzeit ſich rüstete, was wird aus ihnen werden,
als wirthſchaftliche Krüppel? Ob sie die Fähigkeit zum
Gewerbe auf dem Schlachtfeld oder auf dem Crerzierplatz
verlieren , im Erfolg iſts gleich. Aus jungen kräftigen
Kämpfern im großen gewerblichen Konkurrenzkampf der
Gegenwart werden verbuttete, der Nachhilfe bedürftige,
der fremden Unterstützung verfallende Glieder der Gesell-











ſchaft, denn mit der Erwerbs kr aft geht leider in der
Kaserne auch der Erwerbs sin n verloren.

Bei keinem Anlaß ist uns klarer geworden, wie ver-
nünftig die Forderung des ſchweizeriſchen Volkes iſt, das

' jezt faſt in allen Kantonen das Referendum in ſeine

Verfassungen aufnimmt, d. h. die Beſtimmung, daß neue
Gesetze dem Volke ſelbſt zur Annahme oder Verwerfung
vorgelegt werden müſſen. Hätten wir das Recht, ſelbſt,
ohne Mittelsmänner , ohne den Umweg durch die Volks-
vertretung, über die Geſeße abzuſtimmen, nach denen wir
unser Leben einrichten ſollen, niemals hätte dieses Gesetz
Annahme gefunden.

Man wird ſagen , die Deutſchen in Preußen haben
ja auch dieses Geſez oder ein ganz ähnliches, und sie
gehen anch nicht drüber zu Grund , vielmehr wird dort
der Staat so stark dadurch, daß er ſogar Heere guf Er-
oberung aussenden kann. Was nun das Letztere betrifst,
sſo mag Das nach preußiſchem Recht und nach preußiſchem
Chriſtenthum erlaubt sein, nach ſüddeutſcher Vernunft
und Religion iſt es ebenso ſündlich als ſchändlich. Uebrigens
mögen die Preußen bei ſich einrichten,, was ſie wollen,
und von ihrem König ertragen, was sie können; in Süd-
deutschland ſind eben die Rücken nicht so stark, als dort
unten in der norddeutſchen Tiefebene. Wenn die Preußen
es aushalten, daß man ihnen im 19. Jahrhundert bietet,
was die Väter im 18. nicht ertragen hätten, wir in Süd-
deutschland giengen daran zu Grund. Wenn dort die
Volkszuſtände von der Art ſind , daß der Mensch, noch
halb der Pflanze gleich, auf dem Boden lebt und ſtirbt,
aaf dem er geboren iſt, ohne ſich von der Stelle zu be-
wegen, w.nn er dort Hungersnoth und Hungertyphus
über ſich ergehen läßt, als wären sie ein vom Himmel
geſendetes Wetter, während. sie doch nur über ihn kommen,
weil ihm der Staat seine Schüſſel vor dem Mund weg
ausgegeſſen hat, ſo haben wir hier zwar das innigſte
Mitleid mit den Menschen, die noch in ſolchem. Zuſtand
hinleben müssen, haben aber nicht die mindeſte Luſt, uns
auch nur annähernd ſolche Lebensbedingungen gefallen zu
laſſen ; vielmehr, da jezt der große Militärvampyr,
welcher einem Staat nach dem andern das Lebensblut
ausſaugt, auch unsere Heimath unsicher zu machen be-
ginnt, so ift das Erste, was hier Jeder imStillen denkt :
Das hältst du nicht aus, Das läßt du dir nicht gefallen,
da machſt du dich davon! Es ſcheint faſt, Die da in
Preußen seien zum Sitzen und Dienen, wir aber zum
Schweifen und zur Freiheit geboren.“

Politiſche Uebersicht.

Mann heim, 22. Mai.



