X 199.
Dienſtag, 24. Auguſt.
1869.
Organ
n E .
. f w E , ;
it . B H Z|
. E ; . ;;
der deulſchen Vollksparlei in
G zo
[ U zu: Ä: TH Y: / ~
. Y cas j, i
Paden.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Felltage
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
. täglich als
Bestellungen bei der Expedition C 1 Nr.
Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchaeg
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
IE
Laßt Euch warnen!
H. Den Krieg haben ſie langer Hand vorbereitet, jetzt
häkeln sie am Kriegsfall. Wenn's das Volk in Frauk-
reich duldet, ſo werden die blauen Bohnen lroy alledem
gesät werden. In Deutschland ist kein Widerstand; dieses
Volk läßt sich treten und zerren, heute in die Reaktion
hinein, morgen in die Cinheits-Knechiſchaft und in den
Krieg. Thun will es ſelbſt nichts, es will „gemacht"
ſein, ſein alter Schwindel iſt zur vollendeten Paſſivität
eworden.
ß Raiſonnire doch um Himmels Willen kein blinder
Germane mehr über die Demoraliſation der Franzosen,
iber das dekrepite Frankreich, über die zum Untergang
beſtimmte Nation. Seit dem fünften Dezember 1851
hat ihre Knechtſchaft die unserige diktirt, wir erlitten die
Konſequenzen des Mord-Dezember; aber sie haben im
Mai und Juni dieſes Jahres 1869 die Köpfe wieder er-
hoben, ein mächtiges stolzes Programm in die Welt ent-
ſandt, und wenn uns Jemand den abſcheulichen Bruder-
trieg unter~gebildeten, fleißigen, benachbarten Völkern er-
spart, ſo werden sie es thun, indem sie ihren Bonaparte
an die Kette legen.
Haben wir Deutschen uns gerührt seit dem traurigen
Fall der demokratischen Freiheit? Haben wir nur einen
gründlichen Haß bewiesen gegen die unverſöhnlichen Feinde
alles freien Volksthums? Wie wenige Prinzipienmenschen
haben wir unter uns, da doch ohne die Unviegſmtkeit
der Prinzipien nichts in der Welt zu Stande tommt ?
Um Neue Aera haben wir gebeten und gebettelt, und
wenn man sie uns in Gnaden gewährte, ſo haben wir
gewedelt. Den 19. Januar der Franzoſen wußten wir
zu verſpotten und die „Krönung des Gebäudes“ war uns
ein angenehmer Gegenstand der Ironie; aber daß der 1 .
Januar seit 1866 bei uns in Permanenz war, das über-
ſahen und ignorirten wir ſuperklug.
Die hohen Herren haben den Krieg langer Hand vor-
bereitet, jetzt tifteln ſie emſig am casus belli, und gerade
bei uns in Baden wird ein gut Stück des Netzes gehä-
kelt, in welchem der Friede Europa’s gefangen werden ſoll.
Die künſlliche offizielle Mehrheit unſeres Landes ar-
rangirt die Lücke auf dem politischen Schachbrett, auf
welche die Thürme und Springer zuſtreben, um Schach
dem König, Schach dem Cäsar zu rufen. Unsere offizielle
Mehrheit verlangt ſehnſüchtig nach der unmöglichen Ein-
heit Deutschlands unter den Krallen des Hohenzollern-
Adlers, einer Einheit, die weder national noch interna-
tional slattfinden kann und darf. National nicht, denn
die Nation gibt sich damit ſselbſt auf, wirst ihr Erſtge-
burtsrecht dumm-feige weg, begibi sich aller Anſprüche
von der Völkerwanderung bis zu der Reichsverfaſſung von |.
1849, und macht ſich zu Werkzeugen einer ſchnöden Ge-
waltpolitik. Jnt erna tio nal nicht, denn die Ho-
henzollern’sche Fahne am Oberrhein und Bodensee ist die
Bedrohung der Schweiz und der Handſchuh für Deutſch-
. Oſterreich,, der Umſturz jedes europäiſchen Gleichgewichtes.
Indem das offizielle Baden sich für dieje gefährliche Um-
wälzung ausſpricht, gibt es der Berliner wie der Pariſer
Politik die Handhabe zum Kriege, zum augenblicklichen,
mördetriſchen Kriege.
