E HES ESS ZS EE SE S ZLI E)
Sonntag, 1. August.
Ytauuheimer Abendzeitung.
Organ der deulſchen Volksparlei in Vaden.
Tie „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſte
1869.
als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
llungen bei der Expedition 0 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Vor den Wahlen.
*) Die Wahlen der Wahlmänner gehen
vor ſich. Die Pflicht eines jeden Wahlberechtigten iſt,
an denſelben Theil zu nehmen, sich durch keinerlei Rück-
ſicht von der Wahlurne entfernt zu halten. Diese Pflicht
iſt um so größer und ernſter als das jetzige Wahlſyſtem
mit indirekter und öffentlicher Stimmgebung nur geschaffen
scheint, um das Volk von den Wahlen zurückzuhalten.
Das Syſtem ist derart, daß Viele sich ſagen : „Es nügtt
doch nichts, ob ich mich auch zu den Wahlen hindränge ;
der Amtmann, der Bürgermeister, die Reichen und Mäch-
tigen des Landes behalten doch die Entscheidung in der
Hand. Wähle ich in einem Sinne , der ihnen nicht zu-
ſagt, ~ ſo können und werden sie mich bei der nächsten
Gelegenheit ihren Zorn fühlen laſſen. Da ist es klüger,
ich bleibe zu Hauſe und lasse sie wählen, wen sie
wollen. “
Und wer ſo denkt und wer so handelt, der thut un-
recht, wenn vielleicht auch mehr oder weniger im Sinne
Derjenigen, die das Wahlgeſet geschaffen. Daſſelbe datirt
aus dem Jahre 1818. Es regierte damals in Baden
ein freiſinniger Fürſt, dem vorher gegebene Versprechungen
heilig waren. Jenes Jahr bezeichnet aber die Zeit, in
welcher die mächtigsten Herrſcher Deutschlands ihre dem
deutschen Volke 1813, zur Zeit der Noth, gemachten Ver-
heißungen bereits wieder vergeſſen hatten. Schon ſannen
ſie auf Verrath; und konnte das Land Baden sich dem
Luftdrucke entziehen, der dem Gewitter vorausging ? 1819
führte der Bundestag, das knechtiſche, verächtliche Werkzeug
der Mächtigen die erſten Gewaliſtreiche gegen die den deutſchen
Völkerſchaften auf das Heiligſte zugesicherten Rechte und
Freiheiten. Die erſten Streiche richteten sie gegen die
Preſſe, gegen die Selbſtſtändigkeit der einzelnen deutſchen
Staaten und gegen die Universitäten, an welchen Profes-
soren und Studirende unter polizeiliche Aufsicht gestellt
wurden. Und. 1821 erliegen die Stifter des heiligen
Bundes, darunter die Fürſten von Preußen und Oster-
reich ein Zirkular, in welchem ſie ſich heftig betlagten
über das Streben der Völker nach Verfaſſungen , worin
die Gewalthaber nichts wahrnehmen wollten, als; ,Die
Wirkung einer ungeheueren, weit verbreiteten Verſchwö-
rung." Aus jener Zeit der Reaktion, des Verraths der
mächtigſten Gewalthaber an ihren Völkern, die für die
Erhaltung der Throne derſelben Gut und Blut geopfert
hatten, ſtammt unsere Verfaſſung und Wahlordnung.
Möglich ſchon, daß man in jener Zeit nicht allzu
viel Vorliebe für ein allgemein politiſches Leben empfand
und noch weniger Sorge dafür, es zu wecken. Das Jahr
1848 rüttelte an dem alten Gebäude; die Reichsverfaſſung
von 1849 gebot, an ein neues Wahlgeſeß zu denten.
Die abermalige Reattion legte alle dergleichen Entwürfe
_
zu dem bekannten ,„ſchät baren Materiale,“ und unjerer
Zeit blieb es vorbehalten, noch den Kampf gegen das
veraltete Wahlsyſtem zu ſehen; noch zu erfahren, daß es
heute noch Leute gibt, an denen die lezten 50 Jahre
faſt ſpurlos vorübergegangen sind. Ja Leute zu finden,
welche die traurigen Erfahrungen, die unſere Vorfahren
von 181591848 gemacht haben in unbegreiflicher Ver-
blendung überſehen, unbeachtet laſſen ; Leute, die heute
der siegreichen Gewalt zu Füßen liegen und von ihr Recht
utid Freiheit erhoffen.
