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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. [259] - No. 283 (2. November - 30. November)
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Samstag, 6. November.











Mo unheimer Al

Organ der deulſchen Volksparlei in Baden.














Die „Wannhelmer Abendzeitung" wird -- mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ++ täglich als Abendblatt ausgegeben. Ö

Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der Expedition

Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
ition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bet allen Poſtanſtalten. ;







wu





Politiſche Ueberſiéht.
Mannheim, 5. November.

* Die Zeit iſt da, wie es scheint, wo von dem, was
ruht , Einiges gerüttelt; von dem was ſteht, Einiges zu
Fall gebracht werden sol! + So ſc<reibt Karl Mayer
vom Hohenasperg, nachdem ihn das Erdbeben in der
Nacht des 3. Nov. aus dem Schlafe geweckt. Die na-
tionalliberalen Ehren-Blätter auf der ganzen Linie werden
ohne Zweifel diesen Ausspruch sofort als einen revolutio-
nären deuten und jammern: wie in Bayern .. . ſo in
Württemberg lehnen die Preußenhaſser, di- doch die
Selbstſtändigkeit der einzelnen Staaten wollen , ſich gegen
die Exiſtenz dieser Staaten auf. Hier muß nun betannt-
lich satt Haßt gegen Preußen ~ Haß gegen die Ver-
preußung gesett und ferner berückſichtigt werden, daß die
Erhaltung der Selbſtſtändigkeit der einzelnen deutſchen
Länder nicht gleich der Erhaltung der Kronen in denselben
iſt, und dieß um so weniger, als ja verſchiedene Kronen
mit den Parteien gehen, welche vorzugsweise gewillt sind,
den Bestand dieſer Kronen dem preußiſchen Einheitsſtaate
zum Opfer zu bringen.

Die Vereinbarungen zwiſchen O eſterrei c und der
Türkei gehen dahin: Die türkiſche Regierung verpflichtet
ſich, die Grenze der Herzegowina und Albaniens zu ſper-
ren, und Oeſterteich wird nur wenn sie dieſe Sperre
nicht in ausreichendem Maße durchzuführen im Stande sein
ſollte, seine Hilfe dazu leihen. Die türkiſche Regierung ge-
ſtattet endlich den öſterreichiſchen Truppen behufs ihrer
Oherationen gegen den Aufstand in Dalmatien (nicht ge-
gen eine etwaige Bewegung auf ottomaniſchem Gebiet)
die Grenze der Herzegowina zu überſchreiten, und wird
jenen Keen auch sonst jeden irgend möglichen Vor-
ſchub leiſten.
Zu P aris hat eine Wählerverſammlung stattgefun-

den, in welcher die Frage : ob man Eidesverweigerer
wählen oder nicht wählen ſolle, beſprochen – aber nicht
erledigt wurde. Herr Rochefort hat das ihm vorge-
legte Programm des ersten Pariſer Walhlbezirks gut-
geheißen. Das Programm ist dasjenige der Republikaner
von 1792. Rochefort erklärt, daß er es in der Ausfüh-
rung nur noch mehr betonen werde. ,„Denn = ſo
ſchreibt Rochefort ~ die Aufgabe des Abgeordneten iſt
heut zu Tage nicht nur, unsere Rechte zurückzuverlangen,
ſondern ſie auch mit allen erdenklichen Mitteln wieder zu
erobern. Bisher liefen alle Verſprechen, die man uns
gemacht hat, auf Verräthereien hinaus. Alle Freiheiten,
die man uns oktrohirt hat, verwandelten sich in Fallstricke.
Da denn die Despoten eine so unbegreifliche Genugthuung
empfinden, die Völker zu erdrücken oder zu verdummen,
so iſt es Zeit, ihnen nicht durch Worte , sondern durch
Akte zu zeigen, daß dieß nicht ohne einige Gefahr aus-
führbar iſt . . . Die Regierung vervollkommnet ihre
Waffen; vervolllommnen wir die unfrigen . . . Unsere
Waffen ſind : die individuelle Freiheit; erträgliche Geſete,
welche nicht den Bürger, der einem Miniſter mißfällt,
nach Cayenne oder nach Charenton in den Tod ſchicken;
vie Veranlworktlichkeit aller Verbrecher, mögen ſie Beamte
ſein oder nicht; der unentgeltliche Unterricht ; die Ab-
ſchaſſung der skandalösen Gehälter; das Recht , sich in
einem Saale zu verſammeln und seine Ansicht 'in einer
Zeitung auszusprechen ; kurz, das ganze Arsenal jener
unerläßlichen Freiheiten, welche machen, daß Diejenigen
die ſie besizen , Menschen und Diejenigen, die ſie nicht
besitzen, Bestien ſind.

