Die „Mannheimer Abendzeikung“ wird — mit
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Organ der deulſchen Volksp
arlei in Paden.
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Beſtellungen bei der Expedition C© 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.
wird
Das ba di ſ h e V ol k
und
die Wahlreform.
UI.
Cine bessere Wahloronitnt
größtmöglichſter Heftigkeit und Ltidenſchatilicht;tt geführt
rung“ von „Rothen und Schwarzen“, von „Demagogen
und Antinationalen“ u. s. w. reden, und wie es in den
Wald hineinruft, ſo ruft es auch wieder heraus. Kunz,
jene Ueberhehung der Bureaukratie über ihre berufsmäßige
Stellung iſt eine der Hauptursachen der Verwirrung und
1) alle badischen Bürger von einem bestimmten Alter | der Leidensſchaftlichkeit des Streites, worüber man sich auch
"an, alſo, wenn nicht mit dem einundzwanzigſten | jezt schon in den Fragen des allgemeinen und direkten
Jahre, doch mit dem fünfundzwanzigsten zur Wahl- | Wahlrechts zu beklagen hat. Allein trotz alles Lärmens
urne zulassen ;
und Schimpfens der von der Bureaukratie abhängigen
2) wird sie anordnen, daß die Abstimmung der einzel- | Blätter wird die Wahrheit siegen und wir stehen auch
nen Wähler geheim iſt, und
gar nicht an, es derſelben offen in's Gesicht zu sagen,
3) wird sie eine unmitttelbare W ahl des Abgeord- | daß es sich bei dem allgemeinen und direkten Wallrechte
neten durch die Wähler einführen.
hauptsächlich darum handelt, dem Volke größeren Einfluß
Nach diesen Grundſäten werden die Wahlen zum auf die Zuſammenſezung der Kammern und damit auf
norddeutschen Reichstage und zum Zollparlament vorge- die Staatsleitung zu verſchaffen, als ihm bisher zustand,
nommen. So wählt man in vielen andern Ländern, | und daß zu dieſem Behufe der Cinfluß der Bureaukratie
jeßt auch in Sachſen und Württemberg ; aber unser Land, | auf das richtige Maß zurückgedrängt werden muß. Bei-
von dem es ſo lange Zeit hieß, daß es an der Spitze nahe ?/s der jeßigen zweiten Kammer bestehen aus Be-
des Fortschrittes in Deutſchland marſchire, iſt weit zurück- | amten oder solchen Mitgliedern, deren Intereſſe mit dem
geblieben und steckt noch tief in dem alten bundestäglichen | des Ministeriums unmittelbar verknüpft iſt. Das wird
Zobf. Man braucht heute nicht mehr darum zu ſtreiten, | ſich bei unmittelbaren Volkswahlen allerdings ändern und
ob eine Wahlordnung, die obige Grundſäte annimnt, | ſoll sich auch ändern, denn die zweite Kammer ſoll keine
beſſer it, als die unſrige, denn dies iſt allgemein aner- Beamtenkammer, auch kein erweiterter Staatsrath, ſondern
kannt. Es erscheint als eine Ungerechtigkeit, einen großen | eine Volkskammer ſein.
Theil der Bürger von dem Wahlrechte auszuſchließen.
Nur dadurch wird der Ausdruck der Volksſtimmung zu
einem vollſtändigen gemacht, daß man allen Staatsbür-
gern das Wahlrecht zugeſteht. Es ist ferner mit der.
Freiheit der Abſtimmung nicht verträglich und gibt, wie
(Schluß folgt.)
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 22. April.