Noch mehr! Im Jahre 1818 ergriff bei uns ein
freiſiniger Fürst die Initiative und gab seinem Volke eine
verhältnißmäßig freiſinnige Verfaſſung ; er gab sie, ob-
gleich dies die Mächtigen im Bunde ungerne ſahen , ja
zu verhindern suchten. Und was erleben wir jezt ? Daß
Männer des Volkes heute die Reformarbeit vertagt oder
verpfuſcht haben wollen . . . und dieß mit Rücksicht auf
den Mächtigen an der Spree, den sie anflehen, sie unter
vie Geißel des Zäſarismus, des modernen Absolutismus
zu nehmen. Die Verblendeten! für ſie iſt die Volksbe-
wegung von 1848 und 1849 ; für ſie ſind die deutschen
Grundrechte und Reichsverfassung veraltete Dinge. Sie
athmen im Geiſte der Reaktion von 1850 und 1831,
tvelche für unsere Gemeinden einWahlgeſeß zurechtgemacht
hat, deſſen Erfindung einem Teufel Ehre machen könnte;
welches namentlich im Volke den Gedanken großziehen
mußte: Es nütt ja doch nichts, wenn ich mich betheilige,
wenn ich mich bloßſtelle ; laſe sie wählen und machen
was ſie wollen. s' mptrs
_ Und das iſt es eben, was die Reaktion in den fünf-
ziger Jahren beabsichtigte. Und wer ſo denkt, der thut,
was die Reaktion wünſchte, hoffte. Jeder Wahlberechtigte,
der sich durch das schlechte Wahlrecht zurückſcheuchen läßt,
der in diesem Gefühl , den Reaktionären, den Philiſtern,
den Bureaukraten , den Nachläufern der Macht das Feld
überläßt, der iſt – ohne es zu wisſen, ohne es zu wollen,
– ein Bundesgenoſse, ein Helfershelfer jener
rothen Reaktion. '
Deßwegen fordern wir alle unsere Gesinnungsgenoſsen
auf, off en und frei in den Wathlkampf einzutreten;
ihre Fahne überall zu entfalten, wo gewählt werden soll.
Treten Viele zu derſelben, deſto besſer ; treten Wenige zu
ihr, deſto mehr Ehre für die wenigen muthigen Männer,
die troß des schlechten Geseßes, das ihnen den Wahlkampf
verleiden ſoll, und dazu angethan ist, ihnen denselben zu
verleiden , ihn doch wagen. Wo es Einen einzigen De-
mokraten , wo es wenige Demokraten gibt, die zur Wahl
berechtigt sind, da iſt es ihre Pflicht einen WahlÄ-
kampf zum Besten der Demokratie herauszufordern.
Ueberall sollten die Einzelnen, die Wenigen, Wahlverſamm-
lungen zur Besprechung der Wahlen, zur Aufstellung von
Kandidaten berufen. Wer es verſäumt, wo ihm die Ge-
legenheit geboten, wo die Pflicht es von ihm fordert, der
~ iſt ein Gehülfe, ein unfreiwilliger Bundesgenossſe , ein
ſtummer Knecht und blinder Sklave des Geistes, der die
Wahlgesſeße, die uns beherrschen, gemacht hat, des Geistes
der Reaklion von 1850, des Geiſtes, der 1866 zum
Bürgerkriege geführt hat. Des Geistes, der im Milita-
rismus die Nation aussaugt und verdirbt. Wer dieſem
Geist nicht dienen will, wer ihn zu betämpfen den Mulh
hat, der kämpfe ~ wenn das Schwert, das ihm das
Wahlgesetß läßt, auch noch so ſtumpf und elend iſt.
Volitiſche Ueberſicht. |
Mamnnhgtheim, 30. Juli.
