Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

DOI Heft:
No. 127 - No. 152 (1. Juni - 30. Juni)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0573

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
15369.











»
¿/ > ſS Ess f
% R Z
f
] d N
s és : B:. 50-
ER zs s
-

Organ der deutſchen Volksparlei in Baden.

9



Freitag, 18. Juni.















Die „Mannheimer

Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttag
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

e – täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der
Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr.

Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag

15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalen.









Ein Wort zur Unterſcheidung.

I] Herr Kiefer hat beim Bühler Bürgerabend erklärt,
er sei in innern Fragen au < Demokrat. Indem wir

hjiemit konſtatiren, daß man in nationalliberalen Kreisen

die Nothwendigkeit einsieht, dem Volke gegenüber den

-

Mantel der Freiſinnigkeit umzuhängen, wollen wir diese

Auchdemokratie sorgfältig von der wahren Demotratie

ſondern.

Die Haupteigenſchaft einer Partei und das einzige
Kriterium, daß sie auf den Namen einer politiſchen Partei
Anspruch machen kann, iſt die Aufstellung eines bestimm-
ten Programms und das Festhalten desselben bis in die
äußerſten Konsequenzen. Die Partei kann wohl nach
den Zeitumständen mehr die eine oder die andere Frage
in den Vordergrund ſtellen, aber aufgeben kann ſie teinen
einzigen Hauptſaz , ohne ihren Beſtand zu untergraben,
und sich ſselbſt zu vernichten. Diejenigen Leute alſo, welche
annahmen, daß in Hauptfragen perſönliche Meinungsver-
ſchiedenheiten ſtatthaben dürfen , haben auf den Namen
einer politischen Partei keinen Anspruch ; ſie bilden blos
eine Klique, die sich zur Erreichung reines augentlicklichen
Zweckes zuſammenschaart, um im nächsten Augenblicke des
Erfolgs oder Mißerfolgs ebenso schnell wieder auseinander
zu laufen. Die Demokratie thut Dieß nicht. Sie ent-
ſlammt nicht erſt . dem Jahre des Bruderkrieges 1866,
ſondern sie wurde auf dem Rütli gegründet. Sie hat
der Schweiz die Freiheit gegeben und unterlag für
Deutſchland in der Schlacht bei Döffingen, die der Auch-
demotrat Uhland so dynaſtenfreundlich besungen. Aber
ſie raffie ſich immer wieder empor, ſie stellte immer die-
ſelben Forderungen , ſie wird sie ſo lange ſtellen, bis sie
dieſelben erreicht hat.

Die erſte di. ser Forderungen, das Urrecht der Mensch-
heit, iſt die Selbstbestimmung des. Einzelnen und in Folge
deſſen sein direttes Wahlrecht. Aus dieſem geht das
Selbstbestimmungsrecht der Stämme und des ganzen
Volkes mit unwiderleglicher Klarheit hervor, denn die
Rechte eines Volkes sind nur die Summe der Rechte
ſeiner Bürger. Wer alſo das Eine will. muß das Andere
wollen, und wer es will muß Alles fern zu halten ſuchen,
was Beides einzuſchränken oder zu unterdrückten im Stande
iſt. Cine Politik unterſtißzen , welche das Selbstbestim-
mungsrecht der Völker mit Kanoncn von der Erde hin-
wegfegt, und zu gleicher Zeit das Selbstbestimmungsrecht
des Einzelnen hochhalten –~ Das iſt nur dem National-
liberalisimus möglich. Ersteres iſt unmoraliſch , Letzteres
lächerlich, denn wenn eine Regierung das Höhere, die
Volksrechte, nicht achtet,, ſo wird sie durch das Geringere
ſich in ihren Plänen gewiß nicht stören lassen.

