F 251.
1869.
Organ der deultſchen Volkspartei in Baden.
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Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich
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als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
\lungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Delegirten-Verſammlung
der !
deutſchen Volkspartei.
Braunschweig, 18. Oktbr.
Gestern und vorgestern tagte in unserer alten Herzogssſtadt
eine Delegirten-Verſammlung der deutſchen Volts-
partei, auf der alle Gaue Deutſchlands außer Oeſterreich durch;
Abgeordnete vertreten waren. Die Verhandlungen trugen einen
|
weſentlich vertraulichen Charakter und beschäftigten ſich vorwiegend |
mit Angelegenheiten der Organiſation und Taktik. Obgleich es
nicht an verſchiedenen Auffaſſungen einzelner Punkte fehlte, ſo
herrſchte doch in allen Hauptfragen erfreuliches Einverſtändniß.
Die Berichte, welche beim Beginn der Verhandl ngen von den
Abgeordneten über die Sache der Volkspartei in den von ihnen
vertretenen Gebieten erstattet wurden, geben Zeugniß von der zu-
nehmenden Kräſtigung der Partei. Freilich finden ſich in manchen
Gegenden kaum.die erſten Elemente zu einer Parteibildung; doch
überall wächſt die Entnüchterung von 1866, immer mehr enthüllt
ſich die wahre Namur der preußiſchen Erfolge. Die Erkenntniß
deſſen, was 1866 geſchehen, iſt aber der erſte Schritt zur Aner-
kennung der Prinzipien der Volksparter. Am traurigsten steht es |
noch in Altpreußen, wo ſich voraussichtlich demnächst eine förmliche |
Aussöhnung und Verſchmelzung der Nationalliberalen mit der
Foriſchrittspartei vollziehen wird. Vielleicht iſt es möglich, daß
ſich bei dieſer Gelegenheit einige der sich am weitesten nach Links
neigenden Elemente der Volkspartei anſchließgen werden. Inſämmt-
lichen neuen preußiſchen Provinzen iſt dagegen der Widerſtand ge-
gen das Großpreußenthum im Wachſen begriffen; in Heſſen und
Schleswig-Holstein erstarkt gleichzeitig das demotkratiſche Element
immer mehr, während in Hannover die Abneigung gegen Preußen
alles Andere überwuchert. Die Stimmung in Frankfurt am
Main iſt bekannk. Was es mit den Versicherungen der Offiziöſen,
Frankfurt ſöhne sich immer mehr mit der Annexion aus, auf
ſich hat, beweiſt die Wahl von Guido Weis, der, ein treuer An-
hänger der Volkspartei, auch der geſtrigen Verſammlung bei-
wohnte. In Nassau greift die Entnüchterung immer mehr um ſich,
doch wagt man noch nicht, den Schritt aus der Jortſchrittspartei
in die Volkspartei zu thun, wodurch doch einzig die Rückkehr zum
Nationalliberalismus verhindert werden kann. In Sachſen haben
die Parteivorgänge in. den Alrbeiterkreiſen einige Verwirrung her-
vorgebracht. Doch hat das Großpreußenthum dadurch keineswegs
an Terrain gewonnen.
Von den übrigen norddeutſchen Staaten waren noch Schwerin,
Braunſchweig und Koburg vertreten, während aus Weimar ein |
Schreiben des dortigen Volksvereins vorlag. Aus Mecklenburg
war wenig Erfreuliches zu berichten. Das alte feudale Syſtem
herrſcht nach 1866 wie vorher. Mit dem Verſammlungs- und
Vereinsrecht fehlt das Parteileben. Die Nationalliberalen ſind
freilich angeführt, aber mit ihnen ſind auch die Demokraten außer
Stande, ſich politiſch zu organiſiren. Auch über die Parteiverhältnisſe
in Braunſchweig lauteten die Nachrichten nicht günstig. Der Wider-
wille gegen das hannoverſche Regiment trug das Meiſte zur Stärkung
der preußiſchen Geſinnung bei. Die Nähe Hannovers machte den Kontraſt
zwiſchen den verhältnißmäßig glücklichen Verhältnissen Braunſchweigs
und denen des Welfenkönigreichs um ſo fühlbarer. Bekanntlich
war der Bismarckkultus 1866 nirgends größer geweſen als gerade
hiex, aber auch hier lritt allmälig eine, wenn auch nur schwache
Reaktion ein. Namentlich ſind es die Sozialdemokraten, welche
ihre bismarckiſchen Velleitäten aufgegeben haben und in deren
Kreiſen republikanische Ideen immer mehr Boden gewinnen. In
Thüringen hat die Volkspartei in den letten Jahren viele An-
‘hänger gewonnen, beſonders in Koburg und Weimar kräftigt ſich
die demokratiſche Geſinnung zuſehens.
