F. 77.
16.69.
Organ der deutſchen Vollksp
Freitag, 2. April.
lbendzeitung.
artei in Baden.
L LAL HrHEHErÄſß
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird – mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täglich als Abendblatt ausge
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expe
geben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
dition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.
Freiheit.
Es bleibt für große Völker der Sat im Allgemeinen
richtig , daß sie für ihre Staatsformen und Regierungen
verantwortlich sind. Und in diesem Sinne muß es ſich
ein großes und unfreies Volk gefallen laſſen , wenn ihm
höhniſch ins Gesicht gerufen wird, es sei zur Freiheit
nicht reif. In jedem Falle aber gilt dies Wort nur bis
zu der Stunde, wo sich das Volk die Freiheit holt.
Es iſt Dies eine der beliebteſten Entgegnungen, auf die
der Apoſtel der Freiheit bei den Männern des Rücksſchrittes,
des Stillſtandes und des gemäßigten Fortschrittes ſtößt;
namentlich bei den Letzteren. Diese Partei , in die ſich
neben manchen ehrenhaften Elementen Alles flüchtet, was
es an Feigheit, Gesinnungslosigkeit und Beſchränktheit
gibt, geſtcht gewöhnlich den Werth der Freiheit bereit-
willigſt zu, aber ~ o wie wohlfeil und bequem iſt die
Ausflucht! ~ ,das niedere Volt, ſagt sie, iſt nicht
reif dafür.“
Und wer ist denn das niedere Volk, das nicht reif
für die Freiheit iſt ?
Sind es Diejenigen, die in emſigem Fleiße und mit
kunſtgewandten Händen im Schweiße des Angesichts unsere
Städte bauen, unsere Kanäle graben, unſere Straßennete
b.reiten, Schiffe für Fluß und Meer zimmern, aus dem
Boden unsern Nahrungsſtoff, aus den Tiefen Feuer und
Metalle holen, unsere Kleider weben , unsere Werkzeuge
ſchmieden , unsere Maſchinen fügen? Oder ſind es Die-
jenigen, die ſich ſtatt mit Arbeit mit Müßiggang quälen,
die keine Noth, ſondern nur Verprassen kennen; für die
es keine harte Pflicht, sondern nur Genuß gibt; die nie
Nùzliches machen, sondern nur Gemachtes verbrauchen und
zerſlören ?
Sind es Diejenigen, welche sich entsetzt abwenden,
wenn Einer unter ihnen ~ vielleicht von darbenden
Eltern vernachlässigt und in Unwissenheit und Elend auf-
gewachſen – Hand an fremdes Cigenthum legt, und
wäre es eines Laibes Brod Werth, oder gar an einem
Menſchenleben ſich vergreitt? Oder sind es Diejenigen,
welche ehrloſen Raub, wenn er länderweis getrieben wird,
verherrlichen und bewundern; welche ohne viel Federlesſens
in Kerker werfen und blutig richten , was sich gegen ihre
Wirthſchaft auflehnt; welche den . Mord im Großen mit
kaltem Blute vorbereiten , sorgfältig organiſiren und die
Opfer elender ſelbſtischer Zwecke hunderttausendweis zur
Schlachtbank schicken?
Nun, ihr gemäßigten Fortſchrittsmänner : Wer ist es
denn, der nicht reif für die Freiheit iſt ? Antwortet doch,
die ihr ſo sſchmiegſam nach oben und so aufgeblaſen gegen
Das seid, was ihr unten nennt? Antwortet! aber auch
laut, daß man es hören kann.
Ein Volk , das eine Induſtrie und Gewerbthätigkeit
ſo entwickelt, wie das unsere, hat, ist reif für die Freiheit,
und wenn es sie noch nicht hat, ſo sind gerade Diejenigen
e Stheld, die Ihr zumeist dafür reif haltet, nämlich
Ihr ſelbſt !
Da nur ein zur Freiheit reifes oder mit anderem
Worte ein gebildetes Volk frei sein und bleiben kann , so
wird auch ein freies Volk mehr für die Volksbildung
thezt als Diejenigen, die ihm die Freiheit vorenthalten
wollen.
