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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 232 - No. 258 (1. Oktober - 31. Oktober)
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1369.









M 252.





Organ der deutſchen Volksparlei in Paden.







Die „Mannheimer Abendzeitung? wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ tä
Anzeigen-Gebühr : die einspaltige Vetitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

glich als Abendblatt ausgegeben. ~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
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Der 26. Oktober.

| Wir können uns unmöglich auf die Seite der sog.
Delegirten der Pariſer Wahlbezirke stellen, welche so gröh-
lich, faſt hätten wir gesagt, ſo Schw eitz eri ſch mit den
gewählten Abgeordneten der Sta t Paris umgesprungen
find. Die ganze Szene in der Rue de Clichy gemahnt uns
allzuſehr- an Agents provocateurs und Niemand bürgt
dafür, daß ſich die Hauptsſchreier am 26. Oktbr. bereit finden
würden, „gegen den Schlund der Kanone zu marsſchiren“, wie
Lamartine im Februar 1848 ſo pittoresk ſagte. .

Das „Manifest der Linken“ gefällt uns deßhalb noch
lange nicht; es iſt nicht aus Einem Gusse, es mangelt
darin der in solchen Fällen nöthige Lapidarſtyl; es gibt
zu, was man den ken darf, aber nicht sa g en muß, daß
die Regierung, im Stande wäre, das Volk von Paris
glücklich zuſammen zu kartätſchen. Wer einer Regierung
eine solche Aussicht stellt, der giebt ſich von vorn herein
gefangen und geschlagen ; das iſt Unterwerfung unter das
brutale Regime und Verleugnung des Rechtes.

Aber vor allen Stücken – und das war der Grund-
fehler des ganzen 26. Oktober – man kündigt keine
Revolution an wie ein Theaterſtück, auf Teg und
Stunde -- es fehlte gerade noch die Zuthat: „Ende
nach 9 Uhr." Das heißt ja mit anderen Worten, einen
Nampf ansagen, die Regierung vorbereiten, ſie zur An-
ſammlung aller Kräfte animiren, sie ihre strategiſchen Po-
YU nehmen lassen und dann den Kopf in die Schlinge
egen. j

Ein kleiner Krawall wird wohl an dem fatalen Tage
unvermeidlich werden; unſer innigster Wunſch iſt, daß
keine Emeute daraus entſtehe, denn jeder niedergeſchlagene
Verſuch der Befreiuung Frantreichs sichert dem Zäsarismus
in Europa mindestens zehn Jahre Galgenfriſt. In Frank-
reich würde augenblicklich die Diktatur erfolgen, die Mis
litärherrſchafst jede Verfaſſung erdrücken; R'gentſchaft,
Napoleon IV., Pfaffenthum, Alles würde ruhig hinge-
nommen werden, und der Krieg, der ſcheußliche Krieg
wäre so gut wie gewiß. Wie dieser Krieg aber auch aus-
gehe, ob der eine Zäſar siegt, oder der Andere: die Frei-
heit kommt zu kurz dabei und geht betteln.

Man hört vielfach die Befürchtung oder doch Erwar-
tung ausſprechen, die Abgeordneten der Linken könnten
ſich durch die Brutalitäten der bewußten Versammlung
nach Rechts hin drängen lasſen; sie wären im Stande,
halb und halb gouvernemental zu werden, lediglich um
mit dem fanatiſchen Stürmen und Drängen nichts mehr
zu ſchaffen zu haben und jegliche Kompromittirung ihres
Namens und ihrer Stellung zu vermeiden.

Es sind ihrer dabei, die wir einer solchen namenloſen
Schwäche für fähig halten, namentlich gewisse Mitglieder
der früheren Linken: Jules Simon, Ernst Picard, Gar-
nier-Pagêés. Jules Favre aber halten wir für zu tlug
und zu wetterkundig, um ſich von ſolchen Motiven be-
stimmen zu lassen, und Gambetta, Ferry und Baneel
werden sich wohl hüten, ihren Ruf als „Unversöhnliche“
ſo leicht aufs Spiel zu seßzen, von dem alten Raspail
ganz zu geſchweigen, der noch immer Miene macht, am



Nationalliberalen ablehnen ,

26. Oktober von der Bastille zur Madeleine spazieren zu ' des Bundes mit Spanien über den Abschluß einer Kon-

gehen.

