1869.
A 2140
Maunheimer
Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.
Die „Mannheimer Abendzeitung" wird – mit Ausnahme der Sonnt
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr.,
mE
Die Kriſis und der Humor davon.
F H Vie das fackelt und wackelt! wie das zittert und
bebt ! Man meint, die Geiſterſtmme würde wiever laut:
Pan, der große Pan ist todt, wie uns Plutarch so my-
ſteriös erzählt. Und doch kommt Niemand zu sterben als
der kleine Bonaparte, des angeblichen Napoleon angeb-
licher Neffe! O du kleines erbärmliches Gesſchlecht, welches
Gottesgericht hälſt du über dich ſelbſt, und in welchen
Abgrund von Jämmerlichkeit verurtheilſt du dich ſelber
vor der langen Nachwelte.
Er iſt krank, er iſt kränker, er iſt am kränksſten! Das
iſt die große Tages- und Nachtneuigkeit ; das vibrirt aus
der Antichambre auf die Straße, auf den Markt, an die
Börse, ganz besonders an die Börſe. „Wir dulden da
am Meiſtem, wo wir zumeiſt geſündigt", sagte der weise
Cervantes in ſeinem erſten Don Quixote. An der Börse
hat Er sich feſtgerankt, den Credit mobilier, den Schwimm-
del hat er stabil gemacht, das drehende Glücksrad war
das einzig Stehende im zweiten Empire. Millionäre
wuchſen aus der Erde, die Kröſus verwandelten ſich in
Hiobs ; Geld ging massenhaft nach London und Nord-
amerika für den Fall + des Jalles ; einstweilen führte
man Schlaraffenland auf, verputtte jährlich 40 Millionen,
machte für 100 Millionen Schulden ~ als Garantie
des Thrones, zur Sicherſtelung der Mitintereſſsenten ~
und jetzt ſteht an der Börſe in gewaltigen Buchſtaben :
Mene tekel upharsin, Nebukadnezar geht von dannen,
weh uns Allen, wehe der Geſellſchaſt, wehe der Religion,
wehe dem . Eigenthum, wehe den Kurſen!
„Es iſt keine Panik mehr, es iſt eine Kriſe,“ so
lautet der Schickſalsſpruch in dem triſten Jargon, der seit
1852 die Weltſprache geworden iſt und der alle anderen
Sprachen der Menſchen wie mit Mehlthau überzogen und
im feinsten Geöder verdorben hat. Mit dem bloßen
Schrecken kommt Ihr nicht davon, wie Ihr es ſo oft ge-
than, zu den Zeiten des Staatsſtreiches, des Malatoff,
der Adria, der preußiſchen Siege und Inmpertinenzen;
diesmal iſt es Ernſt, bitterer Ernst, eine Herzen- und
Nierenprüfung, die Entscheidung über Millionen Menſchen
und Milliarden Gulden und Franken. Europa liegt in
Wehen, der Kaiſerſchnitt soll angewandt werden, ein Kaiſer
wird ihm soeben ausgeschnitten. i
Was iſt ſtatiſtiſh ein Menſch mehr oder weniger
unter den 10,000 Millionen unserer Planeten? Im
ſelben Augenblicke, wo Jener die Augen zuthut, kommt
ein Neuer zur Welt, keinenfalls ein ſchlechterer, ſehr leicht
ein viel beſſerer! Das ist ſo gegangen von Anbeginn der
Zeiten und wird vermuthlich so fortgehen bis ans Ende
der Tage. Aber so feſt hat ſich das ziviliſirte Europa
verrannt, ſo toll hat es gewirthſchaftet und mit sich
wirthſchaften laſſen, daß die Welt an dem Einen Leben
zu hangen scheint, daß Alles den Untergang fürchtet, «so-
bald dieſes Eine Leben erlischt! Dahinein hat ſich „Bil-
dung und Besitz“ seit ſchier zwei Dezennien gearbeitet,
das iſt zur fixen Idee geworden, neben welcher man nichts
by! s nichts achtet, ähnlich dem Kutſchengaul mit den
euledern!