* Aus dem Auslande haben die heute hier ange-
die Crfahrung gelehrt hat, zu. allen möglichen Verfolgun- | kommenen Telegramme und Blätter nicht die mindeſte
gen und Bedrückungen Beranlaſſung, wenn man die Wah- | neue Nachricht von politischer Bedeutung gebracht; nicht
len öffentlich vornehmen läßt Nur die geheime Wahl | einmal Gerüchte, Dementis oder Berichtigungen. Cine
ſichert und ermuntert zu einer überzeugungstreuen Ab- | Berichtigung eigenthümlicher Art ~ denn sie iſt in der
ſtimmung. Endlich ist es eine ausgemachte Sache, daß, | That nur eine Beſtätigung ~ iſt dagegen aus Preußen
wenn die Volksvertretung einen richtigen Ausdruck der | eingetroffen. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“
Volksmeinung abgeben soll, jedes Einschieben eines Zwir | kſtellt nämlich der im öſterreichiſchen Generalstabswerke
ſchengliedes ſchädlich iſt, weil es denſelben abſchwächt und | über den Feldzug von 1866 abgedruckten D epe ſche Bis-
häufig entstell. Nur die unmittelbare Wahl hat | marcks an den preußiſchen Gesandten in Paris vom
Anſpruch darauf, als ein vollkommner Ausdruck der Volts- | 20. Juli 1866 den angeblich echten Wortlaut dieses
meinung angeſehen zu werden. Unterdiesen Umständen braucht | Aktenstückes gegenüber und hebt mit geſperrt.r Schrift die
man nicht nach weiteren Gründen für die Wahlreform zu einzelnen Unlerſchiede hervor, die ſie als „sehr erhebliche
fragen: allein wohl muß man darnach fragen, warum ſienicht | Verſchiedenheiten“ bezeichnet. Drei derselben ſind aber
ſofort bewilligt wird. Warum, fragen wir und wird | ſo unwesentlich, daß wir sie füglich ga n z übergehen
jeder Leser fragen, warum ahmt man sonst eifrigſt in | können, und die übrigen ſind derart, daß. ſie am
allen Dingen Preußen und den norddeutschen Bund nach, C h arakt er des Bismarck ſchen Schrifiſtückes nichts ändern.
in Erhöhung der Militärlaſten, der Steuern, in Einfühe | Wenn wir durch die eine erfahren, daß Bismarck den Ge-
rung neuer Abgaben: warum nicht auch in dieſer frei- | ſchmack seines königlichen Herrn an direkten Annexionen
heitlichen Errungenſchaft? Volk und Staat werden ſich | nicht bloß „allenfalls,“ wie es im öſterreichiſchen Texte
bei derſelben wohlbefinden. Das Volk würde eine Erwei- | heißt, sondern „aller dings" getheilt hat; so erhalten
terung seiner Rechte freudigſt begrüßen und einem in | wir dadurch nur eine Bestätigung einer kaum von irgend
Wahrheit konstitutionellen Staate kann es nur damit ge- | Jemand ernſtlich angezweifelten Ueberzeugung; und wenn
dient sein, eine unabhängige, tüchtige und freimüthige | eine weitere Textverſchiedenheit uns belehrt, daß Bismarck
Volksvertretung zu beſiten, weil dadurch unmittelbar die | die franzöſiſchen Vorschläge nicht in Bezug auf die ſüd-
Einſicht, Kraft und Thätigkeit der Regierung gefördert, | deutſchen, sondern auf die norddeutschen Gegner Preußens
einer Erſchlaffung und volkswidrigen Tendenzen vorgebeugt | für unannehmbar erklärte, ſo hat Das, was das ſiegreiche
wird. Auch einem Fürſten, der keinen Gegenſat | Preußen den süddeutschen Staaten auferlegte und abnahm,
zwiſchen Fürſten und Voltsrecht kennt, kann | diesem Unterſchiede jeden praktiſchen Werth benommen.
es nur genehm ſein, einen unverfälschten Ausdruck der | Jene Sätze der Deprcsche, in welcher sich der Länderraub
Volksmeinung in einer unabhängigen Volksvertretung vor | in so nackter Weise als den Zweck des preußischen Krieges
ſich zu sehen. Wo sind daher die Gegner der Wahlre- | gegen Deutschland enthüllt, ſind im öſterreichiſchen Ge-
form zu suchen? Cs bleibt Niemand anders übrig, als | ſchichtswerk vollständig getreu mitgetheilt; und damit ist
das Beamtenthum in seinen Ausläufern, dem Miniſterium. | die Bismarck’ sche Depesche gerichtet. Cine letzte Textver-
Für einen unbefangenen Beobachter iſt es kein Zweifel, | ſchiedenheit iſt übrigens nicht ohne Interesse, da sie er-
daß das Beamtenthum (Bureautratie genannt) eine über- | rathen läßt, auf welche Weise das Dokument zur Kennt-
mäßig vorherrſchende Rolle in der politischen Leitung des | niß der kaiserlichen Regierung gekommen ist. In der vom
Staates ſpielt. Wir sprechen nicht von dem Beamten in | öſterreichiſchen Generalſtab mitgetheilten Depesche fehlt
seinem geſetzlichen Wirkungstkreiſe. Dieſen hat er auszufül- | folgender Satz des Originals; „Ihr Telegrumm über
len und in ihm kann er nicht beeinträchtigt werden. Allein | Wien eben erhalten. Ich sende dieſes ebenfalls über
dieſe ganze große geschloſſene Beamtenkaſte hat sich, nache | Wien und Berlin." Die Depesche war, wie die „Nordd.