Wir hab n also hier ein Prinzip, und in den Prin-
zibien einer Partei kann es keine Meinungsversſchieden-
heiten geben. Im Interesse der Einheit kann ein freiheit-
liches Rechl nicht aufgegeben werden, denn ohne Freiheit
gibt es gar keine lebensfähige Einheit. Diese iſt ja nur
die freie Vereinigung Gleichberechtigter auf Grundlage
des Selbsibeſtimmungsrechtes; es muß also die Freiheit

der Glieder vorausgehen, um eine dauernde Cinheit

schaffen zu können. Und welcherlei Art die Einheit iſt,
' welche ohne die Freiheit, auf dem Wege der Gewalt ge-
ſchafſen wird, davon ſollte dem Geschichtskenner das alte
Griechenland einen maßgebenden Beweis liefern. Im
Jahre 338, v. Chr. machte der macedoniſche Philipp
durch die Schlacht von Chäronea, mit Hülfe einer Partei,
welche dem heutigen Rationalliberaliemus aufs Haar ähn-
lich ſieht, Griechenland einig, und im Jahr 146, alſo
keine zwei Jahrhunderte später, ſtrich der Fall Korinths
durch die Fremdherrſchaft Roms den Namen des griechi-
chiſchen Volkes aus der Geschichte.
Griechenlands , welche der Weltprophet Demoſthenes so
ireu ſchildert, als wenn er die unſrigen auch gekannt
_ Haäötte, wollten um jeden Preis einig sein, und die Koſten
der Rechnung bezahlte das ganze Volk mit seinem
Untergang.

Es ist Alſo klar, was von einem Verlangen zu hal-
ten iſt, das einen Grundsatz aufstellt und seine wichtigsten
Folgerungen untergräbt und opfert ; was von einer so-
genannten Partei zu denken iſt, welche die wichtigsten
Hragen , die Urrechte des Menschen, zu den paolitiſchen
Meinungsverſchiedenheiten rechnet; welche im Grundsatze
eine Rechtspolitik zu erstreben vorgibt, aber in der Wirk-
lichkeit die Politik der Gewalt unterſtütt, fördert und
verherrlicht. Daß eine solche Partei, wenn ſie überhaupt
diesen Namen verdient, sich eine freiſinnige nennt , iſt

Die Nationalliberalen





lächerlich ; daß sie ſich deutsch nennt, iſt noch etwas mehr
als lächerlich. Die deutsche Volkspartei , die wahre De-
mokratie, hat vo r Bismark exiſtirt und wird nach Bis-
marck exiſtiren; der Nationalliberalismus erxiſtirt nur
dur < und wegen Bismartk, er iſt bismärckiſch, preußiſch-
bismärckisch, und wenn morgen ein bayeriſcher Bismarck
aufsteht und den preußischen in die Ostsee wirft, ſo iſt
der Nationalliberalismus übermorgen bayeriſch-bismärckiſch ;
aber bismärkisch iſt und bleibt er immer , ſolang es Bis-
marcke gibt, und Das kann leider noch lange währen.

Volitiſche Uebersicht.

Mannheim, 17. Iuni. :







* Nach. der erfolgloſen Königsſuche zum bescheidenrren
Projekt der Cinſezung einer Regentſchaft herabgeſtiegen,
kommen die Monarchiſten in Sp a ni en auch damit nicht
recht von der Stelle. In den vierten Tag schon währt
die Berathung des hierauf bezüglichen Gesetentwurfes,

und noch hat Serrano den Titel „Hoheit,“ den er als !

künftiger Regent führen ſoll, nicht erlangt. Die Heiß-

sporne, denen es unerträglich dünlt, den Mann an der

Spitze des Staates nicht als König anreden zu ſollen,

geben ihrer Ungeduld in der Kortesverſammlung bereits

Ausdruck. Der Cine ruft nach Don Karlos als dem ein-
zigen berechtigten Herrſcher; der Andere fügt der vom
Marineminiſter kundgegebenen Sympathie für den Herzog
vôn Montpenſier die Phrophezeiung bei, daß mit der Be-

| rufung dieſes mit der Schweſter der verjagten Isabella

vermählten Herzogs auf den spanischen Thron die glor-
reiche Zeit Jſabella’'s, der Katholiſchen, für Spanien
wiederkehren werde. Selbſt Prim, der Schweigſame
öffnet ren Mund, wenn auch nicht zur Protlamirung des
Mannes seiner Wahl,. ſo doch zu der Versicherung, daß
scine Partei „fortfahren werde, einen König zu ſuchen,
oder vielmehr, daß sie bereits einen gefunden, den er nur
deßhalb nicht bekannt gebe, weil bei dem jetzt wenig ruhigen
Zuſtande des Landes nicht leicht Jemand zur Annahme des
Thrones sich entschließe. Habe Spanien seine Ruhe wieder
erlangt, dann werde –~ Deß ſei er ſicher ~ nicht bloß
ein, ſondern mehrere Kandidaten nach der Chre streben,
die Krone Spaniens zu tragen.“ Und vas thun, während
Prim auf dieſe Weiſe einen Lizitationstermin für den
ſpaniſchen Thron auszuſchreiben ſcheint, die Republikaner ?
Sie organiſiren sich immer mehr auf Grund des ,„Pottes
von Tortosa“,