Das freie Volk wird die Volksbildung pflegen, weil
es durch sie die Freiheit erlangte und weil es auf der
Hand liegt, daß mit der Bildung auch die Freiheit aus
denſelben Gründen verloren gehen würde, die es möglich
machten, daß das ungebildete Volt Jahrhunderte lang in
Knechtschaft gehalten worden. Die bisherigen Machthaber
jedoch erkennch eben so klar in der Volksbildung die
Woge, an der sie über kurz oder lang scheitern müſſen,
wenn ſie sie nicht zurücktdämmen können. Hierin thun ſie
denn auch ihr Möglichſtes und zeigen darin weit mchr
Verſtand als die gemäßigten Fortschrittsſcherwenzler.
Der höchſie Zweck jedes Einzelnen iſt volle Selbstent-
wicklung, höchſte Bildung ; dieſe kann nur durch die
Freiheit erreicht werden; die Freiheit kann nur durch die
Volksbildung gewahrt werden; die Volksbildung wird ſich
nur ein freies Volt angelegen sein laſſen; folglich iſt tie
Freiheit das erſte, wichtigſte und alles Andere beherrschende
Ziel der Politik. Und da Politik die Sache jedes Staats-
bürgers iſt, so iſt die Freiheit das Ziel, dem ſich jeder
Einzelne vor allem Andern zuzuwenden hat.
Die Staaten der Zukunft kommen nicht, wie die der
Vergangenheit, aus den Wolken, sondern ſie wachſen aus
der Erde ! (Nürnb. Anz.)
Der Krieg von 1866 und die Seuchen-
statistik.
Unter diesem Titel bringt die „Augsb: Allg. Zig.“
einen Aufsatz, der wieder in der ſchlagendſten Weise den
Beweis liefert, daß die blutigen Schlachten eines Krieges
noch die geringſten Opfer ſind, welche der Krieg fordert,
daß vielmehr die Seuchen, welche das furchtbare Gefolge
der Heereszüge bilden, die meiſten Opfer fordern. Wäh-
rend im Jahre 1865 nur 422 Personen an der Cholera
starben und 10,288 an der Epidemie und der Cholera
zuſammen gestorben sind, forderte das Kriegsjahr 1866
die furchtbare Zahl von 196,711 Opfern, von denen
165,292 an der Cholera erlegen ſind. Aus den einzel-
nen Ziffern geht hervor, daß gerade die Provinzen, in
welchen die Heereszüge ſich anhäuften (Oesterreich unter
der Enns, Böhmen, Mähren, Galizien und die Buko-
wina), auch am Schwerſten durch die Seuchen und be-
sonders durch die Cholera betroffen wurden. Und nicht
dort, wo die feindlichen Armeen unmittelbar aufeinander
ſtoßen, ſind die epidemiſchcn Krankheiten am Stärksten
aufgetreten, sondern in den Kreiſen, durch welche der
Vor- und Rückmarsch stattfand, woſelbſt die Heeresmasſſen
am Längsten weilten. In Ungarn ſind 1866 an der
Cholera allein 69,628 Personen gestorben, in der öſter-
reichiſch-ungariſchen Monarchie sind also allein der Cho-
lera 235,000 Menschen erlegen. Cine Viertelmillion
Menſchen ist in Oesterreich den Kriegsſeuchen überhaupt
zum Opfer gefallen in einem Jahre, welches mit wenigen
Ausnahmen guünſtigen Nahrungszuſtand durch Ernten
hatten. Tie Nalionalökonomie wird, wenn sie den Werth
der hier vernichteten Menſchenkraft berechnen will, eine
enorne Summe zu verzeichnen haben, die nicht in dem
großen Buch der Staatsſchuld ersſcheint, aber auf dem
Verlusikonto zahlloſer Familien zu der markverzehrenden
Kriegs- und Soldatenschuld der Völkcr hinzukonumt.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 1. April.