Die „Unversſöhnlichen“ wissen zu gut, daß ſie die
Tendenzen des erwachten Frankreichs repräſentiren, daß
das Kaiserreich verloren iſt, wenn man es mehr und
mehr mit der Volksſtimmung verfeindet, daß das ,libe-
rale" Empire der Anfang vom Ende iſt, und daß die
116 vom Tiers-parti ſchaarenweise nach links rücken, falls
nicht bald seh r beſtim m te Konzesſionen gemacht wer-
den. Mit Preßfreiheit, Vereins- und Verſammlungsrecht
kann sich kein Straatsſtreich halten, er wird moralisch
aufgerieben, zerbröcktelt; die Propaganda dringt ins Heer

hinein und ein einziges ahfallendes Regiment genügt, die

Revolution wirklich zur „friedlichen“ zu machen, und die
Politik der Kartätsche, der Deportation und der Sicher-
heitsgeſeße moralisch zu tödten.

Geht der 26. Oktober ohne ernstliche Unruhen vorüber,
ſo werden wir das als ein erfreuliches Ereigniß für die
gute demok atiſche Sache betrachten. Hier heißt es wirk-
lich: Blinder Eifer schadet nur!

Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 23. Oktober.

* Die Fortſchrittspartei im preußiſſchen
Abgeordnetenhaus hat einen Antrag eingebracht,
das Haus wolle die Regierung ersuchen , auf Verminde-
rung der Militärlaſst im Nordbunde hinzuwirken und
durch diplomatiſche Verhandlungen eine allgemeine Ab-
rüſtung herbeizuführen. Wir glauben nicht fehl zu gehen,
wenn wir annehmen, die Fortſchrittspartei habe den An-
trag nur gestellt, in der ſicheren Voraussicht, daß er
eine Berückſichtigung nicht erfahren werde. Mit den
moralischen Eroberungen Großpreußens hat es ſchlimme
Wege ; großpreußisch iſt aber die Fortſchrittspartei . . .



und so müßte es männiglich Wunder nehmen , von ihr

aus der Regierungsgewalt das einzig übrig gebliebene
Annerions-Mittel er n tl ich bestritten zu ſehen.

Die national-liber ale Partei im preußiſchen Ab-

geordnetenhauſe zeigt ſich konsequenter. Sie bestreitet der
Fortſchrittspartei einen derartigen Antrag im preußiſchen
Landtage einzubringen ; ſolche Fragen gehörten in den
Reichstag. Die national - liberale Partei hat nur den
Einheitsſtaat im Auge und so bereitet sie sich überall
darauf vor: den preußiſchen Landtag, da er als eine

dauernde Institution neben dem Reichstage doch nicht bez

ſtehen könne, allmälig verduften zu laſſen. Den Vertrag
mit Sachſen wegen der Doppelbesteuerung werden die
weil sie Separatverträge
zwischen den einzelnen Staaten des Nordbundes über
dergleichen Dinge nicht zulässig erachten.

Trotz der vielgepriesenen Berliner Geschäftsgewandt-
heit hat ſich herausgestellt, daß der zwischen dem Nor d-
bunde und dem Zollverein einerseits und Spa-
nien andererseits abgeſchloſſene Handelsvertrag in so
ferne lückenhaft iſt, als darin Beſtimmungen über Stel-
lung und Befugnisse der beiderseitigen Kon ule fehlen.
Der Bundeskanzler hat daher bei dem Bundesrathe die
Ermächtigung beantragt , daß das Präsidium im Namen

|



ſular- Konvention in Unterhandlung trete. Wie in allen
früheren Fällen iſt die Zuſtimmung des Bundesrathes
außer Zweifel. – Bei dieser Gelegenheit sei zugleich bes-
merlt, daß in letzterer Zeit wieder 11 neue Bundeskon-
ſulate errichtet wurden und zwar: In Dänemark zwei
(Friedericia und Korsör), eines in Frankreich (Honfleur,
eines in Rußland (Onega), eines in Brasilien (Santa
Cruz), eines in der dominikanischen Republik (Domingo),
vier in brittiſchen Besißkungen (Colomb-Ceylon, Naſſau ~
New-Providence , Nelſon – Neuseeland, Port Stanley
— Jalklands-Inseln), eines in Hayti (Cap Hayti).

