Freitag, 6. August.
1869.
er Abendzeitung.
Organ der deutſchen Volksparlei in Paden.
Die „Mannheimer Abendzeitung" wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täglich als Abendblatt ausgegeben. — Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beftellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.
a~~ §
Die Mäuuchen für Alles.
[.
Anm 21. Dezember 1868 erklärte der Abgeordneten-
tag zweiter Klaſſe: „Kraft unzweifelhaften Rechtes iſt
Friedrich von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Auguſten-
burg zur Erbfolge in den Herzogthümern brrufen. Die
Geltendmachung der Thronfolge des Herzogs Friedrich iſt
zugleich die Geltendmachung der Rechte Deutschlands an
Schleswig-Holstein.“" Wie positiv!
Der Abgeordnetentag zweiter Klaſſe verpflichtete ſich
sodann Namens der ,verletten Ehre“ Deutſchlands, die
Anerkennung des Herzogs beim Bunde zu erwirken, „ohne
Rückſicht auf fremden Einsbruch“ dieſem Rechte Geltung
zu verſchaffen und „,diejenigen Regierungen mit allen ver-
faſſungsmäßigen Mitteln zu bekämpfen, welche das Recht
und die Ehre Deutſchlands (Einſeßzung des berechtigten
Thronfolgers) in dieser Sache preisgeben.“ Moralische
Sanktion des positiven Rechtes ! j
Dieſer Abgeordnetentag zweiter Klasſe sette behufs
der Agitation einen 36er-Ausschuß ein , der ſelbſt wieder
die Geſchäfte an eine Siebener-Kommission übertrug. Die
Schleswig-Holstein-Vereine traten ins Leben; im Früh-
jahr 18641 – während des Krieges mit Dänemark ~
bestanden 500 solcher Vereine in den Mittel- und Klein-
ſtaaten, in Preußen kaum 100; erſte bedenkliche Signa-
iur! An Geldbeiträgen floſcen von 45 Millionen
Deutſchen bei der Siebener-Kommission bis Ende 1865
zuſammen: 6381,974 fl. 24 kr., oder “/s Kreuzer pro
deutſche Seele : zweite, noch bedenklichere Signatur ! Aus
Baden wurde am meiſten beigeſteuert, nämlich 73,966 fl.,
oder 3 Krenzer pro Seele ; aus Preußen 69,072 fl.
öder "/» Kreuzer þro Seele ! Aus den drei freien Städten
Hamburg, Bremen , Frankfurt kamen 81,796 fl., also
mehr als aus ganz Preußen ! Aus Hannover 62,160 fl.,
faſt ſo viel als aus Preußen; aus Sachſen und Würt-
temberg zuſammen 69,221 fl., so viel als aus ganz
Preußen ; allerbedenklichſte Signatur ! j
Der Bundestag faßte am 7. Dezember 1863. seinen
ſchmählichen Beſchluß auf „Bundesexekution“ zur Auf-
rechthaltung des Londoner Protokolls, verwarf dann am
14. Jänner 1864 den preußiſch - öſterreichiſchen Antrag :
Dänemarck zur Erfüllung der Verabredungen wegen des
Herzogthums Schleswig anzuhalten, und überließ in seiner
Rathloſigkeit den Großmächten den Krieg, d. h. die Ent-
ſcheidung. Die Eroberung Schleswigs und die Beſeßzung
'Jütlands gingen vor ſich, und als nunmehr Dänemark
Verhandlungen auf der Baſis der Verabredungen von
1851/52 anbot, wies Preußen dieſes Ansinnen zurück
der Gedanke der Einverleibung dämmerte auf !