Tas offizielle Baden ladet alſo die Verant wortung
dafür auf ſich, daß es die Freiheit geopfert, die deutsche
Bestimmung ver ... laſſen und den Krieg herbeigeführt hat.
Wisſen und bedenken das unsere unerschöpflichen Redner
auch, unsere Lamey, Kieser, Eckhard, von den Bluntſchli
u. Kons. gar nicht zu reden, welche längſt Alles gewußt
und bedacht haben? Ist denn in jenen braven Leuten
und schlechten Muſikanten gar kein Gefühl für die Ehre
des Volkes, gar tein Versſländniß für die Lage der Dinge ?
Sind sie schlechterdings stockttaub und staarblind ? Wir
fragen sie in der zwölften Stunde allen Ernſtes, ob
Deutſchland entweder Bismarckiſch oder von Bonapartiſchen
Kohorten zertreten werden soll ? Ist es denn unumgäng-
lich nothwendig, daß unser ſchönes Land, ein Garten
Deutschlands, zu den preußischen Heerſchaaren, deren Fuß-
tapfen bei uns noch unverwiſcht ſind, auch noch die fran-
zöſiſchen einlade, um die Spuren beider mit einander ver-
gleichen zu können?
Von Berlin geht im Augenblicke wieder die diploma-
tische Krakchlerei gegen Oeslerreich aus ; der lauernde Pa-
tient von Varzin möchte wiſſen, wie kühn und sicher
Osterreich auftritt und wie viel Hundderttauſend Fran-
zoſen hinter ihm stehen. Blizt er dort ab, so folgt der
badiſche Schachzug und er wird in Paris handiren, wie
viel öſterreichiſche Armeekorps hinter Frankreich stehen.
Und die Möglichkeit dieſes Schachzuges verſchuldet einzig
und allein das offizielle Baden.
Cs ist eine Verblendung, die ihres Gleichen ſucht ;
es herrscht eine Abſichtlichkeit dabei, welche vor Mit- und .
Nachwelt straffällig sein wird. Es iſt unglaublich, aber
unläugbar, was vor unſern Augen vorgeht. Mir kreuzen
die Arme und was noch von Stimme in uns iſt, das
warnt, warnt, warnt.
Politiſche Uebersicht.
| Mannheim, 23. Auguſt.
* Die letzten Mittheilungen über die in München von
der Bundesliquidationskommiſſion beſchloſſene Fe ſtu n g s-
kommission bestätigen, daß Preußen zwar nicht un-
mittelbar in dieser Kommiſſion vertreten ſein wird ; daß
ihre Beſchlüſſe aber an die „Ansichten“ Preußens mehr
oder weniger gebunden ſind, und daß Preußen auf dem
belichten Wege des „Hintenherum“ die maaßgebende
Stimme in der Kommission erlangt hat. Die Süddeutſchen
offiziellen Waſſer plätſchern munter durch das Wehr am
Maine. Den Gruß der „Tauber :“ Das Haupt Deutſch-
lands iſt und bleibt der König von Preußen, erwiedert
Rudolf Schramm in dem Verse: „Der Tag, der festliche,
iſt nun erſchienen, an dem ſich Deutschland seines Kaiſers
freut." Besondere Kennzeichen ~ bemerkt die „Zukunft“
ſpöttiſch ~ fehlen.
In Be rlin iſt von der Aufhebung der Zeitungs-
ſtempels die Rede. Nochdem diese Belaſtung der Presse
in Holland beseitigt; nachdem aus Paris verlautet, es
sei in Frankreich die Abschaffung des Zeitungsſtempels
beabsichtigt: weiß ein Hamburger Blatt zu berichten, auch
die Berliner Regierung solle an die Aufhebung dieser
Steuer denten. Man wird gut thun, hieran zu zweifcln
bis die Vorlage an den Landtag vorliegt . . .
