Organ
der deutſchen Volkspark
ei in
1869.
Paden.
Die . Mannheimer Abendzeitung“ wird — mit Kusnahme der Sonntage und Feſttage -
Unzeigen-Gebühr : die einſpaltige Vetitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 tr.
Cinladung zur Bestellung.
Die „Mannheimer Abendzeiturg.. hat sich in
der kurzen Zeit ihres Erſcheinens zahlreiche Freunde
erworben. Durch treues Festhalten an der Sache des
Volkes will sie ferner die Theilnahme und Unter-
ſLeu:s verdienen, die ihr in reichem Maßfſe ge-
orden.
In den letzten Tagen des ablaufenden Ouartals
laden wir unfere alten Freundezur rechtzeitigen Er-
neuerung der Bestellung ein. Lin Diejenigen, welche
die „Mannheimer Abendzeitung“ bisher nicht be-
ſtellt haben, richten wir das freundliche Erſuchen, den
Kreis unserer Abnehmer zu vermehren. Ebenso em-
pfehlen wir die freundliche Benützung der „Mann-
hsttzer tvenpzeiteg: zur Veröffentlichung von An-
zeigen aller Art.
Beſtelungen werden von allen Poſterpeditionen,
auf dem Lande von den Poſtboten entgegengenommen;
in Mannheim von den Austrägern und der Exrpe-
diton der „Mannheimer Abendzeitung‘ Lit.C. 1, 15.
Humboldt als Weltrichter.
h Was fällt denn dem Phyſiologen Virchow ein,
daß er ſich wegen des Humboldts Denkmals an das –~ ~
Zollparlament wendet ? Da ſcheint denn doch der große
Gelehrte die Phyſiologie dieſes „Körpers“ schlecht zu ken-
nen, wenn er ihm eine Funktion zutraut, die weder dieser,
noch irgend ein anderer „Körper“ im gegenwärtigen Deutſchs | _
land vollziehen kann.
_ Weiß denn der treffliche Mann, dem wir in der
„Fortſchrittspartei“ noch immer ein Ertra-Plätzchen re-
ſervirt haben, wäre es auch bloß deßhalb, weil er allein
den Junker Bismarck. einmal feſtgeſetßt hat, weiß denn der
treffliche Mann noch immer nicht, daß es gar keine deutſche
Volksvertretung mehr unter der Sonne gibt, nicht einmal
ſo ein Ding, wie die staubigen Prolokoll-Crzellenzen in
der Eschenheimer Gaſſe zu Frankfurt an der Mainlinie ?
Cs gibt einen preußiſchen Landtag, der durch Feigheit
und Hochmuth die Nacht über Deuiſchland heraufbeſchworen
hat; es gibt einen Norddeutschen Reichstag, der die Ar-
muth und Armfseligkeit des Werkes von 1866 repräſen-
tirt ; es gibt endlich ein Zollparlament, welches die ma-
teriellen Intereſſen des lleindeutschen Handels- und Ge-
werbvereins zu wahren hat. Gehört Alexander v. Hum-
boldt zum preußischen Partikularismus, er, den uns ſo-
gar die Franzoſen als nationale Größe streitig machen ?
Gehört Humboldt zu jenem in Biarritß komplottirten
Stück Deutſchland; iſt der Erfinder der Jſothermen der
Mann der Demarkationslinie? Gehört Humboldt zu
den materiellen Intereſſen, zu Erdöl, Roheiſen, Tabak und
Runkelrübe, und hört er da auf, wo das kleindeutſche
Erdöl und Roheisen, der kleindeutſche Tabak und die klein-
deutſche Runkelrübe ein Ende haben ?
Es gibt auch noch einen Reichsrath. in Oesterreich,
der ein Stück deutſcher Kultur, und gerade nicht ſchlecht,
vertritt; es hat noch Ständekammern in Darmſtadt, |
München, Stuttgart –~ man sagt sogar in Karlsruhe.
An alle diese „Körper“ könnte ſich der große Physio-
loge wenden, und an alle diese Körper kann er ſich
nicht wenden, da ſie alle nach der Reihe nicht Deutſch-
land vertreten, und alle zuſammenaddirt nicht die deutſche
Seele enthalten, welche einzig auf den Namen Humboldt
zu antworten im Stande wäre.