* An die durch die letzten Wahlen in Frankreich
bewirkte moralische Erſchöspfung des Kaiserreichs knüpfte
ſich eine erfreuliche Wahrſcheinlichkeit für die Erhaltung
des Friedens. Nun meldet die „Dem. Korr.“, unab-
hängig von einander berichteten Deutſche und Franzosen
ganz in demſelben Sinne , das Kaiserreich ſei rathlos,
muthlos und zum Kriege unfähig. Das Volk will keinen
Krieg , ſelbſt das Heer will ihn nicht; man fühlt oben,
daß man nichts mehr kann , ~ unten, daß man wieder
was kann und daß man etwas anderes haben muß , als
dieß abgelebte Kaiſerthum, welches nicht mehr kann. Fügen
wir hinzu, daß einer dieser Berichterſtatter zugleich nach
eigener Anschauung die Thatſache erzählt, in Arsſenalen
und Kasernen und Festungen sei Alles mit Kriegsmaterial
vollgeproft und durchaus zum Kriege fertig, und daß er
troßdem die Unmöglichkeit behauptet, das Kaiſerthum
könne und werde Krieg machen. Für Zäſar ist der Ge-
danke eines neuen ſiegreichen Generals , z.. B. Niel , ſehr
erbaulich, und die Möglichkeit einer Niederlage macht
Zäſar vollends ſtußzig. So trägt der Wahlkampf und
moraliſche Wahlſieg der Republikaner seine Segensfrucht;
ſie haben dem Volke wieder das Bewußtsein seiner ſitt-
lichen Würde gegeben und wo Volkswürde anfängt,
kommt Zäjar in Abgang. Drüben wie hüben !
Und ſo soll denn auch das Rundſchreiben des neuen
französiſchen Miniſters des Auswärtigen , das er bei
ſeinem Amtsantritt an die Repräsentanten Frankreichs im
Auslande erlaſſen, die Friedensglocke läuten. Er glaubt
in demſelben die Verſicherung niederlegen zu dürfen, daß
die Regierung Napoleons, ihret großen und ernsten Auf-
gabe im Innern sich bewußt, nur um ſo gewiſſenhafter
und sorgſamer diejenigen Beziehungen zu pflegen bedacht
sein werdc, welche bisher die Segnungen des Friedens
zum kostbaren Gemeingut der Nationen gemacht habe.
Eine trübe Welke, so ſcheint es, muß jedoch ſtets den
blauen Himmel , der von den Thronen aus den Völkern
aufgeſpannt wird, umſäumen. So jetzt, wo alles Friede
athmmet , iſt dennoch die Rede davon, daß die Mächte,
welche bisher das lebhafteſte Intereſſe für die Hintan-
haltung eine Kataſtrophe im Orient an den Tag ge-
legt haben, in der neueſten Gestaltung der Beziehungen
zwiſchen der Pforte und Egypten eine Veran-
laſſung gefunden hätten, nach beiden Seiten hin
einen vermittelnden und beſsänftigenden Druck zu üben.
Und dieser Druck, sſo wird der betreffenden Meldung
zur Charakteriſtikt der Lage beigefügt , soll sich haupt-
ſächlich nach Nonſtantinopel hin geltend machen, da
die Pforte ganz ſpeziell auf die Gefahren aufmerksam
gemacht worden ſei, die ihr, falls sie eine Frontſtellung
gegen Egypten einnehme, in ihrem Rücken drohen könnten.
Dieß wäre Alles nicht, wenn die Völker den Friedens-
himmel ſelbsſt bestellten.