dem sie ihrer Zeit den Sieg über die früher bevorrechte: | Allg. Ztg.“ berichtet, in Chiffern abgefaßt und hatte aus
ten Klaſſen, Adel und Geistlichkeit, davongetragen, ſelbſt | zwei Theilen bestanden, bei deren erstem eine andere Zeichen-
wieder ein Vorrecht in der politiſchen Leitung des Staa- | schrift, als bei dem von öſterreichiſcher Seite veröffent-
tes beigelegt, welches auf die Freiheit des Volkslebens | lichten, angewendet worden war. Den Schlüſſel zum
übermäßig drückt. Cingenommen für ihre perſönlichen | zweiten Theile müsſſe der Ueberſeßer, bemerkt das Bis-
Intereſſen, von Ansprüchen aller Art erfüllt, hält die | marck sche Blatt, an ſich gebracht haben, den zum ersten
Bureautratie ſich ſselbſt für den Staat und ſieht jede | aber „auſcheinend“ nicht. Die „Nordd. Allg.. Ztg.“
Erweiterung der Volksrechte als eine Gefahr für ihre eig: | schließt mit dem hochtönenden Saß : „Wir haben Werth
nen Interesſſen und ihren Einfluß an. Durch diese Stel- | darauf gelegt, den genauen Wortlaut herzuſtellen, da
lung und diese Sinnesart der Büreautratie ertlärt ſich | die preußiſche Politik nichts zu verheimlichen
die eigenthümliche Erſcheinung, daß keine Frage politiſcher | ha t und um so gerechtere Würdigung finden wird, je
Natur mit ſachgemäßer Ruhe behandelt wird, sondern | vollständiger sie bis in die kleinsten Details zur öffentlichen
daß ſich alsbald ein erbitterter Kampf entwickelt, der mit | Kenntniß gelangt." Cin keckes Wort im Munde dcs
wird. Da hört man alsbald von „Feinden der Regie- .
| meister gewählt.
Hauptorgans einer Regierung, die sich nicht gescheut hat.
ihre „Stoß-in's-Herz“-Depeſche, und Anderes neben-
bei, eine Zeitlang vollſtändig able ug n en zu lassen.
Und wenn ,die preußiſche Politik nichts zu verheimlichen
hat:" warum zögert ſie denn jezt, den erſten Theil der
nun von anderer Seite her an's Tageslicht gezogenen
Depesche zu veröffentlichen ?
Der Ritter- und Landschaft des Herzogthums Lauen-
burg gelüſtet es, die Perſonalunion, in welcher diese mit
Preußen ſteht, in eine Realunion zu verwandeln. Auf
Grundlage von Bedingungen, die schon im Februar von
dieser Scheinvertretung Lauenburgs festgeſtellt worden ſind,
betreibt der Landesmarschall gegenwärtig in Berlin die
Einverleibung in den Muſterſtaat. Unter den erwähnten
Bedingungen, die in ihren Hauptpunkten auf finanzielle
Vortheile hinauslaufen, befindet ſich zwar auch die For-
derung, daß das Herzogthum in adminiſtrativer, gericht-
licher und kommunaler Beziehung eine Einheit bilden ſolle;
die preußiſche Regierung will aber hierauf nicht eingehen,
sondern das Ländchen einer größeren Provinz zutheilen.