Und doch werden ſie ſich finden müſſen, die Börsen
sammt den Börſenmännern, die Religion, das Eigenthum,
die Geſellſchaft, d. h. die Kirche und der Erdball geht
ſicherlich nicht zu Grunde mit Napoleon UI., und auch
nicht, wenn Napoleon IV. in der Kinderhölle bleibt und
der rothe Vetter, deſſen „JIntereſſen ihn so eng mit dem
Empire verbinden,“ Ferſengeld giebt, was so hin und
wieder seine Lieblingsbeſchäftigung zu sein pflegt. Ma-
dame Eugenie wird den Weg der Helene gehen, wenn
auch mit minder gutem Leumund und blos von ver-
dächtigen Sympathien begleitet, und. wiederum verharrt
der Erdball in seiner Sonnenbahn und die drei Erz-
engel intoniren ungestört ihren Morgeyhymnus.
Wir aber, die wir niemals an das zweite Empire
geglaubt haben, die der renovirte Zäsarismus keinen
Augenblick bestach, weder in Frankreich, noch in Deutſch-
land, wir, deren Sinn nicht auf den Credit mobilier, noch
auf irgend etwas Bewegliches und Vergängliches gestellt
Huth Ü". ls HF tuts get t
ruſt.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 9 September.
* Von Wien aus Jſoll bereits eine Antwort in Ber-
lin eingetroff. n sein, auf die letzten Erklärungen der
age und Fesſitage ~+ täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtankſtalten.
e ns
preußiſchen Regierung, welche der preußische Gesandte in
Wien unterm 27. Auguſt dem öſterreichiſchen Reichskanzler
gemacht hat. Diese öſterreichiſche, von Herrn Münch auf
dem Berliner Ministerium des Auswärtigen mündlich er-
theilte Rückäußerung ſoll der Form nach eine durchaus
freundſchaftliche sein : in der Sa che aber streng an dem
von der preußischen Politik abweichenden Standpuntt feſt-
halten, den Graf Beuſt in den veröffentlichen und bekann-
ten Aktensſtücken gezeichnet. Thatſächlich beſteht alſo der
Riß zwiſchen Preußen und Oesterreich in ſeiner alten
Tiefe und Breite fort und in Berlin glaubt man kaum,
daß die ſchneidige Zurückhaltung, zu der man sich im
Berliner Kabinet der Wiener Regierung gegenüber ent-
ſchloſſen hat, beitragen wird , auch nur das äußerlich ge-
glättete Verhältniß lange vor neuen Kräuſelungen zu be-
wahren.
Der König von Preußen hat zu Stettin bei
dem ihm von den altpommerſchen Kommunallandständen
gegebenen Festmahle eine Rede gehalten. Er erinnerte,
was habe Alles v ergehen u. vo rgehen müſſen, ehe ſein hoch-
seliger Bruder ihn und er seinen Sohn zum Statthalter
der Provinz habe ernennen können. Und ~ ſo ſprach
der König – Sie haben recht gethan, die großen Erin-
nerungen wach zu rufen, durch welche dieſe Provinz in
Treue, in gegenſeitiger Treue mit meinem Hauſe verbun-
den iſt, und auch dafür sage ich Ihnen xneinen Dank...
Aus N ordschles wig verlautet, die dortige dänische
Propaganda beginne jetzt wirklich Ernſt zu machen mit
der freiwilligen Abſtimmung über den Anschluß an Däne-
mark. Die Regierung in Schleswig hat in Voraussicht
deſſen ein energiſches Vorgehen Seitens der Behörden an-
geordnet. Versammlungen mit dem bestimmt ausge-
sprochenen Zweck der Abstimmung ſollen auf der Stelle,
ſolche, deren Zweck nicht sogleich erkennbar, dann aufge-
löst werden, wenn die Rede auf die Abſtimmungsange-
legenheit kommt. itt;
Wie über London gemeldet wird, habe die ö ſter-
r eich i \ < e Regierung dem Vizekönig von Egypten auf
das dringendſte angerathen, der Pforte gegenüber cine
versöhnliche Haltung anzunehmen. Hinzu gefügt wird:
der Vizekönig habe die ſeitens des Sultan geſtellte Be-
dingungen angenommen, ausgenommen diejenigen, be-
treffend die Genehmigung des Budgets und der Kontra-
hirung von Anleihen.