Deutſchland.

* Mannheim, 5. Nov. Das Erkenntniß der hie-
ſigen Straf kammer in der Anklageſache gegen An-
walt Schulz von Heidelberg, wegen Erregung von Haß
Yul ſ. w. lautet auf Freiſprechung. – Nachdem von der
Kammer das Geseg über Erweiterung der Zuständigkeit
der Schwurgrrichte in politiſchen Vergehen angenommen
iſt, bemertt ein Karlsruher Offiziöser im „Schw. M.“
ſtill lächelnd : daß die ultramontane Preſſe bei dieser Ge-
legenheit ſchlimmer fahren werde , sei faſt mit Beſtimmt-
ff heit vorauszuſehen. ~ Zum Berichterſtatter der Kammer-
| kommission für die Vorlage über das Stiftungswesen iſt
der Abg. Grimm gewähit worden.
* Aus Baden, 5. Nov. Nachträglich wird uns
noch der Vorwurf gemacht, wir hätten bei Veröffentlichung
der Gedentblätter an die Creigniſſe von 1849 nur die
Urlrtheilsſprüche der Standgerichte angeführt, aber ver-





| | geſſen, anzugeben: „welcher Vergehen und Verbrechen ſich

die Verurtheilten ſchuldig gemacht hätten“, und ferner
hätten wir unterlassen, anzugeben, „daß alle Diejenigen,
gegen welche von den Gerichten auf Zuchthaus erkannt
worden war , nur den geringſten Theil ihrer Strafen ver-
büßten, sondern alsbald durch die Gnade ihres Fürſten
aus den Gefängniſſen wieder befreit wurden.Ü

Die Vergehen und Verbrechen, wegen derer damals
Urtheile erfloſſen, ind Hochverrath, Theilnahme am Hoch-
verrath, Treubruch , Meuterei, Anstiftung zur Meuterei,
Landesverrath , Widerſtand gegen die bewaffnete Macht
u. s. w. Das bekannte Regiſter . . . und es war wohl
in keinem einzigen der aufgeführten Fälle erforderlich,
noch besonders hinzuzuſeßen, wegen welcher Anſchuldigung
das Urtheil erflosſen. Mußten doch Beweise für die Er-
härtung des Verbrechens oft recht weit hergeholt werden:
ſo bei dem unglücklichen V. Streuber, wo nach dem Be-
richte eines Zeitungsblatttes aus jener Zeit : „nicht die
Thatsachen“ vorlagen, welche nach dem Standrechts - Ge-
seße den Thatbesſtand des Hochverraths ausmachten , ſons-
dern der Staatsanwalt veranlaßt war, „durch juristische
Ausführungen den Beweis der hochverrätheriſchen Thätigkeit
des Angeklagten herzuſtellen.! – HWas den zweiten ver-
zeichneten Vorwurf betrifft, so iſt richtig, daß die zu
Zuchthausſtrafe Verurtheilten nicht alle die ihnen zuer-
theilte Strafe vollſtändig abzuſizen hatten; es iſt aber
auch richtig, daß die Betreffenden Gnadengesuche ein-
reichen, daß sie Wohlverhalten geloben mußten und es iſt
ferner richtig, daß lange Zeit hindurch in der in- und
auständischen Preſſe die Erlaſſung einer Amnestie befür-
wortet wurde , daß aber bis heute eine ſolche vol lſtä n-
dig nicht erfloſſen iſt. Unterm 10. Okt. wurden wir
ersucht,, eine Zuſchrift zu veröffentlichen , in welcher es
heißt: „Bis heute iſt noch nicht das mit Sequeſter be-
legte und in Abfindungsſummen dem Gr. Fiskus gezahlte
Vermögen weder den Betroffenen noch dercn Fanilien
zurückerstattet worden“ und dieß nicht, obgleich daſselbe
seit Jahren in Oesterreich geschehen sei. Heute soll als
Antwort auf den gegen uns gerichteten Angriff diese Zu-
ſchrift eine Stelle finden. :