Die Lauenburger Herren ſcheinen mürbe geworden zu ſein;
wenigstens spricht man in Berlin von einem guten Ge-
deihen der Verhandlungen, und wie die „Zukunft“ aus
manchen Anzeichen schließt, dürfte das Herzogthum zu
Scleswig-Holſtein „geſchlagen“ werden.
Durch die neue Rheinſchiffahrtsakt e vom I.
Oktober 1868, deren Ratifikationsurkunden am 18. hier
ausgetauscht worden ſind, wird die Freiheit der Schiff-
fahrt für den ganzen Lauf des Rheins und seine Mün-
dungen vertragsmäßig verbürgt. Die Beseitigung der
Rheinſchifffahrtsabgaben war zwar ſchon in einzelnen
Friedensverträgen des Jahres 1866 ſtipulirt, aber ein
förmlicher Verzicht auf deren Erhebung von Seiten fämmt-
licher Uferſtaaten, Frankreich und die Niederlande einge-
ſchloſſen, iſt erſt durch gegenwärtigen Vertrag erreicht. In
Bezug auf die Organe für den Vollzug der Rheinſchiff-
fahrtsakte ist eine Veränderung dadurch eingetreten, daß
die bisherigen Rheinzollbeamten sowie der Oberinſpektor
der Rheinſchiffahrt in's Künftige in Wegfall kommen.
Dagegen verbleibt die Zentralkommission für die Rhein-
ſchiſsfsahrt, beſtehend aus Kommiſſären aller Uferſtaaten,
mit ihrer bisherigen Geschäftsaufgabe. Eben so ſind die
bisherigen 4 Inspektoren und die Rheinzollgerichte unter
der Benennung ,„Rheinſchifffahrtsgerichte“ beibehalten. Die
Zuständigkeit der letzteren in Straf- und Zuivilſachen ist
im Wesentlichen aufrecht erhalten, womit ebenso, wie mit
der Beibehaltung der Zentralkommiffion als einer ſakul-
tativen Berufungsinstanz, einem einmüthig hervorgetretenen
Wunsche des Schifferſtandes Genüge geschehen ist. Die
bisher in einer Reihe von Bestimmungen zerſtreuten ſchiſfs
fahrtspolizeilichen Vorſchriften sind nun in zwei Verord-
nungen zusammengedrängt, deren eine die Schifffahrts-
polizeis und Flußordnung für den Rhein, die andere Vor-
ſchriften über den Transport entzündlicher, ätender und
giftiger Stoffe enthält.
Deutſchland.
* Mus Baden , 22. April. Auch die „Protest.
Kirchenztg.“ tritt für Wa hlrefor m ein. Jn einem
Aufsatze über die Vertretung der kirchlichen Ortsgemeinde
begründet ſie die Einführung des allgemeinen Stimmrechts.
Darnach wäre die ſogenannte „Kirchenverſammlung“ ah-
zuschaffen und durch die jährliche Versammlung aller
stimmberechtigten Gemeindeglieder zu ersetzen, die unerheb-
licheren Aufgaben der Kirchengemeindeverſammlung da-
gegen dem durch Urwahlen bestellten Kirchengemeinderath
zu übertragen. - Wie ein Karlsruher Offiziöser des
„Schw. M.“ hört, würde eine Cingabe an die Kammern
vorbereitet, welche bestimmt iſt , dem Eintritt der Js-
raeliten in den Bürgernugen (1. Jan. 1872) vor-
zubeugen; als Grund wird angegeben, es könne möglicher-
weiſe in Folge einer Durchsicht der Gemeindeordnung der
Bürgernuzen überhaupt fallen und man ſolle deßhalb
nicht zuvor noch neue Berechtigungen ſchaffen. Wie man
ſich befleißigt , hier eine reaktionäre Maßregel um emen
liberalen Kern zu wickeln ! Wir möchten die „Vorbereiter“
der betreffenden Cingabe kennen lernen; vielleicht genügten
ſchon ein Paar Namen, um Aufschluß zu erhalten, in
wie weit es den Bittſtellern darum zu thun iſt, die libe-
rale Sache wahrhaft zu fördern oder, was wahrschein-
licher, unter dem Vorwand liberaler Beſtrebungen ein
altes Unrecht noch länger aufrecht zu erhalten. ~ Jn
Lörrach wurde Herr Kaufmann Gebhard zum Bürger-