Von den ſJüddeutſchen Staaten iſt Württemberg nach wie vor
derjenige, wo ſich die Volkspartei der bedeutendſten Macht erfreut;
die Trennung vun einem Theil mehr konſervativ geſinnter Groß-
deutſcher, hat die Partei, weit entfernt, ſie zu ſchwächen, nur ge-.
kräftigt. In Baden theilt ſich die demokratiſche mit der ,katho-
liſchen Volkspartei“ in den Kampf gegen das Großpreußenthum.
Wenn auch die lettere über mehr Mittel verfügt, so fehlt es auch
der Demokratie in Baden nicht an Fortſchritten. In der „Mann-
heimer Abendzeitung“ hat ſie ſich ein Organ geſchaffen, das sich
|
xraſch einen großen Leſerkreis erobert. Noch drei andere Blätter |
„Der Statthalter“ von Schopfheim, der „Landbote! von Offen-
burg nnd der „Kon anzer Volksfreund“ wirken im. Sinne der
Volkspartei. Daneben arbeiten auch die „Neue Bad. Landesztg."
und der „Oberrh. Kur." durch Vertheidigung demokratiſcher Prin-
zîpien gegen die Verpreußsung. Auch in Bayern ſammeln ſich die
zerſtreuten Elemente dex Partei: In der Pfalz wächſt ſie von
Tag zu Tag und namentlich iſt es Kaiſerslautern, wo bereits eine
ſtatiliche Schaar wackerer Männer das Panier der Volksfreiheit
neu aufgepflanzt hat. Im dießrheiniſchen Bayern iſt Fürth der
Zentralpunkt der Agitation. Der Sieg, den hier unſere Partei
bei den lezten Wahlen errang, iſt bekannt. Aber auch in den Nach-
barſtädten, ſo namentlich in Erlangen, mehren ſich die Anhänger
des demokratiſchen Großdeutſchthums. Die Partei in München
hat leider durch den Tod A. Bogner'’s einen unerſetlichen Verluſt
erlitten, aber die Freunde des Verſtorbenen betrachten es als eine
Ehrenpflicht, den Kampf, welchen er ſo muthig aufgenommen, mit
aller Kraft fortzuſezen. Die „Süddeutſche Poſt“, das von Bogner
gegründete Organ, kämpft nach wie vor wacker gegen die Feinde
auf allen Seiten. In Heſſen-Darmſtadt iſt, obgleich es in den
übrigen Theilen des Landes nicht an Geſinnungsgenosſen fehlt,
von einem demokratiſchen Parteileben nur in Mainz die Rede.
Die Freunde dort ſtehen aber wacker auf der Schanze und kämpfen
it., frectihen Feſtung nach wie vor unermüdlich für deutſche
eiheit. :
s Nachdem die erſte Sizung am Samſtag faſt ausſchließlich
durch die Berichterſtattung der einzelnen Abgeordneten ausgefüllt
Worden, begann die Hauptverſammlung, bei der wie am erſten Tage
Sonnemann aus Frankfurt den Vorſit führte, mit der Be-
beantragte folgende Erklärung :
Debatte, an der ſich außer dem Antragsteller die Herren H au ß-
m ann (Stuttgart), Vog et (Frankfurt), Heiſterberg (Hanno-
ver), Cichels dörfer (Mannheim), Prengel (Kassel), B e h r
und Dr. Fiſcher (Hannover) betheilgten, vielfach modifizirt und
gelangte schließlich in folgender Faſſung faſt einſtimmig zur An-
nahme :
1) Zu wirksamerer Entfaltung der Parteithätigkeit beſchließt
die Verſammlung die Gründung eines ſich über das geſammte
Deutschland erſtreckenden, auf dem in Stuttgart beſchloſſenen Pro-
gramm beruhenden Vereins, welcher den Namen „Deutſche Volks-
partei“ führen ſoll. Sämmtliche Mitglieder der gegenwärtig be-
stehenden demokratiſchen (Volks-) Vereine werden eingeladen, die-
sem Getjammtbvereine beizutreten.