Cin Ereignis, welches in Madrid viel Aufsehen er-
S EE
in der Straße San Mateo, ſteht. Derselbe ſoll, von
den Republikanern bestochen, ſich anheiſchig gemacht haben,
die Kaserne zu einer verabredeten Stunde den Volkshaufen
zu öffnen, welche sich des großen Waffen- und Pulvervor-
rathes bemächtigen und die Fahne der Empörung in
Madrid aufpflanzen sollten. Die Militärbehörde, welcher
der Anschlag verrathen worden, soll in Folge desſen die
Verhaftung des Hauptmanns vorgenommen haben.

Die Birminghamer Ligue hat das konfeſſions-
loſe Schulweſen in Verbindung mit dem Schulzwang zum
Ziel ihres Strebens gewählt. Nach den Ausweisen des
ſtatiſtiſchen Bureaus ſind in England und Wales 4,500,000
Kinder ia dem Alter von d–~18 Jahren am Leben.
Von dieser Anzahl sind 1,200,000 in Schulen, die unter
der Aufsicht der Regierung ſtehen. Schlägt man die
Zahl derer, welche in anderen Schulen unterrichtet werden,
hoch an, so sind es 1,500,000, so daß noch volle zwei
Millionen übrig bleiben, die ohne allen Schulunterricht
aufwachſen und der neuen Liga demnach ein weites Feld
für ihre Bestrebungen geboten iſt.

Die in D alma ti en operirenden Truppen, unterſtützt
durch vier an der Küſte kreuzende Schiffe, haben die
Höhen von Riſano beſezt. Damit hält man in Wien
die Dinge in Dalmatien militäriſch für entſchieden. Die
Behörden haben die Weiſung, nur im äußerſten Falle
zum Aeußerſten zu ſchreiten, die unbedingte Niederlegung
der Waffen Seitens der Aufſtändiſchen zu fordern, im
Uebrigen aber die möglichſte Milde walten zu laſſen. Der
Fürſt von Montenegro hat sich beeilt , wiederholt zu er-
klären , er werde ſtrengſtens bedacht sein, dem Aufstande
t. jede materielle oder auch moralische Unterſtüßung
zu entziehen.





Deutſchland.

[] Mannheim, 23. Okt. Wie aus Abgeordneten-
Kreiſen verlautet, soll Seitens der Kommission für Be-
rathung der Abänderungen an Verfaſſlung und Wahl-
ordnung der magere Regierungs-Vorſchlag mit wenigen
unbedeutenden Modifikationen der Kammer zur Annahme
empfohlen werden, wonach die indirekte Wathl also
nach wie vor beſtehen bliebe. :

Wahrlich, dazu kann nur die Ueberzeugung führen:









Kuünſtler und Brigant.
(19. Fortſeßung.)



Die Versprechungen des Majors übten cinen entschei-
denden Einfluß auf den Entſchluß Beppo’'s, und in we-
nigen Minuten war die übrigens sehr primitive Zeremo-
nie seiner Aufnahme in den Brigantaggio vollzogen.

Nachdem der neue Bund mit einer Flaſche von dem
köstlichen Saft der Rebe von Monte- Fiascone beſiegelt
war, wollte ſich der Neuangeworbene bescheiden aus der
Gesellſchaft seiner nunmehrigen Vorgesetzten zurückziehen ;
allein der Major hielt ihn zurück.