* Die Angaben, welche der Telegraph über den In-
halt des der Kortesverſammlung vorgelegten Veifaſſungs-
entwurfs für S p ani en gebracht hat, können wir,
nach franzöſiſchen Blättern, heute beifügen, daß dem Kö-
nig in spe kein absolutes, ſondern nur ein aufschiebendes
Widerſprucherecht gegen die Beſchlüſſe der Landesvertre-
tung eingeräumt werden soll. Ein durch diese und an-
dere landläufige konstitutionelle Halbheiten in Feiner Macht-
vollkemmenheit abgeſchwächtes Königthum und keine ,freie
Kirche im freien Staate“ : Das iſt die Quintessenz des
Gerichtes, das der Verfaſſungsausſchuß dem Volke als
Frucht der Septembererhebung ſervirt. Einstweilen auf
dem Papier. Wirds diesem Papier wohl beſſer ergehen,
als jener „Charte“, die nach der Verheißung des fran-
zöſischen „Bürger-Königs“ eine „Wahrheit“ werden ſollte,
deren Feten aber den Wagen umflatterten, der ſpätcr den
flüchtigen Propheten ans Meeresufer trug! . . Von dem
Eindruck des monarchiſtiſchen Machwerkes auf die Bevöl-
kerung liegt noch keine Kunde vor; ein anderes Creigniß
hat aber, wie die „Cpoca“ berichtet, die Madrider. freudig
geſtimmt: die aus Kuba angelangte Nachricht nämlich,
der Präsident der Vereinigten Staaten habe auf eine von
dort an ihn gelangte Adreſſe um Anerkennung ter In-
ſurgenten als kriegsführende Macht mit der Erklärung
geantwortet, daß er die Gesche der Neutralität ſtrengſtens
beobachten und sogar fürderhin keine Deputation der auf-
ſtändiſchen Kubaner mehr cmpfangen werde.
Die Deputirtenkammer I tali e ns hat ihr Jeſlthalten
an dem Programm: Rom Italicns Haurtſtadt kürzlich
neuerdings beſtätigt, indem sie die von der Regicrung ver-
langte Ermächtigung zum Ankauf eines Hauſes Behufs
Crweiterung der Räunllickkeiten des Finanzminiſteriums
mit dem Hinweis darauf, daß Florenz die definitive
Haupiſstadt n i ch t ſci, akgelehnt hat.
Die Beruhigungsepillen, zu deren Verabreichung die
osfiziöü n Organe Fr a n kr ei ch s, wie ſchon gestern mit-
getheilt, angcwiesen worden sind, haben leute eine Ver-
mehrung erhalten. Die „Agence Havras“ ſchreibt: „Es
iſt richig, daß die auf 6 Monate Beurlauktten zu ihren
Korps einberufen worden ſind, wcil ihr Urlaub am 31.
März abgelaufen ist; aber ein Brweis taſür, daß die
Cinberufung keinen kriegeriſchen Charakter hat, liegt da-
rin, daß der Kriegéminiſlcr kürzlich 30,000 Mann des
fuel Theils des Kontingents in ihre Heimath entlaſ-
en hat.“ ;
Im gesetzgebenden Körper Frankreichs iſt geſtern di
Interpellation des demokratischen Abgeordneten Picard
über die Wa hlumtri e be d er Beamten und den
dabei auf die Wähler ausgeübten Druck zur Verhandlung
gekommen. Minister Rouher erklärte die gerüg'en Miß-
bräuche für „vereinzelte Thatsachen“: mehr meldet der
Telegraph bisher noch nicht über die Debatten, deren
Vusêgang, die Beseitigung der unlieben Anfrage durch
die gefügige Mehrheit, kaum einem Zweifel unterliegt.
Auch die bel gi ſche Eiſenba hnfrage iſt in
der gestrigen Sitzung des gesetzgebenden Körpers zur
Sprache gekommen. Der Abgeordnete Kolb-Bernard regte
dieselbe an, worauf Rouher erklärte, es werde keine Tas
rifreform ohne vorgängige genaue Prüfung der einschläs-
gigen Verhältnisse ſtattfinden. Die zweideutigen Nachrich-
ten, die bisher über den Stand dieser Frage verlautet
haben, sind durch dieſe Erklärung um ein vollſtändig eben-
bürtiges Material bereichert worden. Nach Brüſſeter Nach-
richten ſind der belgiſche Miniſter Frere Orban und ein
belgiſcher Tomänendirettor bereits auf dem Wege nach
Paris, wonach also der Zuſammentritt der gemiſchten
Kommission, die ſich dort mit der belgiſchen Eiſenbahnz -
frage beschaftigen soll, in Bälde zu erwarten ist.
