M
Js. 70.
m —
Mittwoch, 24. Märze.
1869.
r Abendzeitung.
Organ der deutſchen Volksparlei in Baden.
1
U
uf
I
M
ui
mu
1.1
mii
il
. m
i!
]
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Loksalanzeigen 2 kr. Vfſtellungen bei der Expedition C 1 Nr.
als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
[
Macbeth und Bangquo.
f „Du kannſt nicht sagen, daß ich's that. O ſchüttle
nicht Deine blutigen Locken gegen mich!“ ſo ſprach der
Mörder Macbeth zu dem Geiſte des Gemordeten , der sich
beim Gaſtmahl auf seinem Stuhle niederließ.
Es zirkulirt vom Grafen Bismarck das geflügelte Wort :
„Macht geht vor Recht“, und dieses Wort ſoll gefallen
ſein während des Budget-Konflikts um die Militärreform
in Preußen. Ob das Wort als apodiktiſcher Sat ausgesprochen
oder nur die Quintessenz aus einer jener ſtaatsmännischen
Ungeheuerlichkeiten war, die Graf Bismarck seine „Reden“
zu nennen liebt, iſt füglich einerlei. Die Durchſührung der
Heeresreform ſelbſt, wider den beständig ausgesprochenen
Willen der Landesvertretung, iſt ein draſtiſches : „Macht geht
vor Recht“. Die fernere Behauptung des Grafen vor der
Kammer, als dieſe kein Geld zum Kriege gewähren wollte :
„Wir werden das Geld hernehmen, wo wir es finden“. ist
ein doppeltes: „Macht geht vor Recht“.
Noch jüngst bei dem Lasker schen Antrag im Reichstag,
dem großen „souveränen“ Reichstag, auf ſtrafloſe Redefrei-
heit der Abgeordneten der Einzcllandtage im Norddeulsſchen
Bunde sagte der ſtets „nervöſe" Bundeskanzler: „Ich bitte
Sie, mein Benehmen im Bundesrathe nicht beeinflussen zu
wollen; eine solche Direktive würde ich;:nicht
a cc ept ir en können." Heißt Das nicht ins Versſtändliche
überſezt: Beſchließzen Sie, was Sie wollen, ich werde thun,
was ich will? Oder zum dritten Male: „Macht geht seltji
vor Bundesverfaſſungs-Recht ?“
Und nun erhebt ſich derſelbe Graf Bismarck in dem-
ſelben Reichstage wider den sauerſüßen Grafen Schwerin
und ſpielt den Macbeth: „Du kannt nicht sagen, daß ich's
that“ — oder ſagte, nämlich, daß Macht vor Rech gehe.
Iſt es nicht ſehr anerkennenswerth, daß der Reichstag, der
ſo prächtig Komödie spielt und zwar am Besten die „Ko-
mödie der Irrungen“ und ,BViel Lärm um Nichts“, dann
auch recht leidlich „Die bezähmten Widerspenstigen“, daß
dieſer Reichstag auch einmal den Kothurn unterſchnallt und
Tragödie aufführt ?
Alſo Bismarck-Macbeth: „Du kann.t nicht sagen,
daß ich's sprach.“ j '
Banquo-Schwerin, der hier zur Abwechslung Ant-
wort gibt: „Ich sagte niemals, daß Du's ſpuachſt. Es
ſchien nur ſo, als ob Du's sagen wollteſt. Ich sah dann
ſpäter ein, daß ich mich irrte. Denn Du biſt wahrlich
ehrenwerth, ſehr ehrenwerth.“
Bismarck- Macbeth: „Es freut mich, edler Than,
daß ich Dir ehrenwerth. Wenn's nur die Andern glau-
. zt doch wie hilft man Denen, die nicht glauben
wollen?“
Vorzüglicher Banquo, der erklärt, er sei niemals ge-
mordet worden! Und hjöchſt vorzüglicher Macbeth, der mit
dem Widerruf des Gemordeten ſelbſt nicht zufrieden iſt und
das öffentliche Bewußtsein fürchtet! Das ht sich Shake-
ſpeare entgehen lassen, ſolche Verbesserungen des Textes ge-
deihen nur im poetiſchen Berliner Sande.
HWie aber kommt Bismarck-Macbeth dazu, sein großes
politiſches Symbol, ſein diplomatiſches Wappen: „Macht
geht vor Recht“ jeyt plötzlich ſelbſt zu beanſtanden? Welche
Gründe mag der Mann haben, die öffentliche Meinung
korrigiren zu wollen?