Das Verbrechen im Nonnenkloſter in Krakau
iſt eines der Ereigniſſe, die nur bekannt zu werden
brauchen, und die öffentliche Meinung ist ſofort mit ihrem
Urtheil fertig. Ein menschlich Weſen heimlich eingesperrt
21 Jahre lang , zu thieriſchem Schmut verkommen , faſt
F Z LGV i
da mag eine Ordensregel um die andere gebrochen ſein,
so viele ihrer wollen : himmelſchreiende Gewalt ist ger
ſchehen , empörende Rohheit verübt. Iſt gar eine Frau
das Opfer, so empört sich vollends alles menschliche Ges
fühl und die beleidigte Natur verlangt Sühne; das mo-
raliſche Urtheil ist fertig vor dem juridiſchen ; kaum daß
die Welt die Geduld hat, dem Richter Zeil zu laſſen,
wie es der Richter doch bedarf, wenn er nicht im Namen
des Rechts neues Unrecht begehen soll. Kein Verständiger
wird sich wundern, kein billig Denkender wird es unbillig
finden, wenn die Wirkung beim Volke über den einzelnen
Fall hinaus gegen das Institut solcher Orden. gegen das
System ſolcher Hierarchie geht. Wo ſolche Früchte zu
Tage treten, da verlangt das Sittlichkeitsgefühl, das
Rectsgefühl des Volkes die Ausrottung bis zur Wurzel;
von Wirklichkeiten , wie dieſe, will es ſelbſt die Möglich-
keit beſeitigt wissen ; ſachlich hat es Recht. Es iſt ein
Abgrund von Mißbrauch, der sich da unſern Blicken er-
ſchliekt und mit Entſegen steht die Menschheit vor der
Teufelei, die im Namen Gottes begangen worden + die
erſte nicht,, lange nicht, und auch die einzige nicht in
unsern Tagen , ja nicht einmal die größte; denn was
hier der einzelnen Frau geſchehen , an Tauſenden haben
Fluchwürdigerers gethan die Zäsſaren und ihre Helfers-
helfer, als sie vorberechnet und vorbereitet ihrem „Gott
der Schlachten“ opferten. Die Untersuchung wird ihren
Gang gehen ; sie macht erſt wie sie muß; die Schuldigen
rettet keine Macht, ſie müßte denn so verrucht wie ver-
blendet das Aeußerſte wagen wollen. Aber weit entferne. _
daß gewisſe bekannte CEinflüſſe dieses Mal ſich werden
behaupten können, wird im Gegentheil die grauſige Ge-
schichte einen gewaltigen ~ wir wünschen und hoffen :
einen entscheidenden Eindruck hervorbringen zu Gunsten
der freiheitlichen Entwicklung des öſterreichiſchen Staats-
weſens.
f der Pariſer „Rappel“ gut berichtet iſt, ſo
würde S p ani en neuerdings die Aufmerksamkeit auf ſich
lenken. Demſelben Blatte wird nämlich gemeldet: Der
karlistiſche Putſch sei überwältigt; die große Sorge der
ſpaniſchen Regierung wende ſich aber nunmehr der re-
publika nischen Bewegung zu. Topete und Prim
seien in Barcelona. Es ſcheine gewiß, daß die Provinzen
von Barcelona, Tarragona, Lerida, Urgell rc. ihre Unab-
hängigkeit oder die föderaliſtiſche Republik proklamiren
werden. Die republikaniſche Meinung habe ſich in Spa-
nien seit der Septemberrevolution noch nie ſo lebhaft
kundgegeben als jezt. Journale, welche sich dem Gesetze
zuwider, das den Namen der Republik für ungeſeglich
erklärt, repubublikanische nennen, erſcheimen in allen
Städten Spaniens; sie gehen ſogar so weit ſich „intran-
singents“, d. h. unversöhnliche zu nennen und hier sei in
erſter Linie der „Estado catalan“ von Barcelona“ ge-
nannt.
Die Organe der Radikalen in Ru mänien veröffent-
lichen einen Aufruf zum Zuſammentritt eines panl atei-
niſchen Congreſſes in Paris, an welchem ſich An-
gehörige aller lateiniſchen Stämme, das heißt Franzoſen,
Rumänen, Spanier, Italiener und Portugiesen, zu be-
theiligen hätten. Eingegeben wurde dieſe Idee von dem
ſiebenbürger Rumänen Manin, welcher für die Agitation
unter den ſiebenbürgiſch- ungariſchen Rumäuen in den
buchareſter Organen der Radikalen die Feder führt und
den panſlaviſtiſchen Congreß in Moskau als Mutter für
den obigen hinftellt. | ; it
In Rom hat der Platkommandant in Folge der
vielen Desertionen in der päpſtlichen Armee eine Betannt-
machung erlaſſen, nach welcher fortan ein Jeder als
Ausreißer betrachtet werden ſoll, der die Thorwache über-
ſchreitet. Größere Lücken noch als in Rom entſtehen durch
die Deſertionen in den Provinzial-Garniſonen; je näher
der Grenze , deſto ſchlimmer. Cs arbeitet ein früher gar
nicht oder doch nur schwach vorhandenes neues unsicht-
bares Element der Auflöſung in den Reihen des päpſt-
lichen Militärs. Die meiſten Geworbenen ſehen ſich eben
getäuſcht und ergreifen jede Gelegenheit um fortzukommen.