Während vcm Olten Jrietensverſicherungen ertönen,
kommt aus dem Westen eine Nachricht kriegeriſchen Beis
geſchmackes. Ein Warschauer Zeitungskorreſpondent ~ der
jedoch, was wir beruhigend beisügen wcllen, durch manche
frühere Mittheilungen ein Anrccht auf besondere Glaub-
würdigkeit nicht errungen hat ~ meldet eine Beſchleuni-
gung der Re kr utir ung in P o 1 e n. Abweichend
von der srüheren Ucbung, die Vorarbeiten zur Aushebung
dort im Auguſt zu beginnen und die Aushebung ſelbſt
gegen Ende des Jahres vorzunehmen, sollen dieſes Jahr
tir Vorarbeiten ſchon jetzt ſtatifinden und eine derartige
Beschleunigung derſelben anbefohlen ſcin, daß die Aushe-
bung jeden Augenblick erfolgen kann.
Deutjſchland. j
* Aus Baden, 1. April. Die Gegner des Süd-
b un d e s erklären unbefangen, keine der ſüddeutſchen
Regierungen werde sich herbeilaſſen , einem Südbund auf
Grund des allgemeinen und direkten Wahlrechts und
cinem daraus hervorgegangenen Parlamente die Zuſltim-
mung zu geben; eine Verwirklichung des Planes würde
nur möglich sein , wenn jede einzelne ſüddeulſche Regies
rung vorher geſtürzt wäre. Der kurze Sinn derartiger
Ausführungen iſt, daß eben die dermaligen ſüddeutſchen
Regierungen so wenig als die preußiſche Muſterregierung
geneigt ſind, dem Volke freiheitliche Zugeständnisse zu
machen; daß sie nicht geneigt ſind, von dem Piedestal
dermaliger Uebung des Konſtitutionalismus herunlerzu-
steigen und dem Volke das il m zugehörende Maß von
Seibsſtverwallung und Selbſtregierung zuzugeſtehen. Man
behauptet nun weiter, die Ungestaltung könnte nur durch
eine sehr umfangreiche und nachhaltige süddeutſche Revolus
lution gcſchehen , die bis jeyt noch nicht angebahnt ſei.
Wie unbefangen und offen. Man ſtützt ſich auf die
Bajonette und läßt den Willen des Volkes unbeachiet.
Wie lange Ticß wchl angeht? Auf Seiten des Volkes
kann es, nachrcm jo viele Jahre des Drucks und der
Bevormundung torübergezogen, abgewartet werden. Von
Dauer ist dieser, ein solcher Zuſtand überhaupt nicht.
Der Witerſpruch zwiſclken Regierenden und Regierten
sührt cndlich zum Bruch: die Crfahrung lehrt, daß noch
teine Gewalt im Stande war, dem Willen des Volkes
auf die Dauer zu midersſtehen. Sprechen daher die Offis
ziönn. wie ein Karlsruher des „Schw. M.“ von der
Rcolution, so tönnen ſie uns nur wie Kinder gemahnen,
die mit Feuer spielen. Werft erſt diesen Geranten in -
das Volk: Zündſicff iſt genug vorhanden. „Bei uns in
Baden ~ so wird der „Frf. Ztg.“ geschrieben — greift
das Gefühl des ſsiaatlichen Verfalls immer weiter um
ſich : Tie. in der eben genannten Zeitung vor einiger
Zeit erſchicnenen Artikel: „Neu Badiſches“ ſind jezt
in eincm Separatabdruck zuſammengeſtellt und werden
iſt jezt auch bes >
„was dem
eifrig geleſen. Ter Veriaſſer der Artikel
kannt und genannt, und ſeine Forderung : y,, ;
Lande am meiſten Noth thut, iſt ein velksthümliches Mis
niſcerium , auf deſſcn Jahne die goldenen Worte ſtchen:
Jreiheit ſür Alle“, iſt so richtig, daß ihr taum Jemand
zu wideiſprcchen wagt. Tie Schrifl Artolay s
hat eine Gegenſchriſt hcrvorgerufen, tie ihr Motiv: „Bange
macken gilt nicht“ ins Breite schlägt. Der Verſuch, die
ſüddeutſche Bevölkerung über die ihr drohenden Gefahren
16.69.