Wäre etwa „im Staate Dänemark etwas faul“?
namentlich in den oberen „maßgebenden“ Regionen? Stieße
der Mann von „Blut und Ciſen“ vielleicht auf Wider-
ſtand, den ihm die frommen Hochtories bereiteten? Sähe
er ſich genöthigt, an seiner Reputation zu scheuern und zu
ſlicken, mit Bous und Stopfnadel zu arbeiten? Hm, das
Ding will faſt so ſcheinen.
_ Ja, er muß ein neues Abenteuer im gräflichen Schilde
geführt haben, irgend eine neue Gewaltthat, und dabei ist
ihm wohl gar eingeworfen worden: es sei genug an dem
vergoſſenen Blut, die blut’gen Locken würden noch immer
von Meduſenhäuptern geſchüttelt, und man ſpüre aller-
höchſten Ortes nigjt die geringste Luſt, noch weitere Kronen
von — anderer Herren Tiſche zu nehmen! Es ſsei die
hq r daß man die „Milch der srommen Dentart"
; zapfe.
: §ctut begann dann der edle Graf die seltsame Pelz-
wäſcherei im Reichstage, hatte kurz nachher wieder „Nerven“
und ſteht nunmehr auf dem Sprunge, abermals das Spital
von Varzin aufzuſuchen. Varzin iſt nämlich die Nerven-
bewahranſtalt für gewaltige Planſchmieder und Kabalen-
fädler; ſind ſie auf der Reiſe nach Varzin oder gar dort
angelangt, ſo herrſcht vorläufig Ruhe in Europa; die Hähne
können abgespannt werden. Gleichzeitig erfahren wir auch,
daß bereits im Juni massenhafte Dienſtentlaſsungen aus
der „großen Armee“ des norddeutſchen Reiches eintreten
sollen, und daß die Sprengbaumwolle zu Paris, unzu-
ſrieden, nicht gegen die Preußen losgelaſſen zu werden, von
selbſt gegen die harmloſen Franzosen losging.
So verstehen wir die Szene im Reichstag. Wenn Bis-
marck anfängt, seine Chre zu retten, ſo weiß er anderswo
keine Chre einzulegen.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 23. März.
* Mir „find.. in der ,ſtillen. Woche": gftill. iſls qutéh
ringsum auf dem Felde der paolitiſchen Tagesereignisse.
Der Telegraph könnte füglich feiern; mindest wären ſeine
Nachrichten über die Komplimente, die der Kaiser von
Osterreich mit dem König von Italien austauſcht, und
über das dem Herrn v. Uſedom beschiedene Glück, vom Rê
galantuomo desſen mit Brillanten eingefaßtes Konterfei er-
kalten zu haben, eben so sehr ohne besonderes Leid zu ent-
behren, als seine heutigen Mittheilungen insgesammt. Die
noch am Wenigsten unbedeutenden derſelben beziehen ſich
auf die franzöſiſch-belgiſche Differenz, bezüglich wel-
cher wir erfahren, daß zwiſchen dem belgiſchen Handelsmi-
niſter und dem franzöſiſchen Gesandten in Brüſſel eine of-
fiziele Erklärung vereinbart worden sei, wonach. das Stu-
dium der durch die Ciſenbahnverträge berührten wirthſchaft-
lichen Fragen und die Aufsuchung von Mitteln zur Feſter-
knüpfung der beiderseitigen Interesſſen die Aufgabe der in
Paris zuſammentretenden gemiſchten Kommission werden
soll. Die Verössentlichung dieser Erklärung iſt auf heute
angekündigt. ;
ej Frankreich hat die Debatte des gesetzgebenden
Körpers über das Aushebungsgesetz den zu erwartenden Aus-
gang genommen. Der Regierung ſind, untec dem Wider-
ſpruch nur einer kleinen demotkratiſchen Schaar, die ver-
langten 100,000 mekruten bewilligt worden. Wenn der
gesſchgebende Körper damit lediglich seiner seit Jahren ge-
pflogenen Uebung folgte, so sind doch die dießmal ſstattge-
habten Debatten, über welche wir unter der Rubrik Frank-
reich deßhalb eiuen ausführlicheren Bericht mittheilen, in
noch höherem Grade, als ihre Vorgänger, zu dem Anspruch
auf allgemeines Intereſſe berechtigt. Nicht um die Ziffer
des Rekrutenkontingents allein und um die dabei maßge-
benden Zustände der politiſchen Lage hat sich die Diskuſſion
bewegt, sondern auch, und faſt in erſter Reihe, um das
Prinzip der stehenden Heere überhaupt und — in einer
beachltenswerthen Gleichzeitigkeit mit den jenseits der Pyre-
näen zu Tage getretenen Strebungen ~ des Crsates der
Aushebung durch die Anwerbung.