Der neue fra nzösiſche Kriegs miniſter, General
Leboeuf iſt 60 Jahre alt. Er hat die Feldzüge von 1837,
38, 39, 40 und 1841 in Algerien, die von 1854 und 1855
im Orient und den von 1859 in Italien mitgemacht. Er
iſt einer der ſchönjien Männer der Armee und hat ſich in Folge
seines mehrſach bewicsenen glänzenden Muthes einer großen
Popularität in der Armee zu erfreuen. An seinen Eintritt
in das Kriegsminiſterium ſoll sich, wie versichert wird, die
Abschaffung der großen Armeekorps knüpfen. Diese Erfin-
dung des Kaiserreichs iſt nirgends beliebt und würde die
Aushcbung der großen Kommando's wohl allgemein begrüßt
werden.
In Belgien ſoll in der Thronrede bei Cröffnung
der Kammern die Vorlage eines Ministerverantwortlichkeits-
gesetzes ang kündigt werden.
Aus Ro m wird zugegeben, daß nahezu 300 Bischöfe
den Beſuch des Konzils abgelehnt haben ; aber wider-
sprochen, daß der Papſt auf den Rath der Kardinäle die
Eröffnung des Konzils hinausgeſchoben hätte.
Die portugieſiſche Deputirtenkammer hat den
Antrag auf Entschädigung der engliſchen Südoſtbahn-
Gesellſchaſt genehmigt.
Ziwiſchen der Türkei und Persien iſt ein pro-
viſoriſches Uebereinkommen getroffen worden, in Bezug der
Festſtellung der beiderſeitigen Gebietsgrenze.
In Rußland bereitet der Juſtizminiſter einen Ge-
seßentwurf über die Einführung der S < w urg e-
r i < t e vor.
Die Deputirtenkammer in Griechenland hat einen
Gesetzesentwurf , betreffend die Aufnahme einer ? nleihe
von 9 Millionen Drachmen genehmigt. Die Regierung
hat der Kammer weiter einen Geſeßzentwurf vorgelegt,
betreffend die Durchstechung der Landenge von Korinth.
ss Deutſchland.
/. Pforzheim, 22. Aug. Geſstern hatte ich zum
erſten Male Gelegenheit den Zug Nr. 134 zu benüyen,
der von Carlsruhe nach Pforzheim fährt und da bot ſich
mir ganz von ſelbſt das Vergnügen eine jener herrlichen
Blüthen zu bewundern, welche der deutsche Bureaukratis-
mus im Allgemeinen und ſpeziell der badiſche Verkehrs-
Zopf treibt.
Bis Wilferdingen, alſo sſo lange der Zug in der
Cbene fährt, ſchien alles ordnungsmäßig zu gehen; von
da ab aber fuhr derselbe mit ſolch vorsichtiger Langsamteit,
daß der Unerfahrene wenigste ns einen Achſenbruch an-
nehmen durfte. Auf Befragen erfuhr ich aber, daß dieſer
Zug ſtatt der üblichen Fahrzeit von einer Stunde, eine
Stunde 35 Minuten unterwegs zuzubringen hat; daß
es daher der äußerſten Berechnung des Zugmeiſters wie
des Locomotivführers bedürfe, um nicht vor der reglements-
mäßigen Zeit in Pforzheim anzukommen und dadurch in
Strafe zu verfallene. In der That mußten wir in der
nächſten Station vor Pforzheim, in Iſpringen, ſünf Minuten
warten, um nicht zu früh in Pforzheim einzutreffen, ob-
gleich wir von Wilferdingen bis daher ~ auf einer Weg-
ſtrece von drei Stunden — eine, ſage eine Stunde
gebummelt hatten. Ueber die Ursache dieser angenehmen
Fahrweise zerbrachen wir uns Alle die Köpfe, konnten
aber keine andere Erklärung finden, als daß man höhern
Orts die Geduld des Volkes prüfen will, ob dieſelbe ſo
ausdauernd ist, als es die gegenwärtigen Verhältnisse er-
fordern. Wenn aber die großh. Direttion der Verkehrs-
anstalten einen andern, stichhaltigen Grund hat, warum
der fragliche Zug 35 Minuten länger unterwegs ſein
muß, als die übrigen Züge von Karlsruhe nach Pforzheim,
so würde das Publikum ihr jedenfalls ſehr zu Dank ver-
pflichtet ſein, wenn ſie damit nicht hinter dem Berg halten
wollte.
