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Dienstag, 20. April.
1869.
Organ der deulſchen Volksparlei in Baden.
N . U L m-16 u :
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Wo halten wir?
. Vorfrage: Halten wir überhaupt, oder wollen wir
weiter, wie Dies ſeit Wochen im Werk war? Nein, wir
halten wirklich, es iſt gebremſt worden. Wo ? natür-
lich wie immer, „an des Maines kühlem Strande.“ Der
Krieg iſt vorläufig vertagt, und es wäre möglich, daß wir
für 1869 nicht wieder beunruhigt würden. Iſt es der
Börſe darum sehr zu thun, so muß ſie ſich an Graf
Bismarck wenden, der die ehernen Würfel jezt allein in
seiner Hand hält.
Was iſt denn vorgefallen und wie so ward diese Ab-
wiegelung möglich ? Es iſt vorgefallen, daß Marschall Niel
die franzöſiſche Armee auf Marſchfuß geſett und zur
Probe einmal über die Eiſenbahnſchienen hat rollen lassen;
daß die Chasſepots bis zur Mobilgarde gediehen ſind, daß
mit Einem Worte die Reorganiſation des Heeres bis zur
Volkswehr, so weit ein Bonaparte sie brauchen kann,
fertig geworden iſt. Es iſt ferner vorgefallen, daß Preußen
diplomatiſch aus Italien herausgeworfen wurde, daß der
Rinaldo Usedom gegangen und das Einvernehmen zwiſchen
Oesterreich und Italien auf eclatante Weise hergestellt
wurde. Franz Joſeph und Victor Emanuel bewerfen sich
bereits mit Orden und Victor Emanuel soll eine wahre
Sehnſucht nach der Fiaker Willi und anderen Wiener
Schönheiten empfinden.
Cs ist endlich vorgefallen, daß ſelbſt Rußland ein
Haar in der preußiſchen Bundſchaft gefunden hat und
anfängt sich zu weigern, die ſüddeutſchen Kastanien, die
bei Heidelberg beginnen, für das Großpreußenthum aus
dem Feuer zu holen. „Rußland scheint ſelbſt den Kampf
mit der öſterreichiſchen Armeereorganiſation zu scheuen,
und anstatt eines Kampfes, wo der M ann und sein
zöſische Minister der auswäreigen Angelegenheiten: Wir |
nehmen Alles hin, was das Jahr 1866 in Deutſchland
gebracht hat, wir hegen keinerli Rancune wegen der
Annexionen und der norddeutschen Einheit. Aber wir
sagen zugleich mit der vollſten Entschiedenheit : Der Main
iſt die Grenze der preußiſchen Weltgeschichte. Ne sutor
altra Moenum ! Schneider, bleib’ bei deinem norddeutschen
Leisten !
hu? hat aber Preußen schon von Nikolsburg an
allerhand Fühlhörner über den Main hinausgestrectt und
die große deutsche Einheit platoniſch begründet. Das
ignoriren wir, sagt Frankreich, wir thun, als ob Das gar
nicht für uns exiſtirte; ſobald aber Ernst mit jenen Ab-
machungen gemacht werden ſollte, sobald die Allianzver-
träge Hand und Fuß bekommen, rufen wir: Veto, ich
duld’ es nicht! Die Süddeutſchen fangen an, zu wittern,
was Das heißt ; die Augen ſind ihnen geöffnet, ſchwerlich
rennen sie sehenden Auges in ihr Verderben.
Bismarck ſitt auf Nadeln und mit allen Nerven in
der Höhe ſucht er die armen Süddeutschen ins Borhorn
zu jagen: Ihr müßt Euch gänzlich militäriſiren, total
verpreußen, oder ich kündige Euch den Zollverein! Hat
gute Wege, er kündigt ihn nicht, und ſelbſt die Offiziellen
und Ofsiziööen im Süden erklären: Noch m ehr ver-
preußen? nein, Das geht nicht, Das können wir nicht,
Das thun wir nicht! Und ſogar Baden bemerkt: Wenn
es Württemberg und Bayern nicht thun, wir allein
können ganz unmöglich mit Heſſen die Kate durch den
Bach schleifen!