Aus Karlsruhe wird gemeldet: Eingetroffene Nach-
richten „vertraulicher Art“ sollen das Befinden N apo -
l e ons als ein entschieden Bedenken erregendes ſchildern.
Die Pariser Nachrichten von gestern dagegen erklären,
der Kaiſer habe am Dienſtag die Beſuche der Miniſter
empfangen und am Mittwoch Morgen bei dem in St.
Cloud abgehaltenen Ministerrathe den Vorsitz geführt.
Wenn dem auch so iſt, ſagt der „Siecle", ſo wird das
uns nur für kurze Zeit nüßen. Der Kaiser iſt nicht
mehr in seinem kräftigen Mannesalter. Er ſcheint kränk-
lich geworden zu sein. Wir sind mithin zu den perio-
diſchen Beunruhigungen, zu den Krisen, zu den wieder
auftretenden Schreckensausbrüchen verurtheilt, jedesmal,
wenn eine Unpägßlichkeit den ſechszigjährigen Kranken,
der uns regiert, im Zimmer zurückhält. ~ Cine ſchöne
Lage und wohl des Volkes von 1789 würdig, ſo
seine Ruhe, seine Geſchäfte, seine innere Entwicklung, ſeine
äußeren Beziehungen abhängig zu ſehen von den verschie-
denen Phaſen eines „Rheumatismus“, weil „Rheumatis-
mus" der offizielle Name des Uebels iſt, an dem das
Staatsoberhaupt leidet! Das Land muß ſich indeß da-
rein finden. Es erleidet die Folgen ſeiner Fehler, ſeiner
beklagenswerthen Hinfälligkeiten. Es hat vor 17 Jahren
eine Regierungsform sich gründen lassen, in welcher Alles
auf einem einzigen Menſchen beruhte. Unter dem Vor-
wande, die Ordnung, die Familie, das Eigenthum und
andere Grundlagen der ſozialen Ordnung zu retten, welche
reichlich zu ihrer eigenen Vertheidigung genügten, wenn es
überhaupt wahr iſt, daß sie bedroht waren, unter diesem
Vorwande, sagen wir, ließ sich das Land unter Vor-
mundſchaft ſtellen.
Der Nriegsminiſter der nordamerikaniſchen Union,
Hr. Rawlins, iſt am 6. Sept., im Alter von 38 Jahren,
geſtorben. Derſelben war am 11. März d. J. vom Prä-
ſidenten Grant in das Amt berufen worden.
Deutschland.
* Karlsruhe, 9. Sept. Die Poſtprattitanten N.
Jäger von Freiburg und Karl Burkart von Karlsruhe
wurden zu Poſtkontroleuren, erſterer in Freiburg, letzterer
in Pforzheim, ernannt.
Eine am Sonntag dahier abgehaltene Versammlung
von niederen Bediensteten der Zivilverwaltung hat eine
Bitteingabe beſchloſsſen, um eine zeitgemäße Abänderung
des Geseßes vom Jahr 1835 über Anstellung, Entlassung,
Zuruhesetzung 2c. der niederen Diener der Zivilverwaltung
herbeizuführen, etwa in der Weise, daß, wie in Preußen,
nach 10jähriger Dienstzeit der betreffende Bedienstete p en-
ſions berechtigi würde.
* Aus Baden , 9. Sept. Das offizielle Baden
feiert heute einen Feſtestag. Glockengeläute, Fahnenſchmuck
und Feſsteſſen geben hievon Kunde. Feſtgedichte und
Trinksprüche ringen um die Palme größerer Ergebenheit.
Freude und Zufriedenheit rauſchen durch die herbſt-
lich gefärbten „Blätter.“
Bei den am 6. Seht. bei Eppingen abgehaltenen
Detachements-Uebungen kamen die Zuſchauer dem Groß-
herzoge und dem Stab oft ſo nahe , daß man ~ wie ein
Bericht in der „Heidelb. Ztg.“ sagt ~ hätte glauben
mögen, die „Leutchen“ gehörten ſelbſt zum Stabe. „Da
unterhielt sich denn der Großherzog freundlich mit den-
ſelben ; so sagte er unter Anderm zu einem neben ihm
ſtehenden Bauer : Nicht wahr, wir verderben recht Ihre
Felder ?, und sette dann, auf die vielen Zuſchauer blickend,
die ihm überall quer durch dieFelder nachfolgten, lächelnd
hinzu: Nun, wir verderben sie mit einander!“
Es wird. nun als festgestellt gemeldet, daß der Land-
tag don dem Großherzoge in Person eröffnet werde.
