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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 232 - No. 258 (1. Oktober - 31. Oktober)
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1869.











el



Organ der deutſchen Volkspartei in Baden.





Tie „Vannteim.r Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Fesitage +

täglich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementszspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag

Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtantſtalten.











Allianz + und Annäherung.

D.C. Kaum heraufbeſchworen, iſt das Gespenst der
erneuerten heiligen Allianz auch schon wieder hinabge-
sunken in die niedern Regionen, aus denen es ſtammte.
In der That war der Aberwit, nicht zu halten, daß ein
engliſcher Miniſter, noch dazu Lord Clarendon, der Whig,
der Kollege Gladſtone's und John Bright's, nicht nur in
heiligen Allianz gemacht haben, sondern auch die Aufgabe
übernommen haben sollte, dem Kaiser Napoleon die Bil-
dung derselben anzuzeigen – ein Whig einem Napoleon
di e Anzeige machen, wirklich, auf den Blödsinn ist ein
Preis zu ſeten!

Ein zweites Symptom , aus welchem die wahre Lage
der Dinge, in Bezug namentlich auf die angebliche Ver-
ſtändigung reſp. Verſchwörung zwischen Oesterreich und
Preußen, erkannt werden kann, iſt die veränderte Sprache
der Berliner Bismärcker. Sie legen ſsich plötzlich aufs
Abwiegeln. Sie sprechen kühl von der angeblich in Wien
durchgeſezten Nachgiebigkent. Sie beschränken den Erfolg
ihres Herrn und Meisters auf eine mildere, glattere Form
im diplomatischen Verkehr. Das klingt recht bescheiden,
und wenn dic Großpreußen sogar in Worten bescheiden
werden, ſo weiß man, was das bedeutet.

Wichtiger noch iſt, was die direkten Nachrichten über
die zwiſchen den deutschen Großmächten erzielte ſogenannte
Verſtändigung Positives melden. In bestimmtester Weise
wird betont: unerſchüttert, unverändert besteht fort die
Friedenspolitik Oeſterreichs, der Bruch mit aller Legitimi-
täts- und Dynaſten - Politik, die Behauptung einer unbe-
dingten JInteressen-Politik. die - Aufrechterhaltung der
freundſchaftlichſten Beziehungen zu Frankreich, die Vermei-
dung jeder bindend formulirten Allianz, und auf dieser
Grundlage und Voraussetzung die Einigkeit der öſterrei-
chiſch-ungariſchen G es am mt Politik mit Frankreich gegen
die Verpreußung Süddeutschlands als eine Verlezuug des

Prager Friedens, den wan in Wien nicht zu Feinen

Gunten zu alteriren versucht, aber ebensowenig zu seinen
Ungunsten alteriren laſſen will. In letzterer Beziehung
wird mit unverhohlener Genugthuung wie mit offenſtem
Nachdruck geltend gemacht das allerdings wichtigste und
erfreulichſte Moment : der gesteigerte Widerſtand der Be-
völkerungen gegen die großpreußischen Gelüſte. So fest-
ſtehend auf der Rechtsbaſis des Prager Friedens, fest-
ſtehend alſo auf allen Grundlagen ſciner jetzigen Politik
hat Oesterreich die von Berlin ausgehende persönliche und
(man möchte sagen) gesell'ge Annäherung nicht abgelehnt,
ſondern läßt den Thronerben eines Landes , mit dem es
in Frieden lebt, auf der Durchreise an sich herankommen.
Man wird zwei Tage lang höflich gegen einander sein.
Honig auf den Lippen und Salz im Herzen , das iſt
alles. Unsere Sache freilich wäre das. nicht, geſtehen wir,
aber von einem Höflichkeits-Beſuch des Kronprinzen von
Preußen eine Erſchütterung oder Gefährdung des konsti-
tutionellen Lebens in Obſterreich (es steht seh r in den
Anfängen , geben wir zu) befürchten zu sollen, das ist

_ noch weniger unsere Sache und am allerwenigsten dürften

es die Politiker oder Politikaſter, die sonst nicht genug
höhnen können, Oesterreich beſtehe nur noch von Ungarns
Gnaden. Diese Menſchen bedenken nicht, daß nach ihrer
eigenen Darstellung eine Erſchütterung des Verfassungs-
wesens im jetzigen Oesterreich eben seine doppelten Schwie-
rigkeiten hat, wir sagen : gottlob seine doppelten Schwie-
rigkeiten. Preußen zu Liebe mit dem öffentlichen Recht