Die Londoner Konferenz trat zuſammen, die Siebener-
Kommission entwarf eine geharniſchte Erklärung für die
Oſterverſammlungen des Volkes in ganz Deutschland und
der 36er Ausſchuß forderte sämmtliche Mitglieder deutſcher
Landesbertretungen zu einer ganz ähnlichen Rechtsver-
wahrung auf :
„Das klare Recht und der ausgesprochene Volkswille
beruft den Prinzen Friedrich zur Erbfolge. Iſt dieses
Recht beſtritten, ſo steht die Entscheidung keiner Konferenz
der Mächte, ſie steht allein dem Volke und seinen Ver-
tretern zu. Gegen jede Verfügung, die über das Schicksal
der Herzogthümer ohne und wider ihren Willen getroffen
werden ſollte, proteſtiren wir im Namen der Nation und
verwahren für jetzt und alle Zukunft das Recht Deutſch-
lands und des Schleswig-Holſteiniſchen Volkes.“
269 Volksverſammlungen, bei denen sich 250,000
Männer betheiligten adoptirten dieſen Standpunkt und
traten folglich für desſſen Konsequenzen ein. 1889 deutsche
Volksvertreter unterschrieben die Rechtsverwahrung ; 40,000
Schleswig-Holfteiner, die am 8. Mai in Rendsburg ver-
U: waren, erklärten, für ihr gutes Recht „das Lette
einzuſeten.“
Die Demonstration war bedeutſam , doch wieder nicht
ohne bedenkliche Neben-Anzeichen. Von 914 Mitgliedern
der mittel- und tlleinſtaatlichen Ständekammern traten
772 bei; von 554 Vertretern in den freien Städten
350; von 348 preußischen Deputirten dagegen nur 186,
î etwas über die Hälfte. Tweſten und Sybel waren aus
dem Ausſchuß getreten, und Waldeck enthüllte ſich immer
Jpezifiſcher.
Auf der Londoner. Konferenz forderten am 28. Mai
1864 die Gesandten Oesterreichs,, Preußens und des
deutſchen Bundes die Vereinigung der Herzogthümer unter
der Souveränetät des Erbprinzen von Auguſtenburg als
> p
des „bestlegitimirten“ Prätendenten, der auch in den Her-
zogthümern ſelbſt „die ungeheure Majorität der Bevölke-
rung für ſich habe. Aber schon ward die Theilung
Schleswigs auf's Tapet gebracht. 352 Schleswig-Holstein-
Komite’s protestirten, darunter nur 29 aus Preußen,
318 aus den Mittel- und Kleinstaaten !
Jetzt ſchob Preußen plötzlich die Oldenburgiſche Kan-
didatur vor, die nur eine ſpaniſche Wand für die Hohen-
zollern’sche bildete. Noch am 16. Oktober 1864 erklärten
die 36er: „die Konſtituirung eines selbſtſtändigenStaates
Schleswig-Holstein unter seinem rechtmäßigen, vom Volke
erkorenen Fürſten“ hat ihre Löſung auch heute noch nicht
gefunden. Die Großmächte ,„verſagen dem Volke Schles-
wig-Holſteins bis heute die Ausübung seines Rechts, an
der Entſcheidung über die innere Zukunft des Landes
mitzuwirken.“
„Es gilt zu wachen über das bisher mißachtete und
noch immer bedrohte Recht des Schleswig-Holſteiniſchen
Volkes." €Ersſt nachher kann von Verträgen mit Preußen
die Rede sein. – Es war also bereits von Spezial-Ver-
trägen mit Preußen die Rede. Der Umſchlag ſtand vor
der Thüre.
Am 26. März 1865 war zu Berlin ſehr ſtark die
Rede von ,Verträgen mit Preußen.“ Der 36er Aus-
ſchuß trat mit dem engern Ausſchuß der Vereine in
Schleswig-Holstein und mit „namhaften Mitgliedern des
preußiſchen Abgeordnetenhauſes"“ zuſammen. Zugegeben
wurde die Verfügung Preußens über die militärischen
und Marinekräfte der Herzogthümer , die Anlegung von
preußiſchen Feſtungen und Häfen in Schleswig - Holſtein,
der Eintritt des Landes in den Zollverein und das
preußiſche Aussichtsrecht über den Nord-Oſtſee-Kanal. Viel
zu viel vor Anerkennung des ,„Selbſtbeſtimmungsrechtes“
und der Unabhängigkeit der Herzogthümer ! Preußen
verwarf dieſe großen Konzessionen und beharrte auf seinen
Forderungen vom 22. Februar. Damit war Schleswig-
Holstein verurtheilt, der 836er Ausſchuß aber auch ſeines
Angebotes entbunden.