Seit der Exkommunikation des Bürgermeiſters Stro-
meyer in Konstanz wurde derselbe ungeachtet des Erlasses
des Ministeriums des Innern, welcher die Fortdauer ſeiner
Mitgliedſchaft in der Stiftungskommission und die Rück-
gabe des Schlüſſels zur Depoſitenkiſte verfügte, zu keiner
Sitzung mehr eingeladen. Die Folge davon war, daß
die Handlungen der Stiftungskommisſſion nicht mehr als
gesetzlich angesehen und ihre Beſchlüſse nicht ausgeführt
werden konnten. Der Rechner durfte nicht auszahlen,
wenn auf der Dekretur der Name ,„Stromeyer“ fehlte
und ebenso wenig konnten für Diejenigen, welche Heime
zahlungen machten , die Pfandſtriche ohne die Unterſchrift
Stromeyers bewirkt werdſen.
Um nun dem abſoluten Stillſtehen der Geſchäfte der
Konſtanzer Stiftungs-Verwalt ung vorzubeugen,
bezw. den „geſetlichen Zuſtand auf fraglichem Gebiete zu
ſichern , bezw. wieder herzuſtellen“, hat unterm 1. Sept.
das großh. Miniſterium des. Innern das Konstanzer Ve-
zirksamt beauftragt : die Vorſtände der Stiftungskommis-
sionen zu einer alsbaldigen Anberaumung einer Sitßung
der Kollegien aufzufordern, wozu ſämmtliche Mitglieder
einschließlich Bürgermeiſter Stromeyer nach §. 13 der
Dienſtinſtruktionen einzuladen seien. Das großh. Bezirks-
amt hat unterm 4. entsprechende Aufforderung an die 3
Pfarreien erlaſſen unter der Androhung , daß, wenn der
ordnungsmäßige Zuſtand nicht sofort wieder hergestellt
werde, die Regierung ihrerseits die erforderlichen Maßregeln
zu dieſem Zwecke ergreifen würde. Da die verligte
Sitzung bis zum 7. Sept. nicht anberaumt war, hat
nunmehr in Folge Ermächtigung großh. Miniſteriums der
Anmtltsvorſtand als landes h errl. Kommiſs sär den pro-
viſoriſchen Vorſit, der katholiſchen drei Stiftungskommiſ-
sionen übernommen und wird denselben mit allen Rechten
und Befugnissen des Vorſitßenden so lange führen, bis
die derzeitigen Vorſtände dem Geſeße nachkommen zu wol-
len erklären. Die Stiftungskiſten der drei Pfarreien wur-
den noch am Abend des 7. Sept. in den Pfarrhöfen er-
hoben und im Amthaus niedergelegt : eine Sitzung unter
Zuzug des Bürgermeisters Stromeyer, wozu die bisherigen
geiſtlichen Vorstände Einladung erhalten, iſt anberauntz w
das großh. Poſtamt iſt angewiesen, die Cinläufe der Stif-
tungskommiſſionen an das Bezirksamt abzuliefern, die
Rechner und Stiftungsaktuare ſind von der Konstituirung
des neuen Vorsitzes durch den landesherrl. Kommisſär bes-
nachrichtigt und haben ſich künftighin des direkten Verkehrs
mit den geistlichen Vorständen bei Vermeidung eigener
Haftbarkeit zu enthalten. + Man darf nun geſpannt da-
rauf sein, wie sich fragliche Angelegenheit noch weiter
twickelt.
! > Vom Rhein, 9. Sept. In der Frankf ur-
ter Angelegenheit beharrt die Berliner Regierung
auf der Ausweisſungsmaßregel. Es ist dieſer Vorgang
wieder eine neue Beſtätigung des alten Satzes : Wo im-
mer die Gewalt ſich frech zu Tiſche geſeßt hat, da gelangt
ſie auch alsbald dazu, den gewaltſam eroberten Plat von
L
U A RE © © CM VU M
. x. . :
m . U . E
A 2140
Maunheimer
Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.