Organ der deutſchen Vollksp
Freitag, 2. April.
lbendzeitung.
artei in Baden.
L LAL HrHEHErÄſß
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird – mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täglich als Abendblatt ausge
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expe
geben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
dition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.
Freiheit.
Es bleibt für große Völker der Sat im Allgemeinen
richtig , daß sie für ihre Staatsformen und Regierungen
verantwortlich sind. Und in diesem Sinne muß es ſich
ein großes und unfreies Volk gefallen laſſen , wenn ihm
höhniſch ins Gesicht gerufen wird, es sei zur Freiheit
nicht reif. In jedem Falle aber gilt dies Wort nur bis
zu der Stunde, wo sich das Volk die Freiheit holt.
Es iſt Dies eine der beliebteſten Entgegnungen, auf die
der Apoſtel der Freiheit bei den Männern des Rücksſchrittes,
des Stillſtandes und des gemäßigten Fortschrittes ſtößt;
namentlich bei den Letzteren. Diese Partei , in die ſich
neben manchen ehrenhaften Elementen Alles flüchtet, was
es an Feigheit, Gesinnungslosigkeit und Beſchränktheit
gibt, geſtcht gewöhnlich den Werth der Freiheit bereit-
willigſt zu, aber ~ o wie wohlfeil und bequem iſt die
Ausflucht! ~ ,das niedere Volt, ſagt sie, iſt nicht
reif dafür.“
Und wer ist denn das niedere Volk, das nicht reif
für die Freiheit iſt ?
Sind es Diejenigen, die in emſigem Fleiße und mit
kunſtgewandten Händen im Schweiße des Angesichts unsere
Städte bauen, unsere Kanäle graben, unſere Straßennete
b.reiten, Schiffe für Fluß und Meer zimmern, aus dem
Boden unsern Nahrungsſtoff, aus den Tiefen Feuer und
Metalle holen, unsere Kleider weben , unsere Werkzeuge
ſchmieden , unsere Maſchinen fügen? Oder ſind es Die-
jenigen, die ſich ſtatt mit Arbeit mit Müßiggang quälen,
die keine Noth, ſondern nur Verprassen kennen; für die
es keine harte Pflicht, sondern nur Genuß gibt; die nie
Nùzliches machen, sondern nur Gemachtes verbrauchen und
zerſlören ?
Sind es Diejenigen, welche sich entsetzt abwenden,
wenn Einer unter ihnen ~ vielleicht von darbenden
Eltern vernachlässigt und in Unwissenheit und Elend auf-
gewachſen – Hand an fremdes Cigenthum legt, und
wäre es eines Laibes Brod Werth, oder gar an einem
Menſchenleben ſich vergreitt? Oder sind es Diejenigen,
welche ehrloſen Raub, wenn er länderweis getrieben wird,
verherrlichen und bewundern; welche ohne viel Federlesſens
in Kerker werfen und blutig richten , was sich gegen ihre
Wirthſchaft auflehnt; welche den . Mord im Großen mit
kaltem Blute vorbereiten , sorgfältig organiſiren und die
Opfer elender ſelbſtischer Zwecke hunderttausendweis zur
Schlachtbank schicken?
Nun, ihr gemäßigten Fortſchrittsmänner : Wer ist es
denn, der nicht reif für die Freiheit iſt ? Antwortet doch,
die ihr ſo sſchmiegſam nach oben und so aufgeblaſen gegen
Das seid, was ihr unten nennt? Antwortet! aber auch
laut, daß man es hören kann.
Ein Volk , das eine Induſtrie und Gewerbthätigkeit
ſo entwickelt, wie das unsere, hat, ist reif für die Freiheit,
und wenn es sie noch nicht hat, ſo sind gerade Diejenigen
e Stheld, die Ihr zumeist dafür reif haltet, nämlich
Ihr ſelbſt !
Da nur ein zur Freiheit reifes oder mit anderem
Worte ein gebildetes Volk frei sein und bleiben kann , so
wird auch ein freies Volk mehr für die Volksbildung
thezt als Diejenigen, die ihm die Freiheit vorenthalten
wollen.