Dennoch kompromitterte der 36er Ausschuß am
1. Oktober 1865 ſeine bisherige Stellung, die Rechte
der Herzogthümer und die Ehre und Würde der deutſchen
Nation, indem er in seinen Anträgen an den Abgeord-
netentag ächt gothaiſch, das ,Selbſtbesſtimmungsrecht“
Schleswig-Holsteins vorausseßte, dann dieses ,„Selbstbe-
stimmungsrecht“ durch die „höheren Intereſſen Deutſch-
lands“ für „beſchränkt“ erklärte, hierauf die Zugeständnisse
der Herzogthümer vom 26. März aufrechterhielt und die
Erledigung der Sache der Herzogthümer im Sinne des
Rechts als hypothetiſch hinsſtelle „wenn . . ÿ ." Im
„Wenn“ finden sie sich immer zuſammen, da wird die
Familienähnlichkeit zur Indendität; da sind sie alle
ejusdem farins , ,„Nationalverein“, ,„Abgeordnetentag“
erster und zweiter Kkaſſe, der „Fortfchritt“ und die „besten
Männer“ von Gotha.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 5. Auguſt.
* Wien macht sich in Berlin immer mehr unan-
genehm. Die Depeſchen des Grafen Beuſt gehen „über
hergebrachte politiſche Rückſichten“ hinweg und veranlassen
durch ihre Enthüllungen „unliebsame Erörterungen.“ Das
„unliebſam“ bezieht sich ſelbſtredend auf Berlin und legt
der dortige ministerielle Herold deßhalb Verwahrung da-
gegen ein, daß „auswärtige“ Kabinete sich eine Kritik
der Mittheilungen erlaubten, die von Berlin aus an
„deutsche Regierungen“ gerichtet seien. Ob man in Wien
daraufhin Abstand nehmen wird, der Berliner Politik,
soweit man dieß vermag, auf dem Fuße zu folgen und
ihre Schritte zu beobachten, ſteht um so mehr dahin, als
eben in Wien die Pflicht der Selbsterhaltung ſchon ge-
bietet, dem . . . Gegner gegenüber es an Aufmerksamkeit
nicht fehlen zu lassen.
Das Jahr 1868 war wenig besser als seine Vor-
gänger und voll von gefürchteten Erwartungen. Mit
dieſen Sätzen eröffnete die Handelskammer für die Kreise
Münster, Beckum, Warendorf, Tecklenburg und Steinfurt
ihren (Nothstands-)Jahresbericht und ſchließt denselben
mit der Hoffnung ab: „daß in maßgebenden Kreisen
ſchleunigſt die rechten Mittel und Wege erkannt und mit
kräftigem Entſchluſſe im Intereſe der Völker angewandt
werden, den so tief geſtörten Verhältnissen eine feſte
Grundlage wieder zu geben und den bewaffneten
Frieden endlich aufzuheben, damit die Zeit der
CLC
Unruhe und der Erschlaffung bald vorüber sein und
überall eine Reaktion zum Bessern eintreten möge, denn
es kann so nicht bleiben, wenn der mit ſo vieler Auf-
opferung von geldlichen Mitteln , und strebſamer Intelli-
genz in den Jahren des Friedens und Vertrauens ge-
ſchaffene gedeihliche Zuſtand nicht raſch verkümmern ſoll.“
Um nationalliberalem Irrthume vorzubeugen , bemerken
wir, daß die benannten Kreiſe Preußen angehören und
daß sie ihren Gedanken und Ueberzeugungen in dem
bez. Berichte Worte geben, nicht etwa um dem Ausfluß
politiſcher Grübelei Ausdruck zu geben ~ ſondern , wie
der Bericht ſelbſt ſagt, um dem Drange und dem Pfliche.