Kaſtiliens, Eſtremaduras und Andalusiens gefolgt ist.
Sie bauen auf die Macht ihres Prinzips und sehen in
ahnungsvollem Geiſt den Tag anbrechen, auf deſſen Nahen

Caſtelar jüngst verwies, indem er in der Kortesverſamm-

lung ausrief : „Stellt den König nur recht hoch! Auf

dem Throne, wie auf allen Höhen iſt die Luft sehr dünn

und der Erſtickungstod ſehr leicht. Wenn wir eines Tages
durch den Ausfall des allgemeinen Stimmrechtes dazu
gelangen , die Mehrheit in diesen Kortes zu bilden, fo
werden wir, da wir keinen König wollen und die Re-
gierung aus der Mehrheit der Kortes hervorgehen joll,
unverzüglich eine konstituirende Verſammlung brantragen,
welche den Artikel 88 umgeſtalte und den König und
sein Haus dorthin schicke, von wo er gekommen iſt; und
nie wird die junge republikaniſche Partei, welche durch

die Bewegung der Thatſachen und den Strom der Ideen

getragen ist und hier allen Fortſchritt und alles Große
vertritt, es nöthig haben, ihr Blut zu vergießen, um die
Verjüngung des Staates zu erreichen.“

Laut Nachrichten aus Polen, die jedoch wegen ihrer
parteiischen Färbung nicht ohne einiges Mißtrauen auf-
genommen werden tönnen, ſoll der bereits früher einmal
erwähnte Aufstand der Kirgiſen und deutſchen Koſaken
im ſüdöſtlichen Rußland bereits eine ſo bedenkliche Höhe
erreicht haben, daß eine Armee von 40,000 Mann, die
jezt bei Orenburg zusammengezogen wird, kaum aus-
reichen dürfte, den Aufruhr zu bewältigen. Die Polen
gründen auf dieses für Rußland sehr ungelegen kommende
Zwischenspiel neue Hoffnungen. Wenn es wahr iſt, daß
man die nomadiſirenden Mahomedaner des Südens ge-
waltſam zur griechiſchen Kirche hat herüberziehen wollen,

ſo begreift ſich der Kampf , welchen dieselben auf Tod .

u Leben gegen ihre Unterdrücker unternommen haben
! Us Zollparlament hat ſich gestern lichtfreundlich
bewiesen. Der Vorſchlag, das durch seine größere Wohl-

feilheit aerade für den weniaer bemittelten Theil der B

dem vor wenigen Tagen der Ahschluß |
eines neuen Bündniſſes der republikaniſchen Föderalisten



völkerung so wichtige Beleuchtungsmaterial Petroleum
durch Belaſtung mit einem Eingangszoll von 16 Silbergr.
für den Zentner zu vertheuern, iſt mit einer Mehrheit
von 62 Stimmen – 155 gegen 98 = abgelehnt wor-
den. Wie der Präsident Delbrück bei Befürwortung des
Vorschlages ziemlich bündig ausgesprochen und die
preußiſche Regierung durch die „Provinzialkorreſpondenz“
noch am Tage der Abstimmung den Zollparlamentsmit-
gliedern zu Gemüthe hat führen lassen, iſt der Zollbundes-
rath nicht gesonnen, die im Gesetßentwurf über die Tarifs
änderungen vorgeschlagenen und vom Parlamente bereits
gutgeheißenen Zollermäßigungen ohne die Gegengabe der
Petroleumſteuer eintreten zu laſſen. Die Einnahmenaus-
fälle durch die Ermäßigungen sind mit etwas über eine
Million Thaler veranſchlagt ; aus der Petroleumsbesteuerung
sollten ~ was jedenfalls um Vieles, wohl um die Hälfte
zu niedrig gegriffen erscheint ~ nahe an 900,000 Thlr.
her rusgeſchlagen; der Reſt des Entganges durch die Er-
höhung der Rübenzuckerbeſteuerung gedeckt werden. Durch
Bewilligung der letzterwähnten Steuerhöhung , deren Be-
rathung gestern begonnen hat , wird das Zollparlament,
so wenig geneigt dazu es bisher ſchien, vielleicht jezt nach
Ablehnung der Petroleumſteuer ein linderndes Pflaſter
für die drohende Defizitswunde zusammenſtreichen. ]

Deutſchiand.