Jetzt iſt die Reihe am Vo lke des Südens, darein zu
reden; die Regierungen werden ſchwerlich darob grollen,
ſelbſt die badische Regierung iſt auf dem äußerſten Punkt
angelangt, selbst ſie muß ein volksthümliches Pronunzia-
G ewehr zählt, lieber in Maſsenſtößen operiren zu | miento willklommen Heißen. Daß dem Süden Gewalt an-
wollen. Ohs sher lana nalciſih uur im Aften e ; gethan werde, davon kann gar keine Rede mehr ſein;
tt. indischen Delta aus erobert werden, auf Spazier-
gängen gibt es bekanntlich keinen Umweg.
Konstantinopel kann ja auch von hinten herum,
Als nun der ungeheure Nordbund mit seinem Maze-
donier ganz und durchaus isolirt daſtand, ohne Freund
und Bundesgenossen, da stellte Hr. de Lavalette oder viel-
mehr deſſen Herr und Meiſter das Ultima t um. Denn
ein Ultimatum iſt jene ytede gewesen, Das beweisen
ſchon ganz allein die Berliner Verlegenheits-Artikel, die
vor Wuth über die nöthige Anerkennung ſchier platzen
und doch nicht mehr provoziren dürfen, weil sie ſonſt dem
Franzosenkaiſer direkt in die Karte schielen würden.
An der Seine ist vortrefflich operirt worden; vom
Standpunkt des diplomatiſchen Raffinements aus, an
welchem unſere National-Liberalen so herzliche Freude
haben, muß man sagen, der Meister hat seine Revanche
genommen und dem Schüler „Matt“ geboten. Graf
Bismarck befindet sich jekt in der seinem Charakter so
wenig entsprechenden Situation, daß i h m die Rolle des
Angreifers zugeſchoben werden wird, ſobald er ſich
rührt; daß Frankreich der beleidigte Theil iſt, sobald
irgend etwas vorfällt. „Weit übergebogen“ erklärt der fran-
ſchehen, von Turkeſtan auf Afghaniſtan und den Indus | dag ſüdliche Volt hat freies Spiel, es braucht nur zu
sagen : Das will ich nicht, und Das woill ich!
Der preußiſche Komet wird rückläufig, da fern wir
unsere Pflicht thun. Für Baden bleibt die maßgebende,
die unumgängliche, die heilbringende Parole ; Außer-
ordentlicher Landtag, neues Wahlgesetz,
ne ue Kammer! Unſer Volt muß zu Worte kommen,
reden können wird es ſchon.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 19. April.
* Die konstituirende Verſammlung Spaniens hat | h
vorgeſtern in Fortsezung der Verfaſsungsberathung die
auf die Gewähr persönlicher Freiheit bezüglichen Artikel 3
und 4 des Entwurfs angenommen. Dieſeiben bestimmen,
daß keine Verhaftung ohne richterlichen Befehl vorge-
nommen und jeder Verhaftete binnen 24 Stunden vor
den zuständigen Richter gestellt werden muß. In derselben
Sitzung wurden auch die Zuſtände auf Kuba, deren Ge-
fährlichkeit die Regierung nicht mehr zu leugnen vermag,
abermals zur Sprache gebracht. Nachdem der Marine-
miniſter angezeigt hatte, daß am 14. eine Panzerfregatte
von Kadix dahin abgegangen sei, eine zweite ihr dem-
nächſt folgen werde, neun neue Kanonenboote im Bau
begriffen und daß die sofortige Abſendung zweier weiterer
bereit liegender Fregatten nur durch den Mangel an
Matroſen verhindert sei, bewies die mit 136 gegen 49
Stimmen erfolgte Zulaſſung eines Antrages auf Be-
schaffung der nöthigen Schiffsmannſchaft den feſten Willen
der überwiegenden Kortesmehrheit, für die Erhaltung der
Insel beim Mutterlande Alles einzuseßen.