gefühle zu genügen: „den bestehenden Schaden bloß zu
legen, damit er seiner Heilung entgegengeführt werden
könne.“
Die Pariſer Blätter beſchäftigen ſich faſt ausſchließ-
lich mit dem Senatus-Konſult. Nur wenige ſtimmen
demſelben vorbehaltlos zu. Die „Patrie“" macht eine Zu-
ſammenstellung der verſchiedenen Verfaſſungen, deren
Frankreich ſich bis jezt zu erfreuen gehabt hat und
kommt dabei zu der Schlußfolgerung; Die neue Ver-
faſſung werde dem nothwendigen Gleichgewichte der Re-
gierungsgewalten entsprechender ſein, als die von 1791;
liberaler als die des Jahres YUI; repräſentativer als die
Charte von 1814 und diejenige von 1815 und demo-
kratiſcher, dabei aber zugleich ebenſo parlamentariſch als
die Charte von 1830. Der „Public" sagt, die vorge-
sehenen Reformen öffneten dem parlamentariſchen Regime
von 1830 die Thüre, allein ſie verſchlöſſen sie vollständig
für das konstitutionelle Regime von 1852 und 1867.
Sie zeigten eine neue Bahn an, ohne ſie jedoch zu be-
treten. j '
Die Aufklärungen, welche die Regierung in K onſtan-
tino pel von dem Vizetönig von Egypten, über die von
ihm mit den europäiſchen Höfen gepflogenen Unterhand-
lungen verlangt : sollen ihren Grund haben, in einem
der türkischen Regierung in die Hände gefallenen Schreiben
des Vizetönigs an die ruſſiſche Regierung, welches keinen
Zweifel laſſe über die gegen die Türkei gerichtete Politik
des Vizekönigs. Heute wird nun hiezu aus Wien ge-
meldet , es ſei auch der Inhalt der Antwort der Peters-
burger Regierung auf bezügliches Schreiben bekannt, der
Antwort, die dem Vizekönig während ſeines Aufenthaltes
in Berlin zugegangen sei. Rußland — so wird gemeldet
~ übernimmt keinerlei Verpflichtungen ; ſeine Aeußerungen
ſind so nichtssagend als möglich; es betheuert auf der
einen Seite seine Achtung vor den Verträgen, auf der
anderen Seite ſein lebhaftes Intereſſe an der Entwicklung .
Cgyptens. Das einzig Bedeutende dürfte der Hinweis
sein, daß die endgiltige Regelung der Stellung Egyptens
füglich nur gleichzeitig mit der endgiltigen L öſ untg der ges-
ſammten orientalischen Frage und als ein integri-
render Theil derselben werde erfolgen können , und daß
Rußland dabei den ihm gebührenden Cinfluß zu wahren
nicht versäumen werde . . .
Deutſchland.
* Mannheim , 5. Aug. Nachdem bei den hie-
ſigen Wahlmännerwahlen in den 5 erſten Diſtrikten
die Vorſchläge der Nationalliberalen die Mehrheit der
Abstimmenden erhalten, hat im ſechſten und ſiebenten
Diſtrikt die demokratische Partei gesiegt. Heute
Nachmittag wählt der achte, etwas zweifelhafte Diſtrikt.
Schon vorgestern haben wir auf das Unpaſsſende hin-
gewiesen, daß ſtädtiſche Bedienstete Wahlvorschläge der
National-Liberalen austragen. Inzwischen wird be-
ſchönigend bemerkt, der eine Betreffende ſei ein An-
geſtellter der Polizei-Armen-Kommission und der zweite
Betreffende besorge lediglich Mahngeſchäfte der Stadt-
kasſe. Wir wollen nichl erörtern, ob das Austragen von
Wahlvorſchläigen mit den dienstlichen Funktionen des
einen oder anderen der Bezeichneten zuſammenfällt
oder zu vereinbaren iſt; nur sei geſagt, daß eben viele
Wähler die Thätigkeit der Betreffenden nicht als eine
Privatthätigkeit, sondern als eine Art offizieller Thätigkeit
ansehen. Schon um den Schein zu wahren, ſollte der-
gleichen vermieden werden. . ..
Weinheim, 4. Aug. Eine wichtige Frage bes
ſchäftigt gegenwärtig die hieſige Bürgerſchaft ; es iſt die
Errichtung eines Realgymnasiums in hiesiger Stadt. Um
dieſes zu eareichen ſoll die höhere Bürgerſchule mit dem
Bender'ſchen Institut verſchmolzen und erzielt werden, daß
die Schüler, welche die oberste Klasse durchgemacht, zum
einjährigen Freiwilligendienſt ohne ſpezielles Examen be-
E
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1869.
er Abendzeitung.