Als eine recht gelegene Illuſtration zu der Verherrli-
<ung der ſtehenden Heere durch den französiſchen Kriegs-
miniſter entnehmen wir einem Hamburger Blatte den nach-
ſtehenden artigen Bericht über einen, in vergangener Woche
vorgefallenen Militär exzeß in Wands be >. „Am
Donnerſtag Abend fand in Reißner's Tivoli aus Anlaß
des königlichen Geburtstages ein Fest für die dort garni-
sonirenden Uhlanen stati. Zu gleicher Zeit war in dem
Lotale „Zum schwarzen Bären“ eine gesſchloſſene Liedertafel-
gesellschaft zu einem Balle versammelt, welcher bis etwa 2
Uhr- Nachts in ungeſtörtem Frohsinn verlief. Um dieſe
Zeit drang plötzlich ein Uhlanenoffizier in Begleitung von 2
Chargirten in das Haus und begehrte Einlaß in den Ge-
ſcllſchaftssſaal. Der auf dem Korridor poſtirte Kassier er-
klärte ihm, daß er zu diesem Behufe seinen Namen in die
Liſle der Mitglieder einzutragen und das Entree mit 12
Schilling zu bezahlen habe. Dazu wollte ſich der Offizier
jedoch nicht verſtehen und offerirte einen Thaler als Entree.
Als ihm auch Dies abgeschlagen wurde, verließ er das
Lokal. Das Militär, welches indessen in Reißner's Tivoli
verſammelt war, erhielt von dem Vorfall Kenntniß und,
ohnehin durch Tanz und genossene Getränke err.gt, besſchloß
es, die ihrem Offizier widerfahrene „Schmach“ zu rächen.
Circa 50 Mann marschirten nun in den „Schwarzen
Bären“ und richteten dort mit wahrhaftem Vandalismus
unerhörte Zerſiörungen an. Das. herrliche Kriegsheer“
zerſtörte buchſtäblich Alles, Fenster, Kronen, Spiegel, Stühle,
JInſtrumente, Geschirr, ja ſelbſt die Kreuzsſparren an den
Fenſtern wurden nach Außen geſchlagen. Die Verwirrung,
welche durch dieſe Frevelthat unter der Gesellschaft entſtand,
war natürlich eine ſchreckliche und allgemeine. Alle flüch-
teten aus der drohenden Nähe des Militärs, wobei zahl-
reiche Uhren, Ketten und andere Pretioſen verloren gingen.
Die Tumultuanten entfernten sich erſt, als das Gas aus-
gelöscht wurde. Außer den oben angeführten Beſchädigun-
gen stellten sich auch mehr oder weniger ſchwere Verwun-
dungen heraus."
Deutſchland.