Mit beiläufig derſelben Stimmenmehrheit, womit vor
Oſtern die zweite Leſung der iriſchen Kirchenbill
durchgesezt und vor einigen Tagen der Antrag Newdega-
te's auf Ablehnung der Vorlage verworfen worden, hat
das englische Unterhaus in seiner Abendſizung vom 16.
ein Amendement des Führers der Opposition, des frühern
Ministers Disraeli, welches gegen die im Art. 2 der
Bill ausgeſprochene Aufhebung des ſtaatlichen Charaks-
ters der iriſchen Kirche gerichtet war, mit 344 gegen 221
Stimmen abgewiesen und hiemit das eine von den beiden
Grundprinzipien der Bill definitiv angenommen.
Aus Preußen werden glickliche Ergebniſſe der Ent-
deckungsreiſen der Regierung nach ſteuerbaren Gegenſtän--
den ſignaliſsirt. Der Geseßentwurf auf Erhöhung der Brannt-
teinſteuer iſt dem Reichstag bereits zugegangen ; eine Vorlage
über Besteuerung von Gas und Petroleum iſt eben dahin auf
den Wege und der Entwurf einer Börſenſteuer wird nach-
folgen, sobald derselbe die miniſterielle Prüfung, der er
dermalen unterliegt, bestanden haben wird. Ueber den
Inhalt der drei erſten Vorlagen iſt Näheres noch nicht bekannt ;
bezüglich des Börsſenſteuerprojektes wird berichtet, daß die
schon im Umlauf befindlichen ausländischen Papiere mit
1 vom Tauſend, die neu an den Markt zu bringenden
mit 1 und wofern sie Lotteriepapiere sind, mit 2 Prozent,
vie inländischen Papiere mit 1 1/» Prozent jährlicher Stem--
pelſteuer belegt werden ſaollen.
Von der vom öſterreichiſchen Generalstab herausgegebe-
nen Geschichte des Feldzugs von 186 6 wird dem-
nächſt der vierte Band erscheinen. Die „Neue freie
Presſe“, welcher der Inhalt derselben bereits bekannt ge-
worden, veröffentlicht einige Auszüge daraus, unter denen
vor Allem eine bisher noch nirgends veröffentlichte, vom
Grafen Bismarck aus dem Hauptquartier in Nitolsburg
an den preußischen Gesandten in Paris, Graf v. d. Goltz,
gerichtete Depesche hervorzuheben iſt, da dieſelbe in der
unverhülltesten Weiſe darlegt, daß das Motiv zu der
Frevelthat des Jahres 1866 in nichts Anderem beſtanden
at, als in dem Verlangen nach Ländererwerb. Das
denkwürdige Aktenstück lautet: „Der König hat zu dem
Waffenstillſtande seine Genehmigung ertheilt. Varral
(der italienische Gesandte am preußischen Hofe), der eben-
falls hier iſt, erbittet ſich Inſtruktion und Vollmacht von
Florenz. Es iſt zweifelhaft, ob diese so raſch wird eintreffen
können. Der König hat ſich nur ſehr ſchwer und aus
Rückſicht auf den Kaiſer Napoleon hiezu ent-
ſchloſſen, und zwar in der beſtimmten Voraussetzung, daß
für den Frieden ein bedeutender Territorial-Erwerb im
Norden Deutschlands gesichert sei. Der K önig schlägt
Auf den letzten Augen.
(Fortsetzung.)
Alles erstaunte und erſtarrte.
„Mein Himmel, Sie, Herr Oberrichter! und so feier-
lich! was hat Das zu bedeuten ?“ rief die Freifrau.
„Ich beklage tief, entgegnete der Angeredete, daß ich
ſtatt eines Theilnehmers Ihrer Freude als ein Störer
derſelben erscheinen muß. Allein die Pflichten der Ge-
rechtigkeit sind rücksichtslos ; ſie müſſen geübt werden ſelbſt
auf die Gefahr hin, einem falschen Verdachte zu folgen.