Halt, Beppo“, sagte er.. „Ich nehme Deine Dienste
gleich in Anspruch. Wir haben eine kleine Expedition
vor und Du kannfſt uns dabei von Nutzen sein. Morgen
Abend marschiren wir ab, vorausgeſett , daß wir unsere

heutige Aufgabe glücklich lösen ; inzwiſchen bleibt Dir

noch immer Zeit genug, Deine Siebenſachen zu packen,
von Deinem Sllavenhalter im Hotel Ceſari, und wenn Du
willſt, auch von Deiner schönen Filomena rührenden Ab-
ſchied zu nehtnen.“ y

Der Major warf einen Blié auf die Uhr. ,Die



Die drei Männer verließen das Kafe Konſtanzia und
schlugen die Richtung gegen die Piazza di Spagna ein.
Mit wenigen Schritten hatten sie dieſelbe erreicht und
standen der koloſſalen Treppe gegenüber , welche zu der
Kirche Santa Trinita dei Monti emporſteigt.

Ein ſeltſames Schanſpiel zeigte ſich hier ihren Blicken.

Die breiten Stufen waren mit dichten Gruppen dunk-
ler Körper bedectt, welche theils zur regungsloſen Masse
angehäuft schienen, theils das bewegte Bild eines riesigen
Ameisenhaufens darboten. Als ſich die drei Männer, von
Zimmermann geführt, der Treppe näherten, entwickelten
ſich die schwarzen Körper zu menschlichen Gestalten , der
Ameisenhaufen zu dem, was er in der That war >
zum Bivouak der römiſchen Lazzaroni.

Auf der Treppe der Kirche St. Trinita dei Monti
übernachten täglich hunderte jener Naturphiloſophen des
modernen Rom, deren Lebensmarim das berühmte dolce
far niente iſt, jener „liebenswürdigen Müſssiggänger“",
welche Platen besungen , Leopold Robert's Meiſsterpingſel
verewigt hat. Hier unter Gottes freien Himmel, im
Freibann seines mächtigen Tempels , unbeläſtigt von der
römischen Polizei, die jene Sucht des Bevormundens und
der kleinlichen Plackerei nicht kennt, welche anderwärts das
eigentliche Lebenselement der „Augen des Geseyes" iſt,

Stunde ist gekommen“, ſagte er, „brechen wir auf.“ | pflegt der Lazzarone der nächtlichen Ruhe, und nur die



Nachtfröſte des hereinbrechenden Winters vermögen ihn
von hier zu vertreiben.

Auf den oberſten Stufen herrſchte , als der Major
und seine Begleiter an das seltsame Nachtlager heran-
traten, bereits tiefe Ruhe. Hierher hatten sſich diejenigen
zurückgezogen, welche den Forderungen des Magens mit
einer tüchtigen Portion Makkaroni Genüge geleiſtet, und
nun kein anderes Bedürfniß mehr als das des Schlafen
zu befriedigen hatten. Dagegen herrſchte am Fuße der
Treppe noch reges Leben. Einzelne neue Ankömmlinge
drängten sich zwiſchen den Gruppen hindurch, um ſich
eine Schlafſtelle zu ſuchen , welche ihnen friedfertig einge-
räumt wurde ; andere saßen plaudernd und ſchmauchend
auf den breiten Steinstufen beiſammen oder sonderten
ſich zu zweien ab, um dem in ganz Jtalien bekannten
und beliebten Nationalſpiel „a la Môra“ zu obliegen,
jenem Spiele, desſſen ganzer Apparat nur in zehn Fingern
und einem raſchen Auge besteht, und in welchem jeder

richtige Lazzarone ſolche Gewandtheit besitzt, daß er es ſelbſt -

im Dunteln betreiben kann. Auf dem kleinen Vorplate,
welchen die Rieſentreppe an einer Seite amphitheatraliſch
abſchließt, hatte ein Fritturasieder Poſto gefaßt, um all-
fällige Bedürfniſſe der vom Glücke minder Begünſtigten
zu befriedigen , welche die wenigen, zu einem frugalen
Abendbrode nothwendigen Bajocchi während des Tages









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