* Aus Baden, 28. März. Wie oft ſchon wurde
die nationalliberale Behauptung von einem Bunde zwi-
schen den „Rothen“ und den „Schwarzen“ zurück-
gewiesen, und immer wieder taucht dieſelbe von Neuem auf,
ſobald nämlich der Nationalliberalismus nicht weiß, anders
als mit einer Unwahrheit oder Unlauterkeit über eine
Schwierigkeit hinwegzukommen. So behauptet neuerdings
die „Bad. Landesztg.“, unsere Demokratie bezwecke, eine
vorübergehende Verbindung zwiſchen Demokratie und Ultra-
montanismus zu Stande zu bringen. Dies iſt eine Un-
wahrheit, wenn auch die Demoktratie nicht große Luſt, oder
gar keine Luſt hat, in die fortdauernde kirchliche Hetzjagd
mit einzutreten und über dem Schimpfen und Wettern
gegen „Schwarze" und „Ultramontane“" die „Schwarz-
weißen“ und deren nicht minder gefährliche Bestrebungen
zu übersehen und zu vergeſſen. Die Sätze des Syllabus
und der Enzykliken ſind nicht mehr verwerslich als die Sähe
des Berliner Staatsrechts und des Berliner Cäſarismus;
gefährlicher aber sind die letzteren, weil ſie von Tauſenden
von Bajonetten geſtütt und vertheidigt werden; gefährlicher,
weil die Menschheit noch so ſchwach und widerſtandsunfähig
iſt, daß sie die ganze Jugend hingibt, um Systeme und
Grundsätze zu verthcidigen, die ihr schwer auf dem Nacken
liegen, Freiheit, Menſchenwürdigkeit und Wohlstand nieder-
halten und vernichten. Die Demokratie bekämpft die Un-
freiheit, wo sie dieſelbe antrifft; sie läßt ſich nicht herbei,
mit der Unfreiheit irgend eine Vereinharung zu treffen,
und Dies mag sich die „Bad. Landesztg.“ ein für allemal
gesagt sein laſſen. Wie unwahr aber die Behauptung der
„Bad. Landesztg.“ ist, mag noch anders als durch unsere
Verneinung nachgewiesen werden. Sehen wir zu, wie man
auf kirchlicher Seite die Behauptung auffaßt, die Kathos-
liken hätten sich mit den Demokraten verbunden. Der
„Bad. Beobachter“ sagt hiezu wörtlich: „Das Chriſtenthum
und die katholiſche Kirche sind mit jeder ſonst zulässigen
Regierungsform verträglich; auch wäre es natürlich, daß
die Katholiken lieber unter Demokraten leben, welche ihnen
volle religiöſe Freiheit gewähren, als in Monarchien, wo
ſie in ihrer Kirche und Schule übermäßig beschränkt und
bedrückt werden. Aber die Demokraten diesseits des Welt-
meers sind nicht Männer der Freiheit, ſondern Männer
der Herrſchaft, welche eine zentraliſirte Staatsallmacht und
Unterdrückung der Freihcit in Kirche und Schule formell
gerade ebenſo wollen, wie die Monarchiſten und Bureau-
kraten. Die Katholiken wiſſen, daß, wenn die Demokraten
dieser Art je an das Ruder kämen in Baden oder überz-
haupt in Deutschland, sie durch dieselben noch viel mehr,
wenn Dieß anders möglich wäre, beſchränkt und gedrückt
würden als jeßt. Ueberdieß müßten die Katholiken keinen
Funken Chrgefühl haben, wenn ſie sich perſönlich mit sol-
cen Gegnern verbinden würden, in deren Zeitungsblättern
die katholische Kirche bei jeder Gelegenheit auf das Gröbſte
insultirt wird. Von einer abſichtlichen politischen Verbin-
dung mit diesen Demokraten kann keine Rede sein. =>
Hält man die beiderseitigen Verneinungen der Behauptung
eines Bundes zwischen Rothen und Schwarzen zuſammen,
ſo bestätigt sich der Sat, wenn Zwei auch das Nämliche
sagen, so iſt es doch nicht Daſſelbe. So viel können unsere
Schwarzweißen aber wohl daraus entnehmen, daß es nicht
allein unredlich – sondern ungeschickt iſt, mit einer Waffe
zu kämpfen, die einem Messer gleicht, welches keine Klinge
hat und an dem überdies noch das Heft fehlt. 771 Zu
B a d en wurde ein zweiter „Bürgerabend“Ü abgehalten und
auf demſelben über Volksbildung, das Genoſſenſchaſtsweſen
und die Beseitigung der Uebelſtände in der Dosbach ge-
sprochen. In dem Fabrikorte Rohmatt haben etwa
100 Arbeiter der Fabrik von Lenz und Fehlmann ſeit dem
13. d. M. die Arbeit eingestellt. Dieselben verlangen den
Nachlaß j riniger wegen Iiesqtesſigl Uto
Strafabzüge und Erhthus des als unzureict nd. bezeich
j p .8 (in Bericht in der „Bad. Ldsztg. will
tte. pts 4z5 vor Kurzem in der Rähe des
betreffenden Ortes abgehaltene Jeſuitenmiſſion zurückführen.
* München, 22. März. Der Redakteur des „Volks-
boten“. Dr. Sigl, wurde heute vom Schwurgericht von
der Antlage der Beleidigung der preußiſchen Regierung
freigesprochen, dagegen wegen Beleidigung des Königs von
Js. 70.
m —
Mittwoch, 24. Märze.
