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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. [259] - No. 283 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#1101

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1869.





Organ der deulſchen Vo





Iksparlei in





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Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen PVoftanftalten.



Die süddeutsche Militärfrage.

D.0. Welche Frage packt heutzutage die Gemüther ?
Der Kampf der Welt hat zur Zeit nur eine Spitze.
Mir wüßten keine That, die so ein deutſches, ein euro?
päiſches Echo fände als allein die rechte That gegen den
Militarismus, der entscheidende Bruch mit dem Millitaris-
mus. Wer die Millionen gewinnen will, damit die
Tausende kampfgerüſtet zum guten Kampf mit ihm gehen,
der muß die Bürgschaft geben, daß er ſie erlöſen will
von dem Bannfluch, den die denkende Menschheit dieses
Jahrhunderts als den ſchwerſten empfindet.

In Bayern geht's an den Wahlkampf. Die Politik
Hohenlohe sucht ihn auf Gebiete zu verlegen, die ſehr
abgelegen find. Die Programme der Fortſchrittspartei
und der Mittelpartei + verſchämte Großpreußen diese,
unverſchämte jene + ſuchen die Entſcheidung zu ver-
wirren. Ueber bedingungsloſen, bedingten und wie be-
dingten Eintritt in den Nordbund möchten sie die Ge-
mütgher erhißken und verhezen. Als wäre die Frage in
München zu entſcheiden! Als hinge sie nicht mit dem
einen Zipfel in Paris, mit dem andern in Wien! Als
wehten nicht ihre letzten Fäden bis nach Madrid und
Florenz einerseits, nach Rumänien und Dalmatien ande-
rerseits hinüber! Kurz, als wäre ſie keine europäiſche
Frage, deren Entscheidung lediglich darnach ſich richtet,
ob die europäiſchen Konjunkturen dem Großiſten an der
Spree günſtig erſcheinen für das Geſchäft oder nicht.
Das alles iſt Schwindel und Dunst. Auf reine Frag-
ſtellu ng kommt's an, das allein iſt die richtige. Und
die iſt nach wie vor die Frage: Bürgerſtaat oder Mili-
tärſiaat, Volksheer oder Zollerei, kurze Präsenz mit wirk-
lich allgemeiner Wehrpflicht, wahrhafter Wehrhaftmachung
aller Landeskinder, Masſsenheer zur Vertheidigung in Ge-
fahr, Koſtenerſpharniß in Friedenszeit, geſteigertt Produk-
tion zu produktiven Zwecken, vermehrte und besſſer orga-
niſirte Bildungsmittel, staatliche Friedens- und Freiheits-
ziele. Aufgabe der Volkspartei wird es sein, diesſe reine,
allein richtige Fragſtelung dem Volk rein und klar zu
erhallen und damit den Wakhlkampf auf die wahrhafte
Entſcheidung zu konzentriren. Der Kampf vereinfacht
ſich dadurch, der Sieg erleichtert siche.

In andrer Form, wohl noch ſchärfer zugeſpitzt, ſtellt
ſich die Sache in Schwaben. Die eine Oehringer Wahl,
die in den letten Wochen für die Opboſition siegreich
beendet wurde, hat das faſt gleiche Stimmenverhältniß
zu Ungunsten der Regierung verändert. Schon erheben
die Großpreußen ihr Zetergesſchrei, mit einer ſolchen Kame
mer laſſe ſich nicht regieren – auf deutſch: verpreußen.
Enden auch die noch ausſtehenden Wahlen mit einem
Siege der Ohpoſition, so steht die parlamentariſche Ent-
ſcheidung nahe vor der Thür. Die Ohpoſition hat es
in der Hand, sie auf dem günſtigſten Punkte zu treffen,
anf dem des Militärbudget, und damit ſeinen erſten
Sieg zu erkämpfen gegen das Militärſhſtem, wie es der
jezige Kriegsminiſter vertritt. Kommt es darüber zur
Auflöſung, so iſt die Regierung im Voraus so gut wie
geſchlagen : die Frage der Kreuzer uad Gulden iſt das
verſtändlichſte, populärſte, günſtigſte Programm und un-