Die „Mannheimer Abendzeitung" wird – mit Ausnahme der Sonnt
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr.,
mE
Die Kriſis und der Humor davon.
F H Vie das fackelt und wackelt! wie das zittert und
bebt ! Man meint, die Geiſterſtmme würde wiever laut:
Pan, der große Pan ist todt, wie uns Plutarch so my-
ſteriös erzählt. Und doch kommt Niemand zu sterben als
der kleine Bonaparte, des angeblichen Napoleon angeb-
licher Neffe! O du kleines erbärmliches Gesſchlecht, welches
Gottesgericht hälſt du über dich ſelbſt, und in welchen
Abgrund von Jämmerlichkeit verurtheilſt du dich ſelber
vor der langen Nachwelte.
Er iſt krank, er iſt kränker, er iſt am kränksſten! Das
iſt die große Tages- und Nachtneuigkeit ; das vibrirt aus
der Antichambre auf die Straße, auf den Markt, an die
Börse, ganz besonders an die Börſe. „Wir dulden da
am Meiſtem, wo wir zumeiſt geſündigt", sagte der weise
Cervantes in ſeinem erſten Don Quixote. An der Börse
hat Er sich feſtgerankt, den Credit mobilier, den Schwimm-
del hat er stabil gemacht, das drehende Glücksrad war
das einzig Stehende im zweiten Empire. Millionäre
wuchſen aus der Erde, die Kröſus verwandelten ſich in
Hiobs ; Geld ging massenhaft nach London und Nord-
amerika für den Fall + des Jalles ; einstweilen führte
man Schlaraffenland auf, verputtte jährlich 40 Millionen,
machte für 100 Millionen Schulden ~ als Garantie
des Thrones, zur Sicherſtelung der Mitintereſſsenten ~
und jetzt ſteht an der Börſe in gewaltigen Buchſtaben :
Mene tekel upharsin, Nebukadnezar geht von dannen,
weh uns Allen, wehe der Geſellſchaſt, wehe der Religion,
wehe dem . Eigenthum, wehe den Kurſen!
„Es iſt keine Panik mehr, es iſt eine Kriſe,“ so
lautet der Schickſalsſpruch in dem triſten Jargon, der seit
1852 die Weltſprache geworden iſt und der alle anderen
Sprachen der Menſchen wie mit Mehlthau überzogen und
im feinsten Geöder verdorben hat. Mit dem bloßen
Schrecken kommt Ihr nicht davon, wie Ihr es ſo oft ge-
than, zu den Zeiten des Staatsſtreiches, des Malatoff,
der Adria, der preußiſchen Siege und Inmpertinenzen;
diesmal iſt es Ernſt, bitterer Ernst, eine Herzen- und
Nierenprüfung, die Entscheidung über Millionen Menſchen
und Milliarden Gulden und Franken. Europa liegt in
Wehen, der Kaiſerſchnitt soll angewandt werden, ein Kaiſer
wird ihm soeben ausgeschnitten. i
Was iſt ſtatiſtiſh ein Menſch mehr oder weniger
unter den 10,000 Millionen unserer Planeten? Im
ſelben Augenblicke, wo Jener die Augen zuthut, kommt
ein Neuer zur Welt, keinenfalls ein ſchlechterer, ſehr leicht
ein viel beſſerer! Das ist ſo gegangen von Anbeginn der
Zeiten und wird vermuthlich so fortgehen bis ans Ende
der Tage. Aber so feſt hat ſich das ziviliſirte Europa
verrannt, ſo toll hat es gewirthſchaftet und mit sich
wirthſchaften laſſen, daß die Welt an dem Einen Leben
zu hangen scheint, daß Alles den Untergang fürchtet, «so-
bald dieſes Eine Leben erlischt! Dahinein hat ſich „Bil-
dung und Besitz“ seit ſchier zwei Dezennien gearbeitet,
das iſt zur fixen Idee geworden, neben welcher man nichts
by! s nichts achtet, ähnlich dem Kutſchengaul mit den
euledern!