* Aus Baden, 17. Juni. Das Syſtem Jolly
zeigt nach einzelnen Richtungen hin eine Empfindſam-
teit, die ihm auf andrer Seite zu wünschen wäre; Dieß
namentlich dem Ausspruche gegenüber, die H.iltung des
gegenwärtigen Ministeriums entbehre der Zuſtimmung des
Landes. So iſt das Syſtem Jolly ängſtlich bemüht,
nirgends die Annahme auftommen zu laſſen, daß poli-
tische Nachrichten, welche nur mit Berlezung des Dienſt-
geheimnisſes oder schuldiger Diskretion veröffentlicht wer-
den konnten, unter dem Datum Karlsruhe in die Welt
gesandt worden." Es war Dieß vor einiger Zeit bezüg-
lich einer öffentlichen Urkunde der Fall, und jetzt läßt ſich
das System Jolly von dem großherzoglichen Telegraphen-
amt in Karlsruhe bescheinigen: daß das in den öffent-
lichen Blättern enthaltene Telegramm d. d. Karlsruhe,
den 11. d. M.: die „Bayeriſche Regierung hat an die
ſüddeutschen Staaten die Einladung ergehen laſſen , über
die kirchenrechtlichen Fragen, über welche Beſchlüſſe des
Konzils wahrscheinlich ſind, Gutachten der katholischen
Profesſorenkollegien einzuholen“ + von der Karlsruher
Telegraphenstation nicht abgegeben und daß überhaupt ein
Telegramm ähnlichen Inhalts zwischen dem 6. und 12.
d. M. in Karlsruhe nicht aufgegeben worden iſt. Das
System Jolly athmet darüber auf, denn falls „die Nach-
richt wirklich begründet“ und in Karlsruhe aufgegeben
gewesen, so würde sie eine „dienstpolizeiliche Unterſuchung
gerechtfertigt“ . . . und dargethan haben, daß das Re-
gierungsſyſtem nicht überall verläßliche Diener zählt. —
Die Na tonal-Konſservativen ſcheinen endlich zu
einem Entschluſſe gekommen zu sein. Sie finden , daß
der Ultramontanismus und der Nationalliberalismus das
konservative Element im Volke nach Innen beeinträchtigen,
und nicht korrett genug das nationale Element nach
Außen vertreten. Sie rufen: Konservative aufgepaßt,
was ſoviel als die Ablehnung des ihnen von den Natio-
nal-Liberalen angetragenen Bundes besagen dürfte. Sie
nehmen „nach den gegebenenVerhältnissen unseres badischen
Staats- und Volkslebens zu der Forderung des allge-
meinen Stimmrechts“ Stellung und ertlären , die Lage
der Dinge, die Entwickelung des Parteilebens im Lande,
habe der Forderung des allgemeinen Stimmrechts eine
„unabweisbare Berechtigung“ gegeben. Die Konservativen
genehmigen das allgemeine Stimmrecht und ſspotten über
den National - Liberalismus , der sich augenblicklich gegen
die aus seinen eigenen Prinzipien hervorgehende Forderung
sperrt, angeblich, weil die badische Suppe versalzen werden
ftönnte, wenn durch das allgemeine Stimmrecht zu viele
Köche Valtit zu schaffen haben würden. Freilich, die
nationalliberale Parteidespotie kann das allgemeine und
direkte Wahlrecht nicht ertragen; es müßte ja dieſe Des-
potie brechen, und die Suppe, welche der Nationallibera-
lismus dem Lande eingebrockt hat und die gründlich ver-
ſalzen iſt , vom Tiſche nehmen. Cs wird ſich , wie die
Warte" richtig bemerkt, nur zu bald zeigen , daß der
nächſte Landtag, trotz der Ergänzungswahlen keinen festen
Boden unter seinen Füßen, kein freudiges Vertrauen des
Volkes zu seiner Grundlage haben wird. Ohne allgemeine
und direkte Wahlen hat die Volksvertretung keinen Boden,






 
Annotationen