Auch in der letten Sitzung der Zweiten Kammer
kam die Rede auf die Ereigniſſe von 1849. Der Abg.
Lindau kam darauf zu sprechen und der Abg. v. Frey-
dorff erwiderte. Wir haben das Nähere schon mitgetheilt.
Hr. v. Freydorff, der damals als Staatsanwalt vor dem
Schwurgerichte fungirte, bestätigte, daß er unter ähnlichen
Verhältnissen ähnlich verfahren werde. „Schade um die Ge-
legenheit“ — so antwortet die innerhalb der ſchwarzweißen
Grenzpfähle erſcheinende „Frf. Ztg." + und führt
ferner aus : „Wir muthen dem Miniſter des Auswärtigen
ſeit 1866 nicht zu, zu begreifen, daß die Politik unſerer
Reaktionsperiode eine kurzsichtige, kleinliche und rachJqüchtige
war. Obgleich in der ganzen kultivirten Welt das Ver-
fahren der damaligen Regierung , welche in jedem Dörf-
chen einen Hochverräther suchte und nicht mehr Einzelne,
sondern das ganze Land bestrafte, als ein fehlerhaftes
verurtheilt iſt; ſo geht es eben über den Horizont ge-
wisſer Leute, namentlich derer, welcher der Blut- und
Eiſenpolitik huldigen , es einzuſehen , daß eine Regierung
in derartigen Lagen besſſer daran thut, im eigenen Inte-
reſſe und im JIntereſſe der Zukunft des Landes die
ſtaatsmännische Ruhe nicht zu verlieren, als mit Pulver
und Blei die Leiden eines Landes zu verewigen. Welcher
Politik man Jich von dem gegenwärtigen Leiter des Mi-
niſteriums des Auswärtigen zu verſehen hätte: das iſt
hiernach eben so gewiß, als seine Beurtheilung der Ereig-
niſſe des Jahres 1849 ſich nicht über das abgeſchmackte
Parteiresonnement erhebt, welches der inkarnirte Servilis-
mus der darauf folgenden Redaktionsperiode unter stand-

rechtlicher und kriegszuſtändlicher Unterdrückung jeder ent-

gegenſtehenden Meinung mit Gewalt zu verbreiten ſuchte
und in der That. auch eine Zeit lang verbreitet hat.
Darnach hätten wir es im Jahre 1849 nur mit einer
großh. badiſchen Hochverrathsaffaire, nicht mit einem Akte
der großen deutſchen Freiheits- und Cinheitsbewegung zu
thun gehabt! Die Reichsverfaſſung sei nur emVorwand
für dieselbe gewesen ; Baden habe ſie ja zuerſt anerkannt!
Hat der Herr Miniſter vielleicht vergeſſen , daß die badi-
ſchen Truppen über den Neckar und gen Frankfurt mar-
ſchirten; daß man jeden Augenblick auf den Anschluß
Württembergs wartete ; daß der Anſchluß Rheinbayerns
erfolgt und daß es keine Schuld der badiſchen Bewegung
war, wenn sie ſich nicht über alle deutſche Lande ver-

breitete und uns die spätere jämmerliche Idee eines Klein- |



deutſchland und die noch jämmerlichere Erſcheinung eines
Norddeutſchen Bundes erſparte ? Auch heute spricht man
wieder von einer Einheitshewegung. Der Unterſchied von
heute und damals ist klar. Damals verſuchte das Volk
auf dem Wege der Freiheit die Einheit ohne Herrn von
Freydorff zu erringen ; heute will uns Hr. v. Freydorff
zur Cinheit ohne Freiheit führen. Sehe er zu, daß es

ihm besser gelinge. Auch der neueren Einheitsbewegung

gegenüber hat ein anderer Staatsanwalt auf gewiſſe Pe
ragraphen des Strafgeſeßbuches hingewieſen. Sie erreichen
freilich den Sieger nicht; ſie verurtheilen aber unbarm-
herzig den Mißerfolg und wer an der schwierigen Aufgabe
der deutſchen Einheit arbeitet, thut gut, das Schictſal
nicht herauszufordern.“