EE „O A
W:
Sonntag, 1. August.
Ytauuheimer Abendzeitung.
Organ der deulſchen Volksparlei in Vaden.
Tie „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſte
1869.
als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
llungen bei der Expedition 0 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Vor den Wahlen.
*) Die Wahlen der Wahlmänner gehen
vor ſich. Die Pflicht eines jeden Wahlberechtigten iſt,
an denſelben Theil zu nehmen, sich durch keinerlei Rück-
ſicht von der Wahlurne entfernt zu halten. Diese Pflicht
iſt um so größer und ernſter als das jetzige Wahlſyſtem
mit indirekter und öffentlicher Stimmgebung nur geschaffen
scheint, um das Volk von den Wahlen zurückzuhalten.
Das Syſtem ist derart, daß Viele sich ſagen : „Es nügtt
doch nichts, ob ich mich auch zu den Wahlen hindränge ;
der Amtmann, der Bürgermeister, die Reichen und Mäch-
tigen des Landes behalten doch die Entscheidung in der
Hand. Wähle ich in einem Sinne , der ihnen nicht zu-
ſagt, ~ ſo können und werden sie mich bei der nächsten
Gelegenheit ihren Zorn fühlen laſſen. Da ist es klüger,
ich bleibe zu Hauſe und lasse sie wählen, wen sie
wollen. “
Und wer ſo denkt und wer so handelt, der thut un-
recht, wenn vielleicht auch mehr oder weniger im Sinne
Derjenigen, die das Wahlgeſet geschaffen. Daſſelbe datirt
aus dem Jahre 1818. Es regierte damals in Baden
ein freiſinniger Fürſt, dem vorher gegebene Versprechungen
heilig waren. Jenes Jahr bezeichnet aber die Zeit, in
welcher die mächtigsten Herrſcher Deutschlands ihre dem
deutschen Volke 1813, zur Zeit der Noth, gemachten Ver-
heißungen bereits wieder vergeſſen hatten. Schon ſannen
ſie auf Verrath; und konnte das Land Baden sich dem
Luftdrucke entziehen, der dem Gewitter vorausging ? 1819
führte der Bundestag, das knechtiſche, verächtliche Werkzeug
der Mächtigen die erſten Gewaliſtreiche gegen die den deutſchen
Völkerſchaften auf das Heiligſte zugesicherten Rechte und
Freiheiten. Die erſten Streiche richteten sie gegen die
Preſſe, gegen die Selbſtſtändigkeit der einzelnen deutſchen
Staaten und gegen die Universitäten, an welchen Profes-
soren und Studirende unter polizeiliche Aufsicht gestellt
wurden. Und. 1821 erliegen die Stifter des heiligen
Bundes, darunter die Fürſten von Preußen und Oster-
reich ein Zirkular, in welchem ſie ſich heftig betlagten
über das Streben der Völker nach Verfaſſungen , worin
die Gewalthaber nichts wahrnehmen wollten, als; ,Die
Wirkung einer ungeheueren, weit verbreiteten Verſchwö-
rung." Aus jener Zeit der Reaktion, des Verraths der
mächtigſten Gewalthaber an ihren Völkern, die für die
Erhaltung der Throne derſelben Gut und Blut geopfert
hatten, ſtammt unsere Verfaſſung und Wahlordnung.
Möglich ſchon, daß man in jener Zeit nicht allzu
viel Vorliebe für ein allgemein politiſches Leben empfand
und noch weniger Sorge dafür, es zu wecken. Das Jahr
1848 rüttelte an dem alten Gebäude; die Reichsverfaſſung
von 1849 gebot, an ein neues Wahlgeſeß zu denten.
Die abermalige Reattion legte alle dergleichen Entwürfe
_
zu dem bekannten ,„ſchät baren Materiale,“ und unjerer
Zeit blieb es vorbehalten, noch den Kampf gegen das
veraltete Wahlsyſtem zu ſehen; noch zu erfahren, daß es
heute noch Leute gibt, an denen die lezten 50 Jahre
faſt ſpurlos vorübergegangen sind. Ja Leute zu finden,
welche die traurigen Erfahrungen, die unſere Vorfahren
von 181591848 gemacht haben in unbegreiflicher Ver-
blendung überſehen, unbeachtet laſſen ; Leute, die heute
der siegreichen Gewalt zu Füßen liegen und von ihr Recht
utid Freiheit erhoffen.