. beider Reichshälften brechen oder in Feindschaft treten,
_ das will doch ſelbſt den bornirteſten Geiferern bei ihren

Anklagen gegen die Wiener Politik nicht in die Feder.
Indeß, auch mit Rußland sollte die neue heilige
Allianz geſchloſsſen sein. Wohl unter Deak’s. Vermitt-
lung, wohl unter Betreibung der Andrasſy, Batthyanyi,
Nyary , Berczel, Pulsky u. a., die von den ruſſiſchen
_ Siegen aus 1849 nachzyſagen wiſſen. Welche Stupidität,
ſolch Zeug aufzutiſchen zu einer Zeit, wo jeder ungariſche
Staatsmann und Volksvertrtter jedem , der es hören will,
rundweg als ſelbſtverſtändlich erklärt: Rußland gegenüber
haben wir keine Wahl, ~ wo andererseits selbſt der
hochmüthigſte bismarckſche Rath und Agent schmerzlich

durchdrungen iſt von der Erkenntniß, wie feſt die Sorge

vor Rußland die Ungarn an Deutſchösterreich bindet und



|

wegung sehen wir ein Land, das in ſolcher Entwickelung
ſteht wie Oesterreich, nur mit Sorge und Trauer ſich
verbeißen, und denten wir gar daran, mit welcher Seelen-
ruhe und Sicherheit Oesterreich und wir alle den preußi-
schen Verſuchen , sie ſeien nun Impertinenzen oder Reve-
renzen, zuſchauen könnten, wenn Oesterreich in seiner Mi-
litär- Reorganisation die Bahn der Volkspolitik voranzu-
schreiten ſich entſchloſſen hätte, dann mögen wir kaum
der Thatsache ins Auge sehen, daß es ſich leider nicht
entſchloſſen hat. !

Politiſche Uebersicht.
Manncheim, 8. Oktober.

* In Preußen braucht die Staatsgewalt neue
und mehr Steuern, um das alte Syſtem im Gange zu
erhalten. Der Landtag iſt einberufen, um die Steuern
zu bewilligen. Innerhalb des Systems kann er auch
vielleicht einige Geseßze zu Stande bringen. Will die
Volksvertretung hierauf nicht eingehen + woaill sie den
Wünſchen und Bedürfniſſen des Volkes gerecht werden ~
so iſt das Herrenhaus da: dieß wirft seine Abſtimmung
in die Mitte und es bleibt alles beim Alten. Wie ist
aus diesem falſchen Zirkel herauszukommen? Seo fragt
die „Rhein. Ztg.“ und sagt: Auch das ist eine alte Ge-
schichte. Wir kommen nur aus diesem Zirkel heraus
dadurch, daß der Zirkel durchbrochen wird. Iſt der Staat
hilfsbedürftig, ſo iſt das Volk es noch mehr; bedarf der
Staat der Steuern, sſo bedarf das Volk der Freiheit,
alſo Bedarf gegen Bedarf, Leiſtung gegen Leiſtung. Und
das Alte v or dem Neuen: erſt die längst verbrieften
Freiheitsrechte und d a nn = vielleicht – auch neue
Steuern! Ob das Berliner Abgeordnetenhaus sich zu dem
von dem rheiniſchen Blatte ausgeſprochenen Grundsatze



erheben wiro? Nach Allem, was seit Königgrätz ge-

ſchehen, iſt nicht daran zu denken. Vielleicht, daß Viele
demſelben, d. h. in der Theorie zuſtimmen; Viele, die
ihn . in jedem einzelnen Falle, d. h. in der Praxis ver-
läugnen. Das jetzige Berliner Abgeordnetenhaus ~ ein-
zelnen ſeiner Mitglieder alle wohlverdiente Anerkennung
~ wird den „falschen Zirkel“ nicht durchbrechen.