2) Zur Leitung des Vereins wird ein Vorſtand gewählt, deſſen
Funktion bis zur nächſten Generalverſammlung dauern ſoll und
welcher die Stellen des Vorsitzenden, Schriftführers und Kassirers
aus seiner Mitte beſezt. Die Mitglieder des Vorſtandes sollen an
einem und demjelben Orte oder in deſſen unmittelbarer Nähe
wohnen.
3) Neben dem Vorſtande wird ein von demſelben in allen
wichtigen Parteiangelegenheiten zu befragender , alljährlich zu er-
neuernder Ausſchuß niedergeſeßt, worin jede Landſchaft, in welcher
die Partei Mitglieder zählt, einen Vertreter haben Joll. Die Wahl
dieſer Vertreter wird durch die Generalverſammlung oder durch die
den betr. Landſchaften angehörigen Parteimitglieder bewirkt.
4) Die Befragung des Aussſchuſſes durch den Vorſtand kann
ſowohl durch ſchriftliche Umfrage als durch Einberufung des Aus-
ichuſſes zu einer Geſammtſitzung geſchehen. Außerdem iſt der Aus-
schuß berechtigt, wenn ihm die Geſchäftsführung des Vorſtandes
dazu Anlaß zu geben ſcheint , auch ohne Berufung durch den letz-
teren ſich zn versammeln, bei Gefahr im Verzuge den Vorſtand zu
ſuspendiren und ſofort ſelbſt eine Generalverſammlung einzube-
rufen, welche über die Parteiangelegenheiten in oberſter Instanz
entſcheidet.
5) Der Sit des Vereins ſoll in Stuttgart ſein, ver Vorſtand
iſt jedoch ermächtigt, wenn es die Umſtände erheiſchen ſollten, das
Domizil des Vereins an einen anderen Ort zu verlegen.
6) Der Jahresbeitrag für jedes Mitglied iſt auf mindeſtens
5 Sgr. oder 18 kr. rh. oder 25 kr. öſterr. feſtgeſett. Die über
die Zahlung dieſes Beitrags vom Kaſſirer ausgestellte Jahreskarte
oder Marke gilt als Ausweis der Mitgliedschaft.
7) Zur Veceinfachung des Verkehrs mit den einzelnen Mit-
gliedern wird der Vorſtand für jeden Ort oder Bezirk gewisse
Mitglieder mit der Beſorgung der Anmeldung, ſowie Verbreitung
der vom Vorſtande ausgehenden Mittheilungen, Einſammlung und
Einſendung der Beiträge beauftragen.
8) Mindestens einmal im Jahre findet eine Generalverſamm-
lung statt, zu welcher alle Mitglieder Zutritt haben. Die Abſtim-
mung erfolgt durch Deligirte. Den Absſtimmungsmodus beſtimmt
die Geſchäſtsordnung.
Nach Erledigung dieſes Gegenſtandes erſtattete Brück m ann
Bericht über die ,Demokr. Korreſp." Die Verſammlung nahm
mit Genugthuung die günstigen Mittheilungen entgegen. Die finan-
ziellen Mittel der Partei geſtatten es, verſchiedenen Wünſchen, die
in Betreſf des Stoffes der Korreſpondenz laut wurden , durch
Engagement von Mitarbeitern an mehreren Orten gerecht zu werden.