* In der Kortesſitung vom 20., in welcher mit 214
gegen 71 (nicht, wie geſtern in Folge eines Druckfehlers
angegeben war, gegen 21) Stimmen die monarchiſche als
die künftige Regierungsform Spaniens beſchloſſen wor-
den iſt, hat bereits, vie eine neuere Depesche meldet, der
Name des Herzogs von Montpenſier als der des kommen-
den Königs ſich hören laſſen. Der Marineminister Topete,
der aus seinen Sympathien für den Schwager der ver-
jagten Königin niemals ein Hehl gemacht, trat für desſen
Kandidatur ein und wurde hiebei von Roſas unterstützt.
Was zu dem Zwisſchenfalle Anlaß gegeben und ob ſich

weitere Erörterungen daran geknüpft, hat der Telegraph |

noch nicht gemeldet, wie auch heute darüber, ob der
Regentſchastspblan noch festgehalten oder ob an eine bal-
t Königswahl gedacht wird, keinerlei Nachrichten vor-
iegen. ; h
Aus dem New-Yorker „Demokraten“ erſehen wir, daß
ſich die deutsch-republikaniſche Partei des Staates New -
York jetzt die Förderung des Schulweſens nach
deutſcher Weise angelegen sein läßt und daß ſich
dabei der Dr. Gercke, welcher in Preußen m Jahre 1854
als Genoſſe der sogenannten Ladendorff’ schen Verſchwö-
rung zu langjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt uud
ſpäter begnadigt worden, besonders hervorthut.

Im Sthsziallandtag des Herzogthums Gotha iſt
kürzlich die Frage einer Einverleibung in Preußen im
Vorübergehen zur Sprache gekommen. Die Kammer hatte
ſich mit einem Geseßentwurf über Neuorganisation der
Gerichtsbehörden zu beschäftigen, und da nahm der Mi-
niſter Seebach von einigen Aeußerungen dortiger Blätter,

welche eine solche koſtſpiellge Maßregel wegen der ,doch

in nicht ferner Zeit bevorſtehenden“ Einverleibung in
Preußen als unzeitgemäß bekämpften, Anlaß zu einer
Erklärung, in welcher er die angedeutete Eventualität als
eine Schädigung der Landesintereſſen bezeichnete. So



wenig auch dieſe Erklärung wirken würde, wenn das
hundesgenoſsenſchaftliche Preußen einmal in der Lage wäre,
seiner Annexionsluſt freien Lauf geben zu können, so ver-
dient sie doch einige Beachtung Angesichts des vor nicht
gar langer Zeit kurſirenden Gerüchtes , daß der Herzog
Ernſt die Regierungsſorgen seinem Berliner Kriegsherrn
überlaſſen und ſich in Ruhestand verſeßen wolle.

Aus der Besteuerung der Eiſenbahnfahr-

karten, mit welcher der Norddeutſche Bund bee. |

glückt werden soll , erhofsen sich, laut, der von preußiſchen
Finanzminister vorgelegten Denlſchrift, die genialen Er-
finder dieses neuen (nun neunten) Steuerprojektes einn
jährlichen Beitrag von 8,415,450 Thlrn. zur Stopfung
des preußiſchen Defizitloches. Die Steuer ſoll ein Zehntel

der Fahrtaxe betragen; Billete für und unter 3 Silbergr.

sind gnädigſt ausgenommen. Wie groß auch die Miß-
stimmung gewesen sein mag, welche die Ankündigung der
neuen Steuererfindung ſchon wegen ihrer Natur , .als
einer ohne Rücksicht auf die Steuerkraft der Betroffenen
zu erhebenden Perſonalsteuer , bei den Reichstagsabgeord-
neten hervorgerufen hat, ſo kann sie doch an Höhe dem