ſere Freunde werden es zu benuten wiſſen. Den Miniſtenn

kann das nicht entgehen ; sie kennen das Land gut genug.
Sie werden ſich alſo doch einigermaßen besinnen, ob sie
den Kampf da aufnehmen ſollen, wo ihn auf die Dauer
jede Regierung verlieren muß, wo ihn sogar die preu-
ßiſche Regierung in ihrem, ständiſch nicht geschulten Lande

verloren hätte, wenn es nicht der Politik Bismarck ge- |

lungen wäre, ihrer Volksvertretung den Mathttnochen
hinzuwerfen, mit welchem sie sich ſo herrlich amiüſirte,
daß sie darüber den Verſtand verlor. Die württember-
giſchen Minister dürften sich alſo die Frage vorlegen, ob
denn wirklich die ganz verpreußten Ideen ihres Kollegen
vom Kriegsdepartement verdienen, daß sie dafür ſich
opfern und den Frieden des Landes opfern, den ſonſt zu
erhalten nicht ſo gar ſchwer ist. tr ars pre
„So lange man den Feind im Land

!: Läßt walten, wird kein Fried im Land.“

Der Feind ist der zollersche Militarismus. Als sol-
chen erkennt ihn die Oppoſition mit Recht, als solchen
bekämpft ſie ihn mit steigender Schärfe, mit steigendem
Erfolg. Die an Leib und Seel verheerende Wirkung,
welche das vom jetigen Kriegsminister eingeführte und
mit mehr Vorliebe als Ueberlegung seiner Folgen gepflegte
Militärſyſtem mit sich bringt, wird erſt jetzt (die Schwa-
ben ſind auch darin Deutſche) recht erkannt und die



. | fähiger Männer.



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-

wachſende Mißſtimmung kommt denen zu gute, die ſie | aus dem Grunde nicht mehr außer Acht laſſen, da man

vorhergeſagt haben und abzuwenden ſuchten. Sie werden
dieselbe benuzen, treu und klug zugleich. Sie werden,
in ihren Grundforderungen feſt, für die Ueberleitung
vom Schlechten zum Rechten zu den entſprechenden Maß-
regeln sich bereit finden laſſene. Das Gebot der Ehre
und Cinſicht für Volksmänner immer daſſelbe, iſt's für
ſie in diesem Falle doppelt und dreifach: beim Volke
verloren ohne Treue, der Regierung gegenüber verloren
ohne Vorsicht, iſt für ſie der gewieſene Weg Jo ſicher
wie einfach. :

Will mit solcher Volksvertretung die Regierung dieses
Landes ſich auch jett noch entſchließen, den Stand zu nehmen,
den das freiheitliche wie das wirthſchaftliche Intereſſe gleich

| dringend fordern, so kann sie der Retter Süddeutſchlands

werden. So klein war nie ein Fleckchen Erde, daß nicht
von ihm aus geschehen konnte, was durch die ,„Achſe der

Welt“ ging. Das württembergiſche Miniſterium ſteht vor

einer jener Nothwendigkeiten, die den Willigen führen, den
Widerwilligen fortreißen. Wählt es das Rechte, ſo wählt
es für ganz Süddeutſchland mit. An dem Tage, wo auf
dem Boden der Gr un dforderungen unſrer Partei der
Frieden geſchloſſen wird in Schwaben, wackelt in München
die Politik Hohenlohe, klappt die Karlsruher Wirthſchaft
zuſammen.



Badiſcher Landtag.

* Karlsruhe, 13. Nov. 9. Sitzung der Erſten
K a mme r. Vorsitendender : Vizepräſ. Frhr. v. Gayling.

Berichte zeigen an: Geh. Rath. Bluntſchli über die
Kinderbeſchäftigung in Fabriken. Frhr v. Rüdt über das
Cigenthum des beweglichen Vermögens der früheren Bun-
desfeſtungen.

Berathung des Berichtes des Hrn. Staatsrathes Dr.

Weizel: über den Gesetentwurf. die Aenderung einiger
Paragraphen der Verfaſſung betreffend.