Und doch werden ſie ſich finden müſſen, die Börsen
sammt den Börſenmännern, die Religion, das Eigenthum,
die Geſellſchaft, d. h. die Kirche und der Erdball geht
ſicherlich nicht zu Grunde mit Napoleon UI., und auch
nicht, wenn Napoleon IV. in der Kinderhölle bleibt und
der rothe Vetter, deſſen „JIntereſſen ihn so eng mit dem
Empire verbinden,“ Ferſengeld giebt, was so hin und
wieder seine Lieblingsbeſchäftigung zu sein pflegt. Ma-
dame Eugenie wird den Weg der Helene gehen, wenn
auch mit minder gutem Leumund und blos von ver-
dächtigen Sympathien begleitet, und. wiederum verharrt
der Erdball in seiner Sonnenbahn und die drei Erz-
engel intoniren ungestört ihren Morgeyhymnus.
Wir aber, die wir niemals an das zweite Empire
geglaubt haben, die der renovirte Zäsarismus keinen
Augenblick bestach, weder in Frankreich, noch in Deutſch-
land, wir, deren Sinn nicht auf den Credit mobilier, noch
auf irgend etwas Bewegliches und Vergängliches gestellt
Huth Ü". ls HF tuts get t
ruſt.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 9 September.
* Von Wien aus Jſoll bereits eine Antwort in Ber-
lin eingetroff. n sein, auf die letzten Erklärungen der
age und Fesſitage ~+ täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtankſtalten.
e ns
preußiſchen Regierung, welche der preußische Gesandte in
Wien unterm 27. Auguſt dem öſterreichiſchen Reichskanzler
gemacht hat. Diese öſterreichiſche, von Herrn Münch auf
dem Berliner Ministerium des Auswärtigen mündlich er-
theilte Rückäußerung ſoll der Form nach eine durchaus
freundſchaftliche sein : in der Sa che aber streng an dem
von der preußischen Politik abweichenden Standpuntt feſt-
halten, den Graf Beuſt in den veröffentlichen und bekann-
ten Aktensſtücken gezeichnet. Thatſächlich beſteht alſo der
Riß zwiſchen Preußen und Oesterreich in ſeiner alten
Tiefe und Breite fort und in Berlin glaubt man kaum,
daß die ſchneidige Zurückhaltung, zu der man sich im
Berliner Kabinet der Wiener Regierung gegenüber ent-
ſchloſſen hat, beitragen wird , auch nur das äußerlich ge-
glättete Verhältniß lange vor neuen Kräuſelungen zu be-
wahren.
Der König von Preußen hat zu Stettin bei
dem ihm von den altpommerſchen Kommunallandständen
gegebenen Festmahle eine Rede gehalten. Er erinnerte,
was habe Alles v ergehen u. vo rgehen müſſen, ehe ſein hoch-
seliger Bruder ihn und er seinen Sohn zum Statthalter
der Provinz habe ernennen können. Und ~ ſo ſprach
der König – Sie haben recht gethan, die großen Erin-
nerungen wach zu rufen, durch welche dieſe Provinz in
Treue, in gegenſeitiger Treue mit meinem Hauſe verbun-
den iſt, und auch dafür sage ich Ihnen xneinen Dank...
Aus N ordschles wig verlautet, die dortige dänische
Propaganda beginne jetzt wirklich Ernſt zu machen mit
der freiwilligen Abſtimmung über den Anschluß an Däne-
mark. Die Regierung in Schleswig hat in Voraussicht
deſſen ein energiſches Vorgehen Seitens der Behörden an-
geordnet. Versammlungen mit dem bestimmt ausge-
sprochenen Zweck der Abstimmung ſollen auf der Stelle,
ſolche, deren Zweck nicht sogleich erkennbar, dann aufge-
löst werden, wenn die Rede auf die Abſtimmungsange-
legenheit kommt. itt;
Wie über London gemeldet wird, habe die ö ſter-
r eich i \ < e Regierung dem Vizekönig von Egypten auf
das dringendſte angerathen, der Pforte gegenüber cine
versöhnliche Haltung anzunehmen. Hinzu gefügt wird:
der Vizekönig habe die ſeitens des Sultan geſtellte Be-
dingungen angenommen, ausgenommen diejenigen, be-
treffend die Genehmigung des Budgets und der Kontra-
hirung von Anleihen.