Das traurige Ereigniß, welches vor einiger Zeit dieses
Haus in Schmerz und Kummer versetzte, ſchien jeder
Spur nach dem. Thäter ſpotten zu wollen. Sie wisſen
alle, wie ſchr man das Gericht tadelte, daß es auch nicht
einen leitenden Faden zu entdecken vermochte! indeß ſtrebte
es im Stillen seiner Aufgabe nach. Heute Morgen iſt
es endlich gelungen, einige Entdeckungen zu machen. Das
geraubte Gut iſt gefunden. Leider dabei auch ein Gegen-
ſtand, der den Namenszug eines angesehenen Mannes
tigägt. Wir können nicht urtheilen, ob derſelbe tnit dem
Verbrechen m Verbindung ſteht, allein wir dürfen auch
nicht die leiſeſte Spur entſchlüpfen laſſen, welche Licht über
die begangene unerhörte That zu geben verheißt. Die
Achtung vor dieser verehrlichen Geſellſchaft ließ mich diese
Erklärung geben, die vielleicht über die erlaubte Grenze
hinausgeht ; allein ich gab sie, weil ich hoffe, es werde
dem Baron von Auberg nicht schwer fallen, ſich ſchnell
genügend zu rechtfertigen. Jett muß ich denselben erſu-
chen, mir zum Verhör zu folgen.“ .
Alle Blicke flogen von dem Richter auf Auberg, der
mit gleichgiltigem Lächeln entgegenete :
„Mich, Herr Oberrichter? Mit Bereitwilligkeit ſtelle
ich mich Ihnen zur „Verfügung, wie sonderbar mir die
Sache erſcheint. Obschon es mich gerade in diesem Au-
genblicke schwer betrifft, so ist doch meine Achtung vor
dem Geseße zu hoch, als daß ich mich den Härten, die es
zuweilen begehen muß, nicht willig fügen sollte. Geſtat-
ten Sie mir nur, daß ich zweite Worte der Beruhigung
an dieſes edle Fräulein richte.“
Mit diesen Worten wendete er ſich frei und ſtolz zu
Nertha, die zitternd neben ihm stand, und zog ſie durch
die angelehnte Thüre in das Nebenzimmer; die Thür
ſchob er hinter sich an.
Der Richter hielt es für seine Pflicht, ſich ebenfalls
dahin zu begeben. Bevor die Mitte des Zimmers durch-
ſchritten, vernahm man einen Schrei Nertha's.
Man riß die Thüre auf. Nur die zuſammenbrechende
Nertha war darin.
Thüre versſchloſsen. Ehe ſie etwas unternehmen konnten,
Auberg hatte das Fräulein, ohne ein Wort zu reden,
nach dem Eintritte ins Zimmer verlaſſen und war ans
Fenster geeil. Nach raſchem Blicke in den Garten, der
unverdächtig erschien, hatte er ſich auf die Fensterbank ge-
ſchwungen, von dort die vorspringenden Steine des Frie-
ſes betreten, der um das Haus lief, und dann den
Sprung in die Tiefe gewagt.
Ein Schmerzensruf von unten verkündete, daß der
Sprung kein glücklicher gewesen. Man ſah vom Fenſter
aus, wie Auberg ſich mühſam mit gebrochenem oder ver-
leztem Fuße fortſchleppte. Gescheucht vom Ruf der Ver-
folger, die ſich ſchon auf dem Hofe vernehmen ließen,
wandte er ſich nach dem Pavillon, erreichte denselben und
flüchtete hinein. Die herbeieilenden Feldjäger fanden die
fiel innen ein Schuß : Wolf's Mörder hatte Wolf 5 Jagd-
gewehr gegen ſich gewandt. .,
Diese Wendnng des Festes ſcheuchte die Gäſte wie ex
Sturmwind auseinander. Jm nächsten Augenblicke waren
die Zimmer leer.
Der Kanzleirath war den Gerichtsperſonen in deir
Garten gefolgt. Man erbrach die Thüre des Pavillons
und fand Auberg zwar nicht todt, aber lebensgefährlich
verwundet. :
Nachdem die nächſten von der Lage gebotenen Schriite