Noch mehr! Im Jahre 1818 ergriff bei uns ein
freiſiniger Fürst die Initiative und gab seinem Volke eine
verhältnißmäßig freiſinnige Verfaſſung ; er gab sie, ob-
gleich dies die Mächtigen im Bunde ungerne ſahen , ja
zu verhindern suchten. Und was erleben wir jezt ? Daß
Männer des Volkes heute die Reformarbeit vertagt oder
verpfuſcht haben wollen . . . und dieß mit Rücksicht auf
den Mächtigen an der Spree, den sie anflehen, sie unter
vie Geißel des Zäſarismus, des modernen Absolutismus
zu nehmen. Die Verblendeten! für ſie iſt die Volksbe-
wegung von 1848 und 1849 ; für ſie ſind die deutschen
Grundrechte und Reichsverfassung veraltete Dinge. Sie
athmen im Geiſte der Reaktion von 1850 und 1831,
tvelche für unsere Gemeinden einWahlgeſeß zurechtgemacht
hat, deſſen Erfindung einem Teufel Ehre machen könnte;
welches namentlich im Volke den Gedanken großziehen
mußte: Es nütt ja doch nichts, wenn ich mich betheilige,
wenn ich mich bloßſtelle ; laſe sie wählen und machen
was ſie wollen. s' mptrs
_ Und das iſt es eben, was die Reaktion in den fünf-
ziger Jahren beabsichtigte. Und wer ſo denkt, der thut,
was die Reaktion wünſchte, hoffte. Jeder Wahlberechtigte,
der sich durch das schlechte Wahlrecht zurückſcheuchen läßt,
der in diesem Gefühl , den Reaktionären, den Philiſtern,
den Bureaukraten , den Nachläufern der Macht das Feld
überläßt, der iſt – ohne es zu wisſen, ohne es zu wollen,
– ein Bundesgenoſse, ein Helfershelfer jener
rothen Reaktion. '
Deßwegen fordern wir alle unsere Gesinnungsgenoſsen
auf, off en und frei in den Wathlkampf einzutreten;
ihre Fahne überall zu entfalten, wo gewählt werden soll.
Treten Viele zu derſelben, deſto besſer ; treten Wenige zu
ihr, deſto mehr Ehre für die wenigen muthigen Männer,
die troß des schlechten Geseßes, das ihnen den Wahlkampf
verleiden ſoll, und dazu angethan ist, ihnen denselben zu
verleiden , ihn doch wagen. Wo es Einen einzigen De-
mokraten , wo es wenige Demokraten gibt, die zur Wahl
berechtigt sind, da iſt es ihre Pflicht einen WahlÄ-
kampf zum Besten der Demokratie herauszufordern.
Ueberall sollten die Einzelnen, die Wenigen, Wahlverſamm-
lungen zur Besprechung der Wahlen, zur Aufstellung von
Kandidaten berufen. Wer es verſäumt, wo ihm die Ge-
legenheit geboten, wo die Pflicht es von ihm fordert, der
~ iſt ein Gehülfe, ein unfreiwilliger Bundesgenossſe , ein
ſtummer Knecht und blinder Sklave des Geistes, der die
Wahlgesſeße, die uns beherrschen, gemacht hat, des Geistes
der Reaklion von 1850, des Geiſtes, der 1866 zum
Bürgerkriege geführt hat. Des Geistes, der im Milita-
rismus die Nation aussaugt und verdirbt. Wer dieſem
Geist nicht dienen will, wer ihn zu betämpfen den Mulh
hat, der kämpfe ~ wenn das Schwert, das ihm das
Wahlgesetß läßt, auch noch so ſtumpf und elend iſt.
Volitiſche Ueberſicht. |
Mamnnhgtheim, 30. Juli.