Der Rechenſchafſtsbericht," welchen das ſä chſiſch e Fi-
nanzminiſterium dem Landtag über die Finanzverwaltung
von 1864 bis 1866 erstattet hat, enthält genaue An-
gaben über die Koſten, welche der Krieg von 1 8 66
dem ſächſiſchen Staate verursachte. Abgeſehen von den
21]2 Millionen Thalern, mit welchen das Land ſich ſelhſt
die Kriegsentschädigungen gezahlt, und von den 3 s
Millionen , welche nöthig waren, um die ſächsiſche Armee
zu reorganiſiren und sie auf den norddeutſchen Fuß zu
bringen, betrugen die Baarkoſten des Krieges 17,069,000
Thlr. Sie vertheilen sich auf drei Poſten: 9 Millio-
nen Thlr. Kriegsentſchädigung an Preußen (von den ge-
forderten 10 Millionen wurde im Berliner Frieden eine
abgezogen); 5,835,257 Thlr. für die Ausrüſtung und
Verpflegung der ins Feld gerückten ſächſiſchen Armee von
30,000 Mann ; 2,734,043 Thlr. Aufwand für die
Ministerien des Innern und der Finanzen wegen der
Okkupation.

Aus Wien wird uns von unserm !! Korresponden-
ten geſchriehen:.... ..,, Was iſt nicht Alles gefaſelt wor-
den über die Reiſe des Reichskanzlers. Zur Stunde ſind
alle Seifcnblaſen geplatt. Nachdem man von Berlin
aus alle Minen hatte springen lassen, den Grafen Beuſt
aus seiner Stellung zu verdrängen, ſtrect man nun,
nachdem dieß mißlungen, in unſchuldiger Miene die
Sammtpfötchen aus. Die Proſtata an der Seine hat
dießmal ihre Schuldigkeit noch nicht gethan und ſo be-
greifi männiglich, daß man auch in Spree-Athen nie
daran gedacht hate, Miquels ungeduldige Mainlokomo-
tive zu heizen. Vielmehr iſt man in Varzin jetzt be-
ſchäftigt, Friedenspfeifen zu ſchneiden , von welchen der
Kronprinz einen ganzen Bündel mit nach Wien gebracht
haben wird. If cer doch der ni e ausgehende
„liberale Thronerbe“, genau wie ſein Vater, wie Wil-
helm IV., genau wie sein Großvater u. s. w. Siehe
Macchiavel. Wir aber in Wien ſind sehr unschuldige
Leute und glauben Alles. Daneben jedoch iſt das Ver-
bleiben des Grafen Beuſt im Amte noch keinen Augenblick
in Frage geweſen und ebenſo wenig das Feſsthalten

hi? ſtark gerade die magyariſchen Einflüſſe die Politik | dem dem so fatal empfundenen §. 4 des Prager Friedens,
euſt in die.westlichen Beziehungen hineintreiben, < welche | am allerwenigsten jedoch die raſtloſe Thätigkeit unseres

î wiederum der Bismärckerei ſchlimmſte Sorge ſind!!

Kriegsminiſters , die öſterreichisſche Wehrkraft auf einen

Wären mit d.eser Ueberſicht nur die ſonstigen Sorgen | achtunggebietenden Stand zu erheben. CEntwaffnen ? mit
abgethan; Aber in dem Kampf gegen die Arbeiterbe- | größtem Vergnügen; nur mögen damit Jene beginnen,

, Tage festgeſett.
wird auf 1. Oktober d. J. mit der daselbſt bestehenden '



von denen allein eine Störung der gegenwärtigen Zu-
ſtände zu befürchten iſt. Für Oesterreich bleibt bis dahin
die möglichſte Erhöhung seiner Wehrkraft – leider! ~
die Hauptfrage, denn vor allen Dingen will man
leben!:

Die Opposition der franzö si ſc<h en Kammer will
warten. Sie wird nicht am 26. Okt. eine Demonſtration
veranlaſſen, um vielleicht der Regierung einen Gefallen
zu erweiſen. Sie vertagt ihren Angriff auf das perſön-
liche Regiment und desſen Ministerium bis nach Eröffnung
der Kammer. Man verzichtet auf eine Springfluth ; man
will die Fluth langſam aber um ſo ſicherer anſteigen
[aſſen. ~ Die öffentliche Meinung ist heute erregter als
1829 und 1847. Was wird aus dieſer Bewegung her-
vorgehen, die Freiheit oder die Rückkehr zur Diktatur von
1851? Die so gestellte Frage + ſagt der ,„Reveil“, das
radikalſte Pariſer Blatt ~ iſt gelöſt: „Frankreich will
und wird frei ſein. Uns bleibt übrig, unsere Mitbürger
zu beschwören, ſich von der Wichtigkeit der Lage zu
durchdringen und sich vor der Unklugheit und der Unge-
duld zu bewahren. Vergessen wir nicht, daß ein falscher
Schritt, ein unüberlegter Verſuch den Erfolg, der mit gro-
ßen Schritten herannaht, hinausſchieben kann. Die Energie
hat keinen beſſeren Genoſsen, als die Klugheit.“