Es knüpfte ſich hieran ein Bericht über den Zuſtand der Parteivresse,
der inſofern, als ein bedeutenderFortſchritt unverkennbar iſt, befrie-
digend genannt werden muß, wenn auch nicht zu leugnen, daß
noch viel zu thun übrig bleibt. Ein Antrag der Frankfurter
Mitglieder, auf die Herausgabe eines demotratiſchen Kalenders
bedacht zu sein, ward dem Vorstand überwiesen.
Eine längere , sehr intereſſante Debatte rief die Frage der
Stellung der Volkspartei zur ſozial - demokratiſchen Arbeiterpartei
hervor. Die Eiſenacher und Baſeler Beſchlüſſe haben bekanntlich
viel Staub aufgewirbelt, und namentlich haben die letterenzu einer
etwas gereizten Polemik zwiſchen dem „Volksſtaate" und dem
Stuttgarter „Beobachter“ Veranlaſſung gegeben. Die gestrige Dis-
kuſſion drehte ſich, ohne näher auf das Materielle einzugehen, we-
sentlich um die Frage, inwieweit die Baſeler Beſchlüſſe bindend
für die ſozial-demokratiſche Arbeiterpartei seien. Ein halb Duyend
Anträge lag vo. Sonnemann und Ei ch els dö rf er bean-
tragten einfache Tagesordnung. Neer ga a r d (Rendsburg) wollte
in einer ausführlichen motivirten Reſolution eine frendige Begrüßung
der Konstituirung der Sozial - demokratiſchen Arbeiterpartei und
Uebereinſtimmung mit den 10 Puntten des Ciſenacher Programmts
ausgeſprochen haben ; gleichzeitig aber wünſchte er, daß die Ver-
ſammlung ihr tiefſtes Bedauern ausdrücke wegen der auf den Kon-
greſſen der Internationalen Arbeiter-Aſsoziation über die tiefgreifend-
sten Prinzipienfragen erfolgten Verhandlungen und Beſchlüſſe, da
dieſe ~ abgeſehen von der inneren Berechtigung, Durchführbarkeit
und Zweckmäßigkeit der aufgestellten Säße ~ nur die Zerſplitte-
rung: und Schwächung der Freiheitspartei herbeiführen , die
Durchführung des vor Allem und für Alle nothwendigen demokra-
tiſchen Staates aber ins Unabſehbare verzögern können. Heiſter-
b erg ſchlug vor, auszuſprechen, daß Falls eine Generalverſamm-
lung der jozial-demotratiſchen Partei den Bajeler Beſchlüſſen ihre
Zuſtimmung ertheile , an Stelle der Parteigemeinſchaft ein 'Koali-
tionsverhältniß zu treten habe, doch nur unter der Voraussetzung,
daß die Arbeiterpartei Gegner Preußens bleibe. Niet ha mmer
Die in Braunſchweig verſammel-
ten Deligirten der deutſchen Volkspartei begrüßen freudig die in
Eisenach vollzogene Konstituirung der ſozial-demokratiſchen Arbeiter-
partei. Sie hoffen und erſtreben ein Zuſammenwirken beider
Parteien in allen praktiſchen Freiheitsfragen auf ſozialem und po-
liſchem Gebiete, wie ein ſolches zwiſchen der deutſchen Volkspartei
und dem Verbande deutſcher Arbeitervereine auf Grund ihrer
übereinſimmenden Programme ſ|tattfand. Dieſer Erklärung
ſchloſſen sich Kröber und Kronacher an, während Petermann der-
selben noch eine leiſe Verwahrung gegen die Bajeler Beſchlüſſe bei-
gefügt haben wollte. Zur Annahme gelangte ſchließlich folgende
von H auß mann beantragte Erklärung :
Die in Braunſchweig verſammelten Delegirten der deutſchen
rathung eines von Dr. Peter m an n aus Dresden entworfenen j Volkspartei begrüßen freudig das Zuſammenwirken in allen prak-
Org aniſati onsſtatu ts.