1869.
r Abendzeitung.
Organ der deutſchen Volksparlei in Baden.
1
U
uf
I
M
ui
mu
1.1
mii
il
. m
i!
]
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Loksalanzeigen 2 kr. Vfſtellungen bei der Expedition C 1 Nr.
als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
[
Macbeth und Bangquo.
f „Du kannſt nicht sagen, daß ich's that. O ſchüttle
nicht Deine blutigen Locken gegen mich!“ ſo ſprach der
Mörder Macbeth zu dem Geiſte des Gemordeten , der sich
beim Gaſtmahl auf seinem Stuhle niederließ.
Es zirkulirt vom Grafen Bismarck das geflügelte Wort :
„Macht geht vor Recht“, und dieses Wort ſoll gefallen
ſein während des Budget-Konflikts um die Militärreform
in Preußen. Ob das Wort als apodiktiſcher Sat ausgesprochen
oder nur die Quintessenz aus einer jener ſtaatsmännischen
Ungeheuerlichkeiten war, die Graf Bismarck seine „Reden“
zu nennen liebt, iſt füglich einerlei. Die Durchſührung der
Heeresreform ſelbſt, wider den beständig ausgesprochenen
Willen der Landesvertretung, iſt ein draſtiſches : „Macht geht
vor Recht“. Die fernere Behauptung des Grafen vor der
Kammer, als dieſe kein Geld zum Kriege gewähren wollte :
„Wir werden das Geld hernehmen, wo wir es finden“. ist
ein doppeltes: „Macht geht vor Recht“.
Noch jüngst bei dem Lasker schen Antrag im Reichstag,
dem großen „souveränen“ Reichstag, auf ſtrafloſe Redefrei-
heit der Abgeordneten der Einzcllandtage im Norddeulsſchen
Bunde sagte der ſtets „nervöſe" Bundeskanzler: „Ich bitte
Sie, mein Benehmen im Bundesrathe nicht beeinflussen zu
wollen; eine solche Direktive würde ich;:nicht
a cc ept ir en können." Heißt Das nicht ins Versſtändliche
überſezt: Beſchließzen Sie, was Sie wollen, ich werde thun,
was ich will? Oder zum dritten Male: „Macht geht seltji
vor Bundesverfaſſungs-Recht ?“
Und nun erhebt ſich derſelbe Graf Bismarck in dem-
ſelben Reichstage wider den sauerſüßen Grafen Schwerin
und ſpielt den Macbeth: „Du kannt nicht sagen, daß ich's
that“ — oder ſagte, nämlich, daß Macht vor Rech gehe.
Iſt es nicht ſehr anerkennenswerth, daß der Reichstag, der
ſo prächtig Komödie spielt und zwar am Besten die „Ko-
mödie der Irrungen“ und ,BViel Lärm um Nichts“, dann
auch recht leidlich „Die bezähmten Widerspenstigen“, daß
dieſer Reichstag auch einmal den Kothurn unterſchnallt und
Tragödie aufführt ?
Alſo Bismarck-Macbeth: „Du kann.t nicht sagen,
daß ich's sprach.“ j '
Banquo-Schwerin, der hier zur Abwechslung Ant-
wort gibt: „Ich sagte niemals, daß Du's ſpuachſt. Es
ſchien nur ſo, als ob Du's sagen wollteſt. Ich sah dann
ſpäter ein, daß ich mich irrte. Denn Du biſt wahrlich
ehrenwerth, ſehr ehrenwerth.“
Bismarck- Macbeth: „Es freut mich, edler Than,
daß ich Dir ehrenwerth. Wenn's nur die Andern glau-
. zt doch wie hilft man Denen, die nicht glauben
wollen?“
Vorzüglicher Banquo, der erklärt, er sei niemals ge-
mordet worden! Und hjöchſt vorzüglicher Macbeth, der mit
dem Widerruf des Gemordeten ſelbſt nicht zufrieden iſt und
das öffentliche Bewußtsein fürchtet! Das ht sich Shake-
ſpeare entgehen lassen, ſolche Verbesserungen des Textes ge-
deihen nur im poetiſchen Berliner Sande.
HWie aber kommt Bismarck-Macbeth dazu, sein großes
politiſches Symbol, ſein diplomatiſches Wappen: „Macht
geht vor Recht“ jeyt plötzlich ſelbſt zu beanſtanden? Welche
Gründe mag der Mann haben, die öffentliche Meinung
korrigiren zu wollen?