* Aus Baden, 23. Aug. Unsere Bismärcker
mögen sich unangenehm berührt fühlen, von der Ausbrei-
tung der Klöster in Preußen, von dem neuesten Crlasse
des kgl. Konſiſtoriums in Berlin, gegenüber dem Protes
ſtantenverein (ſ. Berlin). An dem Fanatismus, mit wel-
chem sie Für die Verpreußung Deutschlands eintreten, ver-
mag jedoch dieses Alles und noch Anderes nicht zu än-
dern. „Wenn es auch nirgends offen ausgeſprochen und
anerkannt wurde, so iſt doch der K önig von Preußen
selbſt das Ha upt von ganz Deutſchlan d und wird
es bleiben‘. So jubelt die „Tauber“ auf, welche in letz
terer Zeit dazu erkoren ſcheint, den Mauerbrecher der
Bismärckerei abzugeben und alles Das in die Öffentlich-
keit hinauszubringen, was man in den „,gewiegteren Or-
ganen“ der Bismärckerei noch nicht auszuſprechen wagt.
Der König von Preußen iſt „d o ch“ das Oberhaupt von
ganz Deutſchland ~ alſo auch von Baden. „Wenn es
auch nirgends offen ausgeſprochen und „anerkannt“ wurde,
so iſt es „doch“ der Fall. In der That eine der größten
Zumuthungen, die man einem Volke machen kann; ihm
frech in's Gesicht zu ſagen : wenn Du auch noch nichts
davon geſagt bekommen haſt . . . Du biſt dennoch ſchon
unter die Oberherrſchaft des Königs von Preußen ge-
| bracht. Was du noch von Selb=tſtändigkeit wahrnimmſt,
iſt eitel Trug und Schein: das Haupt von ga nz Deutiſch-
land iſt der König von Preußen. Man hat guten
Grund, zu vermuthen, daß die „Tauber“ der Karlsruher
Regierung nahe ſteht und zu offiziösen Mittheilungen be-
nütt wird. Iſt dieß wirtlich der Fall, so iſt die oben
mitgetheilte Behauptung der „Tauber“ eine ſehr bezeich-
nende und läßt das Volk in Baden erkennen, wie weit es
gekommen . . . auf Schleichwegen unter die Herrſchaft des
Königs von Preußen, des Hauptes von ganz Deutſchland.
Knieet dann nieder, ihr Alle, die ihr noch an der Selbſt-
beſtimmung des Volkes festhaltet, damit ihr den Gnaden-
stoß empfſangct; ihr, die ihr nicht glaubet an die irdiſche Gott-
heit in Berlin und Varzin und die Hohenprieſter Jolly
und Beyer und wessen Namens ſie alle ſind.
Was noch nicht da war, erklärt der „Bad. Beobachter“
aufzuweiſen. Neun Preßtlagen von Staatswegen näm-
lich; alle neun zu gleicher Zeit anhängig; alle neun aus
der kurzen Periode von knapp 3 Monaten. Das ge-
nannte Blatt verspricht an seine Freunde und Partei-
genossen „eine vertrauliche Mittheilung über dieſe ganz
außerordentlichen, noch nie dageweſenen Verhältnisse."
Die zu Lörrach abgehaltene Djözes an - Synode
hat beſchloſſen, an den evang. Obertirchenrath die Bitte
zu richten, derselbe, reſp. evangel. Generalſynode wolle er-
klären, daß, nachdem der Charfreitag und der Buß- und
Bettag den Staatsschuß verloren, die evang. Kirche auf
den Staatsſchutz auch für die zweiten Feiertage verzichte.
Maßgebend für diesen Beschluß war die Erwägung, daß
nur diejenigen Festtage beizubehalten ſeien, welche im re-
ligiösen Bewußtsein der Gemeinde ihren Halt hätten, und
daß die in Rede ſtehenden in der öffentlichen Meinung
gerichtet seien. Der Antrag, die im Gebrauche befind-
liche bibliſche Geschichte abzuschaffen .und jeder Gemeinde
das Recht der Einführung einer ihr genehmen bibl. Ge-
schichte zu gewähren, wurde abgelehnt ; dagegen der wei-
tere. auf Einführung einer Schulbibel angenommen.
Ebenso der Antrag, die Synode wolle ſich für Einfüh-
rung der obligatoriſchen Zivilehe aussprechen. Der An-
trag wurde mit großer Majorität, gegenüber einer Mino-
Dienſtag, 24. Auguſt.