Ehrliche Ciferer für den großen Mann, desſen hun-
dertjähriger Geburtstag herannaht, tadeln dennoch das
YZollparlament, daß es so trocken geſchäftlich, so ſchnöde
inkompetentlich über den Antrag von Virchow und Ge- |
noſſen zur Tagesordnung überging. Sie meinen, das
Zollparlament habe ja die Kosten des Denkmals gar
nicht ſelbſt votiren sollen, man habe von ihm nur ver-
langt, daß es die Vermittlung zwiſchen den Petenten und
den Zollvereinsregierungen übernehme; es hätte ja nur
einen Wunsch, ein Gesuch auszusprechen gehabt.
Das heißt, in Ermangelung einer deutschen Körper-
ſchaft und in Abwesenheit. des deutſchen Volkes, ſollen
einſtweilen die Zöllner und Sünder mit dem Klingel-
beutel bei den hohen Herren herumgehen und milde Bei-
träge für den deutschen Aristoteles einſammeln! Bis nach
Wien reichte natürlich dieſe Bettelſtange nicht. Das Zoll-
parlament hat unendlich korrekter gehandelt, als seine
wohlmeinenden Tadler ihm zumuthen. Das Bollparla-
ment hat seine Stärle im Verweigern, im Abschlagen, im
Nichtsthun ; für das Neinſagen ist ihm die Bevölkerung
des lleindeutſchen Handels- und Gewerbvereins zu Dank
verpflichte. Wie tomiſch würde es sich da nicht aus-
nehmen, wenn es zu gutex Letzt noch Ja geſagt, wenn
es sich um den idealſten aller Gegenstände, um die Wis-
senſchaft herum, als Vertretung des geſammtdeutſchen
Volkes gruppirt und gerirt hätte!
Nein, nein! Der große Bürger Deutſchlands und
Mitbürger der Welt, der Stern des 19ten Jahrhunderts,
in deſſen Forſchungen und Entdeckungen allein hinrei-
chendes Gegengift wider das Verderben deutschen Volks-
thums und deutscher Freiheit enthalten ist, Alexander v.
Humboldt, der das Preußenthum bereits durchſchaute, noch
ehe die Halblinge und Jämmerlinge von heute sich die
„Spihe“ in den Leib rannten : er muß als die lebendige
Kritik, als der Weltrichter über dem deutſchen Elend stehen
bleiben, damit jeder denkende Mensch die Größe dieses
Elends ermeſſe und jeder fühlende Menſch sie empfinde.
Offiziell ist Niemand in Deutſchland vorhanden, der
dem Unsterblichen ein Denkmal zu errichten befug! iure ;
das offizielle Deutſchland, dem Solches Pflicht und Recht
zugleich wäre, iſt abhanden gekommen. Wollt Ihr, daß
die zerſtückten Glieder, die zerstreute Maſſe des Volkes
ſich zuſammenthue und einen Att der Souveränetät be-
gehe: wir ſind dabei, an uns soll's nicht fehlen. Oder
zieht Ihr vor, daß gewartet werde, bis wieder deutſcher
Himmel über uns blaut: auch Das iſt uns recht. Wir
können warten, und Humboldt gewiß.
r
Politiſche Ueberſiche.
j Mannheim, 28. Juni.