Daſſelbe wurde im Laufe der | tiſchen Freiheilsfragen auf ſozialem und politiſchem Gebiete , wie
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ein solches seit der Stuttgarter Delegirtenverſammlung zwiſchen
der deutſchen Volkspartei und dem Verband deutſcher Arbeiter-
vereine auf Grund des Nürnberger Programms ſtattfand, und be-
auftragen in dieſem Sinne ihren Vorſtand, die inzwiſchen auf dem
Arbeitertag zu Eiſenach feſtgeſtellten Beſchlüſſe der Erwägung und
Beſchlußfaſſung der Volkspartei zu unterbreiten , über den Baſeler
Grundeigenthumsbeſchluß zur Zeit und so lange nicht eine Gene-
ralverſammlung der ſozial-demotratiſchen Arbeiterpartei das Gegen-
theil konſtatirt hat, als über einen rein theoretiſchen Meinungsaus-
druck zur Tagesordnung zu gehen. ;
Die Debatte über dieſe Anträge dauerte länger als drei
Stunden. In derselben ergriff auch Herr S p ie x aus Wolfen-
büttel, der als Ausſchußmitglied der ſozial-demotratiſchen Arbeiter-
partei zur Theilnahme an der Verſammlung eingeladen war und
ihr als Gaſt beiwohnte, das Wort. Herr Spier hob hervor, wie
man in Betreff der Beſchlüſſe des Baſeler Kongreſſes wohl zu
unterscheiden habe zwiſchen Beſchlüſſen über praktiſche Fragen und
über Theorien. Beſchlüſſe über praktiſche Fragen wie z. B. über
die Berbindung der Gewerksgenosſenſchaften, ſeien für alle Gruppen
bindend : über Theorien aber habe auf allen Kongreſſen Meinungs-t
verſchiedenheit beſtanden und die Mitglieder, welche überſtimm
worden, ſeien, ohne daß sie nöthig gehabt ihre Anſichten zu ändern,
vollberechtigte Mitglieder des Kongresses geblieben. So ſei es z. B.
Niemandem eingefallen, die Franzoſen, welche in ihrer Mehrzahl
gegen das Kollektiveigenthum geſtimmt hätten, deßhalb aus dem
Kongreß auszuſchließen. Cs komme hinzu, daß die Frage in BaſJel
keineswegs gründlich durchberathen sei, wie dieß u. A. auch kürz-
lich Marx gegen einige Mitglieder des Ausſchuſses ausgeſprochen
habe. Zudem dürfe man nicht vergeſſen, daß die Frage in Deutſchle
land ganz anders als in England und Frankreich ſtehe; für
Deutschland ſei sie im Augenblick wirklich nur von theoretiſcher
Bedeutung. Es ſei deßhalb thöricht, wenn man ſich durch eine
Theorie von der Aktion gegen die gemeinſamen Feinde abhalten
laſe. Der heute für Deutſchland rein theoretiſche Beſchluß über
Kollektiveigenthum sei keine Urſache, um nicht nach wie vor in
allen praktiſchen Fragen der Freiheit und Gleichheit zuſammenzu-
gehen. In dieſem Sinne ſprachen Jich auch die meiſten Delegirten
der Volkspartei aus. Die Bedenken, welchen namentlich Dr. Eihoe
holz und Dr. Heiſterberg Ausdruck liehen, bezogen ſich mehr auf
den Fall, daß die ſozial-demotratiſche Arbeiterpartei die Baſeler
Beſchlüſſe zu den ihrigen machen ſollte ; darüber , daß von einer
bindenden Kraft derſelben für die Arbeiterpartei je yt noch keine
Rede sein könne, waren ſchließlich Alle einig. Von verſchiedenen
Seiten wurde hiebei darauf hingewieſen, wie die Aeußerungeir
Liebknecht's nicht maßgebend ſeien, da ſie, obgleich im, Volksstaat“
abgegeben, doch nicht der Ausdruck der Partei seien, ſondern nur
die perſönliche Anſicht Liebknecht's bezeichneten. Zugleich wurde
jedoch die Art und Weiſe, wie der „Volksſtaat" in dieser Anger ,