Aus Karlsruhe wird gemeldet: Eingetroffene Nach-
richten „vertraulicher Art“ sollen das Befinden N apo -
l e ons als ein entschieden Bedenken erregendes ſchildern.
Die Pariser Nachrichten von gestern dagegen erklären,
der Kaiſer habe am Dienſtag die Beſuche der Miniſter
empfangen und am Mittwoch Morgen bei dem in St.
Cloud abgehaltenen Ministerrathe den Vorsitz geführt.
Wenn dem auch so iſt, ſagt der „Siecle", ſo wird das
uns nur für kurze Zeit nüßen. Der Kaiser iſt nicht
mehr in seinem kräftigen Mannesalter. Er ſcheint kränk-
lich geworden zu sein. Wir sind mithin zu den perio-
diſchen Beunruhigungen, zu den Krisen, zu den wieder
auftretenden Schreckensausbrüchen verurtheilt, jedesmal,
wenn eine Unpägßlichkeit den ſechszigjährigen Kranken,
der uns regiert, im Zimmer zurückhält. ~ Cine ſchöne
Lage und wohl des Volkes von 1789 würdig, ſo
seine Ruhe, seine Geſchäfte, seine innere Entwicklung, ſeine
äußeren Beziehungen abhängig zu ſehen von den verschie-
denen Phaſen eines „Rheumatismus“, weil „Rheumatis-
mus" der offizielle Name des Uebels iſt, an dem das
Staatsoberhaupt leidet! Das Land muß ſich indeß da-
rein finden. Es erleidet die Folgen ſeiner Fehler, ſeiner
beklagenswerthen Hinfälligkeiten. Es hat vor 17 Jahren
eine Regierungsform sich gründen lassen, in welcher Alles
auf einem einzigen Menſchen beruhte. Unter dem Vor-
wande, die Ordnung, die Familie, das Eigenthum und
andere Grundlagen der ſozialen Ordnung zu retten, welche
reichlich zu ihrer eigenen Vertheidigung genügten, wenn es
überhaupt wahr iſt, daß sie bedroht waren, unter diesem
Vorwande, sagen wir, ließ sich das Land unter Vor-
mundſchaft ſtellen.
Der Nriegsminiſter der nordamerikaniſchen Union,
Hr. Rawlins, iſt am 6. Sept., im Alter von 38 Jahren,
geſtorben. Derſelben war am 11. März d. J. vom Prä-
ſidenten Grant in das Amt berufen worden.
Deutschland.
* Karlsruhe, 9. Sept. Die Poſtprattitanten N.
Jäger von Freiburg und Karl Burkart von Karlsruhe
wurden zu Poſtkontroleuren, erſterer in Freiburg, letzterer
in Pforzheim, ernannt.
Eine am Sonntag dahier abgehaltene Versammlung
von niederen Bediensteten der Zivilverwaltung hat eine
Bitteingabe beſchloſsſen, um eine zeitgemäße Abänderung
des Geseßes vom Jahr 1835 über Anstellung, Entlassung,
Zuruhesetzung 2c. der niederen Diener der Zivilverwaltung
herbeizuführen, etwa in der Weise, daß, wie in Preußen,
nach 10jähriger Dienstzeit der betreffende Bedienstete p en-
ſions berechtigi würde.
* Aus Baden , 9. Sept. Das offizielle Baden
feiert heute einen Feſtestag. Glockengeläute, Fahnenſchmuck
und Feſsteſſen geben hievon Kunde. Feſtgedichte und
Trinksprüche ringen um die Palme größerer Ergebenheit.
Freude und Zufriedenheit rauſchen durch die herbſt-
lich gefärbten „Blätter.“
Bei den am 6. Seht. bei Eppingen abgehaltenen
Detachements-Uebungen kamen die Zuſchauer dem Groß-
herzoge und dem Stab oft ſo nahe , daß man ~ wie ein
Bericht in der „Heidelb. Ztg.“ sagt ~ hätte glauben
mögen, die „Leutchen“ gehörten ſelbſt zum Stabe. „Da
unterhielt sich denn der Großherzog freundlich mit den-
ſelben ; so sagte er unter Anderm zu einem neben ihm
ſtehenden Bauer : Nicht wahr, wir verderben recht Ihre
Felder ?, und sette dann, auf die vielen Zuſchauer blickend,
die ihm überall quer durch dieFelder nachfolgten, lächelnd
hinzu: Nun, wir verderben sie mit einander!“
Es wird. nun als festgestellt gemeldet, daß der Land-
tag don dem Großherzoge in Person eröffnet werde.