Die Kommission beantragt Annahme des Entwurfs
mit den von der Zweiten Kammer beſchloſſenen Aende-

rungen und den folgenden Zusatartikeln : Art. 1a „An

Sielle des. § 35 der Verfaſſung iritt folgende Be-
ſtimmung: Wer Mitglied einer Kammer ist, kann nicht
in die andere Kammer gewählt werden.“ Art. 7a. „Im
§ 75 der Verfaſſung wird der erſte Abſat dahin abge-
ändert: Die heiden Kammern können nicht zuſammen-
treten; ſie beſchränken sich in ihrem Verhältniß zu ein-
ander auf die gegenseitige Mittheilung ihrer Beſchlüſſe.“
Zugleich beantragt die Kommission eine neue amtlliche
Ausgabe der Verfaſſungsurkunde und Wahlordnung und
Aenderung der bestehenden Geschäftsordnung.

/ Hingegen beantragt Frhr. v. Bod m a nn, es Jolle
lauten : |

§ 33 der Verf.-Ur. ; Die Zweite Kammer besteht aus
den Abgeordneten der in der Beilage der Wahlordnung
genannten Städte- und Aemterwahlbezirke.

§ 34 Die Ahgeordneten gehen aus allgemeiner und
direkter Wahl mit geheimer Stimmgebung hervor.

Nach Annahme dieſes Antrages möge sodann der
Geseßentwurf zur neuen Bearbeitung an die Kommission
zurückgegeben werden.

Der Redner hält die direkte Wahl für eine Förderung
des politiſchen Volkslebens, zu dem hinlängliche Reife
vorhanden sei. Bis jezt habe man das Wählen mehr
als eine Pflicht, weniger als ein Recht ausgeübt, und
zwar auf den Grund verschiedener Beeinfluſſungen ein-
flüßreicher Leute, dem werde durch die direkte Wahl vor-
gebeugt; daß das Volk diesen Wahlakt wünsche, sei un-
verkennbar. Die Presſſe wie die Vertreter aller Parteien
ſeien über die größere Vorzüglichkeit deſselben einverstanden.

Geh. Rath, v. Mohl erklärt ſich als Gegner der

allgemeinen und direkten Wahl und zwar aus monar-

c iſchen Grundsäten. In der Monarchie ruhe die Sou-
veränetät in der Perſon des Fürſten, deſſen Zweck die

Beförderung des Volkswohles sei. Weitere Ausdehnung
des Stimmrechts biete keine Garantie für die Wahl
Redner wünſcht nicht die Zuſtände
Frantreichs, der Schtveiz und Amerikas, in welch letzterem
die Staatsgelder ganz unverantwortlich versſchleudert
tvürden Das Wählen sei weniger Recht als Pflicht. Es
sei deßhalb zu wünschen, und darauf stelle er seinen An-
trag, daß jeder Wähler entweder ein ſelbſtständiges Ge-
ſchäft oder einen eigenen Haushalt besitze.

Geh. Rath Bluntſchli: Die Aufhebung des Orts-
bürgerrechts verlange auch in Bezug auf Wahlen eine
Aenderung. Demotratiſche Veſtrebungen laſſen sich schon





j habe.



dem Volke auch mehr Pflichten auferlege. Man müjſ k
die Bürger nach und nach in das politiſche Leben ein
führen und es nicht lediglich durch die höheren Klaſſs en
der Gesellschaft leiten; sie würden dadurch geiſtig vor-
wärts schreiten. Die demottratiſche Richtung breche ſich
immer mehr Bahn, wie man ſich durch Blicke auf Eng-
land und Preußen überzeugen könne, in welch letterem
allerdings noch eine ſirenge Monarchie vorherrſche. Ein
Kampf zwiſchen Monarchie und Demokratie ſei aber vom
Uebel, das ganze Volk, nicht die Mittelklaſsen allein, seien
die Stütze des Staatsgebäudes.