legenheit vorgegangen, lebhaft getadelt, wie man es denn
auch auffällig fand , daß der Ausſchuß der ſozial - demo-
kratiſchen Arbeiterpartei in einer solch wichtigen Frage noch
feine Stellung genommen, und die Erwartung ausgeſprochen,
daß dieß demnächſt geſchehen werde. Auch der Beſchluß in Be-
treff des Generalraths in London wurde beſprochen und hervorge-
hoben, wie derſelbe vielfach falſch ausgelegt ; es wurde nachgewieſen,
wie man damit keineswegs eine Diktatur habe ſchaffen wollen,
sondern nur eine Zentral-Vermittlungsbehörde für die Beſtrebungen
der Internationalen Aſſoziation eingeſetzt habe. Das Reoſultat der
Diskuſsion haben wir oben bereits mitgetheilt. Nachdem der
Uebergang zur Tagesordnung abgelehnt war , wurde der Hauß-
mann’ſche Antrag mit großer Majorität angenommen ; dagegen
stimmten mit wenigen Ausnahmen nur Diejenigen , die ſich für
den Antrag Niethammers , der durch die Annahme des Hauß-
mann’ſchen Antrages erledigt wurde, ausgeſprochen hatten und zu
stimmen entſchloſſen waren. i
Die Verſammlung erörterte ſodann die Stellung der Volks-
partei zu den übrigen antipreußiſchen Parteien. Die Anſichten in
dieſer Frage gingen weit auseinander, doch waren alle Redner
einig, daß mit einer Partei, die ſich nicht zu den freiheitlichen
Prinzipien der Volkspartei bekenne, eine eigentliche Bundesgenoſ-
ſenſchaft nicht möglich sei. undererſeits aber wurde auch zugegeben,
daß vorübergehende Koalitionen mit anderen Parteien der von der
Volkspartei vertretenen Sache dienlich sein könnten; große Vorsicht
ſei hier jedoch geboten, Cine allgemeine Regel aufzuſtellen wurde
als unmöglich bezeichnet. Die Abgeordneten aus Bayern und der
Pfalz, Dr. Kronacher und A. Kröber, sprachen ſich bei dieſer Gele-
genheit Namens der Volkspartei in Bayern und der Pfalz auf's
Entschiedenſte gegen ein Zuſammengehen mit den Ultramontanen
bei den bevorſtehenden Landtagswahlen aus. Schließlich wurde
folgende motivirte Tagesordnung faſt einſtimmig angenommen :
„In Anbetracht, daß die Frage der Koalitionen nur immer
eine Frage ad hoe ſein kann, |tellt die Verſammlung keinen allge-
meinen Grundſag auf und überläßt die Entſcheidung in jedem
einzelnen Falle den betreffenden Gruppen.“ Ess
Der Antrag, das Freidenker-Konzil in Neapel zu beſchicken,
wurde durch einfache Tagesordnung erledigt. Dagegen wurde der
Vorſtand beauftragt, mit dem Ausſchuß der Friedens- und Frei-
heitsliga in Verbindung zu treten. Gleichzeitig wurde er erſucht,
vor Beginn der allgemeinen Wahlen des nächſten Jahres eine
größere Parteiverſammlung auszuſchreiben. ' t
“ Dattit war die Aufgabe des Kongreſſes erledigt. Hofſentlich
werden die Beſchlüſſe mit demjelben Cifer ausgeführt, wie ſie ge-
faßt wurden. Wir ſind marſchirt ſeit Bamberg, das iſt gewiß !
Die wenigen Führer, die damals vor bald zwei Jahren zuſam-
men die traurige Lage des Vaterlandes beriethen, wachſen imnier
mehr zu einer Armee heran. In Stuttgart wurde voriges Jahr
offen die Fahne der Partei entrollt. Cine ſtattliche Schaar hat
ſich unter ihr vereinigt. Sie als aktionsfähige Macht zu organi-
firen, waren wir in Braunſchweig verſammelt. Der Zeitpunkt, wo
ſie Gelegenheit finden wird, ihre Kraft zu erproben, wird nicht
lange auf ſich warten laſſen.
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