Seit der Exkommunikation des Bürgermeiſters Stro-
meyer in Konstanz wurde derselbe ungeachtet des Erlasses
des Ministeriums des Innern, welcher die Fortdauer ſeiner
Mitgliedſchaft in der Stiftungskommission und die Rück-
gabe des Schlüſſels zur Depoſitenkiſte verfügte, zu keiner
Sitzung mehr eingeladen. Die Folge davon war, daß
die Handlungen der Stiftungskommisſſion nicht mehr als
gesetzlich angesehen und ihre Beſchlüſse nicht ausgeführt
werden konnten. Der Rechner durfte nicht auszahlen,
wenn auf der Dekretur der Name ,„Stromeyer“ fehlte
und ebenso wenig konnten für Diejenigen, welche Heime
zahlungen machten , die Pfandſtriche ohne die Unterſchrift
Stromeyers bewirkt werdſen.
Um nun dem abſoluten Stillſtehen der Geſchäfte der
Konſtanzer Stiftungs-Verwalt ung vorzubeugen,
bezw. den „geſetlichen Zuſtand auf fraglichem Gebiete zu
ſichern , bezw. wieder herzuſtellen“, hat unterm 1. Sept.
das großh. Miniſterium des. Innern das Konstanzer Ve-
zirksamt beauftragt : die Vorſtände der Stiftungskommis-
sionen zu einer alsbaldigen Anberaumung einer Sitßung
der Kollegien aufzufordern, wozu ſämmtliche Mitglieder
einschließlich Bürgermeiſter Stromeyer nach §. 13 der
Dienſtinſtruktionen einzuladen seien. Das großh. Bezirks-
amt hat unterm 4. entsprechende Aufforderung an die 3
Pfarreien erlaſſen unter der Androhung , daß, wenn der
ordnungsmäßige Zuſtand nicht sofort wieder hergestellt
werde, die Regierung ihrerseits die erforderlichen Maßregeln
zu dieſem Zwecke ergreifen würde. Da die verligte
Sitzung bis zum 7. Sept. nicht anberaumt war, hat
nunmehr in Folge Ermächtigung großh. Miniſteriums der
Anmtltsvorſtand als landes h errl. Kommiſs sär den pro-
viſoriſchen Vorſit, der katholiſchen drei Stiftungskommiſ-
sionen übernommen und wird denselben mit allen Rechten
und Befugnissen des Vorſitßenden so lange führen, bis
die derzeitigen Vorſtände dem Geſeße nachkommen zu wol-
len erklären. Die Stiftungskiſten der drei Pfarreien wur-
den noch am Abend des 7. Sept. in den Pfarrhöfen er-
hoben und im Amthaus niedergelegt : eine Sitzung unter
Zuzug des Bürgermeisters Stromeyer, wozu die bisherigen
geiſtlichen Vorstände Einladung erhalten, iſt anberauntz w
das großh. Poſtamt iſt angewiesen, die Cinläufe der Stif-
tungskommiſſionen an das Bezirksamt abzuliefern, die
Rechner und Stiftungsaktuare ſind von der Konstituirung
des neuen Vorsitzes durch den landesherrl. Kommisſär bes-
nachrichtigt und haben ſich künftighin des direkten Verkehrs
mit den geistlichen Vorständen bei Vermeidung eigener
Haftbarkeit zu enthalten. + Man darf nun geſpannt da-
rauf sein, wie sich fragliche Angelegenheit noch weiter
twickelt.
! > Vom Rhein, 9. Sept. In der Frankf ur-
ter Angelegenheit beharrt die Berliner Regierung
auf der Ausweisſungsmaßregel. Es ist dieſer Vorgang
wieder eine neue Beſtätigung des alten Satzes : Wo im-
mer die Gewalt ſich frech zu Tiſche geſeßt hat, da gelangt
ſie auch alsbald dazu, den gewaltſam eroberten Plat von
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. x. . :
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