Wäre etwa „im Staate Dänemark etwas faul“?
namentlich in den oberen „maßgebenden“ Regionen? Stieße
der Mann von „Blut und Ciſen“ vielleicht auf Wider-
ſtand, den ihm die frommen Hochtories bereiteten? Sähe
er ſich genöthigt, an seiner Reputation zu scheuern und zu
ſlicken, mit Bous und Stopfnadel zu arbeiten? Hm, das
Ding will faſt so ſcheinen.
_ Ja, er muß ein neues Abenteuer im gräflichen Schilde
geführt haben, irgend eine neue Gewaltthat, und dabei ist
ihm wohl gar eingeworfen worden: es sei genug an dem
vergoſſenen Blut, die blut’gen Locken würden noch immer
von Meduſenhäuptern geſchüttelt, und man ſpüre aller-
höchſten Ortes nigjt die geringste Luſt, noch weitere Kronen
von — anderer Herren Tiſche zu nehmen! Es ſsei die
hq r daß man die „Milch der srommen Dentart"
; zapfe.
: §ctut begann dann der edle Graf die seltsame Pelz-
wäſcherei im Reichstage, hatte kurz nachher wieder „Nerven“
und ſteht nunmehr auf dem Sprunge, abermals das Spital
von Varzin aufzuſuchen. Varzin iſt nämlich die Nerven-
bewahranſtalt für gewaltige Planſchmieder und Kabalen-
fädler; ſind ſie auf der Reiſe nach Varzin oder gar dort
angelangt, ſo herrſcht vorläufig Ruhe in Europa; die Hähne
können abgespannt werden. Gleichzeitig erfahren wir auch,
daß bereits im Juni massenhafte Dienſtentlaſsungen aus
der „großen Armee“ des norddeutſchen Reiches eintreten
sollen, und daß die Sprengbaumwolle zu Paris, unzu-
ſrieden, nicht gegen die Preußen losgelaſſen zu werden, von
selbſt gegen die harmloſen Franzosen losging.
So verstehen wir die Szene im Reichstag. Wenn Bis-
marck anfängt, seine Chre zu retten, ſo weiß er anderswo
keine Chre einzulegen.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 23. März.
* Mir „find.. in der ,ſtillen. Woche": gftill. iſls qutéh
ringsum auf dem Felde der paolitiſchen Tagesereignisse.
Der Telegraph könnte füglich feiern; mindest wären ſeine
Nachrichten über die Komplimente, die der Kaiser von
Osterreich mit dem König von Italien austauſcht, und
über das dem Herrn v. Uſedom beschiedene Glück, vom Rê
galantuomo desſen mit Brillanten eingefaßtes Konterfei er-
kalten zu haben, eben so sehr ohne besonderes Leid zu ent-
behren, als seine heutigen Mittheilungen insgesammt. Die
noch am Wenigsten unbedeutenden derſelben beziehen ſich
auf die franzöſiſch-belgiſche Differenz, bezüglich wel-
cher wir erfahren, daß zwiſchen dem belgiſchen Handelsmi-
niſter und dem franzöſiſchen Gesandten in Brüſſel eine of-
fiziele Erklärung vereinbart worden sei, wonach. das Stu-
dium der durch die Ciſenbahnverträge berührten wirthſchaft-
lichen Fragen und die Aufsuchung von Mitteln zur Feſter-
knüpfung der beiderseitigen Interesſſen die Aufgabe der in
Paris zuſammentretenden gemiſchten Kommission werden
soll. Die Verössentlichung dieser Erklärung iſt auf heute
angekündigt. ;
ej Frankreich hat die Debatte des gesetzgebenden
Körpers über das Aushebungsgesetz den zu erwartenden Aus-
gang genommen. Der Regierung ſind, untec dem Wider-
ſpruch nur einer kleinen demotkratiſchen Schaar, die ver-
langten 100,000 mekruten bewilligt worden. Wenn der
gesſchgebende Körper damit lediglich seiner seit Jahren ge-
pflogenen Uebung folgte, so sind doch die dießmal ſstattge-
habten Debatten, über welche wir unter der Rubrik Frank-
reich deßhalb eiuen ausführlicheren Bericht mittheilen, in
noch höherem Grade, als ihre Vorgänger, zu dem Anspruch
auf allgemeines Intereſſe berechtigt. Nicht um die Ziffer
des Rekrutenkontingents allein und um die dabei maßge-
benden Zustände der politiſchen Lage hat sich die Diskuſſion
bewegt, sondern auch, und faſt in erſter Reihe, um das
Prinzip der stehenden Heere überhaupt und — in einer
beachltenswerthen Gleichzeitigkeit mit den jenseits der Pyre-
näen zu Tage getretenen Strebungen ~ des Crsates der
Aushebung durch die Anwerbung.