Das freie Volk wird die Volksbildung pflegen, weil
es durch sie die Freiheit erlangte und weil es auf der
Hand liegt, daß mit der Bildung auch die Freiheit aus
denſelben Gründen verloren gehen würde, die es möglich
machten, daß das ungebildete Volt Jahrhunderte lang in
Knechtschaft gehalten worden. Die bisherigen Machthaber
jedoch erkennch eben so klar in der Volksbildung die
Woge, an der sie über kurz oder lang scheitern müſſen,
wenn ſie sie nicht zurücktdämmen können. Hierin thun ſie
denn auch ihr Möglichſtes und zeigen darin weit mchr
Verſtand als die gemäßigten Fortschrittsſcherwenzler.
Der höchſie Zweck jedes Einzelnen iſt volle Selbstent-
wicklung, höchſte Bildung ; dieſe kann nur durch die
Freiheit erreicht werden; die Freiheit kann nur durch die
Volksbildung gewahrt werden; die Volksbildung wird ſich
nur ein freies Volt angelegen sein laſſen; folglich iſt tie
Freiheit das erſte, wichtigſte und alles Andere beherrschende
Ziel der Politik. Und da Politik die Sache jedes Staats-
bürgers iſt, so iſt die Freiheit das Ziel, dem ſich jeder
Einzelne vor allem Andern zuzuwenden hat.
Die Staaten der Zukunft kommen nicht, wie die der
Vergangenheit, aus den Wolken, sondern ſie wachſen aus
der Erde ! (Nürnb. Anz.)
Der Krieg von 1866 und die Seuchen-
statistik.
Unter diesem Titel bringt die „Augsb: Allg. Zig.“
einen Aufsatz, der wieder in der ſchlagendſten Weise den
Beweis liefert, daß die blutigen Schlachten eines Krieges
noch die geringſten Opfer ſind, welche der Krieg fordert,
daß vielmehr die Seuchen, welche das furchtbare Gefolge
der Heereszüge bilden, die meiſten Opfer fordern. Wäh-
rend im Jahre 1865 nur 422 Personen an der Cholera
starben und 10,288 an der Epidemie und der Cholera
zuſammen gestorben sind, forderte das Kriegsjahr 1866
die furchtbare Zahl von 196,711 Opfern, von denen
165,292 an der Cholera erlegen ſind. Aus den einzel-
nen Ziffern geht hervor, daß gerade die Provinzen, in
welchen die Heereszüge ſich anhäuften (Oesterreich unter
der Enns, Böhmen, Mähren, Galizien und die Buko-
wina), auch am Schwerſten durch die Seuchen und be-
sonders durch die Cholera betroffen wurden. Und nicht
dort, wo die feindlichen Armeen unmittelbar aufeinander
ſtoßen, ſind die epidemiſchcn Krankheiten am Stärksten
aufgetreten, sondern in den Kreiſen, durch welche der
Vor- und Rückmarsch stattfand, woſelbſt die Heeresmasſſen
am Längsten weilten. In Ungarn ſind 1866 an der
Cholera allein 69,628 Personen gestorben, in der öſter-
reichiſch-ungariſchen Monarchie sind also allein der Cho-
lera 235,000 Menschen erlegen. Cine Viertelmillion
Menſchen ist in Oesterreich den Kriegsſeuchen überhaupt
zum Opfer gefallen in einem Jahre, welches mit wenigen
Ausnahmen guünſtigen Nahrungszuſtand durch Ernten
hatten. Tie Nalionalökonomie wird, wenn sie den Werth
der hier vernichteten Menſchenkraft berechnen will, eine
enorne Summe zu verzeichnen haben, die nicht in dem
großen Buch der Staatsſchuld ersſcheint, aber auf dem
Verlusikonto zahlloſer Familien zu der markverzehrenden
Kriegs- und Soldatenschuld der Völkcr hinzukonumt.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 1. April.