Organ der deutſchen Volksparlei in Paden.
Die „Mannheimer Abendzeitung" wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täglich als Abendblatt ausgegeben. — Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beftellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.
a~~ §
Die Mäuuchen für Alles.
[.
Anm 21. Dezember 1868 erklärte der Abgeordneten-
tag zweiter Klaſſe: „Kraft unzweifelhaften Rechtes iſt
Friedrich von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Auguſten-
burg zur Erbfolge in den Herzogthümern brrufen. Die
Geltendmachung der Thronfolge des Herzogs Friedrich iſt
zugleich die Geltendmachung der Rechte Deutschlands an
Schleswig-Holstein.“" Wie positiv!
Der Abgeordnetentag zweiter Klaſſe verpflichtete ſich
sodann Namens der ,verletten Ehre“ Deutſchlands, die
Anerkennung des Herzogs beim Bunde zu erwirken, „ohne
Rückſicht auf fremden Einsbruch“ dieſem Rechte Geltung
zu verſchaffen und „,diejenigen Regierungen mit allen ver-
faſſungsmäßigen Mitteln zu bekämpfen, welche das Recht
und die Ehre Deutſchlands (Einſeßzung des berechtigten
Thronfolgers) in dieser Sache preisgeben.“ Moralische
Sanktion des positiven Rechtes ! j
Dieſer Abgeordnetentag zweiter Klasſe sette behufs
der Agitation einen 36er-Ausschuß ein , der ſelbſt wieder
die Geſchäfte an eine Siebener-Kommission übertrug. Die
Schleswig-Holstein-Vereine traten ins Leben; im Früh-
jahr 18641 – während des Krieges mit Dänemark ~
bestanden 500 solcher Vereine in den Mittel- und Klein-
ſtaaten, in Preußen kaum 100; erſte bedenkliche Signa-
iur! An Geldbeiträgen floſcen von 45 Millionen
Deutſchen bei der Siebener-Kommission bis Ende 1865
zuſammen: 6381,974 fl. 24 kr., oder “/s Kreuzer pro
deutſche Seele : zweite, noch bedenklichere Signatur ! Aus
Baden wurde am meiſten beigeſteuert, nämlich 73,966 fl.,
oder 3 Krenzer pro Seele ; aus Preußen 69,072 fl.
öder "/» Kreuzer þro Seele ! Aus den drei freien Städten
Hamburg, Bremen , Frankfurt kamen 81,796 fl., also
mehr als aus ganz Preußen ! Aus Hannover 62,160 fl.,
faſt ſo viel als aus Preußen; aus Sachſen und Würt-
temberg zuſammen 69,221 fl., so viel als aus ganz
Preußen ; allerbedenklichſte Signatur ! j
Der Bundestag faßte am 7. Dezember 1863. seinen
ſchmählichen Beſchluß auf „Bundesexekution“ zur Auf-
rechthaltung des Londoner Protokolls, verwarf dann am
14. Jänner 1864 den preußiſch - öſterreichiſchen Antrag :
Dänemarck zur Erfüllung der Verabredungen wegen des
Herzogthums Schleswig anzuhalten, und überließ in seiner
Rathloſigkeit den Großmächten den Krieg, d. h. die Ent-
ſcheidung. Die Eroberung Schleswigs und die Beſeßzung
'Jütlands gingen vor ſich, und als nunmehr Dänemark
Verhandlungen auf der Baſis der Verabredungen von
1851/52 anbot, wies Preußen dieſes Ansinnen zurück
der Gedanke der Einverleibung dämmerte auf !