y Aus dem Oberland, 4. Nov. Es läßt ſich

kein traurigeres Unterfangen denken als der Mißbrauch
der Schule von Seite der Lehrer zur Einwirkung auf
die Schüler im Sinne einseitiger Parteirichtungen. Wohl
iſt durch die Durchführung des Prinzipes der Trennung
von Schule und Kirche hierin bei uns Manches besſer
geworden, jedoch auch noch nicht Alles geleiſtet, was man
an ein modernes Schulweſen anzufordern hat. Doch hier-
über vielleicht ein ander Mal Shezielleres. Für heute sei dar-
auf aufmerktſam gemacht, wie der Nationalliberalismus, dem
ja die Mehrzahl unserer Lehrer aus naheliegenden Gründen
huldigen in den Räumen ſich bereit macht, die dem reinen Hu-
manismus geweiht bleiben ſollen, der Nationalliberalismus, der
gerade mit Allem, was die Klaſhizität Großes und Schönes
bietet, im diametralen Widerspruche ſteht. Statt ſich an
den erhabenen Beiſpielen der Tugend , Vaterlands- und
Freiheitsliebe, welche uns die alten ſüdeuropäiſchen Ger-
meinwesen überliefert haben, zu kräftigen, muß immer
mehr von den Schülern der Gelehrtenſchulen troy aller
Abmahnungen freiſinniger Geschichts- und Schulverſtän-
diger jener im Kreiſe der deutschen Jugend widernatürliche
Byzantinismus kultivirt werden. Wenn der Lehrer es
etwa nicht ſelbſt gewünſcht hat, warum rieth er nicht
wenigſtens ab, wenn ein Schüler beim Schlußakt einer
badiſchen Mittelſchule in lateiniſcher Rede den Kaiser
Trajan verherrlicht? Was war denn das Reſultat der
so zärtlich besungenen Waffenerfolge dieses Herrn ? Gaben
seine „herrlichen“ Siege ihm nicht die Veranlaſſung zu den
widersinnigſten Verſchwendi.ngen ? Wird der Jugend wirk-
lich abſichtlich der Unfug von 123tägigen Festen mit
Fecht- und Thierſpielen , ausgeführt von einer Armee
von 10,000 Gladiatoren und 11,000 wilden Thieren ver-
ſchwiegen? Gibt es nichts Würdigeres für eine Jugend-
arbeit, als die blutigen Lebensläufe kriegeriſcher Zäs
aren?!
! Nun noch ein anderes Bild ? Beim Leſen eines
Klaſſikers in der Schule kommt das Wort „Konsul“ vor.
Run, was iſt ein Konſul? Gibt's jezt auch noch Kotts
ſuin ? Ja! Aber ſseht liebe Schüler, in Rom wär's
vor Kurzem einem Künſtler bald ſchlecht ergangen. Der
Konſul seines Landes (Württemberg) konnte ihn nicht
mehr schützen, denn die Konſuln kleiner Länder stehen in
keinem Ansehen. Erſt als der preußiſche Konſul sich des
Künſtlers annahm, gaben ihn die römiſchen Schergen frei.
Wie gut ist's, einem großen und mächtigen Lande anzu-
gehören : Da kann man erst ruhig und geachtet im Aus-
land exiſtiren e. ~~ Der Herr Profeſſor hat ſcheint's
nicht an die Sicherheit gedacht, welche die Konſuln der
Schweiz ihren Landsleuten im Ausland gewähren und
wahrscheinlich auch einige Fälle nicht im Kopf gehabt,
wo Preußens Konſuln ihre Landsleute in der Palſche
ſtecten liesen. Gut daß der Profesſor weit weg iſt von
der preußiſch-ruſſiſchen Grenze! ~ Schließlich aber hatten
die Schüler das Vergnügen, in den Zeitungen eine nicht
unwesentliche Brrichtigung der Thaſſache zu lesen, au
welche der Herr Professor seine politiſchen Erkurſionen baſirt
hatte. Sehr merkwürdig iſt auch der folgende Kaſus.
An einem Lyzeum in Baden gibt es einen philologiſch ge-
bildeten Lehrer, welcher zur Erklärung römischer Antiqui-
täten, z. B. des Münzwesens in der Klasse den S chülern
als Autorität Julius Schulze's populäre Vorträge über
Sozialwissenschaft zitit und ihnen daraus vorlieſt.. Zu
tvas haben denn die Lyzeen und Gymnasien toſtbare
Bibliotheken, wenn ſchon die Erzeugniſſe der Dilettanten-
federn zum klaſſiſchen Unterricht als Bildungsmittel hin-
reichen? Doch – manus manum lavat iſt ja auch latein!
Und warum ſoll, wer die Beamten und Bürgermeister in
der „Badiſchen Chronik“ zu belehren berufen worden iſt,
nicht gut genug sein, für die Jugend, die später ja auch
Beamter oder Bürgermeister werden will ?


 
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