In der iriſchen Stadt Newry iſt eine nächtliche Ruhe-
störung vorgekommen. Die Glocken der katholiſchen Kathes-
drale fingen um Mitternacht an zu läuten und es verbrei-
tete ſich das Gerücht, die Kirche werde zerſtört. Die Katho-
liken zogen zu Tauſenden aus und auch Militär und
Polizei waren bald auf den Füßen. Zwischen den Katho-
liken und Orangiſten kam es darauf zu einer Schlägerei,
bei welcher mehrere Schüsse abgefeuert wurden, doch trug
Niemand eine ernſtliche verletzung davon ; der bewaffneten
Macht gelang es bald, die Ordnung wieder herzustellen.



Deutſchland.

Karlsruhe, 8. Okt. Derheute erschienene „Sta a ts-
Anzeiger“ Nr. 26 enthält: Dem Notar Bittmann in

Efringen wird gestattet, ſeinen Wohnsitz in Haltingen zu

nehmen. An Stelle des Oberbürgermeiſters Kraußmann
in Heidelberg, welcher auf sein Ansuchen von der Stelle
als Mitglied des Kreisausſchuſſes des Kreiſes Heidelberg
und als Stellvertreter des Vorſißenden enthoben worden
iſt, wurde der Erſatmann Dr. G. Herth in Heidelberg
in den Kreisausſchuß berufen und zum Stellvertreter des
Vorsizenden erwählt. Die dießjährige Spätjahrsprüfung
über die allgemein wissenſchaftliche Vorbildung der Geiſt-

lichen findet, gemeinſchaftlich für die katholiſchen und die

evang liſch-protestantiſchen Theologen, am 8. und nach
Bedürfniß an. 9. November d. J. dahier statt. Die
erſte (theoretische) Prüfung der Lehramts-Nandidaten für
1869 ist auf Montag den 18. Oktober und die folgenden
Die bisherige Postverwaltung in Lahr

Ciſenbahn-Cxpedition vereinigt und in eine Poſt- und
Ciſenbahn-Expedition umgewandelt. Auf höchsten Befehl
Sr. Königl. Hoheit des Großherzogs vom 9. v. M. hat
das 2. JInfanterieregiment König von Preußen die Be-
nennung ,zweites Grenadierregiment König von Preußen“
zu führen.

~ Freiburg, 8. Okt. Die noch ausſtehende
Erneuerungswahl des 13. Aemter-Walhlbezirk (Freiburg)
findet am 15. d. ſtatt. Zum landesherrlichen Wahl-
kommissär ist Herr Kreisg.-Rath Eimer dahier ernannt.
Wohl mit Bezug auf dieſe Wahl haben die Herren
Baumſtark, Biſſing, Lender und Lindau auf nächſten
Sonntag eine Verſammlung der ,kath. Volkspartei" nach
Hugſtetten ausgeschrieben.

* us Badenr, 9. Okt. Der heutige Gedenktag,
den wir verzeichnen, hat besonders fir Ma n nh ei m Be-
deutung. Heute sind es zwanzig Jahre, daß Valentin
Streu ber, Bürger und Mehlwaagmeiſte in Mann-
heim, von dem Standgeriche zum Tode verur-

theilt wurde. Die Verhandlung nahm die Theilnahme

der ganzen Bevölkerung in Anspruch. Der Gerichtsſaal
war bisrzum Erdrücken angefüllt. Abends ſtanden dichte
Menſchenmaſſen in den Straßen vor dem Kaufhauſe.
Der Grund hiefür lag einmal darin, daß die Perſon des
Angeklagten eine allgemein bekannte und beliebte war,
und andernseits in dem Umstande , daß in diesem Falle
nicht die Thatſachen vorlagen, welche nach dem Stand-
rechtsgeſeße den Thatbeſtand des Hochverraths ausmachten,
sondern daß es Aufgabe des Staatsanwaltes war , durch











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