1869.
Organ
n E .
. f w E , ;
it . B H Z|
. E ; . ;;
der deulſchen Vollksparlei in
G zo
[ U zu: Ä: TH Y: / ~
. Y cas j, i
Paden.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Felltage
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
. täglich als
Bestellungen bei der Expedition C 1 Nr.
Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchaeg
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
IE
Laßt Euch warnen!
H. Den Krieg haben ſie langer Hand vorbereitet, jetzt
häkeln sie am Kriegsfall. Wenn's das Volk in Frauk-
reich duldet, ſo werden die blauen Bohnen lroy alledem
gesät werden. In Deutschland ist kein Widerstand; dieses
Volk läßt sich treten und zerren, heute in die Reaktion
hinein, morgen in die Cinheits-Knechiſchaft und in den
Krieg. Thun will es ſelbſt nichts, es will „gemacht"
ſein, ſein alter Schwindel iſt zur vollendeten Paſſivität
eworden.
ß Raiſonnire doch um Himmels Willen kein blinder
Germane mehr über die Demoraliſation der Franzosen,
iber das dekrepite Frankreich, über die zum Untergang
beſtimmte Nation. Seit dem fünften Dezember 1851
hat ihre Knechtſchaft die unserige diktirt, wir erlitten die
Konſequenzen des Mord-Dezember; aber sie haben im
Mai und Juni dieſes Jahres 1869 die Köpfe wieder er-
hoben, ein mächtiges stolzes Programm in die Welt ent-
ſandt, und wenn uns Jemand den abſcheulichen Bruder-
trieg unter~gebildeten, fleißigen, benachbarten Völkern er-
spart, ſo werden sie es thun, indem sie ihren Bonaparte
an die Kette legen.
Haben wir Deutschen uns gerührt seit dem traurigen
Fall der demokratischen Freiheit? Haben wir nur einen
gründlichen Haß bewiesen gegen die unverſöhnlichen Feinde
alles freien Volksthums? Wie wenige Prinzipienmenschen
haben wir unter uns, da doch ohne die Unviegſmtkeit
der Prinzipien nichts in der Welt zu Stande tommt ?
Um Neue Aera haben wir gebeten und gebettelt, und
wenn man sie uns in Gnaden gewährte, ſo haben wir
gewedelt. Den 19. Januar der Franzoſen wußten wir
zu verſpotten und die „Krönung des Gebäudes“ war uns
ein angenehmer Gegenstand der Ironie; aber daß der 1 .
Januar seit 1866 bei uns in Permanenz war, das über-
ſahen und ignorirten wir ſuperklug.
Die hohen Herren haben den Krieg langer Hand vor-
bereitet, jetzt tifteln ſie emſig am casus belli, und gerade
bei uns in Baden wird ein gut Stück des Netzes gehä-
kelt, in welchem der Friede Europa’s gefangen werden ſoll.
Die künſlliche offizielle Mehrheit unſeres Landes ar-
rangirt die Lücke auf dem politischen Schachbrett, auf
welche die Thürme und Springer zuſtreben, um Schach
dem König, Schach dem Cäsar zu rufen. Unsere offizielle
Mehrheit verlangt ſehnſüchtig nach der unmöglichen Ein-
heit Deutschlands unter den Krallen des Hohenzollern-
Adlers, einer Einheit, die weder national noch interna-
tional slattfinden kann und darf. National nicht, denn
die Nation gibt sich damit ſselbſt auf, wirst ihr Erſtge-
burtsrecht dumm-feige weg, begibi sich aller Anſprüche
von der Völkerwanderung bis zu der Reichsverfaſſung von |.
1849, und macht ſich zu Werkzeugen einer ſchnöden Ge-
waltpolitik. Jnt erna tio nal nicht, denn die Ho-
henzollern’sche Fahne am Oberrhein und Bodensee ist die
Bedrohung der Schweiz und der Handſchuh für Deutſch-
. Oſterreich,, der Umſturz jedes europäiſchen Gleichgewichtes.
Indem das offizielle Baden sich für dieje gefährliche Um-
wälzung ausſpricht, gibt es der Berliner wie der Pariſer
Politik die Handhabe zum Kriege, zum augenblicklichen,
mördetriſchen Kriege.