Als eine recht gelegene Illuſtration zu der Verherrli-
<ung der ſtehenden Heere durch den französiſchen Kriegs-
miniſter entnehmen wir einem Hamburger Blatte den nach-
ſtehenden artigen Bericht über einen, in vergangener Woche
vorgefallenen Militär exzeß in Wands be >. „Am
Donnerſtag Abend fand in Reißner's Tivoli aus Anlaß
des königlichen Geburtstages ein Fest für die dort garni-
sonirenden Uhlanen stati. Zu gleicher Zeit war in dem
Lotale „Zum schwarzen Bären“ eine gesſchloſſene Liedertafel-
gesellschaft zu einem Balle versammelt, welcher bis etwa 2
Uhr- Nachts in ungeſtörtem Frohsinn verlief. Um dieſe
Zeit drang plötzlich ein Uhlanenoffizier in Begleitung von 2
Chargirten in das Haus und begehrte Einlaß in den Ge-
ſcllſchaftssſaal. Der auf dem Korridor poſtirte Kassier er-
klärte ihm, daß er zu diesem Behufe seinen Namen in die
Liſle der Mitglieder einzutragen und das Entree mit 12
Schilling zu bezahlen habe. Dazu wollte ſich der Offizier
jedoch nicht verſtehen und offerirte einen Thaler als Entree.
Als ihm auch Dies abgeschlagen wurde, verließ er das
Lokal. Das Militär, welches indessen in Reißner's Tivoli
verſammelt war, erhielt von dem Vorfall Kenntniß und,
ohnehin durch Tanz und genossene Getränke err.gt, besſchloß
es, die ihrem Offizier widerfahrene „Schmach“ zu rächen.
Circa 50 Mann marschirten nun in den „Schwarzen
Bären“ und richteten dort mit wahrhaftem Vandalismus
unerhörte Zerſiörungen an. Das. herrliche Kriegsheer“
zerſtörte buchſtäblich Alles, Fenster, Kronen, Spiegel, Stühle,
JInſtrumente, Geschirr, ja ſelbſt die Kreuzsſparren an den
Fenſtern wurden nach Außen geſchlagen. Die Verwirrung,
welche durch dieſe Frevelthat unter der Gesellschaft entſtand,
war natürlich eine ſchreckliche und allgemeine. Alle flüch-
teten aus der drohenden Nähe des Militärs, wobei zahl-
reiche Uhren, Ketten und andere Pretioſen verloren gingen.
Die Tumultuanten entfernten sich erſt, als das Gas aus-
gelöscht wurde. Außer den oben angeführten Beſchädigun-
gen stellten sich auch mehr oder weniger ſchwere Verwun-
dungen heraus."
Deutſchland.