* An die durch die letzten Wahlen in Frankreich
bewirkte moralische Erſchöspfung des Kaiserreichs knüpfte
ſich eine erfreuliche Wahrſcheinlichkeit für die Erhaltung
des Friedens. Nun meldet die „Dem. Korr.“, unab-
hängig von einander berichteten Deutſche und Franzosen
ganz in demſelben Sinne , das Kaiserreich ſei rathlos,
muthlos und zum Kriege unfähig. Das Volk will keinen
Krieg , ſelbſt das Heer will ihn nicht; man fühlt oben,
daß man nichts mehr kann , ~ unten, daß man wieder
was kann und daß man etwas anderes haben muß , als
dieß abgelebte Kaiſerthum, welches nicht mehr kann. Fügen
wir hinzu, daß einer dieser Berichterſtatter zugleich nach
eigener Anschauung die Thatſache erzählt, in Arsſenalen
und Kasernen und Festungen sei Alles mit Kriegsmaterial
vollgeproft und durchaus zum Kriege fertig, und daß er
troßdem die Unmöglichkeit behauptet, das Kaiſerthum
könne und werde Krieg machen. Für Zäſar ist der Ge-
danke eines neuen ſiegreichen Generals , z.. B. Niel , ſehr
erbaulich, und die Möglichkeit einer Niederlage macht
Zäſar vollends ſtußzig. So trägt der Wahlkampf und
moraliſche Wahlſieg der Republikaner seine Segensfrucht;
ſie haben dem Volke wieder das Bewußtsein seiner ſitt-
lichen Würde gegeben und wo Volkswürde anfängt,
kommt Zäjar in Abgang. Drüben wie hüben !
Und ſo soll denn auch das Rundſchreiben des neuen
französiſchen Miniſters des Auswärtigen , das er bei
ſeinem Amtsantritt an die Repräsentanten Frankreichs im
Auslande erlaſſen, die Friedensglocke läuten. Er glaubt
in demſelben die Verſicherung niederlegen zu dürfen, daß
die Regierung Napoleons, ihret großen und ernsten Auf-
gabe im Innern sich bewußt, nur um ſo gewiſſenhafter
und sorgſamer diejenigen Beziehungen zu pflegen bedacht
sein werdc, welche bisher die Segnungen des Friedens
zum kostbaren Gemeingut der Nationen gemacht habe.
Eine trübe Welke, so ſcheint es, muß jedoch ſtets den
blauen Himmel , der von den Thronen aus den Völkern
aufgeſpannt wird, umſäumen. So jetzt, wo alles Friede
athmmet , iſt dennoch die Rede davon, daß die Mächte,
welche bisher das lebhafteſte Intereſſe für die Hintan-
haltung eine Kataſtrophe im Orient an den Tag ge-
legt haben, in der neueſten Gestaltung der Beziehungen
zwiſchen der Pforte und Egypten eine Veran-
laſſung gefunden hätten, nach beiden Seiten hin
einen vermittelnden und beſsänftigenden Druck zu üben.
Und dieser Druck, sſo wird der betreffenden Meldung
zur Charakteriſtikt der Lage beigefügt , soll sich haupt-
ſächlich nach Nonſtantinopel hin geltend machen, da
die Pforte ganz ſpeziell auf die Gefahren aufmerksam
gemacht worden ſei, die ihr, falls sie eine Frontſtellung
gegen Egypten einnehme, in ihrem Rücken drohen könnten.
Dieß wäre Alles nicht, wenn die Völker den Friedens-
himmel ſelbsſt bestellten.