Tas offizielle Baden ladet alſo die Verant wortung
dafür auf ſich, daß es die Freiheit geopfert, die deutsche
Bestimmung ver ... laſſen und den Krieg herbeigeführt hat.
Wisſen und bedenken das unsere unerschöpflichen Redner
auch, unsere Lamey, Kieser, Eckhard, von den Bluntſchli
u. Kons. gar nicht zu reden, welche längſt Alles gewußt
und bedacht haben? Ist denn in jenen braven Leuten
und schlechten Muſikanten gar kein Gefühl für die Ehre
des Volkes, gar tein Versſländniß für die Lage der Dinge ?
Sind sie schlechterdings stockttaub und staarblind ? Wir
fragen sie in der zwölften Stunde allen Ernſtes, ob
Deutſchland entweder Bismarckiſch oder von Bonapartiſchen
Kohorten zertreten werden soll ? Ist es denn unumgäng-
lich nothwendig, daß unser ſchönes Land, ein Garten
Deutschlands, zu den preußischen Heerſchaaren, deren Fuß-
tapfen bei uns noch unverwiſcht ſind, auch noch die fran-
zöſiſchen einlade, um die Spuren beider mit einander ver-
gleichen zu können?
Von Berlin geht im Augenblicke wieder die diploma-
tische Krakchlerei gegen Oeslerreich aus ; der lauernde Pa-
tient von Varzin möchte wiſſen, wie kühn und sicher
Osterreich auftritt und wie viel Hundderttauſend Fran-
zoſen hinter ihm stehen. Blizt er dort ab, so folgt der
badiſche Schachzug und er wird in Paris handiren, wie
viel öſterreichiſche Armeekorps hinter Frankreich stehen.
Und die Möglichkeit dieſes Schachzuges verſchuldet einzig
und allein das offizielle Baden.
Cs ist eine Verblendung, die ihres Gleichen ſucht ;
es herrscht eine Abſichtlichkeit dabei, welche vor Mit- und .
Nachwelt straffällig sein wird. Es iſt unglaublich, aber
unläugbar, was vor unſern Augen vorgeht. Mir kreuzen
die Arme und was noch von Stimme in uns iſt, das
warnt, warnt, warnt.
Politiſche Uebersicht.
| Mannheim, 23. Auguſt.
* Die letzten Mittheilungen über die in München von
der Bundesliquidationskommiſſion beſchloſſene Fe ſtu n g s-
kommission bestätigen, daß Preußen zwar nicht un-
mittelbar in dieser Kommiſſion vertreten ſein wird ; daß
ihre Beſchlüſſe aber an die „Ansichten“ Preußens mehr
oder weniger gebunden ſind, und daß Preußen auf dem
belichten Wege des „Hintenherum“ die maaßgebende
Stimme in der Kommission erlangt hat. Die Süddeutſchen
offiziellen Waſſer plätſchern munter durch das Wehr am
Maine. Den Gruß der „Tauber :“ Das Haupt Deutſch-
lands iſt und bleibt der König von Preußen, erwiedert
Rudolf Schramm in dem Verse: „Der Tag, der festliche,
iſt nun erſchienen, an dem ſich Deutschland seines Kaiſers
freut." Besondere Kennzeichen ~ bemerkt die „Zukunft“
ſpöttiſch ~ fehlen.
In Be rlin iſt von der Aufhebung der Zeitungs-
ſtempels die Rede. Nochdem diese Belaſtung der Presse
in Holland beseitigt; nachdem aus Paris verlautet, es
sei in Frankreich die Abschaffung des Zeitungsſtempels
beabsichtigt: weiß ein Hamburger Blatt zu berichten, auch
die Berliner Regierung solle an die Aufhebung dieser
Steuer denten. Man wird gut thun, hieran zu zweifcln
bis die Vorlage an den Landtag vorliegt . . .