Die Londoner Konferenz trat zuſammen, die Siebener-
Kommission entwarf eine geharniſchte Erklärung für die
Oſterverſammlungen des Volkes in ganz Deutschland und
der 36er Ausſchuß forderte sämmtliche Mitglieder deutſcher
Landesbertretungen zu einer ganz ähnlichen Rechtsver-
wahrung auf :
„Das klare Recht und der ausgesprochene Volkswille
beruft den Prinzen Friedrich zur Erbfolge. Iſt dieses
Recht beſtritten, ſo steht die Entscheidung keiner Konferenz
der Mächte, ſie steht allein dem Volke und seinen Ver-
tretern zu. Gegen jede Verfügung, die über das Schicksal
der Herzogthümer ohne und wider ihren Willen getroffen
werden ſollte, proteſtiren wir im Namen der Nation und
verwahren für jetzt und alle Zukunft das Recht Deutſch-
lands und des Schleswig-Holſteiniſchen Volkes.“
269 Volksverſammlungen, bei denen sich 250,000
Männer betheiligten adoptirten dieſen Standpunkt und
traten folglich für desſſen Konsequenzen ein. 1889 deutsche
Volksvertreter unterschrieben die Rechtsverwahrung ; 40,000
Schleswig-Holfteiner, die am 8. Mai in Rendsburg ver-
U: waren, erklärten, für ihr gutes Recht „das Lette
einzuſeten.“
Die Demonstration war bedeutſam , doch wieder nicht
ohne bedenkliche Neben-Anzeichen. Von 914 Mitgliedern
der mittel- und tlleinſtaatlichen Ständekammern traten
772 bei; von 554 Vertretern in den freien Städten
350; von 348 preußischen Deputirten dagegen nur 186,
î etwas über die Hälfte. Tweſten und Sybel waren aus
dem Ausſchuß getreten, und Waldeck enthüllte ſich immer
Jpezifiſcher.
Auf der Londoner. Konferenz forderten am 28. Mai
1864 die Gesandten Oesterreichs,, Preußens und des
deutſchen Bundes die Vereinigung der Herzogthümer unter
der Souveränetät des Erbprinzen von Auguſtenburg als
> p
des „bestlegitimirten“ Prätendenten, der auch in den Her-
zogthümern ſelbſt „die ungeheure Majorität der Bevölke-
rung für ſich habe. Aber schon ward die Theilung
Schleswigs auf's Tapet gebracht. 352 Schleswig-Holstein-
Komite’s protestirten, darunter nur 29 aus Preußen,
318 aus den Mittel- und Kleinstaaten !
Jetzt ſchob Preußen plötzlich die Oldenburgiſche Kan-
didatur vor, die nur eine ſpaniſche Wand für die Hohen-
zollern’sche bildete. Noch am 16. Oktober 1864 erklärten
die 36er: „die Konſtituirung eines selbſtſtändigenStaates
Schleswig-Holstein unter seinem rechtmäßigen, vom Volke
erkorenen Fürſten“ hat ihre Löſung auch heute noch nicht
gefunden. Die Großmächte ,„verſagen dem Volke Schles-
wig-Holſteins bis heute die Ausübung seines Rechts, an
der Entſcheidung über die innere Zukunft des Landes
mitzuwirken.“
„Es gilt zu wachen über das bisher mißachtete und
noch immer bedrohte Recht des Schleswig-Holſteiniſchen
Volkes." €Ersſt nachher kann von Verträgen mit Preußen
die Rede sein. – Es war also bereits von Spezial-Ver-
trägen mit Preußen die Rede. Der Umſchlag ſtand vor
der Thüre.
Am 26. März 1865 war zu Berlin ſehr ſtark die
Rede von ,Verträgen mit Preußen.“ Der 36er Aus-
ſchuß trat mit dem engern Ausſchuß der Vereine in
Schleswig-Holstein und mit „namhaften Mitgliedern des
preußiſchen Abgeordnetenhauſes"“ zuſammen. Zugegeben
wurde die Verfügung Preußens über die militärischen
und Marinekräfte der Herzogthümer , die Anlegung von
preußiſchen Feſtungen und Häfen in Schleswig - Holſtein,
der Eintritt des Landes in den Zollverein und das
preußiſche Aussichtsrecht über den Nord-Oſtſee-Kanal. Viel
zu viel vor Anerkennung des ,„Selbſtbeſtimmungsrechtes“
und der Unabhängigkeit der Herzogthümer ! Preußen
verwarf dieſe großen Konzessionen und beharrte auf seinen
Forderungen vom 22. Februar. Damit war Schleswig-
Holstein verurtheilt, der 836er Ausſchuß aber auch ſeines
Angebotes entbunden.