Das Verbrechen im Nonnenkloſter in Krakau
iſt eines der Ereigniſſe, die nur bekannt zu werden
brauchen, und die öffentliche Meinung ist ſofort mit ihrem
Urtheil fertig. Ein menschlich Weſen heimlich eingesperrt
21 Jahre lang , zu thieriſchem Schmut verkommen , faſt
F Z LGV i
da mag eine Ordensregel um die andere gebrochen ſein,
so viele ihrer wollen : himmelſchreiende Gewalt ist ger
ſchehen , empörende Rohheit verübt. Iſt gar eine Frau
das Opfer, so empört sich vollends alles menschliche Ges
fühl und die beleidigte Natur verlangt Sühne; das mo-
raliſche Urtheil ist fertig vor dem juridiſchen ; kaum daß
die Welt die Geduld hat, dem Richter Zeil zu laſſen,
wie es der Richter doch bedarf, wenn er nicht im Namen
des Rechts neues Unrecht begehen soll. Kein Verständiger
wird sich wundern, kein billig Denkender wird es unbillig
finden, wenn die Wirkung beim Volke über den einzelnen
Fall hinaus gegen das Institut solcher Orden. gegen das
System ſolcher Hierarchie geht. Wo ſolche Früchte zu
Tage treten, da verlangt das Sittlichkeitsgefühl, das
Rectsgefühl des Volkes die Ausrottung bis zur Wurzel;
von Wirklichkeiten , wie dieſe, will es ſelbſt die Möglich-
keit beſeitigt wissen ; ſachlich hat es Recht. Es iſt ein
Abgrund von Mißbrauch, der sich da unſern Blicken er-
ſchliekt und mit Entſegen steht die Menschheit vor der
Teufelei, die im Namen Gottes begangen worden + die
erſte nicht,, lange nicht, und auch die einzige nicht in
unsern Tagen , ja nicht einmal die größte; denn was
hier der einzelnen Frau geſchehen , an Tauſenden haben
Fluchwürdigerers gethan die Zäsſaren und ihre Helfers-
helfer, als sie vorberechnet und vorbereitet ihrem „Gott
der Schlachten“ opferten. Die Untersuchung wird ihren
Gang gehen ; sie macht erſt wie sie muß; die Schuldigen
rettet keine Macht, ſie müßte denn so verrucht wie ver-
blendet das Aeußerſte wagen wollen. Aber weit entferne. _
daß gewisſe bekannte CEinflüſſe dieses Mal ſich werden
behaupten können, wird im Gegentheil die grauſige Ge-
schichte einen gewaltigen ~ wir wünschen und hoffen :
einen entscheidenden Eindruck hervorbringen zu Gunsten
der freiheitlichen Entwicklung des öſterreichiſchen Staats-
weſens.
f der Pariſer „Rappel“ gut berichtet iſt, ſo
würde S p ani en neuerdings die Aufmerksamkeit auf ſich
lenken. Demſelben Blatte wird nämlich gemeldet: Der
karlistiſche Putſch sei überwältigt; die große Sorge der
ſpaniſchen Regierung wende ſich aber nunmehr der re-
publika nischen Bewegung zu. Topete und Prim
seien in Barcelona. Es ſcheine gewiß, daß die Provinzen
von Barcelona, Tarragona, Lerida, Urgell rc. ihre Unab-
hängigkeit oder die föderaliſtiſche Republik proklamiren
werden. Die republikaniſche Meinung habe ſich in Spa-
nien seit der Septemberrevolution noch nie ſo lebhaft
kundgegeben als jezt. Journale, welche sich dem Gesetze
zuwider, das den Namen der Republik für ungeſeglich
erklärt, repubublikanische nennen, erſcheimen in allen
Städten Spaniens; sie gehen ſogar so weit ſich „intran-
singents“, d. h. unversöhnliche zu nennen und hier sei in
erſter Linie der „Estado catalan“ von Barcelona“ ge-
nannt.
Die Organe der Radikalen in Ru mänien veröffent-
lichen einen Aufruf zum Zuſammentritt eines panl atei-
niſchen Congreſſes in Paris, an welchem ſich An-
gehörige aller lateiniſchen Stämme, das heißt Franzoſen,
Rumänen, Spanier, Italiener und Portugiesen, zu be-
theiligen hätten. Eingegeben wurde dieſe Idee von dem
ſiebenbürger Rumänen Manin, welcher für die Agitation
unter den ſiebenbürgiſch- ungariſchen Rumäuen in den
buchareſter Organen der Radikalen die Feder führt und
den panſlaviſtiſchen Congreß in Moskau als Mutter für
den obigen hinftellt. | ; it
In Rom hat der Platkommandant in Folge der
vielen Desertionen in der päpſtlichen Armee eine Betannt-
machung erlaſſen, nach welcher fortan ein Jeder als
Ausreißer betrachtet werden ſoll, der die Thorwache über-
ſchreitet. Größere Lücken noch als in Rom entſtehen durch
die Deſertionen in den Provinzial-Garniſonen; je näher
der Grenze , deſto ſchlimmer. Cs arbeitet ein früher gar
nicht oder doch nur schwach vorhandenes neues unsicht-
bares Element der Auflöſung in den Reihen des päpſt-
lichen Militärs. Die meiſten Geworbenen ſehen ſich eben
getäuſcht und ergreifen jede Gelegenheit um fortzukommen.
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