Der neue fra nzösiſche Kriegs miniſter, General
Leboeuf iſt 60 Jahre alt. Er hat die Feldzüge von 1837,
38, 39, 40 und 1841 in Algerien, die von 1854 und 1855
im Orient und den von 1859 in Italien mitgemacht. Er
iſt einer der ſchönjien Männer der Armee und hat ſich in Folge
seines mehrſach bewicsenen glänzenden Muthes einer großen
Popularität in der Armee zu erfreuen. An seinen Eintritt
in das Kriegsminiſterium ſoll sich, wie versichert wird, die
Abschaffung der großen Armeekorps knüpfen. Diese Erfin-
dung des Kaiserreichs iſt nirgends beliebt und würde die
Aushcbung der großen Kommando's wohl allgemein begrüßt
werden.
In Belgien ſoll in der Thronrede bei Cröffnung
der Kammern die Vorlage eines Ministerverantwortlichkeits-
gesetzes ang kündigt werden.
Aus Ro m wird zugegeben, daß nahezu 300 Bischöfe
den Beſuch des Konzils abgelehnt haben ; aber wider-
sprochen, daß der Papſt auf den Rath der Kardinäle die
Eröffnung des Konzils hinausgeſchoben hätte.
Die portugieſiſche Deputirtenkammer hat den
Antrag auf Entschädigung der engliſchen Südoſtbahn-
Gesellſchaſt genehmigt.
Ziwiſchen der Türkei und Persien iſt ein pro-
viſoriſches Uebereinkommen getroffen worden, in Bezug der
Festſtellung der beiderſeitigen Gebietsgrenze.
In Rußland bereitet der Juſtizminiſter einen Ge-
seßentwurf über die Einführung der S < w urg e-
r i < t e vor.
Die Deputirtenkammer in Griechenland hat einen
Gesetzesentwurf , betreffend die Aufnahme einer ? nleihe
von 9 Millionen Drachmen genehmigt. Die Regierung
hat der Kammer weiter einen Geſeßzentwurf vorgelegt,
betreffend die Durchstechung der Landenge von Korinth.
ss Deutſchland.
/. Pforzheim, 22. Aug. Geſstern hatte ich zum
erſten Male Gelegenheit den Zug Nr. 134 zu benüyen,
der von Carlsruhe nach Pforzheim fährt und da bot ſich
mir ganz von ſelbſt das Vergnügen eine jener herrlichen
Blüthen zu bewundern, welche der deutsche Bureaukratis-
mus im Allgemeinen und ſpeziell der badiſche Verkehrs-
Zopf treibt.
Bis Wilferdingen, alſo sſo lange der Zug in der
Cbene fährt, ſchien alles ordnungsmäßig zu gehen; von
da ab aber fuhr derselbe mit ſolch vorsichtiger Langsamteit,
daß der Unerfahrene wenigste ns einen Achſenbruch an-
nehmen durfte. Auf Befragen erfuhr ich aber, daß dieſer
Zug ſtatt der üblichen Fahrzeit von einer Stunde, eine
Stunde 35 Minuten unterwegs zuzubringen hat; daß
es daher der äußerſten Berechnung des Zugmeiſters wie
des Locomotivführers bedürfe, um nicht vor der reglements-
mäßigen Zeit in Pforzheim anzukommen und dadurch in
Strafe zu verfallene. In der That mußten wir in der
nächſten Station vor Pforzheim, in Iſpringen, ſünf Minuten
warten, um nicht zu früh in Pforzheim einzutreffen, ob-
gleich wir von Wilferdingen bis daher ~ auf einer Weg-
ſtrece von drei Stunden — eine, ſage eine Stunde
gebummelt hatten. Ueber die Ursache dieser angenehmen
Fahrweise zerbrachen wir uns Alle die Köpfe, konnten
aber keine andere Erklärung finden, als daß man höhern
Orts die Geduld des Volkes prüfen will, ob dieſelbe ſo
ausdauernd ist, als es die gegenwärtigen Verhältnisse er-
fordern. Wenn aber die großh. Direttion der Verkehrs-
anstalten einen andern, stichhaltigen Grund hat, warum
der fragliche Zug 35 Minuten länger unterwegs ſein
muß, als die übrigen Züge von Karlsruhe nach Pforzheim,
so würde das Publikum ihr jedenfalls ſehr zu Dank ver-
pflichtet ſein, wenn ſie damit nicht hinter dem Berg halten
wollte.