Dennoch kompromitterte der 36er Ausschuß am
1. Oktober 1865 ſeine bisherige Stellung, die Rechte
der Herzogthümer und die Ehre und Würde der deutſchen
Nation, indem er in seinen Anträgen an den Abgeord-
netentag ächt gothaiſch, das ,Selbſtbesſtimmungsrecht“
Schleswig-Holsteins vorausseßte, dann dieses ,„Selbstbe-
stimmungsrecht“ durch die „höheren Intereſſen Deutſch-
lands“ für „beſchränkt“ erklärte, hierauf die Zugeständnisse
der Herzogthümer vom 26. März aufrechterhielt und die
Erledigung der Sache der Herzogthümer im Sinne des
Rechts als hypothetiſch hinsſtelle „wenn . . ÿ ." Im
„Wenn“ finden sie sich immer zuſammen, da wird die
Familienähnlichkeit zur Indendität; da sind sie alle
ejusdem farins , ,„Nationalverein“, ,„Abgeordnetentag“
erster und zweiter Kkaſſe, der „Fortfchritt“ und die „besten
Männer“ von Gotha.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 5. Auguſt.
* Wien macht sich in Berlin immer mehr unan-
genehm. Die Depeſchen des Grafen Beuſt gehen „über
hergebrachte politiſche Rückſichten“ hinweg und veranlassen
durch ihre Enthüllungen „unliebsame Erörterungen.“ Das
„unliebſam“ bezieht sich ſelbſtredend auf Berlin und legt
der dortige ministerielle Herold deßhalb Verwahrung da-
gegen ein, daß „auswärtige“ Kabinete sich eine Kritik
der Mittheilungen erlaubten, die von Berlin aus an
„deutsche Regierungen“ gerichtet seien. Ob man in Wien
daraufhin Abstand nehmen wird, der Berliner Politik,
soweit man dieß vermag, auf dem Fuße zu folgen und
ihre Schritte zu beobachten, ſteht um so mehr dahin, als
eben in Wien die Pflicht der Selbsterhaltung ſchon ge-
bietet, dem . . . Gegner gegenüber es an Aufmerksamkeit
nicht fehlen zu lassen.
Das Jahr 1868 war wenig besser als seine Vor-
gänger und voll von gefürchteten Erwartungen. Mit
dieſen Sätzen eröffnete die Handelskammer für die Kreise
Münster, Beckum, Warendorf, Tecklenburg und Steinfurt
ihren (Nothstands-)Jahresbericht und ſchließt denselben
mit der Hoffnung ab: „daß in maßgebenden Kreisen
ſchleunigſt die rechten Mittel und Wege erkannt und mit
kräftigem Entſchluſſe im Intereſe der Völker angewandt
werden, den so tief geſtörten Verhältnissen eine feſte
Grundlage wieder zu geben und den bewaffneten
Frieden endlich aufzuheben, damit die Zeit der
CLC
Unruhe und der Erschlaffung bald vorüber sein und
überall eine Reaktion zum Bessern eintreten möge, denn
es kann so nicht bleiben, wenn der mit ſo vieler Auf-
opferung von geldlichen Mitteln , und strebſamer Intelli-
genz in den Jahren des Friedens und Vertrauens ge-
ſchaffene gedeihliche Zuſtand nicht raſch verkümmern ſoll.“
Um nationalliberalem Irrthume vorzubeugen , bemerken
wir, daß die benannten Kreiſe Preußen angehören und
daß sie ihren Gedanken und Ueberzeugungen in dem
bez. Berichte Worte geben, nicht etwa um dem Ausfluß
politiſcher Grübelei Ausdruck zu geben ~ ſondern , wie
der Bericht ſelbſt ſagt, um dem Drange und dem Pfliche.