Staunen über manche andere Stellen der preußiſchen

Denkschrift nicht gleichgekommen Fein. Es ist ein troſt-
loſes Bild, was der preußische Finanzminister aufrollt.
Seit 1866, welches Jahr mit einem Ueber ſchu ß von
7 Millionen abgeſchloſſen hatte , ſind die D ef izi ts an
der Tagesordnung; daß das von 1867 noch in einem
verhältnißmäßig kleinen Betrage auftrat, war nur den
3 1/4 Millionen Thlr. zu danken, welche die Ueberſchüſse
aus den annektirten Ländern gewährten; dem
Defizit von 1868 mit faſt 10 Millionen wird im Jahre
1870 eines von über 10 Millionen folgen ; für den
Fall der Ablehnung der Steuervorlagen ſtellt der
Miniſter eine „wahre Landeskalamität“ in Alusſicht
und fordert ſchließlich, daß der N o r d bun d gut
mache, was die preußiſch e Finanzverwaltnng, was
der p r euß i sche Militäretat verschuldet. Ueber dieß
letztere Verlangen, über das damit in nackter Offenheit
ausgesprochene Geſtändniß, daß Preußen die Nordbunds-
ſchöpfung nur zu seinen Zwecken ausbeuten will, haben
wir uns bereits gestern geäußert; ganz in Uebereinstim-
mung mit unserer Auffaſſung ſchreibt die „Frankf. Htg. :
„Die Denkschrift zerreißt alle Illuſionen hinsichtlich des
Verhältnisses zwischen Preußen und dem Nordbunde. Die
Fiktion, daß Preußen dem Bunde dienen jolle, daß dieser
etwas mehr sei, als ein Vehikel für spezifiſch preußische Zwecke,
wird gründlich zerſtört. Der Miniſter des Hohenzollern-
staates braucht jährlich 10 Millionen mehr . . . alſo
erhebt er seinen Ruf : „Reichstag hilf!“ Vor der Unge-
heuerlichkeit des preußiſchen Verlangens können ſich dieß-
mal ſselbſt national-liberale Gemüther nicht verſchließen, wie
aus einem ihrer Organe ersichtlich iſt, welches sich fol-
gendermaßen vernehmen läßt : „Der Reichstag iſt nicht
der Ort, wo das preuß iſch e Defizit zu de>.n iſt. .
Keiner der übrigen Bundesstaaten, die ebenfalls manche
Ausfälle in den Einnahmen erfahren haben, hat vom
Reichstag die Deckung solcher Ausfälle verlangt. Für
Ausfälle in Folge von Einrichtungen, die mit denen des
Bundes xein gar nichts zu thun haben, hat der preußi-
ſche Staat aus sich ſelber die Deckung zu ſchaffen.“

Deutſchland.

= Mannheim, 22. Mai. Soldaten und Steuern
iſt die Loſung unserer Zeit. Die Völker seufzen unter
der ihnen aufgebürdeten Laſt von Blut- und Geldsſteuern ;
ſie leben in fortgesetzter Kriegsfurcht, die Handel und
Wandel lähmt und zerstört; sie harren in Bangen und
Sorgen der ausstehenden Entſcheidung der obersten Kriegs-
herren, ob sie ſich ruhig mit einander vertragen, gegen-
seitig im Geſschäftsverkehre nüten und unterſtüßen ~
oder ob ſie ſich aufeinander werfen, einander zerfleiſchen,
vernichten solent Ein ernſtes Wort zur rechten Zeit
ſpricht mitten hinein in diesen traurigen Zuſtand Th.
H ilgard (Heidelberg) in ſeinem Schriftchen : „Wer ſoll
über Krieg oder Frieden entscheiden?“ (Verlag der „Mann-
heimer Abendzeitung. “) Der Verfasser zeichnet in demſelben
die wichtigſte Aufgabe des Volkes ; ſo viel als immer
möglich den ungerechten, unnöthigen oder unbesonnenen
Kriegen vorzubauen, und sucht die Macht der öffentlichen
Meinung dafür aufzubieten: daß die verhängnißvolle
Entscheidung über Krieg oder Frieden niemals un d
unter keinerlei Regierungsform in die Hand
eines Einzigen gelegt werden dürfe, ſondern ſtets von





dem Willen und Enlſchluß der Geſammtnation oder ihrer






 
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