* Aus Baden, 23. Aug. Unsere Bismärcker
mögen sich unangenehm berührt fühlen, von der Ausbrei-
tung der Klöster in Preußen, von dem neuesten Crlasse
des kgl. Konſiſtoriums in Berlin, gegenüber dem Protes
ſtantenverein (ſ. Berlin). An dem Fanatismus, mit wel-
chem sie Für die Verpreußung Deutschlands eintreten, ver-
mag jedoch dieses Alles und noch Anderes nicht zu än-
dern. „Wenn es auch nirgends offen ausgeſprochen und
anerkannt wurde, so iſt doch der K önig von Preußen
selbſt das Ha upt von ganz Deutſchlan d und wird
es bleiben‘. So jubelt die „Tauber“ auf, welche in letz
terer Zeit dazu erkoren ſcheint, den Mauerbrecher der
Bismärckerei abzugeben und alles Das in die Öffentlich-
keit hinauszubringen, was man in den „,gewiegteren Or-
ganen“ der Bismärckerei noch nicht auszuſprechen wagt.
Der König von Preußen iſt „d o ch“ das Oberhaupt von
ganz Deutſchland ~ alſo auch von Baden. „Wenn es
auch nirgends offen ausgeſprochen und „anerkannt“ wurde,
so iſt es „doch“ der Fall. In der That eine der größten
Zumuthungen, die man einem Volke machen kann; ihm
frech in's Gesicht zu ſagen : wenn Du auch noch nichts
davon geſagt bekommen haſt . . . Du biſt dennoch ſchon
unter die Oberherrſchaft des Königs von Preußen ge-
| bracht. Was du noch von Selb=tſtändigkeit wahrnimmſt,
iſt eitel Trug und Schein: das Haupt von ga nz Deutiſch-
land iſt der König von Preußen. Man hat guten
Grund, zu vermuthen, daß die „Tauber“ der Karlsruher
Regierung nahe ſteht und zu offiziösen Mittheilungen be-
nütt wird. Iſt dieß wirtlich der Fall, so iſt die oben
mitgetheilte Behauptung der „Tauber“ eine ſehr bezeich-
nende und läßt das Volk in Baden erkennen, wie weit es
gekommen . . . auf Schleichwegen unter die Herrſchaft des
Königs von Preußen, des Hauptes von ganz Deutſchland.
Knieet dann nieder, ihr Alle, die ihr noch an der Selbſt-
beſtimmung des Volkes festhaltet, damit ihr den Gnaden-
stoß empfſangct; ihr, die ihr nicht glaubet an die irdiſche Gott-
heit in Berlin und Varzin und die Hohenprieſter Jolly
und Beyer und wessen Namens ſie alle ſind.
Was noch nicht da war, erklärt der „Bad. Beobachter“
aufzuweiſen. Neun Preßtlagen von Staatswegen näm-
lich; alle neun zu gleicher Zeit anhängig; alle neun aus
der kurzen Periode von knapp 3 Monaten. Das ge-
nannte Blatt verspricht an seine Freunde und Partei-
genossen „eine vertrauliche Mittheilung über dieſe ganz
außerordentlichen, noch nie dageweſenen Verhältnisse."
Die zu Lörrach abgehaltene Djözes an - Synode
hat beſchloſſen, an den evang. Obertirchenrath die Bitte
zu richten, derselbe, reſp. evangel. Generalſynode wolle er-
klären, daß, nachdem der Charfreitag und der Buß- und
Bettag den Staatsschuß verloren, die evang. Kirche auf
den Staatsſchutz auch für die zweiten Feiertage verzichte.
Maßgebend für diesen Beschluß war die Erwägung, daß
nur diejenigen Festtage beizubehalten ſeien, welche im re-
ligiösen Bewußtsein der Gemeinde ihren Halt hätten, und
daß die in Rede ſtehenden in der öffentlichen Meinung
gerichtet seien. Der Antrag, die im Gebrauche befind-
liche bibliſche Geschichte abzuschaffen .und jeder Gemeinde
das Recht der Einführung einer ihr genehmen bibl. Ge-
schichte zu gewähren, wurde abgelehnt ; dagegen der wei-
tere. auf Einführung einer Schulbibel angenommen.
Ebenso der Antrag, die Synode wolle ſich für Einfüh-
rung der obligatoriſchen Zivilehe aussprechen. Der An-
trag wurde mit großer Majorität, gegenüber einer Mino-