* Die Angaben, welche der Telegraph über den In-
halt des der Kortesverſammlung vorgelegten Veifaſſungs-
entwurfs für S p ani en gebracht hat, können wir,
nach franzöſiſchen Blättern, heute beifügen, daß dem Kö-
nig in spe kein absolutes, ſondern nur ein aufschiebendes
Widerſprucherecht gegen die Beſchlüſſe der Landesvertre-
tung eingeräumt werden soll. Ein durch diese und an-
dere landläufige konstitutionelle Halbheiten in Feiner Macht-
vollkemmenheit abgeſchwächtes Königthum und keine ,freie
Kirche im freien Staate“ : Das iſt die Quintessenz des
Gerichtes, das der Verfaſſungsausſchuß dem Volke als
Frucht der Septembererhebung ſervirt. Einstweilen auf
dem Papier. Wirds diesem Papier wohl beſſer ergehen,
als jener „Charte“, die nach der Verheißung des fran-
zöſischen „Bürger-Königs“ eine „Wahrheit“ werden ſollte,
deren Feten aber den Wagen umflatterten, der ſpätcr den
flüchtigen Propheten ans Meeresufer trug! . . Von dem
Eindruck des monarchiſtiſchen Machwerkes auf die Bevöl-
kerung liegt noch keine Kunde vor; ein anderes Creigniß
hat aber, wie die „Cpoca“ berichtet, die Madrider. freudig
geſtimmt: die aus Kuba angelangte Nachricht nämlich,
der Präsident der Vereinigten Staaten habe auf eine von
dort an ihn gelangte Adreſſe um Anerkennung ter In-
ſurgenten als kriegsführende Macht mit der Erklärung
geantwortet, daß er die Gesche der Neutralität ſtrengſtens
beobachten und sogar fürderhin keine Deputation der auf-
ſtändiſchen Kubaner mehr cmpfangen werde.
Die Deputirtenkammer I tali e ns hat ihr Jeſlthalten
an dem Programm: Rom Italicns Haurtſtadt kürzlich
neuerdings beſtätigt, indem sie die von der Regicrung ver-
langte Ermächtigung zum Ankauf eines Hauſes Behufs
Crweiterung der Räunllickkeiten des Finanzminiſteriums
mit dem Hinweis darauf, daß Florenz die definitive
Haupiſstadt n i ch t ſci, akgelehnt hat.
Die Beruhigungsepillen, zu deren Verabreichung die
osfiziöü n Organe Fr a n kr ei ch s, wie ſchon gestern mit-
getheilt, angcwiesen worden sind, haben leute eine Ver-
mehrung erhalten. Die „Agence Havras“ ſchreibt: „Es
iſt richig, daß die auf 6 Monate Beurlauktten zu ihren
Korps einberufen worden ſind, wcil ihr Urlaub am 31.
März abgelaufen ist; aber ein Brweis taſür, daß die
Cinberufung keinen kriegeriſchen Charakter hat, liegt da-
rin, daß der Kriegéminiſlcr kürzlich 30,000 Mann des
fuel Theils des Kontingents in ihre Heimath entlaſ-
en hat.“ ;
Im gesetzgebenden Körper Frankreichs iſt geſtern di
Interpellation des demokratischen Abgeordneten Picard
über die Wa hlumtri e be d er Beamten und den
dabei auf die Wähler ausgeübten Druck zur Verhandlung
gekommen. Minister Rouher erklärte die gerüg'en Miß-
bräuche für „vereinzelte Thatsachen“: mehr meldet der
Telegraph bisher noch nicht über die Debatten, deren
Vusêgang, die Beseitigung der unlieben Anfrage durch
die gefügige Mehrheit, kaum einem Zweifel unterliegt.
Auch die bel gi ſche Eiſenba hnfrage iſt in
der gestrigen Sitzung des gesetzgebenden Körpers zur
Sprache gekommen. Der Abgeordnete Kolb-Bernard regte
dieselbe an, worauf Rouher erklärte, es werde keine Tas
rifreform ohne vorgängige genaue Prüfung der einschläs-
gigen Verhältnisse ſtattfinden. Die zweideutigen Nachrich-
ten, die bisher über den Stand dieser Frage verlautet
haben, sind durch dieſe Erklärung um ein vollſtändig eben-
bürtiges Material bereichert worden. Nach Brüſſeter Nach-
richten ſind der belgiſche Miniſter Frere Orban und ein
belgiſcher Tomänendirettor bereits auf dem Wege nach
Paris, wonach also der Zuſammentritt der gemiſchten
Kommission, die ſich dort mit der belgiſchen Eiſenbahnz -
frage beschaftigen soll, in Bälde zu erwarten ist.