* Dem geſeßgebenden Körper Frankreichs, welcher
heute zur Vornahme der Wahlprüfungen zuſammentiritt,
wäre faſt sein erſter Präsident abhanden gekommen. Der
fonst gut kaiserlich gesinnte Herr Schneider, dem auch für
die bevorſtehende Seſſion der in der vergangenen inne-
gehabte Vorſit vom Kaiser übertragen worden, hatte in
der mit der Verleihung des Großoffizicrkreuzes der Ehren-
legion begleiteten Wiederernennung des Barons Jerome
David zu einem Vizepräsidenten, einen Umstand erblickt,
der nicht nur, wie er dem Kaiſer ſchriftlich erklärte, ſeiner
Würde als Präsident Abtrag thue, ſondern auch „unter
den gegenwärtigen Umſtänden eine Bedeutung habe, die
ihn nöthige, um jeine Entlaſſung zu bittenn. Herr
Schneider iſt Inhaber des höchsten Ehrenlegionsgrades,
des Großtreuzes, und die Verleihung des zweiten Grades
dieses Ordens an ſeinen Stellvertreter konnte ihn darum
unter gewöhnlichen Verhältniſſen füglich kaum in Auf-
regung verseßen; der Hauptgrund seines Entlaſſungsgeſuchs
mußte alſo in den von ihm erwähnten „gegenwärtigen
Umständen“ liegen, zu deren richtigen Beurtheilung es
genügen wird, daran zu erinnern, daß der Baron David
während der lezten Sitzungsperiode, so oft er als Stell-
vertreter des erſten Präsidenten hiezu Gelegenheit fand, der Op-
position in barſcheſter Weise, faſt möchte man sagen, in Reit-
peitſchenmanier, entgegengetreten iſt. Die neue kaiserliche
Auszeichnung hatte demnachauch nicht verfehlt, als eineArt von
Antwort des Kaisers auf das Wahlergebniß, als eine starke
Demonstration gegen die „Unversönlichen“ gedeutet zu
werden. In der vom anmtltlichen Blatte veröffentlichten
Antwort des Kaisers beſchwichtigt dieser die Skrupel des
Herrn Schneider theils mit der Versicherung , daß die
Auszeichnung seines Vizekollegen ſchon im verflossenen
Jahre besſchloſſen gewesen ſei, theils mit den folgenden
Worten : „Ich kann nicht denken, daß dieſe Ordensver-
leihung in der öffentlichen Meinung die Bedeutung hat,
welche Sie ihr zuſchreiben. Die Politik meiner Regierung
gibt ſich klar genug kund, um jede Zweideutigkeit zu ver-
finden. Nach wie vor den Wahgttlen wird ſie das
von ihr begonnene Werk fortſezen; die Verſöhnung
einer starken Regierung mit aufrichtig libera-
len Inſtitutionen.“ . Auf dieſe kaiſerlichen Worie
hin hat Herr Schneider ſein Entlaſſungsgeſuch prompt
zurückgezogen , nachhem es — was vielleicht ſein einziger
Zweck geweſen – dem Kaiser Gelegenheit gegeben hat,
dem gesetzgebenden Körper, deſſen Cröffnuug wahrscheinlich
Herrn Rouher überlaſſen ſein wird, die ,ſtarte Regierung“
in der Verbrämung mit ,liberalen Institutionen“ nochmals
vor den Sinn zu führen.
Der Kaiser von Rußland hat in seiner Eigenſchaft
als Oberhaupt der griechiſch-nichtunirten Kirche ein Dekret
erlaſſen, welches die Erblichkeit des geistlichen Standes auf-
hebt und es den Söhnen der Weltgeiſtlichen, unter Ge-
währung von Standesrechten und Befreiung von der
Militär- und Steuerpflicht, anheimſtellt, in den Militär-
oder Zivildienſt einzutreten. Wie in Rom, denkt man
in St. Petershurg an die Berufung eines Konzils, einer
täglich als Abendblatt ausgegeben. = Der
Beſtellungen bei der Expedition Q 1 Nr.
Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten..
Kirchenverſammlung der griechiſch-orientaliſchen Kirche, und
wie der Vatikan sich nicht darauf beschränkte, an die
Katholiken eine Einladung ergehen zu laſſen, ſo will man
auch an der Newa nicht nur die Patriarchen und Große
popen der nichtunirten, sondern auch die der unirten
Kirche einberufen. “
Die parlamentariſchen Einrichtungen machen die Reiſe
um die Welt. Aegypten hat betanntlich ſchon seit dem
Jahre 1866 eine Repräſentanten- Verſammlung; nun
kommt uns telegraphiſch die Nachricht zu, daß auch Ja pan
sein Parlament bekommen hat. Dasselbe iſt im Monate
Mai zusammengetreten. In Kairo begnügt man ſich
übrigens nicht mehr mit dem bisherigen Fortschritte; man
will auch, wie ein Telegramm aus Alexandrien beſagt,
die Ministerien auf europäiſche Weise organiſiren, und
vielleicht geschieht es noch, daß das Land der Pharaonen
die Miniſler-Verantwortlichkeit früher hat als + la grande
nation.
In unserer lezten Nummer hatten wir aus Ru-
mänien von einem qvereitelten“ Attentat auf den dor-
tigen Ministerpräsidenten Cogolnitſcheano zu berichten.