Graf von Berlichingen ſpricht nicht gegen die
Regierungsvorlage, hätte jedoch eine totale Verfaſſungs-
Aenderung, Abkürzung des Landtags und der Abger
ordnetenmandate, sowie ein Integralerneuerung der Kam-
mer lieber gesehen. Er unterſtüzt den Antrag von Bod-
manns. Die Abänderung des § 35 der Verfassung sei
dankenswerth und gerecht, da hiedurch eine lästige Scheide-
wand zwiſcha den Grundherrm und dem Veolte
falle und ein langjähriges Unrecht gegen eine ganze Klasſe
von Staatsbürgern damit aufhöre. Es wär ihm übrigens
lieber gewesen, wenn die Fassung so gelautet hätte : Nie-
mand kann Mitglied beider Kammern sein. Die Grund-
hern hätten schon vor 8 Jahren auf ihren privilegirten
Stand verzichtet und würden ihr Wort halten..

Wenn ſich die erſte Kammer für direkte Wahl ent-
ſcheide, ſo mache sie damit nicht den erſten kühnen Schritt
auf dem Gebiete des Liberalismus. Schon früher habe
ſie sich für Ablöſung des Zehnten, Einführung eines
allgemeinen deutſchen Geſeßbuchs, Reform der erſten
Kammer, Freigebung der Advokatur, Unabhängigkeit der
Richter und Juden-Emanzipation ausgeſprochen. Das
hohe Haus möge auch heute zeigen, daß es Herz und
Verſtändniß für die Wünſche und Rechte des Volkes
Dieses sei nicht unreif. Nach 5s0jährigem Ver-
faſſungsleben könne man ihm die Reife nicht abſprechen,
ohne es unfähig zu heißen. Durch indixekte Wahlen
ſei dem Zufall zu viel überlaſſen, und oft komme es
vor, daß der Abgeordnete den Urwählern ganz fremd
ſei. Die Zollparlamentswahlen hätten bewieſen, daß
die direkte Wahl ein konservatives Institut sei, die in-
direkte dagegen eine Inkonsequenz. Reaktion brauche
nicht befürchtet zu werden, dennmüßte ihr eine Revolution
vorausgehen, zu der kein Anlaß vorhanden sei. Die di-

rekte Wahl bringe die Parteien in die Kammer und ds

ſei beſſer, als wenn sie in einem Winkel ſchmollten. Er
glaube weder an ſchwarze noch an rothe Gesſpenſter, ehe
er solche geſehen habe. Kommen da oder dort Wahlbe-
einfluſſungen von Beamten oder Geistlichen vor, so ſei
das allerdings zu bedauern, aber nicht zu fürchten. Wenn
er an einem Kreuzwege einen Wegweiſer nach der Bu-
reaukratie und einen anderen nach der Hierarchie finde,
ſo wiſſe er ſich zu helfen: er folge keinem von Beiden,
sondern gehe seinen eigenen Weg und ſo können es an-
dere Leute auch machen.
... Kommen wir dem Volke mit Vertrauen entgegen, ge-
währen wir ihm noch vor der nahenden zwölften Stunde
das. dirette Wahlrecht und helfen wir dazu, daß die
Proklamation von 1860 zu Wahrheit wird!
Die Herren St.-M. Jolly, Prof. Herrmann und
Staatsrath Weizel sprachen für den Kommissionsantrag,
Graf Kageneck für den Antrag Bodmanns. Schließlich
wurde des Kommissionstrag angenommen.

Volitiſche Ueberſicdht.

Mannheim, 15. November.

* Nachdem auf ,höchſten Befehl“ in Preußen ein
Beitag gehalten, hat Wilhelm der Adler geſtern dem
Gottesdienste für die Brandenburger Provinzialſynode bei-
gewohnt, und für diese gebete. In Marienburg (Weſt-
preußen) fordert der Landrath die obrigkeitlichen Organe



auf, sich in dem Streben zu vereinigen, „gegen das leider

immer mehr zunehmende Umſsichgreifen der Branntwein-
Völlerei, durch welche die niederen Volksklaſſen moralisch
und körperlich ruinirt und verdummt werden, die strengsten
gesetzlichen Maßregeln zu ergreifen." Der König hat für
die Erleuchtung der Synode gebetet; möge er auch für
die Erleuchtung der verkommenen Volksklaſſen in Weſt-
preußen beten . . . oder noch besser, für deren leibliche und
geiſtige Wohlfahrt das Geeignete thun. Indessen hiefür
hat tet Finanzminiſter keine Wünſchelruthe und ſonſt
kein Geld.


 
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