gefühle zu genügen: „den bestehenden Schaden bloß zu
legen, damit er seiner Heilung entgegengeführt werden
könne.“
Die Pariſer Blätter beſchäftigen ſich faſt ausſchließ-
lich mit dem Senatus-Konſult. Nur wenige ſtimmen
demſelben vorbehaltlos zu. Die „Patrie“" macht eine Zu-
ſammenstellung der verſchiedenen Verfaſſungen, deren
Frankreich ſich bis jezt zu erfreuen gehabt hat und
kommt dabei zu der Schlußfolgerung; Die neue Ver-
faſſung werde dem nothwendigen Gleichgewichte der Re-
gierungsgewalten entsprechender ſein, als die von 1791;
liberaler als die des Jahres YUI; repräſentativer als die
Charte von 1814 und diejenige von 1815 und demo-
kratiſcher, dabei aber zugleich ebenſo parlamentariſch als
die Charte von 1830. Der „Public" sagt, die vorge-
sehenen Reformen öffneten dem parlamentariſchen Regime
von 1830 die Thüre, allein ſie verſchlöſſen sie vollständig
für das konstitutionelle Regime von 1852 und 1867.
Sie zeigten eine neue Bahn an, ohne ſie jedoch zu be-
treten. j '
Die Aufklärungen, welche die Regierung in K onſtan-
tino pel von dem Vizetönig von Egypten, über die von
ihm mit den europäiſchen Höfen gepflogenen Unterhand-
lungen verlangt : sollen ihren Grund haben, in einem
der türkischen Regierung in die Hände gefallenen Schreiben
des Vizetönigs an die ruſſiſche Regierung, welches keinen
Zweifel laſſe über die gegen die Türkei gerichtete Politik
des Vizekönigs. Heute wird nun hiezu aus Wien ge-
meldet , es ſei auch der Inhalt der Antwort der Peters-
burger Regierung auf bezügliches Schreiben bekannt, der
Antwort, die dem Vizekönig während ſeines Aufenthaltes
in Berlin zugegangen sei. Rußland — so wird gemeldet
~ übernimmt keinerlei Verpflichtungen ; ſeine Aeußerungen
ſind so nichtssagend als möglich; es betheuert auf der
einen Seite seine Achtung vor den Verträgen, auf der
anderen Seite ſein lebhaftes Intereſſe an der Entwicklung .
Cgyptens. Das einzig Bedeutende dürfte der Hinweis
sein, daß die endgiltige Regelung der Stellung Egyptens
füglich nur gleichzeitig mit der endgiltigen L öſ untg der ges-
ſammten orientalischen Frage und als ein integri-
render Theil derselben werde erfolgen können , und daß
Rußland dabei den ihm gebührenden Cinfluß zu wahren
nicht versäumen werde . . .
Deutſchland.
* Mannheim , 5. Aug. Nachdem bei den hie-
ſigen Wahlmännerwahlen in den 5 erſten Diſtrikten
die Vorſchläge der Nationalliberalen die Mehrheit der
Abstimmenden erhalten, hat im ſechſten und ſiebenten
Diſtrikt die demokratische Partei gesiegt. Heute
Nachmittag wählt der achte, etwas zweifelhafte Diſtrikt.
Schon vorgestern haben wir auf das Unpaſsſende hin-
gewiesen, daß ſtädtiſche Bedienstete Wahlvorschläge der
National-Liberalen austragen. Inzwischen wird be-
ſchönigend bemerkt, der eine Betreffende ſei ein An-
geſtellter der Polizei-Armen-Kommission und der zweite
Betreffende besorge lediglich Mahngeſchäfte der Stadt-
kasſe. Wir wollen nichl erörtern, ob das Austragen von
Wahlvorſchläigen mit den dienstlichen Funktionen des
einen oder anderen der Bezeichneten zuſammenfällt
oder zu vereinbaren iſt; nur sei geſagt, daß eben viele
Wähler die Thätigkeit der Betreffenden nicht als eine
Privatthätigkeit, sondern als eine Art offizieller Thätigkeit
ansehen. Schon um den Schein zu wahren, ſollte der-
gleichen vermieden werden. . ..
Weinheim, 4. Aug. Eine wichtige Frage bes
ſchäftigt gegenwärtig die hieſige Bürgerſchaft ; es iſt die
Errichtung eines Realgymnasiums in hiesiger Stadt. Um
dieſes zu eareichen ſoll die höhere Bürgerſchule mit dem
Bender'ſchen Institut verſchmolzen und erzielt werden, daß
die Schüler, welche die oberste Klasse durchgemacht, zum
einjährigen Freiwilligendienſt ohne ſpezielles Examen be-
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