Das Wort ,vereitelt‘’ ließ der Annahme Raum, daß ein
Attentat wirklich ſtattgefunden habe. Wie aus neueren
Nachrichten ersichtlich, iſt aber bei diesem Attentate kein
Gewehr losgebrannt, kein Messer gezücktt worden,
sondern die ganze Geschichte beſchränkt sich auf die in der
Nacht vom 24. in Bucharest vorgefallene Verhaftung
eines Mannes, Namens Popobvits, welcher im Besitze einer
doppelläufigen Schußwaffe befunden worden und auf
Befragen geſtanden haben soll, er habe aus paolitiſchen
Gründen den Miniſter ermorden wollen. Nun iſt zwar
am Tage darauf noch ein Mann , ein Prieſter Namens
Bacan, als ein angeblicher Mitverſchworener verhaftet
worden, bei welchem ſich Briefschaften vorgefunden haben
sollen, die den Plan eines Attentates auf Cogolnitſcheano
und damit in Verbindung stehende verbrecheriſche Umtriebe
der Partei Bratiano’s betunden ſollen: die Naivetät des
angeblichen Eingeſtändnisses des erſten Verhafteten erſcheint
aber ſo unglaublich, daß die Vermuthung nahe liegt, daß
das Leben des Miniſterpräsidenten nicht anders , als in
polizeilicher Einbildung oder Erfindung bedroht geweſen
iſt. Der Herr Miniſter hat es indessen doch für gerathen
gefunden, ſich auf vier Wochen in's Ausland zu begeben
und Wien, Berlin und Paris zu beſuchen.
In Ungarn hatte das Unterhaus des Reichstags
bei Berathung eines Geseßentwurfes über die Münzen-
prägung beſchloſſen, daß auf den neuen Geldsſtücken die
Worte: „von Gottes Gnaden“ dem Namen des Königs
nicht mehr beigefügt werden Jollen. Es war nicht un-
bemerkt geblieben, daß das Ministerium gegen dieſen Be-
schluß keine Cinſprache erhoben hatte; das Regierungs-
versäumniß iſt aber von der Magnatentafel gutgemacht
worden, indem dieſe den fraglichen Beſchluß abgelehnt
und die wegdekretirte Formel „als einen alten und ge-
heiligten Gebrauch“ wieder hergeſtellt hat.
Recht zur allerhöchſten Zeit zur Beseitigung des von
den hartnäckigen ſüddeutſchen Zweiflern am preußiſchen
Deutſchthum bisher gehegten Vorurtheiles, daß Preußen
vor Beginn seine Frevelthat vom Jahre 1866
um die Neutralität Frankreichs ſich beworben und dieſelbe
durch das Versprechen vaterlandsverräthiſcher Konzesſionen
erkauft habe, bringt jezt eine offiziöſe Berliner Feder die
„Enthüllung,“ daß nicht Preußen, ſondern Oesterreich es
geweſen iſt, welches zu jolch ſchmachvollem Schacher mit
Frankreich sich herbeigelaſsſen. Auf Grund einer „zuver-
läſſigen, durch übereinſtimmende Nachrichten aus England
beſtätigten französischen Mittheilung" wird uns Folgendes
kund und zuwisjen gethan : „Es steht außer Zweifel, daß
vor dem Ausbruch des Krieges ein Vertrag zwischen
Frankreich und Oesterreich abgeſchloſjen war, durch welchen
Frankreich, im Falle der Sieg auf österreichische Seite
fiel, als Kompensation für die Machterweiterung des
öſterreichiſchen Kaiserreichs in Deutschland das linke Rhein-
ufer zugeſichert war. Allerdings wurde die Rhein-
grenze im Vertrage ſelbſt nicht aus drücklich bezeichnet,
über die Bedeutung der sſtipulirten „Kompensation beſtand
indessen zwischen den Kontrahenten ein völliges und ſt il l-
ſ ch wei gendes Cinverſtändniß. So glaubte sich Napoleon ß
geſichert für den Fall, daß Oeſterreich ſiegte. Die Nieder-
lage Oesterreichs hielt man in Paris für unmöglich.
Ueber die preußiſchen Rüſtungen und die preußiſche Armee
war man nur ſehr mangelhaft unterrichtet durch die
Beriehte des damaligen Militärattgches bei der französiſchen
Botschaft in Berlin, des Grafen de Klermont-Tonnerre,