* Aus Baden, 28. März. Wie oft ſchon wurde
die nationalliberale Behauptung von einem Bunde zwi-
schen den „Rothen“ und den „Schwarzen“ zurück-
gewiesen, und immer wieder taucht dieſelbe von Neuem auf,
ſobald nämlich der Nationalliberalismus nicht weiß, anders
als mit einer Unwahrheit oder Unlauterkeit über eine
Schwierigkeit hinwegzukommen. So behauptet neuerdings
die „Bad. Landesztg.“, unsere Demokratie bezwecke, eine
vorübergehende Verbindung zwiſchen Demokratie und Ultra-
montanismus zu Stande zu bringen. Dies iſt eine Un-
wahrheit, wenn auch die Demoktratie nicht große Luſt, oder
gar keine Luſt hat, in die fortdauernde kirchliche Hetzjagd
mit einzutreten und über dem Schimpfen und Wettern
gegen „Schwarze" und „Ultramontane“" die „Schwarz-
weißen“ und deren nicht minder gefährliche Bestrebungen
zu übersehen und zu vergeſſen. Die Sätze des Syllabus
und der Enzykliken ſind nicht mehr verwerslich als die Sähe
des Berliner Staatsrechts und des Berliner Cäſarismus;
gefährlicher aber sind die letzteren, weil ſie von Tauſenden
von Bajonetten geſtütt und vertheidigt werden; gefährlicher,
weil die Menschheit noch so ſchwach und widerſtandsunfähig
iſt, daß sie die ganze Jugend hingibt, um Systeme und
Grundsätze zu verthcidigen, die ihr schwer auf dem Nacken
liegen, Freiheit, Menſchenwürdigkeit und Wohlstand nieder-
halten und vernichten. Die Demokratie bekämpft die Un-
freiheit, wo sie dieſelbe antrifft; sie läßt ſich nicht herbei,
mit der Unfreiheit irgend eine Vereinharung zu treffen,
und Dies mag sich die „Bad. Landesztg.“ ein für allemal
gesagt sein laſſen. Wie unwahr aber die Behauptung der
„Bad. Landesztg.“ ist, mag noch anders als durch unsere
Verneinung nachgewiesen werden. Sehen wir zu, wie man
auf kirchlicher Seite die Behauptung auffaßt, die Kathos-
liken hätten sich mit den Demokraten verbunden. Der
„Bad. Beobachter“ sagt hiezu wörtlich: „Das Chriſtenthum
und die katholiſche Kirche sind mit jeder ſonst zulässigen
Regierungsform verträglich; auch wäre es natürlich, daß
die Katholiken lieber unter Demokraten leben, welche ihnen
volle religiöſe Freiheit gewähren, als in Monarchien, wo
ſie in ihrer Kirche und Schule übermäßig beschränkt und
bedrückt werden. Aber die Demokraten diesseits des Welt-
meers sind nicht Männer der Freiheit, ſondern Männer
der Herrſchaft, welche eine zentraliſirte Staatsallmacht und
Unterdrückung der Freihcit in Kirche und Schule formell
gerade ebenſo wollen, wie die Monarchiſten und Bureau-
kraten. Die Katholiken wiſſen, daß, wenn die Demokraten
dieser Art je an das Ruder kämen in Baden oder überz-
haupt in Deutschland, sie durch dieselben noch viel mehr,
wenn Dieß anders möglich wäre, beſchränkt und gedrückt
würden als jeßt. Ueberdieß müßten die Katholiken keinen
Funken Chrgefühl haben, wenn ſie sich perſönlich mit sol-
cen Gegnern verbinden würden, in deren Zeitungsblättern
die katholische Kirche bei jeder Gelegenheit auf das Gröbſte
insultirt wird. Von einer abſichtlichen politischen Verbin-
dung mit diesen Demokraten kann keine Rede sein. =>
Hält man die beiderseitigen Verneinungen der Behauptung
eines Bundes zwischen Rothen und Schwarzen zuſammen,
ſo bestätigt sich der Sat, wenn Zwei auch das Nämliche
sagen, so iſt es doch nicht Daſſelbe. So viel können unsere
Schwarzweißen aber wohl daraus entnehmen, daß es nicht
allein unredlich – sondern ungeschickt iſt, mit einer Waffe
zu kämpfen, die einem Messer gleicht, welches keine Klinge
hat und an dem überdies noch das Heft fehlt. 771 Zu
B a d en wurde ein zweiter „Bürgerabend“Ü abgehalten und
auf demſelben über Volksbildung, das Genoſſenſchaſtsweſen
und die Beseitigung der Uebelſtände in der Dosbach ge-
sprochen. In dem Fabrikorte Rohmatt haben etwa
100 Arbeiter der Fabrik von Lenz und Fehlmann ſeit dem
13. d. M. die Arbeit eingestellt. Dieselben verlangen den
Nachlaß j riniger wegen Iiesqtesſigl Uto
Strafabzüge und Erhthus des als unzureict nd. bezeich
j p .8 (in Bericht in der „Bad. Ldsztg. will
tte. pts 4z5 vor Kurzem in der Rähe des
betreffenden Ortes abgehaltene Jeſuitenmiſſion zurückführen.
* München, 22. März. Der Redakteur des „Volks-
boten“. Dr. Sigl, wurde heute vom Schwurgericht von
der Antlage der Beleidigung der preußiſchen Regierung
freigesprochen, dagegen wegen Beleidigung des Königs von