Während vcm Olten Jrietensverſicherungen ertönen,
kommt aus dem Westen eine Nachricht kriegeriſchen Beis
geſchmackes. Ein Warschauer Zeitungskorreſpondent ~ der
jedoch, was wir beruhigend beisügen wcllen, durch manche
frühere Mittheilungen ein Anrccht auf besondere Glaub-
würdigkeit nicht errungen hat ~ meldet eine Beſchleuni-
gung der Re kr utir ung in P o 1 e n. Abweichend
von der srüheren Ucbung, die Vorarbeiten zur Aushebung
dort im Auguſt zu beginnen und die Aushebung ſelbſt
gegen Ende des Jahres vorzunehmen, sollen dieſes Jahr
tir Vorarbeiten ſchon jetzt ſtatifinden und eine derartige
Beschleunigung derſelben anbefohlen ſcin, daß die Aushe-
bung jeden Augenblick erfolgen kann.
Deutjſchland. j
* Aus Baden, 1. April. Die Gegner des Süd-
b un d e s erklären unbefangen, keine der ſüddeutſchen
Regierungen werde sich herbeilaſſen , einem Südbund auf
Grund des allgemeinen und direkten Wahlrechts und
cinem daraus hervorgegangenen Parlamente die Zuſltim-
mung zu geben; eine Verwirklichung des Planes würde
nur möglich sein , wenn jede einzelne ſüddeulſche Regies
rung vorher geſtürzt wäre. Der kurze Sinn derartiger
Ausführungen iſt, daß eben die dermaligen ſüddeutſchen
Regierungen so wenig als die preußiſche Muſterregierung
geneigt ſind, dem Volke freiheitliche Zugeständnisse zu
machen; daß sie nicht geneigt ſind, von dem Piedestal
dermaliger Uebung des Konſtitutionalismus herunlerzu-
steigen und dem Volke das il m zugehörende Maß von
Seibsſtverwallung und Selbſtregierung zuzugeſtehen. Man
behauptet nun weiter, die Ungestaltung könnte nur durch
eine sehr umfangreiche und nachhaltige süddeutſche Revolus
lution gcſchehen , die bis jeyt noch nicht angebahnt ſei.
Wie unbefangen und offen. Man ſtützt ſich auf die
Bajonette und läßt den Willen des Volkes unbeachiet.
Wie lange Ticß wchl angeht? Auf Seiten des Volkes
kann es, nachrcm jo viele Jahre des Drucks und der
Bevormundung torübergezogen, abgewartet werden. Von
Dauer ist dieser, ein solcher Zuſtand überhaupt nicht.
Der Witerſpruch zwiſclken Regierenden und Regierten
sührt cndlich zum Bruch: die Crfahrung lehrt, daß noch
teine Gewalt im Stande war, dem Willen des Volkes
auf die Dauer zu midersſtehen. Sprechen daher die Offis
ziönn. wie ein Karlsruher des „Schw. M.“ von der
Rcolution, so tönnen ſie uns nur wie Kinder gemahnen,
die mit Feuer spielen. Werft erſt diesen Geranten in -
das Volk: Zündſicff iſt genug vorhanden. „Bei uns in
Baden ~ so wird der „Frf. Ztg.“ geschrieben — greift
das Gefühl des ſsiaatlichen Verfalls immer weiter um
ſich : Tie. in der eben genannten Zeitung vor einiger
Zeit erſchicnenen Artikel: „Neu Badiſches“ ſind jezt
in eincm Separatabdruck zuſammengeſtellt und werden
iſt jezt auch bes >
„was dem
eifrig geleſen. Ter Veriaſſer der Artikel
kannt und genannt, und ſeine Forderung : y,, ;
Lande am meiſten Noth thut, iſt ein velksthümliches Mis
niſcerium , auf deſſcn Jahne die goldenen Worte ſtchen:
Jreiheit ſür Alle“, iſt so richtig, daß ihr taum Jemand
zu wideiſprcchen wagt. Tie Schrifl Artolay s
hat eine Gegenſchriſt hcrvorgerufen, tie ihr Motiv: „Bange
macken gilt nicht“ ins Breite schlägt. Der Verſuch, die
ſüddeutſche Bevölkerung über die ihr drohenden Gefahren